Neues Stichwort: Life-Coaching

Michael Utsch gibt einen Überblick über verschiedene Beratungsmethoden.

Michael Utsch

„Coaching“ ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Beratungsmethoden, die in kurzer Zeit persönliche Entscheidungsprozesse, Teamprozesse oder eine Projektentwicklung fördern sollen. Im angloamerikanischen Raum wurde der Begriff „Coach“ bereits im 19. Jahrhundert an Universitäten für Mitarbeiter verwendet, die Studenten auf Prüfungen und sportliche Wettbewerbe vorbereitet haben. Populär wurde das Coaching jedoch erst im Hochleistungssport. In den 1970er Jahren wurden Coaching-Methoden in den USA als entwicklungsorientiertes Führen von Mitarbeitern durch den Vorgesetzten aus dem Sportbereich als Business-Coaching in Organisationen übertragen. Im deutschsprachigen Raum wird Coaching seit Mitte der 1980er Jahre angeboten (Rauen 2014).

Von der Wortbedeutung her ist der „Coach“ der Kutscher, der die Pferde des Wagens steuert. Später etablierte sich der Begriff im Sport und verdrängte die Bezeichnung „Trainer“. Heute ist er auch im Wirtschaftsleben und im Rahmen der individuellen Persönlichkeitsentwicklung präsent. Beschränkte sich Coaching zunächst auf ein exklusives Führungskräftetraining, hat sich daraus heute ein breit gefächerter Beratungsmarkt entwickelt. Coaching-Experten für die richtige Entscheidungsfindung sind dabei gut im Geschäft. Es gibt nicht nur Unternehmens-, Finanz-, Steuer- oder Verbraucherberater. Lehrer werden für den Schuldienst gecoacht, Politiker für Wahlkämpfe fit gemacht, Arbeitssuchende bei einer neuen Berufsfindung begleitet, Frauen darauf vorbereitet, nach der Familienphase wieder in den Beruf zurückzukehren, moderne Pfarrer unterziehen ihre Verkündigung einem „Predigtcoaching“. Darüber hinaus wird mittlerweile allen möglichen Lebenssituationen ein professioneller Beratungsbedarf unterstellt.

Während im Business-Coaching die Verbesserung von Arbeitsabläufen und der betrieblichen Kommunikation, die Verschlankung von Leitungsstrukturen und die Organisationsentwicklung im Mittelpunkt stehen, zielt das Life-Coaching auf das Glück und die persönliche Weiterentwicklung eines Klienten ab. Anders als bei der Supervision, die zu einem bewährten Instrument der Reflexion und Optimierung beruflicher Praxis – auch in der Kirche – geworden ist, sind die Entwicklungsziele eines Life-Coaching-Prozesses häufig nur vage formuliert und schwer zu überprüfen.

Das ganze Leben coachen – spirituelles Coaching

Wird das eigene Leben als Projekt mit prinzipiell grenzenlosen Möglichkeiten angesehen, appellieren heute einflussreiche Life-Coaches an die Kraft transformierender Wunschträume, die mit wenigen mentalen Tricks Wirklichkeit werden sollen: „Denke größer“ (Veit Lindau), „Entfalte dein volles Potential“ (Laura Malina Seiler). Große Coaching-Kongresse versprechen „Begleitung für deine spirituelle Reise“ (younity) oder werben mit „Entfessele deine wahren Stärken“ (Greator-Festival).

Die durch Kriege, Klimakatastrophen, Inflation und demokratiegefährdenden Extremismus hervorgerufene gesellschaftliche Krisenstimmung hat starke Bedürfnisse nach Sicherheit und Kontrolle entstehen lassen. Die Sehnsucht nach einfachen Rezepten wächst in dem Maß, wie die eigene Lebenswirklichkeit als komplex, unüberschaubar und widersprüchlich empfunden wird. Kein Wunder, dass Lebenshilfeangebote boomen, die mit griffigen Coaching-Rezepten in Aussicht stellen, den Alltag leichter, authentischer und wirksamer nach den eigenen Wünschen zu gestalten. Angebote zur individuellen Begleitung und ganzheitlichen Förderung, Übungen zur Leistungsverbesserung und Tipps zur Stressresistenz, zur Herstellung einer „Work-Life-Balance“ und zur Verwirklichung des eigenen Lebenstraums prägen diesen unübersichtlichen Markt. Viele dieser Themen reichen in die existenzielle Dimension der Sinngebung hinein. Auch die langen Wartezeiten für Behandlungsplätze in der Psychotherapie führen dazu, dass Menschen heute verstärkt Hilfe bei privaten Coaching-Anbietern suchen.

