Schon lange ist das Internet auch ein Marktplatz religiös-weltanschaulicher Angebote; spätestens mit dem Digitalisierungsschub der Corona-Pandemie hat dieses Forum erhebliche Bedeutsamkeit gewonnen. Selbstverständlich wollen und dürfen auch christliche Anbieter dort nicht fehlen. So werben längst Tausende Christen verschiedenster Couleur auf Websites, bei YouTube, Facebook, Instagram und TikTok für ihren Glauben und Lebensstil, auch in deutscher Sprache. Dabei gewinnen nicht zuletzt Audioformate zunehmend an Bedeutung. Von „Aus Glauben leben“ über „Begründet glauben“ und „Schöner glauben“ bis hin zu „Ausgeglaubt“ – auf den einschlägigen Podcast-Portalen findet man inzwischen vielfältige Versuche, Hörerinnen und Hörern christliche Gehalte und Fragestellungen nahezubringen, sei es mehr kritisch oder mehr affirmativ, eher reflektierend oder eher verkündigend, sei es monologisch oder dialogisch oder in ganz anderen Formen.
„Jana & Jasmin – In Zeiten wie diesen …“
Im März 2024 haben auch zwei der bekanntesten deutschen „Christfluencerinnen“1 ein digitales Gesprächsformat gestartet2 – um damit auf Anhieb die deutschen Podcast-Charts zu erobern.3 Unter dem vielsagenden Titel „Jana & Jasmin – In Zeiten wie diesen …“ unterhalten sich Jana Highholder und Jasmin Neubauer über Gott und die Welt, über das Leben und die Liebe. „In Zeiten wie diesen gibt es auf alle mögliche[n] gesellschaftlich relevante[n] Fragen tausende Antworten“, heißt es im Podcast-Intro. „Wir glauben, nur eine davon ist wahr.“ Anspruch und Mission der beiden Talkerinnen werden sogleich deutlich: Es geht ihnen darum, in der modernen Wirrnis von tausenderlei Optionen Menschen für die eine Wahrheit zu gewinnen, die in Jesus Christus offenbar geworden ist. Dieser Jesus soll sich den Hörerinnen und Hörern als Antwort auf „alle möglichen gesellschaftlich relevanten Fragen“ erschließen. Damit ist gehörige Spannung geweckt.
Die Podcasterinnen: Jana Highholder und Jasmin Neubauer
Mit Jana Highholder (bürgerlich Hochhalter, Jg. 1998) ist an dem Podcast eine der deutschen Pionierinnen des digitalen Christfluencings beteiligt. Nach Anfängen als Poetry-Slammerin war die freikirchlich sozialisierte Koblenzerin von 2018 bis 2020 mit dem Kanal „Jana glaubt“ die erste und einzige „YouTube-Botschafterin“ der EKD, bis die Zusammenarbeit offiziell aus finanziellen Gründen beendet wurde, mutmaßlich aber auch infolge von Kritik an „biblizistischen und evangelikalen Positionen“4 Highholders etwa zur Rolle der Frau.5 Inzwischen als Ärztin tätig betreibt sie weiterhin ein christliches Instagram-Profil (@hiighholder) mit knapp 70.000 Followern (Stand November 2024).
