Am 22.11.2024 fand in Dortmund „Das große Abendmahl“ statt. Was nach einer normalen, nicht weiter nennenswerten christlichen Veranstaltung klingt, hat in den Wochen davor besonders in den sozialen Medien große Wellen geschlagen. Zwei Monate vor dem Event wurde dieses durch die Christfluencerin und Jugendevangelistin Rose de Jesus – angestellt bei der Allianz Mission und dort mit der Aufgabe „Digitale Evangelisation in den Sozialen Medien“ betraut – ihr Ehemann und Rapper Lorenzo di Martino und ihre gemeinsame Freundin Sandra (Nachname unbekannt) auf ihren TikTok- und Instagram-Kanälen angekündigt. Die Hintergründe dieser Veranstaltung geben jedoch Anlass zu einigen kritischen Nachfragen.
Die Vorgeschichte
Der ausschlaggebende Impuls für die Organisation eines „großen Abendmahls“ sei, so das Trio, eine göttliche Mitteilung gewesen, die Sandra in Form von diktierten Briefen empfangen hätte. Sie berichtet von sich wiederholenden, akustischen und visuellen Offenbarungen, die ihr regelmäßig verschiedene Aufträge erteilten. Im September 2024 hätte sie dann den göttlichen Auftrag erhalten, ein großes Abendmahl gemeinsam mit de Jesus und di Martino zu organisieren. Der Wortlaut klingt folgendermaßen: „So spricht der Herr, euer Gott, der euch aus der Finsternis ins Licht gerufen hat, der treu ist in all seinen Wegen: Mein Herz ist betrübt über den Zustand meines Volkes in Deutschland, denn es ist eingeschlafen. […] Es ist mein Verlangen, dass mein Volk in ganz Deutschland zusammenkommt, um das Mahl des Herrn zu empfangen. Denn in diesem Mahl liegt die Kraft der Erneuerung und der Bund, den ich mit ihnen geschlossen habe. […] Verkündet meinem Volk: Bereitet euch vor, denn der Herr kommt mit Macht, um sein Volk zu entfachen. […]“1
Das Trio betont zwar, dass die empfangenen Briefe der biblischen Autorität unterzuordnen sind und es sich lediglich um Aufträge zur gegenwärtigen Umsetzung handelt. An welchen Kriterien sie dies entscheiden, geben sie jedoch nicht an. Es bleibt völlig offen und ungeklärt, welche Maßstäbe im Umgang mit Neuoffenbarungen für sie bestimmend sind, denn in den zahlreichen Kommentaren, die das Trio unter ihren Posts verfasst haben, wird deutlich, dass sie sich als unmittelbare Nachfolger der biblischen Propheten und Apostel sehen und dementsprechend ihre Visionen als gleichbedeutend verstehen. Daraus erschließt sich auch der religiöse Eifer, den alle drei zeigen.
In weiteren Videos berichtet insbesondere de Jesus von zahlreichen weiteren übernatürlichen Vorkommnissen, denen sie seither begegnen würde. Diese scheinen allesamt durch die aus dem charismatischen Christentum stammende Vorstellung der Existenz einer geistlichen Welt geprägt zu sein, in der göttliche und teuflische Kräfte kontinuierlich gegeneinander kämpfen würden („Geistlicher Kampf“). De Jesus gibt an, das Trio wäre in der Lage, physische Berührungen von Jesus zu spüren sowie die geistliche Welt zu sehen und hören. Als Beweis dafür veröffentlichte sie eine Tonspur, die die angeblichen Klänge des geistlichen Kampfes hörbar machen soll. Zudem berichten sie von zahlreichen, angeblich dämonischen Angriffen, denen sie gegenwärtig ausgeliefert sind und die sie als Prüfung Gottes deuten. Höhepunkt dieser vermeintlich satanischen Offensive sei ein nicht weiter beschriebener Zwischenfall, bei dem Sandra angeblich beinahe Ziel eines okkulten Opferritual geworden wäre. Die Darstellungen dieser Vorkommnisse klingen jedoch von außen betrachtet mehr nach okkulten Mythen als nach tatsächlichen Praktiken satanischer Gruppierungen.2
Ablauf des Abendmahls
Am 22.11.2024 fand das Abendmahl unter eigens eingerichteten Sicherheitsvorkehrungen in Dortmund statt. Statt erwarteten 700 wurde die Veranstaltung, so Berichten des evangelikalen Nachrichtenmagazins IDEA zufolge, von 1200 Gästen aus ganz Deutschland besucht. Die Veranstalter:innen gaben sich selbst als überrascht von diesem Zulauf und deuteten dies selbstverständlich als Zeichen Gottes. Im eingerichteten Livestream waren circa 500 Gäste zugeschaltet. Die Organisation wurde im Vorlauf, aber auch während der Veranstaltung von einigen lokalen charismatischen Gemeinden und Organisationen unterstützt, die ebenfalls für ausreichend Schlafplätze der eigens angereisten Teilnehmenden sorgten.
