Schon lange ist das Internet auch ein Marktplatz religiös-weltanschaulicher Angebote; spätestens mit dem Digitalisierungsschub der Corona-Pandemie hat dieses Forum erhebliche Bedeutsamkeit gewonnen. Selbstverständlich wollen und dürfen auch christliche Anbieter dort nicht fehlen. So werben längst Tausende Christen verschiedenster Couleur auf Websites, bei YouTube, Facebook, Instagram und TikTok für ihren Glauben und Lebensstil, auch in deutscher Sprache. Dabei gewinnen nicht zuletzt Audioformate zunehmend an Bedeutung. Von „Aus Glauben leben“ über „Begründet glauben“ und „Schöner glauben“ bis hin zu „Ausgeglaubt“ – auf den einschlägigen Podcast-Portalen findet man inzwischen vielfältige Versuche, Hörerinnen und Hörern christliche Gehalte und Fragestellungen nahezubringen, sei es mehr kritisch oder mehr affirmativ, eher reflektierend oder eher verkündigend, sei es monologisch oder dialogisch oder in ganz anderen Formen.
„Jana & Jasmin – In Zeiten wie diesen …“
Im März 2024 haben auch zwei der bekanntesten deutschen „Christfluencerinnen“1 ein digitales Gesprächsformat gestartet2 – um damit auf Anhieb die deutschen Podcast-Charts zu erobern.3 Unter dem vielsagenden Titel „Jana & Jasmin – In Zeiten wie diesen …“ unterhalten sich Jana Highholder und Jasmin Neubauer über Gott und die Welt, über das Leben und die Liebe. „In Zeiten wie diesen gibt es auf alle mögliche[n] gesellschaftlich relevante[n] Fragen tausende Antworten“, heißt es im Podcast-Intro. „Wir glauben, nur eine davon ist wahr.“ Anspruch und Mission der beiden Talkerinnen werden sogleich deutlich: Es geht ihnen darum, in der modernen Wirrnis von tausenderlei Optionen Menschen für die eine Wahrheit zu gewinnen, die in Jesus Christus offenbar geworden ist. Dieser Jesus soll sich den Hörerinnen und Hörern als Antwort auf „alle möglichen gesellschaftlich relevanten Fragen“ erschließen. Damit ist gehörige Spannung geweckt.
Die Podcasterinnen: Jana Highholder und Jasmin Neubauer
Mit Jana Highholder (bürgerlich Hochhalter, Jg. 1998) ist an dem Podcast eine der deutschen Pionierinnen des digitalen Christfluencings beteiligt. Nach Anfängen als Poetry-Slammerin war die freikirchlich sozialisierte Koblenzerin von 2018 bis 2020 mit dem Kanal „Jana glaubt“ die erste und einzige „YouTube-Botschafterin“ der EKD, bis die Zusammenarbeit offiziell aus finanziellen Gründen beendet wurde, mutmaßlich aber auch infolge von Kritik an „biblizistischen und evangelikalen Positionen“4 Highholders etwa zur Rolle der Frau.5 Inzwischen als Ärztin tätig betreibt sie weiterhin ein christliches Instagram-Profil (@hiighholder) mit knapp 70.000 Followern (Stand November 2024).
Ihr Podcast-Gegenüber ist in Kreisen jüngerer Christen des deutschsprachigen Raums ebenfalls eine Instagram-Berühmtheit. Obwohl die Internetkarriere der als liberale Muslima aufgewachsenen Hamburgerin Jasmin Neubauer (ca. Jg. 1996) später begann, hat ihr Instagram-Profil (@liebezurbibel) rund 74.000 Follower (Stand November 2024). Mit „Jana“ und „Jasmin“ haben sich folglich die beiden reichweitenstärksten christlichen Instagram-Größen deutscher Sprache zusammengetan6 – und dieses Joint Venture hat sicherlich maßgeblichen Anteil daran, dass beider Followerzahlen seit dem Podcast-Start noch merklich gewachsen sind.7 Neben ihrem digitalen Engagement treten Highholder wie Neubauer regelmäßig als Predigerinnen in freikirchlichen Gottesdiensten und als Speakerinnen bei evangelikalen Konferenzen auf. Beide haben christliche Bücher geschrieben und christliche Modelabels gegründet. Neubauer betreibt außerdem ein Versandgeschäft mit selbstdesigntem Frömmigkeits-Equipment (Bibelregister, Bibelspruchkarten, Adventskalender, Kinder- und Malbücher etc.) und mit den eigenen Publikationen, unter anderem Studien zu biblischen Büchern.8
Fromme Freundinnen im Gespräch
Schon die angeführten Zahlen zeigen an, dass dem Podcast eine gewisse Relevanz für das Gegenwartschristentum in Deutschland beizumessen ist. Jana und Jasmin wollen Einfluss ausüben, und sie tun dies auch, vermutlich vor allem bei weiblichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, für die sie Identifikationspotenzial anbieten. Wie groß dieser Einfluss ist und wie weit er über die Grenzen einer gewissen christlichen Szene hinausreicht, ist schwer zu sagen. Dass er durchaus auch außerhalb „frommer Zirkel“ wahrgenommen wird, ist gut belegt.9
Interessant ist der Podcast aber nicht nur als öffentlicher Einflussfaktor, sondern auch als Zeugnis eines bestimmten Typs von Christentum. Wer einen exemplarischen Eindruck evangelikaler Frömmigkeit gewinnen will, sollte den beiden Frauen lauschen. Denn das Genre des Podcast-Gesprächs gewährt Einblicke in eine Sphäre, die für Außenstehende ansonsten nur viel indirekter und „gefilterter“ wahrnehmbar ist, in schriftlichen Äußerungen oder digital veröffentlichten Predigten. Bei „Jana & Jasmin“ tauschen sich zwei fromme Freundinnen aus über das, was sie im Leben beschäftigt: was sie lieben und verachten, was sie sich wünschen und verbitten, was sie erstreben und vermeiden – und welche Rolle dabei Jesus spielt. Die beiden reden über all dies spontan, ohne jedes Wort lange abzuwägen. Sie schöpfen mithin aus dem Fundus an Gefühlen, Gedanken, Überzeugungen, Haltungen und Maximen, auf den sie unmittelbar zugreifen können. Damit aber vermittelt der Austausch ein lebendiges Bild von elementaren Zügen eines gelebten Evangelikalismus mitsamt der in ihm wirksamen Dogmatik und Ethik.
Privatheit für die Öffentlichkeit
Nun wissen die Jesus-Talkerinnen natürlich, dass ihre vertrauten Gespräche zur Veröffentlichung bestimmt sind, und insofern wäre es naiv zu meinen, man werde beim Zuhören Zeuge einer gänzlich privaten Kommunikation. Die Intimität des Gesprächs ist also in gewisser Weise eine Scheinintimität. Sie ist kalkuliert, weil die Resonanz im Social-Media-„Sinnfluencing“ mit der Inszenierung von „Persönlichkeit“ steht und fällt. Teil dieser Inszenierung ist es, dass man ganz bewusst auch Lifestyle- und Trash-TV-Themen nicht ausspart – es wird geboten, was eben so von einer Freundschaft junger Frauen erwartet wird.10
Und doch wäre es wiederum unrealistisch, man hielte die vertraute Atmosphäre vollständig für Fake. Es gibt keinen guten Grund, die geäußerten Freundschaftsbezeugungen durchweg in ihrer Authentizität zu bezweifeln, und Entsprechendes gilt für die mitgeteilten Ansichten, Haltungen und Empfindungen. Das Bewusstsein, dass das Geteilte später auch von Fremden gehört werden wird, läuft dabei sicherlich mit; zuweilen tritt es auch hervor, wenn doch einmal ein Sachverhalt als zu intim eingestuft wird, um ihn vor dem Mikrofon äußern zu wollen. Aber insgesamt scheint doch das Bewusstsein künftiger Öffentlichkeit von der unmittelbaren Atmosphäre momentaner Privatheit in den Hintergrund gedrängt zu werden, so dass es das persönliche Gespräch jedenfalls nicht wesentlich behindert.
Das komplexe Verhältnis von Intimität und Öffentlichkeit hebt Erstere also nicht einfach auf. Es rückt sie vielmehr in den Zweckzusammenhang einer verfolgten Mission: Sie dient der wirkungsvollen Bezeugung des Glaubens. Unter der Voraussetzung, dass es sich beim Glauben selbst um etwas höchst Intimes handelt, macht die Möglichkeit der Veröffentlichung persönlicher Gespräche den Podcast – gerade gegenüber dem öffentlichen Setting der Predigt – zu einem idealen Medium moderner Glaubenskommunikation.
Einblicke in gelebte evangelikale Frömmigkeit
Was für eine Art von Glauben wird nun von „Jana & Jasmin“ kommuniziert? Das Stichwort „evangelikal“ ist ja schon gefallen; die Podcasterinnen machen sich diesen Ausdruck auch zu eigen,11 allerdings mit einem gewissen Vorbehalt. Der Vorbehalt ist verständlich, zieht man die Unschärfe des Begriffs, die innere Diversität der betreffenden Bewegung sowie die verbreiteten Ressentiments gegenüber „den Evangelikalen“ in Betracht, die oftmals pauschal als Fundamentalisten und politisch-religiöse Extremisten angesehen werden. An entsprechenden Medienbeiträgen der jüngsten Zeit arbeiten sich die beiden Podcasterinnen denn auch regelmäßig ab, meist im Tonfall der Empörung über Unkenntnis, Voreingenommenheit und Einseitigkeit – und dies durchaus zu Recht.12 Trotz solcher Belastungen ist der Terminus „evangelikal“ als Bezeichnung für eine bestimmte Erscheinungsform von (protestantischem) Christentum nach wie vor unverzichtbar. Und beim Hören des Podcasts drängt sich dieser konfessionskundliche Klassifikationsbegriff unmittelbar auf. Denn die zentralen Züge evangelikalen Christentums lassen sich an „Jana & Jasmin“ geradezu idealtypisch exemplifizieren.13
Christozentrismus
Evangelikale Frömmigkeit ist Jesus- und Christusfrömmigkeit. Dementsprechend bekunden auch Jana und Jasmin als Zentrum ihres Glaubens einen intensiven Bezug zu Jesus Christus, der drei hervorstechende Kennzeichen hat: Er hat erstens die Qualität einer persönlichenBeziehung zu Jesus, die Züge einer engen Freundschaft oder gar Partnerschaft14 trägt und die das Leben durch und durch prägt. Immer wieder wird herausgestellt, es komme beim Christsein alles darauf an, Jesus persönlich zu kennen und zu lieben.15 Zu dieser „lebendigen Beziehung“ (7, 33:34) gehört es, sich „in allen Lebenslagen“ (8, 44:13) und über alle Lebensfragen mit Jesus zu verständigen, bis hin zu „den kleinsten Details. Ich muss einfach nur Jesus fragen – es kommt eine Antwort, immer. Jesus ist richtig treu“ (8, 44:31).16 Diese intensive Kommunikation findet wohl vorwiegend im Gebet und bei der Bibellektüre statt, wo sich über die Antworten und Weisungen Jesu in inneren „Eindrücken“17 Klarheit gewinnen lässt.18
Der Grundakt der Jesusbeziehung aber ist es – das ist das zweite Kennzeichen –, den stellvertretenden Sühnetod Christi persönlich anzunehmen: Weil Jesus am Kreuz für meine Sünden gestorben ist, bevor er vom Tode auferstand, werde ich nach meinem Tod im göttlichen Gericht Gnade finden und in das himmlische Reich eingehen (vorausgesetzt, ich bleibe nicht in der Sünde und halte an der engen Glaubensbeziehung fest). Alle Menschen ohne persönlichen Glauben an Kreuz und Auferstehung werden hingegen von Gott verworfen werden: „Wir predigen das Evangelium von Jesus Christus. Wir sagen, du bist Sünder, du brauchst Rettung, Jesus ist deine Hoffnung, Jesus lebt. Wenn du nicht an Jesus glaubst, dann kommt die Verdammnis“ (10, 25:19). Damit ist bereits das dritte Charakteristikum des evangelikalen Christusglaubens berührt: der Exklusivismus seiner Heilsverheißung. Wir glauben, sagt Jana mit einem Anklang an Joh 14,6, „dass Jesus Christus der einzige Weg ist“ zur Errettung aus Sünde und Tod zum ewigen Heil.