Ihr Podcast-Gegenüber ist in Kreisen jüngerer Christen des deutschsprachigen Raums ebenfalls eine Instagram-Berühmtheit. Obwohl die Internetkarriere der als liberale Muslima aufgewachsenen Hamburgerin Jasmin Neubauer (ca. Jg. 1996) später begann, hat ihr Instagram-Profil (@liebezurbibel) rund 74.000 Follower (Stand November 2024). Mit „Jana“ und „Jasmin“ haben sich folglich die beiden reichweitenstärksten christlichen Instagram-Größen deutscher Sprache zusammengetan6 – und dieses Joint Venture hat sicherlich maßgeblichen Anteil daran, dass beider Followerzahlen seit dem Podcast-Start noch merklich gewachsen sind.7 Neben ihrem digitalen Engagement treten Highholder wie Neubauer regelmäßig als Predigerinnen in freikirchlichen Gottesdiensten und als Speakerinnen bei evangelikalen Konferenzen auf. Beide haben christliche Bücher geschrieben und christliche Modelabels gegründet. Neubauer betreibt außerdem ein Versandgeschäft mit selbstdesigntem Frömmigkeits-Equipment (Bibelregister, Bibelspruchkarten, Adventskalender, Kinder- und Malbücher etc.) und mit den eigenen Publikationen, unter anderem Studien zu biblischen Büchern.8
Fromme Freundinnen im Gespräch
Schon die angeführten Zahlen zeigen an, dass dem Podcast eine gewisse Relevanz für das Gegenwartschristentum in Deutschland beizumessen ist. Jana und Jasmin wollen Einfluss ausüben, und sie tun dies auch, vermutlich vor allem bei weiblichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, für die sie Identifikationspotenzial anbieten. Wie groß dieser Einfluss ist und wie weit er über die Grenzen einer gewissen christlichen Szene hinausreicht, ist schwer zu sagen. Dass er durchaus auch außerhalb „frommer Zirkel“ wahrgenommen wird, ist gut belegt.9
Interessant ist der Podcast aber nicht nur als öffentlicher Einflussfaktor, sondern auch als Zeugnis eines bestimmten Typs von Christentum. Wer einen exemplarischen Eindruck evangelikaler Frömmigkeit gewinnen will, sollte den beiden Frauen lauschen. Denn das Genre des Podcast-Gesprächs gewährt Einblicke in eine Sphäre, die für Außenstehende ansonsten nur viel indirekter und „gefilterter“ wahrnehmbar ist, in schriftlichen Äußerungen oder digital veröffentlichten Predigten. Bei „Jana & Jasmin“ tauschen sich zwei fromme Freundinnen aus über das, was sie im Leben beschäftigt: was sie lieben und verachten, was sie sich wünschen und verbitten, was sie erstreben und vermeiden – und welche Rolle dabei Jesus spielt. Die beiden reden über all dies spontan, ohne jedes Wort lange abzuwägen. Sie schöpfen mithin aus dem Fundus an Gefühlen, Gedanken, Überzeugungen, Haltungen und Maximen, auf den sie unmittelbar zugreifen können. Damit aber vermittelt der Austausch ein lebendiges Bild von elementaren Zügen eines gelebten Evangelikalismus mitsamt der in ihm wirksamen Dogmatik und Ethik.
Privatheit für die Öffentlichkeit
Nun wissen die Jesus-Talkerinnen natürlich, dass ihre vertrauten Gespräche zur Veröffentlichung bestimmt sind, und insofern wäre es naiv zu meinen, man werde beim Zuhören Zeuge einer gänzlich privaten Kommunikation. Die Intimität des Gesprächs ist also in gewisser Weise eine Scheinintimität. Sie ist kalkuliert, weil die Resonanz im Social-Media-„Sinnfluencing“ mit der Inszenierung von „Persönlichkeit“ steht und fällt. Teil dieser Inszenierung ist es, dass man ganz bewusst auch Lifestyle- und Trash-TV-Themen nicht ausspart – es wird geboten, was eben so von einer Freundschaft junger Frauen erwartet wird.10
Und doch wäre es wiederum unrealistisch, man hielte die vertraute Atmosphäre vollständig für Fake. Es gibt keinen guten Grund, die geäußerten Freundschaftsbezeugungen durchweg in ihrer Authentizität zu bezweifeln, und Entsprechendes gilt für die mitgeteilten Ansichten, Haltungen und Empfindungen. Das Bewusstsein, dass das Geteilte später auch von Fremden gehört werden wird, läuft dabei sicherlich mit; zuweilen tritt es auch hervor, wenn doch einmal ein Sachverhalt als zu intim eingestuft wird, um ihn vor dem Mikrofon äußern zu wollen. Aber insgesamt scheint doch das Bewusstsein künftiger Öffentlichkeit von der unmittelbaren Atmosphäre momentaner Privatheit in den Hintergrund gedrängt zu werden, so dass es das persönliche Gespräch jedenfalls nicht wesentlich behindert.
Das komplexe Verhältnis von Intimität und Öffentlichkeit hebt Erstere also nicht einfach auf. Es rückt sie vielmehr in den Zweckzusammenhang einer verfolgten Mission: Sie dient der wirkungsvollen Bezeugung des Glaubens. Unter der Voraussetzung, dass es sich beim Glauben selbst um etwas höchst Intimes handelt, macht die Möglichkeit der Veröffentlichung persönlicher Gespräche den Podcast – gerade gegenüber dem öffentlichen Setting der Predigt – zu einem idealen Medium moderner Glaubenskommunikation.
Martin Fritz, 05.12.2024
Anmerkungen
- Vgl. Claudia Jetter, „Das Phänomen Christfluencing. Zwischen Glaubensvermittlung und Lifestyle“, ZRW 86,3 (2023), 159–170, https://tinyurl.com/36su6883 (letzter Aufruf aller in diesem Beitrag genannten Internetseiten am 25.11.2024).
