„Ein Klage- und ein Interreligiöser Gottesdienst“, 6. Oktober 2024, 19.00 Uhr
Unter dem Titel „Ein Jahr danach“ lädt die Evangelische Akademie zu Berlin am Vorabend des 7. Oktober um 19.00 Uhr zu einem Klagegottesdienst in die Französische Friedrichstadtkirche zu Berlin (Gendarmenmarkt 5, 10117 Berlin) ein (https://www.eaberlin.de/seminars/data/2024/10/ein-jahr-danach/). Im Zentrum dieses Gottesdienstes wird das Innehalten stehen, das Hören auf jüdische Stimmen und der Wille, „unserer Fassungslosigkeit vor der entgrenzten Gewalt des terroristischen Hamas-Überfalls auf Israel ein Jahr zuvor und unserer Solidarität mit den Opfern, den angegriffenen Juden und Jüdinnen hier und anderswo Ausdruck zu verleihen“. Verantwortlich für den Gottesdienst ist Christian Staffa, Studienleiter in der Evangelischen Akademie zu Berlin und Antisemitismusbeauftragter der EKD.
Die Veranstaltungsankündigung zitiert aus einer direkt nach dem Hamas-Überfall formulierten Rede der damaligen Ratsvorsitzenden der EKD. Darin distanziert sich Annette Kurschus vom wohlfeilen Gestus des solidarischen Verstehens und Nachfühlens dessen, wie es Juden in jenen Tagen danach ergangen sein muss. Sie macht damit aber zugleich auch das Dilemma deutlich, in das sich jede Stellungnahme zu den damaligen Ereignissen, zur anschließenden Welle antisemitischer Gewalttaten sowie zu den nachfolgenden Kriegshandlungen mit ihren zehntausenden Opfern begibt. Dennoch wäre es, wie der Ankündigungstext fortfährt, „falsch zu schweigen und falsch, nicht zu versuchen, solidarisch zu sein. […] Wir wollen versuchen, unsere Fassungslosigkeit vor so viel antisemitischer Gewalt und unsere Solidarität mit den Opfern des 7. Oktober, den angegriffenen Juden und Jüdinnen hier und anderswo zu zeigen.“
Was macht diesen Klagegottesdienst besonders? Seine Ankündigung enthält sich der seit 10/7 begegnenden Praxis, die Monstrosität des Hamas-Massakers durch dessen Einbettung in eine langjährige, von der israelischen Politik mit beförderte Konflikt- und Gewaltspirale zu kontextualisieren. Und sie benennt klar und ohne Umschweife das, was seit dem zunehmend aus dem Bewusstsein getreten zu sein scheint: dass für das Massaker selbst sowie für die darauf folgenden Gewaltreaktionen, wenngleich über deren Verhältnismäßigkeit seither zu Recht gestritten wird, die Hamas verantwortlich ist.
Der sich zuspitzende Israel-Palästina-Konflikt erfuhr in den vergangenen Monaten auch in kirchlichen Kreisen eine sehr unterschiedliche Bewertung, bis hin zu Empfehlungen an die Führung Israels, in der Verteidigung des eigenen Landes das Völkerrecht, die Menschenrechte und die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu wahren. Dabei mischt sich das betont herausgestellte Bekenntnis zur Staatlichkeit des Judentums in Israel nicht selten mit dem moralischen Gestus einer auf den Prinzipien des konziliaren Prozesses (Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung) gründenden Friedensethik. Zwar wird den Aufrufen zu einem „gerechten Frieden in der Region“ sowie zu einer „Zweistaatenlösung“ (so zum Beispiel die noch kurz vor 10/7 gegebene Erklärung des Lutherischen Weltbundes Christian Presence and Life in the Holy Land in Krakau, September 2023) kein Friedensbewegter widersprechen wollen. Doch ist zu bezweifeln, ob sie der Komplexität des Nahost- und Israel-Palästina-Konflikts sowie dessen spezifischen (auch religiösen) Implikationen wirklich gerecht werden. Wenn man sich in dieser Gemengelage einmal allein darauf beschränkt, Gott zu klagen, was Menschen einander antun können, dann ist dies eine Erwähnung wert. Dem Gottesdienst ist eine rege Beteiligung zu wünschen.