Biblizismus
Evangelikale Frömmigkeit ist Bibelfrömmigkeit. Daher versteht es sich von selbst, dass der exklusive Christusglaube – gut protestantisch –, auf der Bibel gründet und aus der Bibel schöpft. Charakteristisch evangelikal ist am Schriftbezug von Jana und Jasmin erstens die indisputable Voraussetzung der Autorität der gesamten Bibel als Wort Gottes. Damit folgen die bibelfrommen Frauen der Radikalisierung des reformatorischen Schriftprinzips durch die altprotestantische Orthodoxie des 17. Jahrhunderts. Dort wollte man sich nicht mehr damit begnügen, das Wort Gottes in der Heiligen Schrift zu vernehmen, sondern setzte stattdessen die Bibel in Gänze mit dem Wort Gottes gleich.19 Diese Identifikation spiegelt sich in einer Bemerkung Jasmins zu einer Fotografie auf ihrer Website, die eine Bibel auf ihrem Schreibtisch zeigt – umwunden spricht sie von der „Präsenz des Wortes Gottes auf meinem Schreibtisch“ (10, 29:43).
Die vorausgesetzte Bibelautorität beinhaltet nun aber zweitens den Anspruch auf Relevanz für alle wesentlichen Lebensfragen der Gegenwart – die Bibel kann und muss als autoritatives, im Wesentlichen klares Anleitungsbuch für die Lebensführung gelesen werden. Damit ist in der Bibelauslegung jede historisch-kritische Problematisierung des geschichtlichen Abstandes zwischen der Bibel und der Gegenwart sowie überhaupt jede „Anpassung“ (vgl. 2, 26:43) der biblischen Wahrheit(en) an das gegenwärtige Wahrheitsbewusstsein kategorisch ausgeschlossen: „Wir glauben, dass die Bibel zeitlos ist und dass sie allgemein gültig ist für uns und unser Leben und uns Richtungsweisung gibt“ (10, 28:10). Aus der umfassenden Autoritäts- und unmittelbaren Relevanzzuschreibung folgt aber drittens der hohe Rang regelmäßiger Bibellektüre für die fromme Durchdringung des Lebens. Das persönliche Studium des Wortes Gottes gilt als Schlüssel zu göttlicher Lebensweisung, zu einer lebendigen Jesusbeziehung und zu „tiefer Gotteserkenntnis“ (2, 44:21). Darum lautet Jasmins bündige Aufforderung an alle Christen: „Hey Leute, spitzt eure Ohren und lest die Bibel!“ (7, 1:01:12).
Konversionismus
Evangelikale Frömmigkeit ist Bekehrungsfrömmigkeit. Allgemeiner formuliert: Sie ist Umwandlungsfrömmigkeit. Dementsprechend wird die rettende und heilschaffende Christusbeziehung, die sich durch die Bibel erschließt, auch von Jana und Jasmin als große Lebenswende begriffen, als radikale Durchbrechung des zuvor Selbstverständlichen, die ein Vorher und Nachher begründet, ein altes und ein neues Leben. Diese Konversion (im allgemeinen Sinne von Umwendung, Umwandlung) manifestiert sich auf dreierlei Weise. Sie wird ausdrücklich an einem bestimmten biografischen Punkt verortet, an dem man sich infolge einer einschneidenden Gotteserfahrung zum Glauben „bekehrt“ oder „wiedergeboren“ wird. Lebensentscheidend ist die Frage: „Hast du eine Begegnung mit Jesus gehabt? […] Du musst von Neuem geboren werden. Das ist der Moment deiner Wiedergeburt. Und wenn du Jesus Christus in einer Wiedergeburt erfahren hast, dann hast du den heiligen Geist“ (11, 14:22).20 Die Konversion im weiten Sinne verdichtet sich also erstens anfänglich in einer Bekehrung oder Konversion im zeitlich-punktuellen Sinne (vgl. engl. conversion, das die generelle und die punktuelle Bedeutung trägt).
Die Bekehrung oder Wiedergeburt beläuft sich aber nicht auf ein bloßes Widerfahrnis. Vielmehr erfordert die radikal neue Erfahrung zweitens eine entsprechende Umwendung seitens der Bekehrten, und zwar in Gestalt einer grundsätzlichen Entscheidung für Jesus und den Glauben. Eine solche Entscheidung muss dem Bekehrungserlebnis vorausgehen und sie muss im nachfolgenden Glaubensleben stets festgehalten oder immer wieder erneuert werden. Evangelikales Christentum ist entschiedenes Christentum, es hat einen markanten dezisionistischen Einschlag. Dies drückt sich bei Jana und Jasmin in geläufigen Wendungen aus, so wenn es von dem frisch bekehrten Leonard Jäger alias „Ketzer der Neuzeit“ (von Jasmin liebevoll „Ketzi“ genannt)21 heißt: Er hat „Jesus […] sein Leben gegeben“ (3, 10:56); er „bekennt jetzt Christus“ (3, 11:58). Treten im späteren Leben Anfechtungssituationen auf, kommt es laut Jana darauf an zu „wählen“, „trotzdem zu glauben“ (2, 30:00) und „im Glauben sozusagen durchzuhalten“ (2, 40:39). Das „Geheimnis“ (2, 40:29) eines solch „trotzigen Glaubens“ (2, 44:01) ist offenkundig ein starker Wille, die einmal getroffene Entscheidung gegen alle Einreden des Zweifels aufrechtzuerhalten. Janas und Jasmins „entschiedenes Christentum“ ist maßgeblich Willenschristentum.
Der fragliche Wille zur eingreifenden Glaubenswende betrifft indessen sämtliche Bereiche des Lebens, die durch die Jesusbeziehung und anhand des Wortes Gottes umzuformen sind. Demgemäß legen Jana und Jasmin drittens besonderes Augenmerk auf die umfassende Heiligung des Lebens. Heiligung aber bedeutet Reinigung von aller Sündhaftigkeit und Gehorsam gegenüber dem biblisch offenbarten Willen Gottes. Jasmin: „Gott vergibt, Gott macht rein, Gott hat mich reingewaschen. Von daher lebe ich das Prinzip jetzt, nachdem ich mich bekehrt habe […]. Ich will das leben und will Gott gehorsam sein […]. Das ist das Schöne bei Jesus, er macht einfach einen neuen Menschen aus dir“ (8, 53:02). Dabei bedeutet „Reinheit“ für die beiden Frauen namentlich sexuelle Reinheit – ein schlechthin zentrales Thema des Podcasts –, und das heißt im Wesentlichen die Befolgung der beiden Grundsätze: „kein Sex vor der Ehe, Homosexualität ist Sünde“ (2, 33:52).22 Als von Gott erneuerter Mensch hat man sich für die „Gesetze und Prinzipien Gottes“ (1, 28:24) zu entscheiden und konsequent nach ihnen zu leben, in einer Selbsthingabe, die bis zur Selbstaufgabe reicht.23
Wer aber solchermaßen verwandelt ist zu einem durch Gott geheiligten Leben, wird dies auch nach außen tragen und danach trachten, andere Menschen ebenfalls einer solchen Verwandlung näher zu bringen. Darum gehört zum Konversionismus viertens ein gesteigerter Evangelisierungsaktivismus. Jana und Jasmin bestätigen das mit ihrem gesamten Social-Media-Engagement, das von der Überzeugung getragen ist: „Wir haben voll den Auftrag und Gott nutzt uns unglaublich doll, auf dieser Welt Menschen zu Jüngern zu machen, [sie] wirklich in die radikale Nachfolge zu ziehen“ (3, 42:46).
Dualismus
Evangelikale Frömmigkeit ist Oppositionsfrömmigkeit. Wer mit Jesus im Herzen und dem Wort Gottes in der Hand ein radikal gewandeltes Leben zu führen sucht, begibt sich damit in der westlichen Welt von heute in eine geistige und gesellschaftliche Außenseiterposition. Denn die durch Aufklärungsideale wie individuelle Freiheit und freien Vernunftgebrauch sowie durch die modernen Geschichts- und Naturwissenschaften geprägte Welt- und Lebensauffassung europäischer Bildung verträgt sich schlecht mit dem Gedanken, der Wille Gottes sei unmittelbar einem antiken Buch zu entnehmen und die darin enthaltenen „Gesetze und Prinzipien“ (1, 28:24) verdienten entschiedenen Gehorsam. Wer dennoch einem solchen Christentum anhängt, gerät zwingend in eine kognitive Dissonanz mit seiner kulturellen Umwelt, die sich seinem oder ihrem Glauben als strukturelles „Dagegensein“24 mitteilt. Indem er oder sie im Namen von Jesusnähe, Bibeltreue und Gottesgehorsam jeder Vermittlung mit den Prinzipien des modernen Geistes abschwört, tut sich in ihm oder ihr gewissermaßen ein „geistiger Spalt“ auf zwischen der gottfernen „weltlichen“ Sphäre „draußen“ und der Innensphäre der Glaubensvollzüge und -prinzipien (sowie derer, die sie teilen).
Der Dualismus zwischen den wahrhaften Christen und der sie umgebenden „Welt“ (im johanneischen Sinne der Sphäre der Gottlosigkeit) ist ein Dauerthema im Podcast, und zwar in vierfacher Weise. Jana und Jasmin markieren durchgängig ihre Grundopposition gegen den modernen „Zeitgeist“25 und insbesondere gegen jedes „progressive“26 oder „liberale“27 Christentum, das sich bewusst mit diesem bibelfernen Geist ins Benehmen zu setzen versucht. Das dualistische Gepräge ihrer Frömmigkeit zeigt sich also erstens in einem essenziellen Antimodernismus.28 So wird es beispielsweise als „eine der größten Lügen unserer Zeit“ eingestuft, „dass uns erzählt wird, das höchste Gut ist Freiheit“ (1, 28:33). Den landeskirchlich-liberalen Mainstreamtheologinnen und -theologen wird vorgeworfen: „Ihr habt euren Glauben, ihr habt die Wahrheit angepasst der Realität, der Zeit, in der wir leben, den Bedürfnissen, die wir empfinden, der Gesellschaft, die wir vor uns sehen“ (2, 53:40). Dieser Zeitgeistkonformität wird Gefallsucht29 und „Lauheit“30 attestiert; sie wird als Ausdruck menschlicher Selbstüberhebung und mangelnder „Ehrfurcht vor Gott“ (3, 40:14) interpretiert. Denn gegenüber bibelkritischen Einreden des Verstandes müsse schlicht der ehrfürchtige Wille zur Selbstverleugnung mobilisiert werden.31 Die Frage ist: „Lasse ich Gott Gott sein? […] Oder sind meine Maßstäbe höher als Gottes Maßstäbe?“ (2, 32:06). Die folgerechte Antwort lautet: „Ich würde einfach sagen: Hey, es steht in der Bibel“ (2, 37:29).
Die fromme Opposition gegen den Zeitgeist äußert sich zweitens in einer Neigung zur generellen Dekadenzdiagnose: Jana und Jasmin sind sich einig, dass sich gegenwärtig alle möglichen althergebrachten Werte und Ordnungen verschieben, insbesondere bei Gender- und Sexualitätsthemen, um einem „neuen Normal“ (1, 36:45) zu weichen. Diese und ähnliche Urteile münden in das Generalurteil, die Welt sei heute eben „verrückt“ (1, 37:34) geworden. Der strukturelle Dualismus begünstigt dabei einen Hang zu selektiven, einseitigen, pauschalisierenden und übertreibenden Wahrnehmungen, welche die Schwarz-Weiß-Polarisierung des Weltbildes bestätigen. So gipfelt, um nur ein Beispiel zu nennen, die Problematisierung aktueller Genderdebatten in Janas hoch besorgter Frage: „Wie kann ich in dieser Welt und ‚in Zeiten wie diesen‘ und in den noch kommenden, wie kann ich meine Kinder großziehen und ihnen sagen, so: Hey, Max, du bist ein Junge. Und: Hey, Clara, du bist ein Mädchen. Und wie kann ich die in den Kindergarten schicken?“ (1, 40:17).32
Den beiden Frauen zufolge kann die allgemeine Tendenz zum Verlust der gottgegebenen Ordnungen und Werte auch nicht verwundern, treibt in der Welt doch augenscheinlich der Teufel sein gottfeindliches Unwesen. Jene traditionellen Lebensordnungen – „also, das alles hasst der Teufel“ (10, 32:56). In direktem Anschluss an biblische Vorstellungen wird die dualistische Polarität zwischen geheiligtem Innen und gottlosem Außen zum „geistlichen Kampf“33 zwischen Jesus und Satan stilisiert, an dem man sich mit der „Waffe des Gebets“ (6, 16:00) auch selbst zu beteiligen hat. Dieser Kampf tobt auch und gerade innerhalb des Christentums, im Streit um das wahrhaft Evangelische: „Satan will das Evangelium unterbinden durch alles Mögliche“ (6, 13:58). Daher untergräbt er es durch die Stimmen kirchlich-liberaler Theologinnen und Theologen: „Der Teufel nutzt halt auch genau diese Leute“ (3, 42:24). Der Dualismus in Janas und Jasmins Glauben artikuliert sich demnach drittens in seiner satanologischen Dramatisierung. Selbige reicht bis in alltägliche Lebenskonflikte hinein: „Also die Dinge, die mir am meisten wert sind“, sagt Jasmin, „da haut der Teufel richtig drauf. […] Das ist so, der Teufel, also Satan, versucht uns täglich runterzudrücken“ (3, 2:44). „Da kann ich echt immer nur sagen: Jesus wird für mich kämpfen“ (3, 3:16).