Eröffnet wurde die Veranstaltung mit den Worten „Öffne die Tore des Himmels“ in Form eines Worship-Songs besungen, der auch den Erwartungen des Veranstaltungstrios entsprach. Diese traten im Anschluss daran vor das Publikum. Auf drei Stühlen stehend, rechtfertigten sie abermals die Echtheit ihrer Offenbarungen und bestärkten die Anwesenden, indem sie ihnen eine „richtige“ Prüfung ihrer Visionen attestierten. Auch die Gefahr durch eine geistlich böse Welt wurde abermals beschworen, die auf eine baldige Wiederkunft Christi hinweise. Im Anschluss wurde abermals mit einigen Worship Songs zum Gebet animiert und dann zum Abendmahl, dem Hauptakt des Abends, übergeleitet. Das Abendmahl wurde vom evangelisch-lutherischen Pfarrer Michael Ahner (Landeskirche Sachsen) in Amtsrobe und einschließlich der landeskirchlichen Liturgie durchgeführt.
Im Anschluss an das Abendmahl endete der Livestream und die Anwesenden konnten sich am Bring-and-Share Buffet bedienen. Überraschend war außerdem, dass ausschließlich christliche Presse zugelassen war. Der Lokalpresse, die ebenfalls zuvor über die Veranstaltung berichtete, wurde der Zugang verwehrt.
Kritische Auseinandersetzung
Ein Blick in die Kommentarspalten zeigt, dass sich auch unter ihren regelmäßigen Zuschauer:innen Zweifel um die Glaubwürdigkeit dieser Offenbarungen entwickelten, auf die der Freundeskreis umgehend reagierte. Die Echtheit dieser Offenbarungen macht das Trio an mehreren Merkmalen fest: zum einen geben sie mehrfach an, sie hätten die Visionen anhand der Bibel geprüft und wären zum gemeinsamen Entschluss gekommen, dass sie nicht in Konflikt mit der biblischen Lehre stehen würden. Zum anderen ist für sie auch die Sprache, in der sie die übernatürlichen Mitteilungen empfangen – und die zumindest im oben zitierten Fall verblüffend stark dem Lutherdeutsch ähnelt – ein klares Signal für die Echtheit, denn diese entspräche nicht ihrem alltäglichen Umgangston. Des Weiteren erhielten sie nach der Veröffentlichung ihrer Vision einige Nachrichten von anderen Christ:innen, die wohl ähnliche Visionen empfangen haben. Die Organisator:innen glauben, ein weiteres Indiz für die Echtheit ihrer Vision in der Kurzfristigkeit der Veranstaltungsplanung zu erkennen. De Jesus und di Martino betonen immer wieder den Planungsaufwand, der ohne Gottes Hilfe in dieser kurzen Zeit nicht möglich gewesen wäre. Insbesondere auch die finanzielle Versorgung, organisiert durch eine Crowdfunding-Kampagne, sei Zeichen für die Wunder Gottes, die in dem „großen Abendmahl“ offenbar würden.
