Britisches Gericht spricht Veganismus den Schutzstatus einer Religion zu

Religionen und Weltanschauungen genießen in vielen Rechtsordnungen einen besonderen Schutz, so auch in Britannien. Ein Gericht in Norwich bescheinigte einem Veganer nun, seine vegane Lebenshaltung sei ein „philosophical belief“, also eine Weltanschauung und nicht nur eine politische oder ethische Meinung.

Kai Funkschmidt
Auf dunklem Hintergrund in Großbuchstaben VEGAN, die einzelnen Buchstaben ausgefüllt mit verschiedenen Gemüsesorten

Religionen und Weltanschauungen genießen in vielen Rechtsordnungen einen besonderen Schutz, so auch in Britannien. Schlagzeilen machte am 3. Januar 2020 ein Gericht in Norwich, das einem Veganer bescheinigte, seine vegane Lebenshaltung sei ein „philosophical belief“, also eine Weltanschauung und nicht nur eine politische oder ethische Meinung. In dem arbeitsrechtlichen Streit hatte ein 55-jähriger Mann geklagt, weil er der Meinung war, sein Arbeitgeber, eine Tierschutzorganisation, habe ihm aus Intoleranz gegenüber seinem Veganismus gekündigt. Er habe seit 17 Jahren sein ganzes Leben am ethischen Veganismus ausgerichtet, ernähre sich also nicht nur vegan, sondern achte zum Beispiel auch bei Kleidung (Lederschuhe, Seide) und Wohnungseinrichtung (Wolldecken) darauf, keine tierischen Produkte zu konsumieren oder zu nutzen. Tatsächlich lässt sich zeigen, dass bestimmte Ausprägungen des Veganismus die Funktion einer lebensbestimmenden Religion erfüllen können (vgl. MD 11/2015, 403-412; 12/2015, 445-455).

In einem ersten Schritt erkannte das Gericht nun an, dass Veganismus tatsächlich eine (nicht-religiöse) Weltanschauung darstelle, die im rechtlichen Sinne einer Religion gleichzustellen sei. Die Frage, ob im vorliegenden Falle der Veganismus tatsächlich der Kündigungsgrund gewesen sei oder nicht, ist davon unabhängig und wird erst im Laufe des Jahres entschieden.

Das zugrunde gelegte Gesetz, der „Equality Act“ (Gleichstellungsgesetz), stammt aus dem Jahr 2010 und bestimmt, dass eine Weltanschauung dann rechtlich schützenswert sei, wenn sie in einer demokratischen Gesellschaft respektwürdig sei, nicht der Menschenwürde widerspreche und nicht den Rechten und Freiheiten anderer schade. Neben Religion und Glauben bestimmt das Gesetz weitere Bereiche, die der Gleichstellung unterliegen, darunter Alter, Behinderung, Hautfarbe/Ethnizität („race“), Geschlecht und sexuelle Orientierung. Weitere Themen, berichten britische Zeitungen, bei denen das Gleichstellungsgesetz angewandt wurde, betrafen das Eintreten für die schottische Unabhängigkeit und den Kampf gegen den Klimawandel. Beide wurden als „philosophical beliefs“ eingestuft. Abgelehnt wurde diese Kategorisierung allerdings bei einer Feministin, die sich gegen die konstruktivistische Gender-Theorie stellte und deswegen ihren Arbeitsplatz verloren hatte.1

Die jetzige Entscheidung des Gerichts war weniger neu, als die aufgeregte internationale Medienreaktion vermuten ließ. Insbesondere Arbeitsgerichte gehen bei der Berücksichtigung von Arbeitnehmerrechten oft recht weit. 2013 entschied ein amerikanisches Gericht in Ohio, dass Veganismus wie eine Religion durch Gesetze geschützt sein könne, die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt sicherstellen sollen. „Religiöse Praxis“ im Sinne des Gesetzes schließe moralische und ethische Überzeugungen ein, die mit religiöser Inbrunst vertreten werden.2 Damals ging es um eine Krankenhausmitarbeiterin, der gekündigt wurde, weil sie vorgeschriebene Impfungen verweigerte, da der Impfstoff an Tieren getestet worden sei. Und schon 1993 hatten zwei britische Gerichte den Veganismus als parareligiöse Haltung klassifiziert. Damals geschah dies unter Berufung auf die Europäische Menschenrechtscharta und betraf unter anderem einen Strafgefangenen, der sich weigerte, im Gefängnis zu arbeiten, weil er dabei mit tierischen Produkten in Berührung komme.3 

Die jetzige Resonanz liegt eher an der momentanen Medienaufmerksamkeit für die Themen Essen und Veganismus und an einem gesellschaftlichen Klima, in dem die Opferrolle für zahlreiche Gruppen lukrativ wird, weil sich damit juristisch Vorteile erstreiten lassen. Die Folgen sind potenziell weitreichend. Der Rechtsanwalt des Klägers von Norwich äußerte unmittelbar nach dem Urteil die Hoffnung, dass antivegane Beleidigungen bald ähnlich geahndet werden wie rassistische oder sexistische. 

Deutsche Veganer wehren sich in der Regel vehement gegen Analysen, denen zufolge ihre Weltanschauung religiöse Züge trage. Allerdings könnte sich dies ändern, wenn die Aussicht besteht, dass sich eine entsprechende Einordnung juristisch nutzen lässt. Das englische Urteil wurde in veganen Publikationen hierzulande begrüßt, da man dadurch vielleicht künftig vor Diskriminierung am Arbeitsplatz geschützt sei.4 Es ist womöglich nur eine Frage der Zeit, bis deutsche Gerichte hierüber entscheiden müssen.

Kai Funkschmidt


1 Damien Gayle: After tribunal's ethical veganism ruling, what is a protected belief? 

2  Sherry F. Colb: Is Veganism a Religion Under Anti-Discrimination Law? An Ohio Federal District Court Says Perhaps, 6.3.2013 

3  W v United Kingdom (Application 18187/91, 10.2.1993, unreported, ECHR); H v United Kingdom (1993) 16 EHRR CD 44, ECHR.

4  vegconomist: UK: Spektakuläres Vegan-Urteil sorgt für weltweites Medienecho

Ansprechpartner

Foto Dr. Kai FunkschmidtDr. theol. Kai Funkschmidt
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
Auguststraße 80
10117 Berlin