Die notwendige Isolation der Frommen gegenüber dem Geist der „Welt“ wird schließlich auch in Aufnahme der biblischen Topoi apokalyptischer Prüfung, Spaltung und Verfolgung gedeutet und mithin als Zeichen der erwarteten Endzeit verstanden. „Ich glaube, das ist gut und richtig, dass es erst eine dicke, dicke, dicke Spaltung gibt“, meint Jana. „In den nächsten Jahren wird sich genau zeigen, wer positioniert sich wo. Und es fängt jetzt in unseren Reihen an. Gott säubert, Gott zieht, leider Gottes, wirklich Leute raus, wo man merkt, die verlassen den Glauben, die fallen vom Glauben ab, die dekonstruieren und so weiter. Und da wird eine kleine Menge übrigbleiben. Das werden nicht viele sein. Und wir werden die Minderheit sein“ (1, 46:58). Auch die endzeitliche Christenverfolgung hat schon gegenwärtig begonnen, nicht zuletzt in der medialen Kritik an ihnen selbst: Das ist „eine Erfüllung des Wortes Gottes, das sagt: Wundert euch nicht, wenn die Welt euch hasst; sie haben mich zuerst gehasst“ (10, 53:48). Der Dualismus biblizistischen Christentums neigt viertens zur apokalyptischen Dramatisierung der Gegenwart und der eigenen Situation in ihr.
Innerevangelikale Diversität und antievangelikale Kritik
Die ausführliche Zusammenschau macht deutlich, dass sich im Podcast „Jana & Jasmin“ vieles hören lässt, was „typisch“ ist für die evangelikale Bewegung. Das verleiht dem Tondokument seinen exemplarischen Wert. Die beiden Frauen repräsentieren eine Gestalt protestantischen Christentums, die zentrale „gemeinprotestantische“ Motive (Christusbezug, Schriftprinzip, Lebenswandlung, Weltdistanz) in einer spezifischen, besonders ernsthaften, konsequenten und intensiven Form realisiert. Sie erlauben mithin Einblicke in eine – weltweit hoch bedeutsame – „Intensivgestalt“ des modernen Protestantismus. Wer ein wenig für protestantische Frömmigkeit übrighat, wird den beiden ob ihres religiösen Ernstes sowie ihres Konsequenz- und Intensitätsstrebens einen gewissen Respekt nicht versagen können. Was das „typisch Evangelikale“ angeht, ist aber sogleich einschränkend hinzuzufügen: Nicht jede Äußerung, die im Podcast fällt, darf für typisch genommen werden. Denn nichts, was individuell ist, repräsentiert das Allgemeine, an dem es Anteil hat, bruch- und lückenlos.
Repräsentativität kann erst recht nur eingeschränkt erreicht werden, wo der Typus, wie im Falle des Großbegriffs „Evangelikalismus“, noch einmal viele Unterarten unter sich fasst. Folglich verkörpern Jana und Jasmin nicht etwa den deutschen Gegenwartsevangelikalismus schlechthin. Dafür ist die evangelikale Bewegung auch in Deutschland zu vielgestaltig. Mögen die aufgeführten Grundmerkmale der Tendenz nach von vielen Gemeinden, Gruppierungen und Individuen in Kirchen und Freikirchen geteilt werden, gibt es doch große Unterschiede beispielsweise in der Radikalität und Konsequenz der Durchführung.34 Eine andere wichtige innerevangelikale Differenzierung betrifft den Stellenwert des Heiligen Geistes und seines gegenwärtigen Wirkens in der Gemeinde und im Leben der Gläubigen. Einige Bemerkungen im Podcast zeigen Offenheit gegenüber dem neocharismatischen Flügel des Evangelikalismus, Janas und Jasmins Frömmigkeit scheint aber nicht dominant pfingstchristlich geprägt zu sein.35
Religiöse und weltanschauliche Haltungen verdienen grundsätzlich Respekt (sofern sie nicht die Menschenwürde anderer beeinträchtigen). Dies gilt auch dann, wenn sie in manchem fremd erscheinen und selbst wenn sie gewisse allgemein anerkannte Werte infrage stellen wie im Falle der Ablehnung von Homosexualität und außerehelichem Sex, die in weiten Teilen des Islam, des Katholizismus und eben des Evangelikalismus geteilt wird. In solchen grundlegenden Wertdifferenzen ist Toleranz gefragt, das Ertragen des nur schwer Erträglichen.
Aber Respekt und Toleranz schließen Kritik nicht aus, sondern ein. Daher ist es erlaubt und geboten, auch an evangelikalen Positionen Kritik zu üben, zumal dann, wenn sie sich offensiv in der Öffentlichkeit präsentieren. Solche Kritik hat sich um sachliche Angemessenheit und eine adäquate Tonlage zu bemühen, möglichst auch dann, wenn man solches von den Kritisierten selbst nicht in gleichem Maße erwarten kann. – Vier ausgewählte Problemfelder der Theologie von Jana und Jasmin sollen im Folgenden kritisch beleuchtet werden.
Die moralischen Kosten biblizistischen Christentums
Moralische Exklusion
Das Thema Homosexualität, in Debatten über den Evangelikalismus oftmals zentraler Streitpunkt, ist hier sogleich noch einmal aufzugreifen.36 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Bericht von Jasmin, sie habe mit der evangelikalen Missbilligung der Homosexualität von Anfang an „gehadert“ (2, 33:44) – und hadere immer noch damit. Nach eigenem Bekunden voller Liebe auch für homosexuelle Menschen und mit vielen von ihnen befreundet,37 schwankt Jasmin zwischen der für sie eindeutigen Aussage der einschlägigen Bibelstellen – „Homosexualität entspricht nicht dem Herzen Gottes“ (2, 42:05), oder schärfer formuliert: „Gott sagt, er verachtet Homosexualität“ (2, 32:14) – und dem humanen, aber aus ihrer Sicht „welthaften“ Impuls, homosexuellen wie heterosexuellen Menschen gleichermaßen die Erfüllung einer sexuellen Liebesbeziehung zuzubilligen: „Was spricht denn dagegen, wenn sich zwei Menschen lieben und dasselbe Geschlecht haben, wer bin ich denn, dass ich das jetzt verurteile?“ (2, 32:56).38 Jasmin versucht, diesen inneren Konflikt mit einem biblizistischen Machtwort zum Schweigen zu bringen: „Aber es steht da doch so!“ (2, 38:25).39 Und das heißt für die Bewertung homosexuellen Lebens: Gott „meint es nicht böse, aber es entspricht einfach nicht seiner Ordnung“ (2, 33:17).
Jana rückt dem moralischen Stachel der biblisch-evangelikalen Ablehnung praktizierter Homosexualität mit zwei Zusatzargumenten zu Leibe. Diese Ablehnung sei zum einen durchaus keine Herabsetzung der entsprechenden Person, denn: „Sexualität definiert nicht deine Identität, sondern aus Identität heraus entspringt Sexualität“ (1, 22:55). Aber betrifft die Kritik an einer vermeintlich „falschen“ Sexualität dann nicht erst recht die Identität der Person, aus der sie entspringt? Auch die zweite Strategie verfängt nicht. Demnach schließt Liebe nicht den Imperativ zur Veränderung aus, weil „echte Liebe dich nicht sein lässt, wie du bist, sondern echte Liebe verändert und verwandelt“ (3, 47:29). Das bedeutet umgekehrt: „Ich muss nicht alles gutheißen, nur damit ich liebevoll bin“ (1, 23:54). Das mag sein; es ist aber ein Unterschied, ob ich jemanden wegen bestimmter Handlungen oder Angewohnheiten zurechtweise oder wegen der Realisierung einer humanen Grundanlage und der aus ihr erwachsenden Bedürfnisse, zumal wenn für deren Nichtrealisierung keine anderen Gründe genannt werden als einige Bibelstellen und der darin niedergelegte unergründliche Wille Gottes.40
Die übergriffige, herabsetzende und ausgrenzende Wirkung der biblischen Verbote und Negativurteile bei betroffenen Menschen lässt sich so einfach nicht aus der Welt schaffen. Darum werden Beziehungen zwischen Homosexuellen und Menschen bzw. Gemeinschaften, die aus der Bibel eine göttliche Herabsetzung von Homosexualität ableiten, zwangsläufig belastet. Ob man kraft wechselseitiger Toleranz dennoch miteinander auskommen kann, hängt davon ab, in welchem Maße beide Seiten in der Lage sind, die religiöse Identität, in der die Ablehnung begründet ist, beim anderen oder bei sich selbst gleichsam einzuklammern.
Die moralische Fragwürdigkeit des Christentums von „Jana & Jasmin“
Überblickt man die Äußerungen des Podcasts zum paradigmatischen Problem der Homosexualität, treten am Biblizismus Janas und Jasmins schwerwiegende moralische Folgekosten zutage. Er versieht das Christentum erstens mit dem gravierenden Makel, bestimmte Menschengruppen ethisch-religiös zu diskriminieren, indem er eine ihrer grundlegenden psychophysischen Anlagen als etwas Gottmissfälliges und Weltordnungswidriges abwertet. Diskriminiert werden die betroffenen Personen zwar nicht in umfassender Weise, aber doch hinsichtlich einer elementaren Dimension ihres Personseins. Nach dem hierzulande weithin geteilten Wert freier Persönlichkeitsentfaltung verleiht der Biblizismus dem Christentum folglich einen unmoralischen Zug.
Indem er die unmittelbare Geltung der infrage stehenden Bibelstellen bejaht, zeichnet der Biblizismus zweitens ein Moment von Fremdheit in das christliche Gottesbild ein, das in Spannung zu Jesu Verkündigung des barmherzigen Vaters im Himmel steht: Gott ist hier ein Gott, der Homosexuelle „verachtet“ (2, 32:14). Auch Jasmins rührender Versuch einer Ehrenrettung – „er meint es nicht böse“ (2, 33:18) – kann daran nichts ändern. So bleibt nur die Flucht zum Gedanken der letzten Unbegreiflichkeit Gottes nicht nur hinsichtlich seines Handelns, sondern auch und gerade hinsichtlich seines „Herzens“: „Wie kann ein guter Gott einen Menschen einfach hassen?“, fragt Jasmin in diesem Zusammenhang, und führt das Maleachi-Zitat in Röm 9,13 an: „Er sagt, Jakob habe ich geliebt, Esau habe ich gehasst“ (2, 35:20). Das Herz des Vaters verdunkelt sich – was den biblizistischen Anspruch seiner klaren Offenbarung ebenso klar konterkariert.