Die kritischen Stimmen ließen sich durch diese, aus der Außenperspektive wenig überzeugenden, Erklärungen nicht zum Schweigen bringen und auch außerhalb von Social Media machte sich Kritik breit.3 Eine reflektierte theologische Einordnung der Geschehnisse von evangelikalem Standpunkt aus gaben die beiden Pastoren Matthias Lohmann und Matthias Mockler der FEG-München Mitte in ihrem Podcast „Der Pastoren-Podcast“. Beide erachten die Prophetien als nicht glaubwürdig.4
Die Inhalte der Videos zeugen von einem extrem dualistischen Weltbild, und selbst wohlwollende Kritik wird als Anfechtung Satans verstanden, was dazu führt, dass sich die Drei immer mehr als wahre Nachfolger Gottes stilisieren. Wie folgenreich diese Denkweise ist, zeigt sich an de Jesus, die in den vergangenen Wochen sogar Teile ihrer Berufstätigkeit aufgegeben hat, um sich, nach ihren Angaben, voll und ganz auf die Offenbarungen konzentrieren zu können, die auch weitere Aufträge über die Ausrichtung der Abendmahl-Veranstaltung hinaus beinhalten. Eine Reflexion, welche Auswirkungen Neuoffenbarungen haben können – Beispiele dafür gibt es zahlreich – findet zumindest öffentlich nicht statt. Im Gegenteil, de Jesus ruft mehrfach dazu auf, ihren Botschaften mit „einem offenen Herzen“ zu begegnen und sich auf die vermeintliche Realität einer geistlichen Kampfführung einzulassen. Dann, so ist sie der festen Überzeugung, könnten alle Christ:innen ähnliche Erlebnisse machen. Durch die Ablehnung jeglicher Kritik an ihren Offenbarungen klingt das schon fast nach einem Aufruf zur bedingungslosen Nachfolge des Trios. Auch den Einwand, ihre extreme Konzentration auf eine vermeintliche, allgegenwärtige Bedrohung dämonischer Kräfte könnte auf ihr jugendliches Hauptpublikum verstörend wirken, ziehen sie regelmäßig ins Lächerliche.
Neben den theologischen Anfragen an den Wahrheitsgehalt von Neuoffenbarungen, dem zugrundeliegenden Abendmahlsverständnis, dem offenkundigen Dualismus und der Selbstüberhöhung des Trios, legt dieses Trio eine durchaus problematische Seite von christlicher Kommunikation im Internet offen, nämlich die Frage nach der religiösen Autorität im Netz. Wie Jetter bereits ausführlich in der ZRW 2023/3 beschrieb, legitimieren sich Christfluencer nicht durch Amt und Titel, sondern vielmehr „durch die eigene religiöse Erfahrung – die immer wieder in Bild und Ton unter Beweis gestellt werden muss“.5 Unter diesem Aspekt ist Kritik an theologischen Inhalten gleichbedeutend mit einer Infragestellung ihrer gesamten Glaubhaftigkeit, die, zumindest im Falle von de Jesus, Grundlage für ihren ökonomischen Lebensunterhalt ist. Das mag den Umgang mit Kritik nachvollziehbarer machen, zeigt aber auch, wie anfällig dieses System für religiösen Missbrauch ist. Die Dringlichkeit, sich mit diesem Zusammenhang von persönlicher religiöser Erfahrung und Autorität im Netz auseinanderzusetzen, zeigt sich unmissverständlich an diesen Vorkommnissen. Es bleibt abzuwarten, welchen Umgang Institutionen wie die Allianz Mission, die de Jesus zum Zeitpunkt der Veröffentlichung weiterhin unterstützt, mit solchen theologisch fragwürdigen Entwicklungen finden.
Ob besagte Neuoffenbarungen die Kraft haben, eine neue christliche Sondergemeinschaft zu begründen, bleibt abzuwarten. Die Autorin schätzt dies zumindest zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als eher unwahrscheinlich ein. Ein vertiefter Blick in die Kommentarspalten zeigt aber: die Prophetien haben die Kraft, christliche Gruppen zu spalten und sorgen für Irritation.
Katharina Portmann, Dezember 2024
Anmerkungen
- Siehe unter: https://www.instagram.com/dasgrosseabendmahl/.
- Siehe unter: https://www.instagram.com/roseedejesus/.
- Vgl. „XXXL-Abendmahl“: Influencerin verteidigt die Aktion : idea.de, „Das große Abendmahl“: Allianz-Mission berät Rose de Jesus : idea.de, „Allianz-Mission“ verteidigt Influencerin Rose de Jesus.
- https://creators.spotify.com/pod/show/feg-mm/episodes/Das-groe-Abendmahl-Eine-Prophetie-direkt-von-Gott--Charismatische-Phnomene-Teil-1-235-e2prqs8/a-abj9lk3
- Claudia Jetter, „Das Phänomen Christfluencing. Zwischen Glaubensvermittlung und Lifestyle“, ZRW 3/2023, S. 159-170, hier S.161.