„Interreligiöser Gottesdienst“ und zentrales Gedenken am 7. Oktober 2024, 17 Uhr
Am Jahrestag des Hamas-Massakers selbst, dem 7. Oktober 2024, lädt die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) um 17.00 Uhr zunächst zu einem interreligiösen Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche (Breitscheidplatz, 10789 Berlin) ein, dann ab 17.45 Uhr zu einem stillen, vom Breitscheidplatz bis zur Fasanenstraße führenden Gedenkweg und schließlich um 18.30 Uhr zu einem zentralen, den Opfern des Massakers gewidmeten Gedenken vor dem Jüdischen Gemeindehaus (Fasanenstraße 79-80, 10623 Berlin). Verantwortlich dafür zeichnet das Team der EKBO-Öffentlichkeitsarbeit (Georgenkirchstr. 69-70, 10249 Berlin).
Anmeldung über https://ekbo-termine.de/d-639419.
Mitwirken werden an dem Gottesdienst, zu dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Grußwort sprechen wird, neben einer Reihe von kirchlichen Amtsträgern (Bischof Christian Stäblein/EKBO, Erzbischof Heiner Koch/Erzbistum Berlin und den beiden Pfarrerinnen Marion Gardei und Kathrin Oxen) der Rabbiner Andreas Nachama, Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, Leiter des Abraham-Geiger-Kollegs (ARK) und Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Berlin, sowie der in der Stiftung House of One tätige und der sufischen Gülen- bzw. Hizmet-Bewegung angehörende Imam Kadir Sancı.
Zum zentralen Gedenken vor dem Jüdischen Gemeindehaus werden, nach einer Begrüßung durch den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin Gideon Joffe, Grußworte des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Kai Wegner, des Botschafters des Staates Israel in Deutschland Ron Prosor sowie des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Josef Schuster erwartet.
Es dürfte der Gewährleistung eines reibungslosen Ablaufs geschuldet sein, dass der Rahmen dieser Gedenkveranstaltung relativ eng gesteckt wurde. Mit Blick auf die interreligiöse Ausstrahlung hingegen hätte es ein gutes Signal sein können, auch Repräsentanten der muslimischen Glaubensgemeinschaft mit in die Planung und Umsetzung einzubeziehen. Dies auch deshalb, weil die großen Islamverbände in Deutschland seinerzeit das Momentum, das Hamas-Massaker in den Tagen nach dem 7. Oktober unzweideutig zu verurteilen, ungenutzt haben verstreichen lassen, womit sie das ihnen vonseiten der deutschen Bevölkerung ohnehin nur zögerlich entgegengebrachte Vertrauen weiter beschädigt haben.
Auch der vielgestaltige Antisemitismus, der sich in Deutschland seit dem 7. Oktober öffentlich artikuliert, sollte von muslimischer Seite unzweideutig und engagiert als ein eigenständiges, von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Rassismus zu unterscheidendes Phänomen ernstgenommen und verurteilt werden – gerade weil er häufig auch in muslimischen Kreisen begegnet. So sehr Muslime in Deutschland auch unter dem leiden mögen, was als Islam- und Muslimfeindlichkeit oder antimuslimischer Rassismus bezeichnet wird, so wenig würde es ihrem Kampf gegen solche Diskriminierung helfen, selbige vorschnell mit dem gleichzusetzen, was Juden durch den weltweit grassierenden Antisemitismus erleben. So viele Überschneidungen es im Erleben und in der Phänomenologie auch geben mag, so sehr gilt es die unterschiedlichen Phänomene doch auseinanderzuhalten. Eine diese Differenz berücksichtigende Stimme aus der muslimischen Zivilgesellschaft wäre im Rahmen des zentralen Gedenkens sicher nicht ohne Resonanz geblieben.
Anmeldung unter https://ekbo-termine.de/d-639419.
Rüdiger Braun, 02.10.2024