Seit mehreren Jahren zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die digitalen sozialen Medien zu einem wirkmächtigen Ort religiöser Kommunikation werden. Dabei erweisen sich gerade die Kommunikationsmuster jener Akteure, die dem Typus „Influencer:in“ zuzurechnen sind, als besonders aufschlussreiche Spielarten digitaler religiöser Rede, denn bei ihnen kommt persönliche religiöse Selbstdarstellung einerseits, und partizipative Interaktionsformen im Sinne eines digitalen ‚Community-Buildings‘ andererseits, zusammen. Die Untersuchung solcher digitalen Phänomene und ihrer Einbettung in die religiösen Alltagspraktiken von User:innen wird daher immer mehr zu einem eigenen Forschungsbereich, an dem sich die EZW auch mit ihrer Expertise beteiligt.1 Dennoch wird immer wieder bemängelt, dass viele Forscher:innen zwar ähnliche Kanäle, Videoformate oder User-Communities untersuchen, ähnliche Erkenntnisinteressen verfolgen und vergleichbare methodische Herausforderungen bewältigen müssen, ohne jedoch ausreichend miteinander in Austausch zu treten – eine Problematik, die typisch für ein sich gerade erst konstituierendes Forschungsfeld sein dürfte.
Vor diesem Hintergrund war es umso erfreulicher, dass Ende November in Aachen ein zweitägiges Netzwerktreffen von Religionswissenschaftler:innen und Theolog:innen zum Thema „Weltanschauliches Influencing“ stattfand, an dem auch der EZW-Mitarbeiter Philipp Hahn teilnahm und zusammen mit seinen Kolleginnen aus Bochum, Prof. Anna Neumaier und Ariane Kovac, das Forschungsprojekt REDiCON (Religion – Digitality – Confessionality) vorstellte. Organisiert wurde das Treffen von Dr. Knut Wormstädt (RWTH Aachen) und Nele Neidiger (Uni Göttingen) an der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen vom 22.-23. Nov. 2024. Neben Aktivitäten des Kennenlernens und informellen Austauschs fanden mehrere Projektpräsentationen mit anschließenden Diskussionsrunden statt; debattiert wurde hier beispielsweise über die Unterscheidbarkeit von politischem Populismus und religiösem Fundamentalismus (Marie Briese), über die Besonderheiten diskursanalytischer Auswertungsmethoden, über eine potentielle Rückwirkung der eigenen Forschung ins Feld. Am zweiten Tag bekamen wir einen Einblick in muslimische Erinnerungskultur und den Umgang mit islamischer Geschichte auf Instagram (Lale Diklitas) und eruierten das kritische Potential einer digitalen Sichtbarmachung islamischer Geschichte im Sinne eines Infragestellens gesellschaftlich oder innermuslimisch dominanter Narrative. Schließlich ging es um die Eigenheiten verschiedener Social-Media-Akteure der Ahmaddiyya-Gemeinschaft und um die Möglichkeiten der Auswertung der auditiv-visuellen Elemente ihrer Videos (Jasmin Eder). Immer wieder wurden Beispiele aus dem Feld gezeigt und gemeinsam Deutungsansätze entwickelt – eine Art kollektive Interpretation, die in dieser Form empirischer Forschung unabdingbar ist.
Zudem fand auch eine gemeinsame praktische Erkundung der Funktionsweisen und algorithmischen Muster von TikTok statt. Während diese Plattform besonders bei jugendlichen Internetnutzer:innen immer beliebter wird, begegnen viele Forscher:innen ihr mit Skepsis und einem Fremdheitsgefühl, da das Konsumverhalten und der Charakter der Inhalte stark von denjenigen der etablierten Plattformen Instagram, YouTube und Co. abweichen. Die gemeinsame Erkundung diente also auch dem Zweck, mögliche Berührungsängste abzubauen.
Den Mitarbeiter:innen des REDiCON-Projekts war es möglich, das Projekt erstmals in einem solchen Rahmen allgemein vorzustellen und das theoretisch und am Material erarbeitete Konzept „konfessionell-konfessorischer Praktiken“ zur Diskussion zu stellen. Zudem zeigte Ariane Kovac Auszüge aus den ersten Interviews, in denen sie Social Media-User:innen zu ihrer Rezeption religiöser digitaler Inhalte befragt hat, und stellte bereits einige interessante Beobachtungen vor: So wird beispielsweise deutlich, dass manche Befragten christlichen Content auf Social Media bewusst konsumieren, um den eigenen Horizont (auch über die eigenen konfessionellen Grenzen hinaus) zu weiten.
Im Laufe des Netzwerktreffens erwies es sich als besonders fruchtbar, dass sowohl Projekte vorgestellt wurden, die sich mit christlichen Influencer*innen beschäftigen, als auch Islamwissenschaftlerinnen ihre Arbeiten zu muslimischem Content auf Instagram und Co. zur Diskussion stellten. Hierdurch entstand eine fruchtbare Symbiose zweier Perspektiven, die sonst selten miteinander ins Gespräch gebracht werden. Gerade für die Mitarbeitenden des REDiCON-Projekts und ihre Fragestellung nach konfessionellen Praktiken auf Social Media war dies hilfreich: Als die theoretische Grundüberlegung des Projekts vorgestellt wurde, dass es sich bei Konfessionalität um diejenigen verbalen wie nonverbalen Aspekte im Auftritt christlicher Content Creator:innen handele, durch die Differenzen zu anderen christlichen Traditionen, Gruppen und Akteuren zum Ausdruck gebracht werden, kam von den anderen Teilnehmer:innen die Frage auf, ob performative Hervorbringungen derartiger innerreligiöser Unterschiede auch im muslimischen Content auf Social Media zu beobachten sind und ob diese Strukturähnlichkeiten zu einem innerchristlichen digitalen „doing differences“ aufweisen. Hierin könnte eine produktive Perspektiverweiterung der aufs Christentum fokussierten Arbeit des REDiCON-Projekts stecken.
In Summe war das Netzwerktreffen von großem Gewinn für alle Beteiligten und es bleibt zu hoffen, dass es in den kommenden Jahren wiederholt wird und sich daraus dauerhafte Formen der Zusammenarbeit ergeben.
Jan-Philipp Hahn, November 2024
Anmerkungen
- So haben mehrere Referent:innen bereits zu einschlägigen Phänomenen aus diesem Bereich Texte verfasst. Z.B. Claudia Jetter, Spiritual Influencers – New Forms of Authorisation in the Digital Age?, in: Religion&Development (2023), 1-21 (https://doi.org/10.30965/27507955-20230024); Martin Fritz, „In Zeiten wie diesen“. Theologische Beobachtungen zum evangelikalen Erfolgspodcast von Jana Highholder und Jasmin Neubauer, Webpage der EZW, Dez. 2024 (https://www.ezw-berlin.de/aktuelles/artikel/in-zeiten-wie-diesen-teil-1/).