01.07.2024

Artikel im Sammelband „Voices of Resilience“ von Philipp Hahn

Dokumentation des Programms „DialoguePerspectives“

Online-Redaktion / Jan Philipp Hahn

Neta-Paulina Wagner et al. (Hg.), Voices of Resilience. Exploring Crisis and Cohesion in Contemporary European Society, Berlin 2024, open access. ISBN: 978-3-9826348-0-7 (Print) und 978-3-9826348-1-4 (PDF). Download hier. 

Der Sammelband „Voices of Resilience“ ist Ergebnis des durch das Auswärtige Amt geförderten, einjährigen Programms „DialoguePerspectives“, bei dem junge Menschen aus ganz Europa, die Interesse an interreligiösem Dialog haben und sich für ein krisenresistenteres Europa engagieren wollen, miteinander in vertieften fachlichen und persönlichen Austausch traten. Am Ende des Jahrgangs 2023/24 legten die Organisator:innen einen Sammelband vor, dessen Vielfalt – man findet kreative wie wissenschaftliche Artikel, Essays, Fotostrecken und andere Beiträge – einen Einblick in die Diversität der gesellschaftlich stark engagierten Teilnehmer:innen und ihrer Arbeitsgebiete erlaubt.

Mit den vier Schwerpunkten Gesellschaft, Religion, Demokratie und Umwelt wird aber auch deutlich, wie komplex und verflochten die Krisenlagen sind, die Europa in der letzten Zeit treffen. Nicht zuletzt die zeitliche Nähe der Erscheinung des Sammelbands zu den verheerenden Ergebnissen der EU-Parlamentswahlen Anfang Juni und dem sich dort abzeichnenden, europaweiten Erstarken rechtspopulistischer Parteien lässt bewusst werden, vor welch enormen Herausforderungen derartige Initiativen stehen und wie fragil ihre Suche nach Lösungen zu diesen multiplen Krisen ist. Der Sammelband wurde am 21. Juni 2024 im Rahmen einer Abendveranstaltung im Europäischen Haus in Berlin vorgestellt. 

Rechtspopulismus als „Undoing cultural pluralism“

EZW-Projektmitarbeiter Philipp Hahn nimmt in seinem Beitrag „The Threat of Right-Wing Populism to a Positive Understanding of Religious Pluralism“ (S. 88-98) die Beobachtung zum Ausgangspunkt, dass die Rede über den ‚religiösen Pluralismus‘ in politischen und gesellschaftlichen Debatten oftmals nur auf den ersten Blick als neutrale Zustandsbeschreibung fungiert, meistens jedoch starke normative Konzepte im Hintergrund stehen: Pluralismus wird als bereichernd und sinnstifend, als das Kollektiv gefährdend, oder als irrelevant verstanden, und unterschiedliche Konzepte des gesellschaftlichen religiösen Pluralismus stehen einander in Aushandlungsprozessen gegenüber.

Hahn geht in seinem Artikel zunächst auf unterschiedliche „Lesarten“ des religiösen Pluralismus und ihre jeweilige Haltung zu den Exklusivitätsansprüchen einzelner Religionsgemeinschaften sowie zu den gesellschaftlichen Auswirkungen steigender Pluralisierung ein, bevor er den Fokus auf antipluralistische Stimmen von rechtspopulistischen Akteuren und ihre Instrumentalisierung von Religion lenkt. Er zeichnet einige größere Linien derartiger antipluralistischer Strategien nach, die darin münden, religiöse Pluralität als Gefahr für gesellschaftlichen Zusammenhalt darzustellen und eine Rückkehr zu religiöser wie kultureller Homogenität zu imaginieren. Religion, so der Autor, wird in den populistischen Rhetoriken immer wieder verwendet, um einerseits einen einenden Identitätsmarker zu bilden und andererseits eine religiös anders konnotierte Out-Group zu identifizieren und auszugrenzen. Es geht ihm darum, den Zusammenhang zwischen dem Rückgriff der Neuen Rechten auf homogene Gesellschaftsideale (‚das Volk‘), ihrem Gebrauch von Verfallsnarrativen und dem Umgang mit der religiösen Pluralität der jeweiligen Gesellschaft zu explizieren.

Diese Überlegungen führen ihn zu der These, dass der Umgang der Rechtspopulisten mit dem religiösen Pluralismus am besten als das Programm eines „‘undoing‘ of religious and cultural pluralism“ (S. 94) zu fassen ist.

Gefährliche Religionsverständnisse

Ein weiteres Anliegen seines Textes ist, aufzuzeigen, welchen Religionsbegriff Akteure wie die Identitäre Bewegung verwenden und inwiefern gerade derartige reduktionistische Religionsverständnisse und die fehlende Sensibilität für binnenreligiöse Vielfalt zu fatalen populistischen Freund-Feind-Strukturen (Christentum vs. Islam) führen.

In einem letzten Schritt empfiehlt der Autor, eine Sensibilität dafür zu entwickeln, dass der pessimistische Blick derartiger Stimmen auf den religiösen Pluralismus nur ein möglicher, wenngleich sehr gefährlicher neben anderen Lesarten des Pluralismus ist; er sieht die größten Chancen für eine Entlarvung solcher populistischer Strategien in religions- und weltanschauungsübergreifenden Koalitionen, die sich für ein positives Verständnis der gesellschaftlichen religiösen Pluralität einsetzen.

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Ansprechpartner

Jan Philipp Hahn
Wissenschaftlicher Projektmitarbeiter
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (REDiCON)
Auguststraße 80
10117 Berlin