Drittens legt der Biblizismus den Gläubigen einen tiefgreifenden moralisch-religiösen Zwiespalt ins Herz, der auch mit dem Aufruf zu frommer Verleugnung des eigenen Willens und seiner ureigenen humanen Strebungen nicht aufzuheben ist. Infolge gegenläufiger biblischer Aussagen steht der Wille zum Schriftgehorsam (samt widerstrebender Bejahung des Verdammungsurteils über die Homosexualität) gegen den Willen zur ungebrochenen Nächstenliebe (samt Bejahung der entsprechenden biblischen Gebote). In der Tat: „Alles kostet einen Preis“ (1, 42:00), wie Jana mit Blick auf die moderne „Fake-Freiheit“ sagt (1, 42:18). Jasmin hat durch ihre Konversion zum evangelikalen Christentum die unbefangene Liebe zu ihren homosexuellen Freundinnen und Freunden eingebüßt. Das ist kein geringer, ein hässlicher Preis. Es ist der Preis der biblizistischen Gehorsamsforderung. Wo die Liebe Christi lebendig ist, kann ihm allenfalls ein Gehorsam mit schlechtem Gewissen entsprechen.
Die religiösen Kosten biblizistischen Christentums
Religiöse Exklusion
Eines der dominantesten Themen des Podcasts – neben allem, was mit Partnerschaft und Sex zu tun hat – ist die Auseinandersetzung mit „liberalem“ Christentum und innerevangelikalen Liberalisierungsprozessen, die in der Szene unter den Stichworten „Dekonstruktion“ und „Post“- bzw. „Ex-Evangelikalismus“ verhandelt werden. Die dualistische Tendenz evangelikaler Frömmigkeit, ihre Neigung zu einem Lagerdenken ohne Vermittlung und Übergänge (wahr/unwahr, fromm/gottlos etc.), tritt beim innerchristlichen Richtungsstreit sozusagen in Reinform hervor.
Hier gewinnen die Äußerungen der beiden Christfluencerinnen zuweilen beträchtliche Schärfe. Der Grund dafür ist Wut,41 nämlich über die Abkehr von der biblischen und die Verbiegung der christlichen Wahrheit, die man in liberaler Theologie generell erblickt und die man als Angriff auf den eigenen Glauben empfindet.42 Eine nähere Auseinandersetzung mit jeweils infragestehenden Streitpunkten findet nicht statt, weil für Jana und Jasmin im Prinzip fraglos feststeht, was biblisch und christlich wahr ist. Dieser Anspruch auf Wahrheitsbesitz bleibt auch seltsam unberührt von dem gelegentlichen Eingeständnis, selbst auch nur „Stückwerk zu erkennen“ (1, 42:53)43 – es bezieht sich augenscheinlich nur auf Nebensächliches.
Das Bild vom Lager der „Liberal-Progressiven“ (3, 38:39) ist dabei allem Anschein nach stark von gewissen Social-Media-Stimmen geprägt, bleibt aber relativ unscharf. Sie haben „den Begriff christlich ausgedehnt […] zu diesem: Liebe, Toleranz und Akzeptanz für alle“ (3, 38:52) und sind ansonsten solche, die Christus und die Bibel nicht „ernst nehmen“ (3, 40:00). Sie „meinen, möglicherweise sogar, gläubig zu sein“ (10, 29:21), sind aber „eigentlich Gottlose; sie nennen sich Christen, aber sie kennen Gott nicht“ (3, 42:05). Die Landeskirchen sind voll von solchem Scheinchristentum, die EKD rangiert als ihr Inbegriff.44 Darum kann man es gar nicht oft genug sagen, „nur dass alle das wissen: Das sind keine Christen!“ (3, 43:10). Die evangelikalen Freundinnen sind sich daher völlig einig, wie sie in der fiktiven Situation entscheiden würden, müssten sie wählen, ob sie „lieber gar nicht gläubig oder progressiv-liberal gläubig“ sein wollten. Jasmin:
„Also hundert Prozent gar nicht gläubig. Hundert Prozent. Also bevor ich sage: ‚Gott hat das nicht gesagt‘, oder: ‚So meint Gott das nicht‘ und ramme dem Christentum oder der Bibel so ein Messer einfach ins Buch rein, würde ich einfach sagen: Ich habe so viel Respekt und Anstand und Ehrerbietung einer anderen Religion gegenüber, dass ich auf jeden Fall Atheist wäre, ohne irgendwie die Religion zu beschmutzen.“ (3, 05:37)
Die Empörung gegenüber solchem Pseudochristentum kann sich auch in drastischen biblischen Metaphern ausdrücken. Jana zu zeitgeistangepassten kirchlichen Amtsträgern: Da „hab ich wirklich das Gefühl: Sie bespucken meinen Jesus“ (2, 53:56). Jasmin geht noch einen Schritt weiter in der Applikation der biblischen Passionserzählung. Über Menschen, die ihren evangelikalen Glauben „dekonstruiert“ haben, heißt es bei ihr (mit Hebr 6,6): „Sie nageln den Sohn Gottes praktisch noch einmal ans Kreuz“ (2, 51:17).
Auch die gegenläufigen Bemerkungen zu Liebe,45 Mitleid46 und notwendiger Fürbitte47 für die liberalen „Namenschristen“ können den polemisch-aggressiven Gesamteindruck der mannigfachen Urteile im Podcast zum Lager der christlichen Opponenten evangelikalen Christentums nicht nachhaltig abmildern. Wenn nicht alles täuscht, ist bei diesem Konfliktfeld die persönliche Betroffenheit von Jana und Jasmin deutlich größer als beim Thema Homosexualität: Während man sich dort aus Treue zur Bibel zur Ansage einer fremden göttlichen Wahrheit genötigt sieht, geht es bei der Alternative „liberal/progressiv“ vs. „konservativ/evangelikal“ direkt um die eigene Glaubensidentität. So wird den theologischen Gegnern nicht nur das Christsein abgesprochen, sondern sie werden darüber hinaus als Christuslästerer und -mörder, als Gottlose und Christentumsfeinde deklariert, deren Schicksal im göttlichen Gericht feststeht: „Sie gehen alle verloren, sie werden alle sterben, sie werden Jesus nicht sehen“ (2, 55:18). Das ist starker Tobak. Bei der Aburteilung der andersglaubenden Christen fallen alle Hemmungen religiöser Demut und Sanftmut.
Die religiöse Selbstgerechtigkeit des Christentums von „Jana & Jasmin“
Die antiliberalen Invektiven, die der Podcast in ungeschminkter Direktheit darbietet, zeigen erstens: Der Exklusivismus des Wahrheitsbesitzes, der „nach innen“ eine beeindruckend starke religiöse Identität und Kohäsion erzeugt, hat zugleich eine drastische aversive Außenseite. Der exklusive „Wahrheitsanspruch“ (10, 36:59) impliziert aggressive religiöse Intoleranz – aber nicht etwa gegenüber anderen Religionen oder areligiösen Zeitgenossen, sondern vornehmlich gegenüber den missratenen Geschwistern der eigenen Religion. Das setzt der propagierten Menschenliebe eine empfindliche Schranke, ausgerechnet innerhalb des Christentums. Weil man den Glauben unter der Dauergefährdung durch moderne Irrlehren stehen sieht, gehört zum „fundamentalen“48 Evangelikalismus die andauernde Habachtstellung eines Wächteramtes für biblische Orthodoxie. Daraus erwächst der Gestus kompromissloser Wahrheitsansage und Irrtumsverwerfung, der dem Christentum Janas und Jasmins – gegenläufig zu allen glaubhaften Liebesansagen – ein Moment unerbittlicher Härte einschreibt.
Zum Zweck der Abgrenzung werden Einzelstimmen insbesondere aus dem Social-Media-Kosmos zu einem konkretions- und differenzierungsarmen Gesamtbild des Gegenlagers verarbeitet: Die biblizistische Wahrheitsbehauptung lebt zweitens von einer pauschalen Feindbildkonstruktion. Zwar wird eingeräumt, dass es subjektiv verständliche Gründe für eine Liberalisierung geben mag – die Erfahrung von Leid, insbesondere von geistlichem Missbrauch, oder die „Desillusionierung“ (2, 23:03) der Glaubensverheißungen eines gelingenden Lebens. Unter Verzicht auf ernsthafte Verständnisbemühungen wird die liberale Option am Ende aber doch nach einer einfachen Deutungsschablone beurteilt. Ausschlaggebend ist demnach die Versuchung zum einfacheren, zum „breiten Weg“ der „Anpassung“ des Glaubens sowie das Fehlen des standhaften Willens, „am Herrn festzuhalten“ (vgl. 2, 25:40).
Die Härte der Abgrenzungen und die Starrheit der dabei in Anschlag gebrachten Schematisierungen verleiht der dargestellten Frömmigkeit drittens einen starken Hang zu religiöser Selbstgerechtigkeit. Auch in dieser Hinsicht gerät der Podcast in einen schwer überhörbaren Selbstwiderspruch. Denn Jasmin selbst tut kund, „geistlichen Stolz“ zu verachten: „So eklig. Und mir wird schlecht, wenn ich darüber nachdenke, wie viele […] diesen geistlichen Stolz haben. Wir sind die Richtigen, wir sind die Wahren. So sagt die Bibel über dich, so musst du sein. Also es ist so geistlicher Stolz, es ist so, boah, Jesus hasst es, Jesus verurteilt es“ (5, 36:18). Die Sprecherin kann diese Sätze äußern, ohne an die eigenen geistlichen Urteilssprüche zu denken – die „Liberalen“ stehen offenbar so weit abseits des Wahren, dass ihre schroffe Abkanzelung den eigenen Demutsanspruch nicht gefährdet. So kommt bei ihnen nicht Jasmins Lieblingstugend zum Zuge – auch Demut hat Grenzen! –,49 sondern der unbewusste wie ungebremste religiöse Richtgeist gesteigerten Gewissheitsstolzes.
In der von religiöser Selbstzurückhaltung unangekränkelten Verurteilung alles „progressiv Christlichen“ im Namen der göttlichen Wahrheit liegt indessen noch ein weiterer Selbstwiderspruch. Wie nämlich sollte es sich auf die „Ehrfurcht vor Gott“ (3, 40:14) reimen, die von den antiliberalen Propagandistinnen eingefordert wird, dass jemand zu wissen beansprucht, wer wirklich „den Herrn kennt“ und wer infolgedessen im Gericht gerettet werden wird und wer nicht? Der biblizistische Wahrheitspositivismus verführt viertens zur Missachtung der prinzipiellen Grenzen menschlicher Einsicht in das Göttliche und folglich zur Missachtung der Souveränität Gottes.50
Die hermeneutischen Kosten biblizistischen Christentums
Hermeneutische Selektion
Die religiöse Selbstgewissheit der Podcasterinnen steht in einer eigentümlichen Entsprechung zum Mangel an Selbstdurchsichtigkeit hinsichtlich der eigenen theologischen Grundoperationen. Dies betrifft zunächst die Bibelauslegung. Jeder Biblizismus impliziert notwendig die Annahme der unmittelbaren „Klarheit“, also der im Grunde alternativlosen Verständlichkeit der wesentlichen Aussagen der Bibel. Daher kann Jasmin allen Dekonstruierenden vorwerfen, sie läsen die Bibel „aus einer neuen, nicht im Sinne der biblischen Autoren gemeinten Perspektive“ (2, 18:39). Diese Aussage enthält die Prämisse, es liege jeweils offen zutage, „was der biblische Urautor sich gedacht hat“ (2, 22:42), und jede unvoreingenommene Bibellektüre könne diesen Ursprungssinn ohne komplexere hermeneutische Operationen einfach „auflesen“.
Dass es auch in Janas und Jasmins Umgang mit der Bibel nicht ganz so schlicht zugeht, lässt sich wiederum gut an der Homosexualitätsthematik aufzeigen. Denn in diesem Zusammenhang gibt es eine zwar knappe, aber aufschlussreiche hermeneutische Überlegung, mit der die postulierte Unmittelbarkeit im Schriftzugang unmittelbar widerlegt wird. Jasmin bezieht sich dabei auf Lev 18,22 („Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel“) mit dem Satz: „Gott sagt beispielsweise: ‚Homosexualität ist für mich ein Gräuel‘“ (2, 37:51). Sie tut dies im Horizont der Problematisierung einer unmittelbaren Gesamtgeltung des alttestamentlichen Gesetzes: Wenn alles gelten würde, was dort geboten wird, „dann müssten wir auch die Speisegebote halten und dies und das und das“ (2, 37:47).
