29.09.2024

„Der Lama muss weg“: Verlauf eines Missbrauchs-Falls im buddhistischen Milieu

In Religionsgemeinschaften ist der Umgang mit Machtmissbrauch ein heißes Eisen und ungelöstes Problem. Michael Utsch berichtet über einen aktuellen Fall aus einem Hamburger buddhistischen Zentrum, der die großen Schwierigkeiten eines lösungsorientierten Verhaltens verdeutlicht.

Der Artikel vom Herausgeber in der aktuellen Ausgabe von „Ursache & Wirkung“ endet resigniert: „Business as usual“ (Nr. 129, S. 84). Detailliert zeichnet der Aufsatz im reichweitenstärksten deutschsprachigen buddhistischen Magazin nach, was in den letzten drei Jahren in einem großen Hamburger Meditationszentrum der Karma Kagyü Gemeinschaft passiert ist. Wie in den anderen neun Zentren des tibetischen Buddhismus‘ soll auch hier durch aus Asien stammende spirituelle Lehrer authentisch Achtsamkeit und buddhistische Geistesschulung gelehrt werden. Seit 2009 wird das Zentrum von einem 1973 in Bhutan geborenen Mönch geleitet. In einem Newsletter Ende 2021 wurden die Mitglieder des Meditations- und Studienzentrums darüber informiert, dass der Lama sein Mönchsgelübde zurückgegeben habe. Nach und nach kommt an die Öffentlichkeit, dass eine langjährige gleichaltrige Schülerin des Zentrums Strafanzeige wegen emotionalem und sexuellem Missbrauch durch ihren Lehrer gestellt hat. Die Verantwortlichen der Karma Kagyü Gemeinschaft weisen die Vorwürfe zurück. Der Lama habe zwar sein Versprechen zur Enthaltsamkeit gebrochen, aber ein Missbrauch habe nicht stattgefunden, denn er habe sein Gelübde zurückgegeben. Der Artikel zeichnet jedoch präzise nach, dass die Rückgabe aufgrund von massivem Druck der Zentrumsleitung stattgefunden habe, und dass der Lama bis heute in seiner roten Robe unterrichtet und damit auch im Alltag unterwegs sei.

Wie viele buddhistische Gemeinschaften hat auch dieses Zentrum den Ethikkodex der Dt. Buddhistischen Union (DBU) unterzeichnet. Darin verpflichtet sich Lehrende, dass vor der Aufnahme einer Liebesbeziehung zwischen einem Lehrer und einer Schülerin mindestens ein Jahr vergangen sein soll. Weil dies aber nur eine ethische Selbstverpflichtung sei, habe der Verband keine Möglichkeit gehabt, einzugreifen. Der Artikel wirft auch kein gutes Licht auf die Arbeit der beiden Missbrauchsbeauftragten der DBU. Die beiden Psychotherapeutinnen seien ausgerechnet auch Mitglieder der Karma Kagyü Gemeinschaft. Ohne nähere Gründe sei eine der beiden kurze Zeit nach den Vorfällen zurückgetreten.

Der Artikel dokumentiert die enorme emotionale Schädigung einer Frau, die in Meditationsgesprächen mindestens spirituell missbraucht wurde. Aus Mangel an Beweisen wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt, es gelte die Unschuldsvermutung. Im Sommer 2024 eskalierte die Situation, weil die Betroffene einen Zettel an die Tür des Zentrums anbrachte: „Lama Dawa vom TTC-Hamburg hat mich sexuell missbraucht“. Der 1. Vorsitzende der Karma Kagyü Gemeinschaft erteilt der Betroffenen daraufhin Hausverbot und verpflichtete sie zur Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung, sich über das Geschehene nicht mehr öffentlich zu äußern, heißt es in dem Artikel.

Missbrauch findet in allen Religionsgemeinschaften statt. Dem buddhistischen Magazin ist zu danken, dass es durch die Veröffentlichung selbstkritisch belegt, wie zerstörerisch sich Missbrauch für alle Beteiligten auswirkt. Das Hamburger Zentrum benötige einen Hauptlehrer aus Asien, der in bunter Robe im Zentrum tätig sei, sonst sei der wirtschaftliche Erfolg gefährdet. Allerdings seien die jungen, unerfahrenen Lamas aus Asien mit dem Alltag der westlichen Welt menschlich oft überfordert. Der Artikel verdeutlicht, wie das Leid der Betroffenen und die Not entwurzelter Lehrer übergangen wird. Das Veränderungspotential durch die mögliche Einbeziehung von Betroffenen in der Aufarbeitung und Prävention von Missbrauchsskandalen wird ebenso übergangen – „Business as usual“.


Michael Utsch, 29.09.2024

Quelle:

Der Lama muss weg - ursachewirkung.com