- Bis Ende November 2024 wurden folgende Podcast-Folgen veröffentlicht: (1) „Erste Folge, In Zeiten wie diesen …“ (27.3.2024) – (2) „Was TrashTV mit Dekonstruktion zu tun hat …“ (3.4.2024) – (3) „Was Sexarbeit und Christentum miteinander zu tun haben – Wie woke darf christlich sein?“ (18.4.2024) – (4) „Warum wir lieber Atheisten wären als ‚liberal gläubig‘“ (1.5.2024) – (5) „Let’s talk about ‚Männer‘ …“ (26.5.2024) – (6) „Tübinger Hochschultage, UNUM und Herzschmerz“ (17.6.2024) – (7) „UNUM, Einheit und Katholizismus“ (25.6.2024) – (8) „Let’s talk about Dating, Olympia & Co.“ (20.8.2024) – (9) „Perfekte Dates und wie dein verletztes Herz heilen kann“ (25.9.2024) – (10) „Pro7, das Sonntagsblatt und die Demokratie“ (26.10.2024). Hinzu kommt die Aufzeichnung eines Livetalks beim „Fire Festival“ in Stuttgart (veranstaltet von der neocharismatischen Initiative „Europe Shall Be Saved“ und der neocharismatischen Gemeinde „Gospelforum“) am 3.10.2024, die am 23.11.2024 hochgeladen wurde: (11) „#1 Livepodcast – Warum Jana lieber Hausfrau wär [sic] und Jasmin nicht gendert“. Zitatnachweise erfolgen in diesem Artikel durch Nennung der Folgennummer plus Zeitangabe.
- Bereits Ende April 2024, also nur wenige Wochen nach dem Start und nach dem Launch von erst drei Folgen, waren „Jana & Jasmin“ – unter knapp 90.000 deutschen Podcasts – in den Top-100-Charts. Vgl. 4, 39:04.
- Vgl. Louis Berger, „Insta, Youtube, Gott. Christliche Influencer*innen gewinnen in Deutschland die Aufmerksamkeit von Zigtausenden. Einige von ihnen predigen besonders konservativ“, taz.de, 19.4.2024, tinyurl.com/msr4mbt9.
- Vgl. Imke Plesch, „Wie christliche Influencer*innen unter dem Deckmantel der Religion rechte Inhalte verbreiten“, Sonntagsblatt, 23.10.2024, https://tinyurl.com/ykz7u7rh.
- Zum Vergleich: Die Pfarrerin Josephine Teske, reichweitenstärkste Christfluencerin beim evangelischen Netzwerk „Yeet“, hat auf Instagram (@seligkeitsdinge) derzeit rund 42.000 Follower. Mehr Reichweite hat der „katholikale“ (d.h. einen Katholizismus mit stark evangelikalem Einschlag vertretende) Influencer Johannes Hartl (@drjohanneshartl) mit gut 95.000 Followern. Shirin David, der Influencerin im nichtreligiösen Bereich mit der aktuell größten Reichweite in Deutschland (@shirindavid, mit Content zu Musik, Lifestyle und Mode), folgen auf Instagram 6.600.000 Menschen.
- Im April 2024 folgten Highholder auf Instagram ca. 60.000, Neubauer ca. 70.000 Menschen; vgl. Berger, „Insta“. Allerdings scheinen die Zahlen seit dem Herbst zu stagnieren. Laut einer Bemerkung aus der zehnten Podcast-Folge vom 26.10.2024 (46:59) liegt das an einer „Einschränkung der Reichweite“ durch Instagram, „weil wir runtergestuft wurden, von Instagram selbst, weil wir religiösen, radikalen, rechten Inhalt teilen“. Dies passt zu der Generaleinschätzung (49:24): „Unsere Meinung will man mundtot machen.“
- Siehe https://www.liebezurbibel.com/shop. Vgl. zu Neubauer und ihrem christlichen „Lifestyle-Branding“ Jetter, „Christfluencing“, 167f. (hier 168).
- Vgl. dazu neben den bereits genannten Artikeln von Berger und Plesch: Jason Liesendahl, „Rechtsextremes Gedankengut bei ‚Liebe zur Bibel‘?“, 13.11.2024, https://tinyurl.com/he6t9dvs; Charlotte Höcker, „Tradwives – zwischen traditioneller Hausfrau und Antifeminismus“, Zentrum Liberale Moderne, https://tinyurl.com/5n6vb6uz.
- Vgl. z.B. die Passagen über die RTL-Dating-Show „Die Bachelorette“ in Folge 2.