Warum also gilt Lev 18,22 zeitlos, während das Verbot des Verzehrs von Hasen-, Schweine- oder Straußenfleisch (Lev 11,6.7.16) – laut dem göttlichen Gesetzgeber ebenfalls „ein Gräuel“ (11,13) – überholt sind? Wieso hat Gott hier nicht seinen ewigen Willen kundgetan? Zwei Gründe werden von Jasmin für die fragliche Unterscheidung angedeutet: Erstens wird Homosexualität zusätzlich im Neuen Testament als „schändlich“ und „widernatürlich“ beurteilt (Röm 1,26), zweitens werden in diesem Kontext die göttlichen Affekte Gräuel und Zorn (Röm 1,18) benannt. Daraus wird geschlussfolgert: „Gott sagt, er verachtet Homosexualität“ (2, 32:12) – von Hasenverzehr ist nicht die Rede.
Es dürfte ohne weitere Kommentare deutlich sein, dass die behauptete unmittelbare Klarheit des Schriftsinnes in Wahrheit eine hergestellte Klarheit ist, hergestellt durch eine Reihe von – durchaus nicht selbstevidenten – Interpretationsoperationen51 nach Maßgabe bestimmter – durchaus nicht selbstverständlicher – Interpretationsmaximen, die sich immerhin erahnen lassen. Das naive „Es steht da doch so!“ ist einfach nicht durchzuhalten. Es würde sogar „fundamental-evangelikale“ Bibelleserinnen ins Schleudern bringen, nicht zuletzt bei der Parallelstelle Lev 20,13, der zufolge der Geschlechtsakt von Männern mit dem Tode geahndet werden soll. Nähme man die Behauptung unmittelbarer Klarheit wörtlich, müsste man die Pforzheimer Radikalfundamentalisten der „Baptistenkirche Zuverlässiges Wort“, die mit Berufung auf diese Stelle die Todesstrafe für praktizierte Homosexualität fordern,52 als die eigentlichen Fackelträger aufrechter Bibeltreue preisen.
Man sieht: Der fromme Umgang mit der Bibel ist immer „Auslegungssache“ (2, 36:26). Interpretation ist unverzichtbar, zur Ermittlung ihres Ursprungssinnes und zur Erhebung ihrer gegenwärtigen Geltung. Man könnte über die abmildernden, gewichtenden und auswählenden Deutungsoperationen Janas und Jasmins auch diskutieren. Das Problem ist, dass solche Diskussionen mit dem Verweis auf die vermeintliche Klarheit der Bibel gerade unterbunden werden53 – obwohl sich diese Klarheit schnell als Postulat erweist, das sich in keiner Weise einlösen lässt.
Sofort dürften die beiden Interpretationsverächterinnen bei derlei Aussagen alle Alarmglocken läuten hören, die vor ermäßigender Willkürauslegung warnen. Aber hörten sie genauer hin, würden sie merken: Der schrille Ton tönt auch für uns! Dass selbstverständlich auch Janas und Jasmins Umgang mit der Bibel ein Moment der Willkür hat, ließe sich weiter daran zeigen, bei welchen der im Podcast angesprochenen Themen biblische Weisungen zu Wort kommen – und wo nicht. So kann Jasmin auf die Frage, ob sie lieber reich sein möchte oder berühmt, unumwunden für Reichtum plädieren.54 Jesu drastische Problematisierung des Reichtums – man denke an Kamel und Nadelöhr (Mk 10,25 par.) – kommt ihr dabei anscheinend gar nicht in den Sinn, und auch sonst lassen die beiden erfolgreichen und vermutlich relativ wohlhabenden Frauen nicht erkennen, dass diese Offenbarung des „Herzens Gottes“ sie irgendwie in Gewissensnöte brächte.55
Betrachtet man die Auswahl biblischer Themen, die im Podcast (bisher) präsent sind, kann man die eminente Konzentration auf eine Reihe von lebensphasentypischen Fragen junger, unverheirateter Frauen (zumindest einer bestimmten „Bubble“) kaum überhören. Das ist an sich auch legitim. Aber es bestätigt, dass der in der Bibel offenbare Wille Gottes de facto auch von Jana und Jasmin nur selektiv wahrgenommen wird, was der biblizistischen Idee von der Autorität der gesamten Bibel zuwiderläuft.
Die hermeneutische Naivität des Christentums von „Jana & Jasmin“
Nimmt man die ausgeführten hermeneutischen Beobachtungen zusammen, ist erstens ein neuerlicher Selbstwiderspruch zu konstatieren: Der Biblizismus Janas und Jasmins lebt von einem Grundpostulat biblischer Selbst-Verständlichkeit, das beide in ihrer konkreten Schriftauslegungspraxis selber widerlegen. Infolgedessen sind sie zur Verschleierung der kritisch-hermeneutischen Operationen gezwungen, ohne die sie nicht zu den Auslegungsergebnissen kommen würden, die sie als unbestreitbare biblische Wahrheiten behaupten, sondern vermutlich zu völlig kruden und gesteigert inhumanen Resultaten.
Mithilfe dieser Verschleierung verschaffen sie der eigenen „Lehre“ (ein Lieblingswort Jasmins) den Schein hermeneutischer Alternativlosigkeit und folglich einen Anspruch göttlicher Autorität, der ebenfalls scheinhaft ist. Der unbestreitbare menschliche Anteil am Zustandekommen dieser Lehre, der auch durch das unermüdliche Wiederholen des unhaltbaren Grundpostulats nicht zu übertünchen ist, erweist den Anspruch als „erschlichen“ (um einen Begriff aus der Schlusslogik zu gebrauchen). Mit seinen notwendigen, aber uneinlösbaren Prämissen verführt der Biblizismus Jana und Jasmin zweitens zu einer (verdrängten) hermeneutischen Unwahrhaftigkeit, die auf ihre gesamte Theologie und Frömmigkeit ausstrahlt.
Zieht man den unbewussten Eklektizismus beim Gebrauch biblischer Weisungen in Betracht, der im Gespräch der frommen Freundinnen zu erkennen ist, zeigt sich schließlich eine Diskrepanz zwischen dem Anspruch auf umfassende biblische Lebensorientierung und der faktischen Orientierungspraxis. Die Lebensweisungsautorität der Bibel wird drittens durch den Lebenshorizont ihrer Auslegerinnen beträchtlich eingegrenzt. Denn die Bibel antwortet natürlich nur auf das, was man sie und wie man sie fragt. Diese unumgängliche Perspektivierung wirkt im Falle von Jana und Jasmin befremdlich, weil sie verleugnet wird. Aber der Befund des Podcasts erscheint recht klar: Die dort präsentierte Bibel ist eine Bibel für einen begrenzten Personenkreis, nämlich für gutverdienende, unverheiratete, sich nach einer Ehe sehnende Mittelklassefrauen.
Die fundamentaltheologischen Kosten biblizistischen Christentums
Theologische Selbstimmunisierung
Wie sich beim Umgang mit der Bibel die Verweigerung ausmachen ließ, den unverzichtbaren Beitrag hermeneutischer Erwägungen offenzulegen, so durchzieht die Podcast-Gespräche ein generelles Misstrauen gegenüber rationaler Reflexion in Glaubenssachen. Die Ratio wird mit Glaubenszweifel, Dekonstruktion und willkürlicher Ermäßigung von Glaubensforderungen assoziiert.56 Diese Reserve, Ausdruck des evangelikalen Antimodernismus, ist bei Jana und Jasmin aber nicht nur faktisch wirksam; sie ist theologisches Programm. Mit vollem Bewusstsein wird das sacrificium intellectus, das Opfer des Verstandes (oder der Vernunft), als Zugangsbedingung und Selbstimmunisierungsstrategie des Glaubens propagiert.
Zugangsbedingung zum Glauben ist die Selbstverleugnung des Verstandes, insofern die biblizistische Frömmigkeit die zeitlose Autorität der gesamten Bibel als Wort Gottes voraussetzt, die dem geschichtlichen Bewusstsein gebildeter Europäerinnen stracks zuwiderläuft – man weiß und merkt beim Lesen einfach, dass dieses Buch nicht „vom Himmel gefallen“ ist, sondern von Menschen geschrieben, redigiert, zusammengestellt sowie nach und nach kanonisiert wurde. Das vernünftige Bewusstsein vom geschichtlichen Gewordensein der Bibel und vom historischen Abstand der biblischen Welt von unserer Welt muss zum Schweigen gebracht werden, um das Basispostulat dieser Bibelfrömmigkeit teilen zu können. Aber der Verstand lässt sich nicht leicht zum Schweigen bringen, wenn man ihn im Alltag, im Arbeitsleben und in der Teilhabe an der umgebenden Kultur selbstverständlich betätigt. Er stellt Fragen, weil er verstehen will. Das bestätigt Jasmin und erklärt daraufhin:
„Okay, und ich weiß, viele sagen so: Hey, du kannst nicht einfach deinen Verstand ausschalten, wenn du die Bibel liest. Aber eines kann ich sagen: Ich habe Jesus kennengelernt und ich weiß, dass Jesus Christus lebt. Und Jesus Christus sagt: Ich bin das Wort Gottes. Alles, was er bezeugt in seinem Wort, muss der Realität entsprechen. Es muss wahr sein. Es muss wahrhaftig sein. Und deswegen glaube ich das.“ (2, 35:42)
Kommen Zweifelsfragen an die Bibel und den Glauben auf, fungiert die Verleugnung des Verstandes als Mittel ihrer Blockade. Viele sagen, so Jasmin, man kann nicht einfach den „Verstand ausschalten“. Sie hingegen tut und empfiehlt offenbar genau dies. Es wird von ihr die eigene religiöse Erfahrung und die subjektive Gewissheit, mit dem lebendigen Jesus Christus in einer lebendigen Glaubensbeziehung zu stehen, zusammen mit der Selbstbezeugung der Bibel als Wort Gottes mobilisiert, um sich der Wahrheit von Bibel und Glaube zu vergewissern – und die Verstandesfragen zu verdrängen. Die Vergewisserung des Glaubens erfolgt durch die entschiedene Besinnung auf die eigene subjektive Gewissheit, man könnte auch sagen: durch deren Beschwörung, zwecks Abblendung von kritischen Einreden des Verstandes.
Ein dunkles Bewusstsein davon, dass eine Bestärkung des Glaubens durch den festen Willen zum „Glauben trotzdem“ (2, 40:33) (und durch den Unwillen, Fragen des Verstandes zuzulassen) etwas Zirkuläres und Gewaltsames hat, deutet sich in einzelnen Formulierungen an, zum Beispiel wenn Jasmin die nackte Berufung auf die Bibelautorität – wohlgemerkt nicht kritisch, sondern affirmativ (wenn auch mit ironischem Lachen) – als „Totschlagargument“ (2, 37:33) apostrophiert. Aber dass die Gewissheit des Glaubens in der Anfechtung letztlich vollständig vom eigenen Willen, von der eigenen Entscheidung für diese Gewissheit abhängt und zudem von der Entscheidung, die Stimme des fragenden Verstandes zu überhören, bleibt als problematische Selbstbegründungsoperation unbegriffen – man wähnt sich ungebrochen im Besitz der objektiven Wahrheit.57
Wie diese Selbsttäuschung über längere Strecken aufrechterhalten werden kann, ist das große Rätsel derartiger Frömmigkeit. Hilfreiche Dienste mag dabei die Dämonisierung von Zweifel und Verstand leisten – denn der „Teufel versucht“ andauernd, „Zweifel zu säen“ (8, 1:05:18) –, außerdem die Dämonisierung von deren externen Repräsentanten: liberalen Theologen, die „der Teufel nutzt“ (3, 42:24), um den „Hass auf Jesus“58 zu säen und „das Evangelium zu unterbinden“ (6, 13:58). Aber diese Hilfsstrategien verkleinern das Rätsel nicht. Sie lassen nur ersichtlich werden, welchen Aufwand der Selbstimmunisierungs- und Selbstsicherungswille solchen Glaubens betreiben muss, um den eigenen Verstand immer und immer wieder zum Verstummen zu bringen.
Die fundamentale Unwahrhaftigkeit des Christentums von „Jana & Jasmin“
Die verstreuten antirationalen Äußerungen des Podcasts belegen die fundamental antirationale Verfassung biblizistischen Glaubens. Eines seiner grundlegenden Kennzeichen ist erstens die Verleugnung des freien Verstandesgebrauchs in Glaubensfragen. Die Abschottung gegen gefährliche rationale Argumente stellt seine Zugangs- und Erhaltungsbedingung dar, weil ansonsten die Bibel als direkte Quelle und Garantin von Wahrheit und Heil ausfiele. Der durch das sacrificium intellectus erlangte Wahrheits- und Heilsbesitz wird auf diese Weise abhängig von einer subjektiven Leistung des oder der Glaubenden. Somit erhält der biblizistische Glaube den Charakter einer eigentümlichen Leistungsreligion oder, in der reformatorischen Terminologie, einer Werkgerechtigkeitsfrömmigkeit. Nur sind es hier nicht fromme Werke wie Bußleistungen oder andere Heiligkeitserweise,59 mit denen sich Menschen Gerechtigkeit bei Gott zu erkaufen suchen. Vielmehr wird der Glaube selbst ein menschliches Werk, insofern er die Leistung des Verstandesopfers fordert.
Näherhin geht es dabei um die Leistung des Willens, Einwände des Verstandes von außen oder innen nicht zur Geltung kommen zu lassen und sich stattdessen ganz auf die objektive Wahrheit der Bibel und die subjektive Gewissheit des eigenen Glaubens zu verlassen. Weil aber die objektive Wahrheit sich auch nur einer subjektiven Zuschreibung verdankt – ich halte sie für objektiv wahr oder schenke entsprechenden Bibelworten Glauben –, bleibt für die Vergewisserung des Glaubens am Ende nur der subjektive Wille zum Glauben. Der biblizistische Wahrheitsobjektivismus oder -positivismus entpuppt sich bei näherem Hinsehen zweitens als verschleierter Subjektivismus: als Resultat eines subjektiven Willens- oder Entscheidungsaktes, der entschiedenen Behauptung oder Beschwörung von Objektivität.60
Drittens trägt der Biblizismus mit der Grundforderung des sacrificium intellectus einen weiteren inneren Zwiespalt in das gläubige Subjekt ein, den Zwiespalt zwischen dem (Glaubens-)Willen und der Weltorientierung des Verstandes. Damit geht jede Unbefangenheit im verstehenden Weltverhältnis verloren, weil von den Einsichten des Verstandes her stets Gefahr für den Glauben droht. Näher betrachtet handelt es sich auch um einen Zwiespalt innerhalb des Willens selbst, sofern der menschliche Geist unaufgebbar danach strebt, sich in der Welt verstehend zu orientieren. Der Zwiespalt ist daher unauflösbar.
Das heißt: Die geforderte Opferleistung kann eigentlich gar nicht vollbracht werden. Psychoanalytisch gesprochen kann der Wille die Stimme des Verstandes allenfalls zeitweise verdrängen. Sie bleibt lebendig und meldet sich immer wieder, im Bewussten oder Unterbewussten, von außen oder von innen. Daraus folgt viertens: Die durch die Verdrängung von Verstandeseinwänden erreichte Wahrheits- und Heilsgewissheit kann erneut nur eine Gewissheit mit schlechtem Gewissen sein, hier: mit einem schlechten und ängstlichen Wahrheitsgewissen. Der biblizistische Glaube muss insgeheim spüren, dass er seinen Wahrheitsbesitz einer unvollziehbaren Selbstverleugnung verdankt, nämlich der Verleugnung der für Wahrheit wenigstens mitverantwortlichen Subjektinstanz, des Verstandes. Ihre Verleugnung bedeutet Unwahrhaftigkeit im Zugriff auf die Wahrheit.
Der innere Zwiespalt zwischen Glauben- und Verstehenwollen teilt sich auch dem Gesamtleben des Glaubenden mit, nämlich fünftens als Zwiespalt zwischen seinem verstandesgeleiteten Alltags- und Kulturleben und seinem verstandesabgewandten Glaubensleben. Seine oder ihre Welt fällt gleichsam in zwei Welten auseinander, zwischen denen er oder sie Tag für Tag „switchen“ muss: die moderne Alltagswelt, deren festen Rahmen rationale Gesetze abgeben, und die biblische „Hinterwelt“ des Glaubens, wo etwa die Anschläge des Satans drohen. Der Biblizismus führt zwangsläufig in ein solches „Doppelleben“ zwischen zwei Welten; die Flucht daraus zwecks Wiedergewinnung eines einheitlichen und unbefangenen Weltverhältnisses dürfte eines der stärksten Motive für die Dekonstruktion biblizistischen Glaubens sein.
Innerprotestantisches Befremden
Die Analyse der Frömmigkeit und Theologie, die im Podcast kommuniziert werden, hat auf vier exemplarischen Feldern problematische Aspekte aufgewiesen, die allesamt mit der inneren Logik des evangelikalen Biblizismus zusammenhängen. Ein Feld, das momentan im Zentrum der öffentlichen Kritik an „Jana & Jasmin“ steht, wurde dabei ausgeklammert, obwohl es auch hier Bezüge zu evangelikalen Kernmerkmalen gibt: die Politik. Mehrfach ist den beiden Protagonistinnen vorgeworfen worden, mit ihrer Social-Media-Aktivität überhaupt und auch mit dem besprochenen Podcast „rechte Inhalte zu verbreiten“,61 damit „als Brückenbauerinnen für rechtskonservative bis rechtsextremistische Positionen [zu] fungieren“62 und letztlich „demokratiezersetzende Tendenzen“63 zu fördern. Das sind gravierende Vorwürfe. Sie seriös zu beurteilen und an den politischen Botschaften des Podcasts zu überprüfen, erfordert besonders viel Sorgfalt und Differenziertheit und daher eine entsprechend ausführliche Behandlung. Dies würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.
Was die genuin religiöse und theologische Charakteristik angeht, der die vorliegende Darstellung gilt, ist Jana und Jasmin zum Schluss noch einmal Recht zu geben, und zwar hinsichtlich ihrer Feststellung einer großen Fremdheit zwischen dem „fundamental-evangelikalen“ und dem „liberalen“, aufgeklärten Christentum:65 „Also wenn wir von Gott sprechen und von unserem Glauben an Gott, wenn wir davon sprechen, dass wir Christen sind, dann meinen wir was völlig anderes“ (4, 35:42). Wiederholt plädieren die Christfluencerinnen daher für eine klare Scheidung und fordern, die „Liberalen“ sollten doch besser auf den Begriff des Christentums verzichten.66
In der Tat, auch aus „liberaler“ Perspektive sind die Differenzen beträchtlich, das dürfte deutlich geworden sein. Dies betrifft viele Elemente, vor allem aber die beschriebene Isolation des Glaubens gegenüber der „weltlichen“ Vernunft. Die strikte Absage an alles unbefangene Verstehenwollen im Glauben verleiht dem biblizistischen Evangelikalismus eine hermetische „Weltfremdheit“, die für viele Zeitgenossen fast unheimlich anmutet. Den „Verstand auszuschalten“, um entschieden Christ zu sein, ist für viele eine geradezu groteske Forderung. Sollte Gott vom Menschen verlangen, für die Beziehung zu ihm seine geschöpfliche Vernunftnatur abzulegen? Und wie sollte das gehen? Für die meisten Zeitgenossen hierzulande klingt solches ähnlich absurd wie die Aufforderung, auf der Stelle den eigenen Namen zu vergessen. Man sollte denen, die dem nicht folgen wollen und können, nicht kurzerhand vorwerfen, „Jesus zu hassen“.67
Eine derartige Selbstverleugnung im Namen des Glaubens ist eine inhumane Zumutung, die auch das Bild des Gottes entschieden verzerrt, der sie angeblich verlangt. Eine solche Sicht des Christentums als die einzig wahre anzusehen, verrät nicht nur ein erstaunliches Maß an Ungeschichtlichkeit – sollte dies gelten, wäre das wahre Christentum frühestens mit der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts auf den Plan getreten.68 Das Entscheidende aus liberaltheologischer Sicht ist dies: Mit der Basisforderung der Selbstverleugnung des Verstandes, die vornehmlich in Gestalt der Forderung auftritt, die Heilige Schrift durchgängig als Wort Gottes anzuerkennen, wird eine Zugangshürde zum Glauben errichtet, die für viele Zeitgenossen prinzipiell unübersteigbar ist.
Erst wer dies verstanden hat, hat den klaffenden Graben zwischen „liberalem“ und biblizistischem Christentum verstanden: Die liberale Basis-„Anpassung“ an den „Zeitgeist“, sich mit der modernen Vernunft grundsätzlich ins Benehmen zu setzen und alle Fragen des aufgeklärten Verstandes zuzulassen, zielt nicht darauf ab, den Glauben irgendwie bequemer oder leichter zugänglich zu machen; sie versuchen, den Zugang für Zeitgenossen überhaupt offen zu halten, nämlich für all jene, die das Kunststück nicht zu vollbringen vermögen, das eigene Wesen abzustreifen – ob sie es wollten oder nicht. Wer dennoch unbekümmert die Anerkennung der totalen Bibelautorität fordert, versündigt sich am Christentum, weil er oder sie ein obskures Bild davon verbreitet, das vielen Menschen den Zutritt schlechthin unerschwinglich werden lässt. Auch wenn ihnen dieses Christentum mit Engelszungen gepredigt würde – sie wüssten sich von vornherein ausgeschlossen.
Fazit: Asymmetrische Toleranz
Der Graben zwischen biblizistischem und „liberalem“ Christentum ist tief, die wechselseitige Fremdheit groß. Wie dennoch miteinander umgehen? Natürlich möglichst mit Respekt und Toleranz, trotz allem Befremden und aller Kritik. In dieser Hinsicht kann man sich vielleicht ein Vorbild an Jasmin nehmen, die ungeachtet aller religiösen Verurteilungen sagen kann:
„Ich hab auch schon viele Liberale kennengelernt, die ich richtig gern mag. […] Wir haben gerade gesagt, was wir darüber glauben, aber der Mensch dahinter – mich würde es interessieren, die Menschen einfach mal kennenzulernen, einfach mal zu knuddeln und zu sagen: Ey, alles gut, mach mal dein Ding, alles ist gut.“ (4, 36:55)
Toleranz fällt leichter, wenn man einander kennen- und verstehen lernt. Daher ist der innerprotestantische Dialog zwischen den polaren Lagern notwendig und sinnvoll. Allerdings gibt es beim wechselseitigen Verstehen auch Grenzen. Denn zu verstehen und verstehend zu akzeptieren, warum andere Gläubige nicht in der Lage sind, den Sprung in die Selbstverleugnung der Vernunft zu tun und damit die eigene Wahrhaftigkeit aufzugeben, würde bereits einen Schritt aus dem hermetischen Gebäude der „fundamentalen“ Frömmigkeit bedeuten, der ihre Fundamente gefährlich unterlaufen würde. Und umgekehrt würde ein echtes Verstehen dieses Gebäudes womöglich nur durch eine wunderhafte Bekehrung möglich.
Toleranz fällt leichter, wenn man sich trotz aller normativen Negativurteile übereinander auf einen gemeinsamen Grund beziehen kann, der verbindet. Und sind wir nicht alle Christen, verbunden in der Beziehung auf Christus und als Kinder Gottes? Hier liegt offensichtlich ein weiteres Problem: Im Falle von Jana und Jasmin wird den „Liberalen“ das Christentum ja gerade abgesprochen (um die drastischeren Urteile hier nicht noch einmal zu wiederholen) – während umgekehrt wohl kaum ein „Liberaler“ oder eine „Liberale“ hinsichtlich der „fundamental Evangelikalen“ auf eine derartige Idee käme. Jana und Jasmin würden den meisten Liberalen nicht einmal zugestehen, mit Ernst Christen sein zu wollen. Erstere bekundet, dass „die liberalen Stimmen“ bei ihr längst „den Respekt verloren“ haben (4, 34:58), und Letztere schließt so etwas wie christliche Verbundenheit aufgrund der liberalen Ablehnung der Irrtumslosigkeit der Bibel explizit aus: „Deswegen lohnt sich hier eine Debatte gar nicht, weil wir gehen von zwei ganz unterschiedlichen Standpunkten aus“ (11, 13:04).
Es ist also eine Toleranz mit asymmetrischen Voraussetzungen gefragt: Während die einen sich dabei auf das gemeinsame Christsein berufen können, kommt für die anderen immerhin noch das gemeinsame Menschsein als „Toleranzboden“ infrage – und, wenn es gut geht, ein Quäntchen Sympathie. Das mag genügen, um es immer wieder einmal mit der innerprotestantischen Duldung zu versuchen und den Ton des Streits wieder in Richtung einer respektvollen Auseinandersetzung abzumildern. Denn wer weiß? Vielleicht begegnet man sich doch einmal, unvermutet, und muss miteinander auskommen. Zumal wenn sich dereinst Janas hellsichtige Ahnung bewahrheiten sollte: „Ich glaube, wir werden echt verwundert sein, mit wem wir nachher im Himmel sitzen“ (7, 1:13:14).
Martin Fritz, 05.12.2024
Anmerkungen
- Vgl. Claudia Jetter, „Das Phänomen Christfluencing. Zwischen Glaubensvermittlung und Lifestyle“, ZRW 86,3 (2023), 159–170, https://tinyurl.com/36su6883 (letzter Aufruf aller in diesem Beitrag genannten Internetseiten am 25.11.2024).
- Bis Ende November 2024 wurden folgende Podcast-Folgen veröffentlicht: (1) „Erste Folge, In Zeiten wie diesen …“ (27.3.2024) – (2) „Was TrashTV mit Dekonstruktion zu tun hat …“ (3.4.2024) – (3) „Was Sexarbeit und Christentum miteinander zu tun haben – Wie woke darf christlich sein?“ (18.4.2024) – (4) „Warum wir lieber Atheisten wären als ‚liberal gläubig‘“ (1.5.2024) – (5) „Let’s talk about ‚Männer‘ …“ (26.5.2024) – (6) „Tübinger Hochschultage, UNUM und Herzschmerz“ (17.6.2024) – (7) „UNUM, Einheit und Katholizismus“ (25.6.2024) – (8) „Let’s talk about Dating, Olympia & Co.“ (20.8.2024) – (9) „Perfekte Dates und wie dein verletztes Herz heilen kann“ (25.9.2024) – (10) „Pro7, das Sonntagsblatt und die Demokratie“ (26.10.2024). Hinzu kommt die Aufzeichnung eines Livetalks beim „Fire Festival“ in Stuttgart (veranstaltet von der neocharismatischen Initiative „Europe Shall Be Saved“ und der neocharismatischen Gemeinde „Gospelforum“) am 3.10.2024, die am 23.11.2024 hochgeladen wurde: (11) „#1 Livepodcast – Warum Jana lieber Hausfrau wär [sic] und Jasmin nicht gendert“. Zitatnachweise erfolgen in diesem Artikel durch Nennung der Folgennummer plus Zeitangabe.
- Bereits Ende April 2024, also nur wenige Wochen nach dem Start und nach dem Launch von erst drei Folgen, waren „Jana & Jasmin“ – unter knapp 90.000 deutschen Podcasts – in den Top-100-Charts. Vgl. 4, 39:04.
- Vgl. Louis Berger, „Insta, Youtube, Gott. Christliche Influencer*innen gewinnen in Deutschland die Aufmerksamkeit von Zigtausenden. Einige von ihnen predigen besonders konservativ“, taz.de, 19.4.2024, https://tinyurl.com/msr4mbt9.
- Vgl. Imke Plesch, „Wie christliche Influencer*innen unter dem Deckmantel der Religion rechte Inhalte verbreiten“, Sonntagsblatt, 23.10.2024, https://tinyurl.com/ykz7u7rh.
- Zum Vergleich: Die Pfarrerin Josephine Teske, reichweitenstärkste Christfluencerin beim evangelischen Netzwerk „Yeet“, hat auf Instagram (@seligkeitsdinge) derzeit rund 42.000 Follower. Mehr Reichweite hat der „katholikale“ (d.h. einen Katholizismus mit stark evangelikalem Einschlag vertretende) Influencer Johannes Hartl (@drjohanneshartl) mit gut 95.000 Followern. Shirin David, der Influencerin im nichtreligiösen Bereich mit der aktuell größten Reichweite in Deutschland (@shirindavid, mit Content zu Musik, Lifestyle und Mode), folgen auf Instagram 6.600.000 Menschen.
- Im April 2024 folgten Highholder auf Instagram ca. 60.000, Neubauer ca. 70.000 Menschen; vgl. Berger, „Insta“. Allerdings scheinen die Zahlen seit dem Herbst zu stagnieren. Laut einer Bemerkung aus der zehnten Podcast-Folge vom 26.10.2024 (46:59) liegt das an einer „Einschränkung der Reichweite“ durch Instagram, „weil wir runtergestuft wurden, von Instagram selbst, weil wir religiösen, radikalen, rechten Inhalt teilen“. Dies passt zu der Generaleinschätzung (49:24): „Unsere Meinung will man mundtot machen.“
- Siehe https://www.liebezurbibel.com/shop. Vgl. zu Neubauer und ihrem christlichen „Lifestyle-Branding“ Jetter, „Christfluencing“, 167f. (hier 168).
- Vgl. dazu neben den bereits genannten Artikeln von Berger und Plesch: Jason Liesendahl, „Rechtsextremes Gedankengut bei ‚Liebe zur Bibel‘?“, 13.11.2024, https://tinyurl.com/he6t9dvs; Charlotte Höcker, „Tradwives – zwischen traditioneller Hausfrau und Antifeminismus“, Zentrum Liberale Moderne, https://tinyurl.com/5n6vb6uz.
- Vgl. z.B. die Passagen über die RTL-Dating-Show „Die Bachelorette“ in Folge 2.
- Vgl. z.B. 3, 41:22, wo das eigene Frömmigkeitsmilieu als „evangelikale Bubble“ bezeichnet wird.
- Zum Beispiel ist die Ende Oktober 2024 ausgestrahlte Pro7-Dokumentation „Zurück zum Glauben. Radikale Christen und ihr Griff nach der Macht?“, in der es einige Szenen mit Jasmin gibt, tatsächlich sehr einseitig auf das Thema der politischen Machtambitionen des (neocharismatischen) Evangelikalismus zugeschnitten und schlägt dabei sehr Unterschiedliches über diesen einen Leisten. Vor allem schließt sie dabei die Verhältnisse in den USA viel zu direkt und pauschal mit deutschen Phänomenen kurz. Vgl. dazu die Besprechung in Folge 10 von „Jana & Jasmin“, ab 08:41.
- Im Folgenden wird die geläufige Evangelikalismusbestimmung des Religionshistorikers David W. Bebbington variiert, das „Bebbington-Quadrat“ aus biblicism, crucicentrism, conversionism und activism. Siehe dazu die Kurzzusammenfassung bei Oliver Dürr, „Wer hat Angst vor Evangelikalen? Post-Evangelikalismus und die Zukunftsformen des christlichen Glaubens“, Theologische Literaturzeitung 149,11 (2024), 987–1002, 994; ferner Michael Hochgeschwender, „Evangelikalismus. Begriffsbestimmung und phänomenale Abgrenzung“, in: Frederik Elwert, Martin Radermacher und Jens Schlamelcher (Hg.), Handbuch Evangelikalismus (Bielefeld: transcript, 2017), 21–32. Siehe ansonsten die einführenden Einträge (mit weiterer Literatur) in Michael Utsch (Hg.), ABC der Weltanschauungen, 2. Aufl. (Baden-Baden: Nomos, 2024), https://tinyurl.com/2nme67dm, vor allem Reinhard Hempelmann, „Evangelikale Bewegung“ (69–77); Martin Fritz, „Fundamentalismus, christlicher“ (89–98); außerdem die umfassende Darstellung von Thorsten Dietz, Menschen mit Mission. Eine Landkarte der evangelikalen Welt (Holzgerlingen: SCM, 2022).
- Vgl. z.B. 8, 1:03:45 (Jana): „Jesus, du bist so wunderschön. Du bist der Schönste von allen. Du bist der beste Liebhaber. Das ist meine erste Liebe. Und ich will ein Gegenüber, das dich widerspiegelt.“
- Vgl. z.B. 1, 45:44; 2, 35:48; 6, 01:56; 3, 44:50; 7, 1:14:00.
- In der zitierten Schilderung wechselt die Benennung des Gegenübers dieser Beziehung im Sinne der trinitarischen Durchdringung der drei göttlichen Personen zwischen Gott, Jesus und Heiligem Geist.
- Vgl. 5, 24:46; 8, 1:04:56.
- Aber manchmal lassen die Antworten der göttlichen Trinität auch auf sich warten, bei Jasmin vornehmlich in der „Frage der Partnerwahl“ (8, 44:43): „Ich kann eines sagen, wirklich, Jesus hat bisher in meinem ganzen Leben nicht so unklar gesprochen wie im Thema Beziehungen“ (8, 45:30).
- Martin Luther hätte eine solche Gleichsetzung für völlig abwegig gehalten. Siehe dazu Martin Fritz, „Das Schriftprinzip (historisch)“, MdEZW 83,6 (2020), 463–471, https://tinyurl.com/ywjtkz3s.
- Vgl. 2, 33:44.
- 3, 09:27. Vgl. zu der Verbindung Berger, „Insta“; Jetter, „Christfluencing“; Liesendahl, „Rechtsextremes Gedankengut“; Plesch, „Influencer*innen“.
- Vgl. dazu Claudia Jetter, „Purity Culture“, ZRW 86,4 (2023), 301–309, https://tinyurl.com/mr3ezxt9.
- Vgl. z.B. 1, 28:20.
- Ich entnehme diesen Ausdruck der Auseinandersetzung Janas und Jasmins mit ex-evangelikalen Sinnfluencer:innen in Folge 2 (45:59).
- 2, 31:58; 3, 44:28; 10, 29:13.
- 2, 18:45 und 36:16; 3, 05:18 („progressiv-liberal“) u.ö.
- 6, 08:16 u.ö.
- Diese Charakterisierung trifft unbeschadet der unzweifelhaften Modernität nicht nur der Lebenskonzepte der meisten evangelikal Frommen, sondern gerade auch der Verbreitungsmittel evangelikaler Frömmigkeit zu. Charakteristisch für den Evangelikalismus ist gerade die komplexe Verschränkung von Modernität und Antimodernismus.
- Vgl. z.B. 2, 34:41.
- Vgl. 4, 11:28: „lieber nichtgläubig als liberal oder lauwarm“; 4, 16:05 (mit Bezug auf Offb 3,16): „Gott sagt ja auch noch, darum so: ‚Sei lieber kalt oder heiß, aber alles, was lauwarm ist, werde ich ausspeien.‘ […] Dann bin ich lieber ganz oder gar nicht, aber ich bin nicht so lauwarm, weil das ist das Schlimmste, was es gibt.“
- Vgl. z.B. 2, 35:42.
- Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich der Podcast an mehreren Stellen auch gegen allzu einseitige Urteile verwahrt. In einer Passage zum übermäßigen Einfluss der „links-grünen“ Medien z.B. hält Jasmin fest (1, 11:40): „Ich bin jetzt aber auch niemand, der sagt, alles, was in den Medien gesagt wird, ist Lüge und schlecht und Propaganda, da bin ich auch weit entfernt von.“
- 6, 13:45; 10, 33:07.
- Ein Versuch, diese Bandbreite begrifflich zu fassen, ist die analog zur politischen Richtungspolarität gebildete Unterscheidung von „Links“- und „Rechtsevangelikalismus“. Als „linksevangelikal“ wird z.B. die US-amerikanische Bewegung der „Red Letter Christians“ bezeichnet, die den (in manchen Bibelausgaben rot gedruckten) Worten Jesu innerhalb der Bibel eine besondere Autorität zusprechen. Das Attribut „rechtsevangelikal“ meint hingegen solche entschieden „konservative“ Evangelikale, die demgegenüber an der gleichrangigen göttlichen Autorität aller Bibelworte festhalten. Von ihnen können dann noch einmal, gleichsam noch weiter „rechts“, im eigentlichen Sinne „fundamentalistische“ Evangelikale abgehoben werden, die diesen Biblizismus auf die Spitze der Kompromisslosigkeit treiben, indem sie eine Irrtumslosigkeit der Bibel auch in allen Sachfragen behaupten und daher z.B. von einer Schöpfung der Welt in buchstäblich sechs Tagen ausgehen (Kreationismus). Diese zunächst schrifttheologisch gemeinte „Biblizismus-Skala“ ist wiederum mit politischen Aspekten assoziiert. Denn etwa die Red Letter Christians hatten auch ein ethisch-politisches Motiv, das gemeinhin als „links“ eingestuft wird, nämlich die Forderung eines stärkeren sozialen Engagements der evangelikalen Bewegung. Diese Forderung wandte (und wendet) sich gegen die einseitige politische Positionierung (weißer) Evangelikaler für die „rechte“ Politik der US-Republikaner. Generell scheint, wie das Beispiel der USA zeigt, der kompromisslose Antiliberalismus von „Rechtsevangelikalen“ eine gewisse Neigung zu „rechten“ politischen Optionen zu begründen. Vgl. dazu Martin Fritz, „Im Bann der Dekadenz. Theologische Grundmotive der christlichen Rechten in Deutschland“, in: Johann Hinrich Claussen, Martin Fritz, Andreas Kubik, Rochus Leonhardt, Arnulf von Scheliha: Christentum von rechts. Theologische Erkundungen und Kritik (Tübingen: Mohr Siebeck 2021), 9–63, https://tinyurl.com/2h9tapan; ders. „Rechtes Christentum“, ZRW 87,1 (2024), 65–74, https://tinyurl.com/2s3nhp22. Aber nicht alle „Rechtsevangelikalen“ sind automatisch auch politisch „rechts“ oder „rechtspopulistisch“ oder gar „rechtsextrem“. Um solche Missverständnisse in der polarisierten und „schubladisierten“ Debatte zu vermeiden, sollte man auch den Begriff „Rechtsevangelikalismus“ außerhalb der Fachliteratur nicht ohne Erklärung gebrauchen. Darum ist es unglücklich, dass der Autor dieses Beitrags in dem Artikel von Plesch („Influencer*innen“) mit der dort nicht weiter erläuterten Aussage zitiert wird, Jana und Jasmin könnten als „rechtsevangelikale Christfluencerinnen“ bezeichnet werden (vgl. die Auseinandersetzung mit dem Artikel in Folge 10, 24:14). Die Primärintention dieser Aussage war es, den Biblizismus der beiden auf der fraglichen Skala zu verorten und ihn damit vom genuinen Bibelfundamentalismus abzuheben. Was den Podcast betrifft, ist diese Einschätzung mit einem gewissen Vorbehalt zu belegen. Dort sind zwar bisher keine signifikant fundamentalistischen (z.B. kreationistischen) Aussagen gefallen; aber immerhin postuliert Jasmin an einer Stelle die „Irrtumslosigkeit“ (11, 13:17) der Schrift, allerdings ohne nähere Explikation. Dass es bei „Jana & Jasmin“ auch Passagen gibt, die durchaus eine Nähe zu rechtspopulistischen Intentionen vermuten lassen, steht wieder auf einem anderen Blatt. Siehe dazu unten.
- Vgl. vor allem 7, 16:47–17:46 und 55:15–56:32; 11, 45:40–51:50. Die Nähe scheint bei Jasmin größer zu sein als bei Jana.
- Der folgende Abschnitt versucht, eine Antwort auf die (eigentlich rhetorische) Frage Jasmins zu geben (10, 49:42): „Wo ist das Problem, wenn ich sage: ‚Ich liebe dich, ich lebe nicht so wie du, und ich glaube, dass Gott etwas anderes für dich gedacht hat, und ich glaube, dass Gott eine Perfektion hat sozusagen, dass er eine Vorstellung hat von dem, was richtig ist; ich glaube, dass Sünde Zielverfehlung ist, und ich glaube, dass ich ein Sünder bin, genauso wie ich glaube, dass du ein Sünder bist, egal, welche Sexualität du hast‘?“
- Vgl. z.B. 1, 20:12: „Menschenfeindlich klingt auch schon irgendwie böse […]. Und ich finde es voll schade, weil ich voll eine große Liebe habe für Menschen, wirklich auch für Menschen, die anders denken als ich, das ist mir komplett egal, wie jemand denkt, den liebe ich nicht mehr oder weniger, weil er sich entscheidet, […], das gleiche Geschlecht zu lieben.“
- Vgl. 2, 35:02: „Ich kann nicht glauben, dass ein liebender Gott Sexualität ablehnt. Wenn zwei Menschen sich lieben, was soll dabei sein?“
- Vgl. 2, 34:20: „Ich musste einfach zu dem Schluss kommen, dass ich sage: Okay, es gibt viele Themen in der Bibel, die ich nicht akzeptiere, so, aber ich muss sie stehen lassen, ich muss sie stehen lassen.“
- Hinzu kommt, dass eine historische Perspektive – sobald man sie einen Moment lang zulässt – sogleich klar macht, dass im Hintergrund der einschlägigen biblischen Verbote archaische Reinheitsvorstellungen und Vermischungstabus stehen, die der Vergangenheit angehören.
- Vgl. 2, 55:47. Dort sagt Jana über Kirchenvertreter, die öffentlich den Sühnetod Jesu bestreiten: „Ich würde sagen, was es in mir auslöst: Es macht mich wütend, dass die Menschen erzählen, das sei die Wahrheit.“
- Vgl. zu Begriff und Phänomen Martin Fritz, „Liberale Theologie“, ZRW 87,5 (2024), 395–407, https://tinyurl.com/3p83u9za.
- Vgl. 5, 36:45.
- Vgl. z.B. 3, 39:52–45:36.
- Jasmin (2, 49:24): „Ich lieb dich, egal, was du glaubst, egal, was du denkst.“
- Jasmin (2, 55:13): „Ja, es wird ein ganz schlimmes Gericht geben, deswegen: Eigentlich muss man Mitleid haben mit den Seelen.“
- Vgl. 2, 50:04 und 50:29.
- Der Ausdruck „fundamental“ (nicht: fundamentalistisch) wird im Podcast gegenüber „evangelikal“ häufiger als Selbstbezeichnung gebraucht; vgl. 3, 43:27 („fundamental oder konservativ“); 4, 34:28 u.ö.
- Vgl. 5, 36:40: „Das, was Jesus von dir möchte, ist Demut, Demut, Demut.“
- Man könnte diesen Aspekt noch religionsphilosophisch-religionskritisch vertiefen. Denn man kann in Janas und Jasmins Kombination von Biblizismus und Dezisionismus eine religiös illegitime Absolutsetzung irdischer Instanzen erblicken, die „Vergötzung“ von Bibelwort und Menschenwille, womit die Teilhabe am Göttlichen in eigene, menschliche Regie genommen wird. Diesen Abweg von Religion hat der Theologe Paul Tillich in klassischer Weise ins Auge gefasst. Siehe dazu Martin Fritz, „Rausch des Unbedingten. Tillichs Theorie ‚dämonisch‘ verzerrter Religion“, in: Christian Danz und Werner Schüßler (Hg.), Tillich in Dresden. Intellektuellen-Diskurse in der Weimarer Republik, Tillich Research 27 (Berlin: de Gruyter, 2023), 211–228, https://tinyurl.com/3mfpbcbz. Jana und Jasmin stehen nach Tillich’schen Kategorien idealtypisch für die protestantische Spielart „dämonisierter“ Religion.
- Dazu gehört die Eintragung des „für mich“ in Lev 18,22 (Jasmin: „für mich ein Gräuel“). Das steht nicht da, jedenfalls nicht im hebräischen Urtext. Die Vokabel für „Gräuel“ fällt im Übrigen ebenso bei vielen Speisevorschriften und anderen Geboten, sie ist kein besonderes Merkmal von Lev 18,22. Als solches Besonderungskennzeichen bleibt allenfalls die Forderung der Todesstrafe in Lev 20,13, die aber etwa auch bei Kinderopfer (20,2), Verfluchung von Eltern (20,9), Ehebruch (20,10) und Beischlaf während der Menstruation (20,18) erhoben wird.
- Siehe zu dieser Extremgruppierung, die nichts mit den Baptisten im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) zu tun hat, IDEA-Pressedienst Nr. 64 vom 21.3.2023, 6f.
- Auch in dieser hermeneutischen Frage gibt es im Podcast Ansätze einer relativierenden Reflexivität, die aber nicht auf die Ebene der Grundpostulate durchschlagen; vgl. z.B. 7, 1:02:25: „Jana, ich kenne kein Buch, was so radikal klar ist; aber auch natürlich in manchen Bereichen nicht offensichtlich klar ist.“
- Vgl. 2, 3:45.
- Ferner hätte man bei dem Vorschlag, bis auf Weiteres die deutschen Grenzen für alle Flüchtlinge zu schließen (4, 24:54), vielleicht erwarten können, dass bei den frommen Frauen kurz die Frage aufkommt, ob das im Sinne des biblischen Gottes wäre oder nicht. „Denn der HERR, euer Gott, […] hat die Fremdlinge lieb, dass er ihnen Speise und Kleider gibt. Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland“ (Dtn 10,17–19).
- Vgl. z.B. 2, 28:51. Gelegentlich propagiert Jana auch einen verstandesmäßigen Zugang zum Glauben; allerdings ist damit nicht ein kritischer Verstand gemeint; vgl. 11, 47:02: „Ich glaube, Gott kann und will verstanden werden“ – man darf im Sinne Janas hinzufügen: auf der Grundlage seiner unhinterfragbaren Offenbarung in der Bibel.
- Im Livepodcast (ab 11, 47:40) avisiert Jana „Akademiker und Intellektuelle“ als vernachlässigte Evangelisierungsobjekte, weil von selbigen ein besonders wirksamer christlicher Einfluss auf die Gesellschaft ausgehen könnte. Die Aussichten dieses Programms dürften alles andere als gut sein: Mit einem religiösen Vernunftverleugnungsprogramm wird man nicht viele Intellektuelle gewinnen können. Denn sie müssten dafür eben ihre Intellektualität und die darin enthaltene Bereitschaft zur Reflexion auf die eigenen Geistesakte und deren Prämissen ablegen.
- Vgl. 10, 28:35 u.ö.
- Die Frage, ob das von Jana und Jasmin ins Zentrum gestellte Heiligkeitsstreben eine Tendenz zur Werkgerechtigkeit (im ursprünglichen Sinn) hat, bleibt hier ausgespart.
- Vgl. dazu Fritz, „Fundamentalismus“, 96f.; ders., Im Bann der Dekadenz, 46–52.
- Plesch, „Influencer*innen“.
- „Statement der Evangelischen Studierendengemeinde und Katholischen Hochschulgemeinde Tübingen zu den sog. Hochschultagen“, ESG Tübingen, 10.6.2024, https://tinyurl.com/bdpzn8mk. In dem Statement protestieren die genannten Hochschulgemeinden mit ausdrücklichem Bezug auf den Podcast gegen den Auftritt Jana Highholders bei den Tübinger Hochschultagen und rufen zu einer „Gegenkundgebung“ auf. Siehe dazu die Besprechung in Folge 6, ab 01:40.
- Liesendahl, „Rechtsextremes Gedankengut“.
- Der Ausdruck „liberale Theologie“ wird von Jana und Jasmin denkbar weit genommen – er umfasst im Grunde genommen jede Form von Theologie, die in irgendeiner Weise bereit ist, die Bibel sowie gewisse materiale Zentraldogmen des Christentums kritisch zu hinterfragen. Er umfasst also auch Gestalten von Theologie, die aus einer in einem spezifischeren Sinne „liberal“ zu nennenden Perspektive als „konservativ“ eingestuft würden. Vgl. zum verschieblichen Gebrauch des Begriffs Fritz, „Liberale Theologie“, 406.
- Vgl. 3, 38:22–39:52 u.ö.
- Vgl. 10, 28:35 u.ö.
- Nimmt man eine stärker historisch-typologische Perspektive ein, gibt es solche exklusiven Ansprüche auf wahres Christentum freilich schon viel länger, nämlich als Charakteristikum eines der Christentumstypen, die Ernst Troeltsch in seinen Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (1912) unterschieden hat (in seiner Terminologie: Kirche, Sekte, Mystik); vgl. Martin Fritz, „Sozialformen des protestantischen Christentums“, MdEZW 83,1 (2020), 66–73, 70f., https://tinyurl.com/2p99pef5. Jana und Jasmin verkörpern demnach den Typus hochverbindlichen und hochintensiven freikirchlichen Christentums, in Troeltschs wertfreier Terminologie: den „Sektentypus“ von Christentum. Er ist nach seiner Überzeugung auch für die Kirche ein unverzichtbarer Quell geistlichen Lebens.