Coaching in den sozialen Medien

Die Angebote an Life-Coachings sind unüberschaubar und vielfältig. Häufig sind sie spirituell gefärbt, und zunehmend machen sie von den Möglichkeiten der sozialen Medien und des digitalen Lernens Gebrauch. Die Digitalisierung hat auch den spirituellen Weiterbildungsmarkt verändert. Reisten früher an Weiterentwicklung Interessierte ihren spirituellen Lehrerinnen und Lehrern hinterher, um ihnen persönlich mit Gleichgesinnten in Seminaren und Veranstaltungen zu begegnen, sind heute viele Coaches online auf eigenen Kanälen anzutreffen und kommen damit dem Ratsuchenden am mobilen Endgerät sehr nah. Internetportale wie „Greator“ (https://greator.com), „homodea“ (https://hd5.homodea.com) oder „younity“ (https://www.younity.com) bieten Tausende von Online-Kursen zu den Themen Selbstfindung, erwachtes Bewusstsein oder sinnerfülltes Leben an. Die Online-Kurse werden geschickt mit Präsenzmeetings und speziellen Großevents verknüpft, um die Kundenbindung zu festigen. Experten konstatieren mit Sorge, dass sich spirituelles Coaching mittlerweile als ein äußerst lukratives Social-Media-Geschäftsmodell etabliert habe (Steinmeyer 2024, 362ff.).

Durch die kostenlosen Videos am heimischen Computer wird die Neugierde auf eine echte Begegnung geweckt, die dann bei Coaching-Events als Großgruppenerlebnis und in individuellen Seminaren vertieft werden kann. Exemplarisch mag auf das angeblich weltweit größte Festival für die persönliche Weiterentwicklung verwiesen werden, das im Juni 2024 zum dritten Mal von der Firma „Greator“ in Köln durchgeführt wurde. Der Unternehmensname „Greator“ setzt sich aus den englischen Wörtern greatness (Großartigkeit) und creator (Erschaffer) zusammen. Teilnehmer sollen durch die Seminare, Fortbildungen und den Festivalbesuch zum „Erschaffer eines großartigen Lebens“ werden. Laura Seiler stellt in ihren Seminaren in Aussicht, Teilnehmende schnell und nachhaltig zu ihrer „Schöpferkraft“ zurückzuführen, mit deren Energie sie Wunschträume verwirklichen könnten.

Psychologie – eine zeitgemäße Heilslehre?

Nach dem Niedergang der universellen Heilslehren von Christentum, Sozialismus und Kommunismus ist heute für viele die Psychologie zum individuellen Glücksbringer und ultimativen Ratgeber für gelingendes Leben geworden. Durch die Säkularisierung wurden christliche Werte und Normen durch andere Lebenskonzepte und Leitbilder abgelöst und teilweise ersetzt. Psychologische Deutungen haben den Relevanzverlust des christlichen Wirklichkeitsverständnisses für sich zu nutzen gewusst und treten heute teilweise ganz unverblümt als Sinngeber und Orientierungsmaßstab auf. Wie in Bezug auf die Bio- und Medizintechnik ist die Vorstellung weit verbreitet, dass sich der Mensch mit Hilfe geeigneter Psychotechniken umfassend ändern und von lästigen Schwächen und Fehlern befreien könne. Die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten des medizinisch und therapeutisch Machbaren nähren die Menschheitsphantasien der Unverwundbarkeit und Unsterblichkeit. Permanente Gesundheit, Wohlbefinden und Erfolg gehören zu den Götzen des 21. Jahrhunderts. Aber gibt es wirklich einen psychologischen „Bypass“ für die dunklen und schmerzhaften Seiten der Seele und des Lebens? Selbst wenn psychologische Methoden bald seelisches Leiden verhindern oder gar ausmerzen könnten – wozu würden eine permanente Selbstoptimierung und Gesundheitssteigerung führen?

Im Spannungsfeld von Gesundheit, Psychotherapie und Spiritualität sind heute zahlreiche neue Glücksratgeber tätig, die einen großen Wachstumsmarkt bedienen. Der „Deutsche Coaching Verband“ schätzt, dass die Deutschen schon im Jahr 2019, vor der Corona-Pandemie, etwa eine halbe Milliarde Euro für spirituelles Coaching ausgaben – seither hat sich das Angebot gesteigert. Etwa 30.000 selbsternannte – oder von anderen Trainern zertifizierte – Coaches bieten bundesweit ihre Dienste an. Etwa 15 Prozent vom Jahresumsatz des deutschen Buchhandels werden mit Ratgebern esoterischer Lebenshilfe erwirtschaftet. Dabei bleibt es oft nicht bei der harmlosen Freizeitbeschäftigung abendlicher Lektüre. Manche Esoterikgläubige buchen Seminare und Kurse, flüchten sich von Heilsversprechen zu Heilsversprechen, nehmen zur Finanzierung einen Kredit auf oder geraten vor bösen Flüchen in Panik. Lebensentscheidungen werden von der Sternenkonstellation, angeblichen Engelbotschaften oder anderen magischen Zeichen abhängig gemacht (Lamberty und Nocun 2022; Pohl 2022).

Ein Schwarzbuch Personalentwicklung wirft der Coaching-Branche trotz zunehmender Professionalisierung fehlende Fachkenntnisse und ideologische Blindheit vor (Lau 2013). Aus dieser Perspektive stehen viele Trainer im Einflussbereich des verbreiteten Esoterikglaubens. Der Autor des Buches plädiert dafür, psychologische Hilfsmittel streng zielorientiert einzusetzen. Lernmethoden und Trainingskonzepte seien keine Weltanschauungen oder Ideologien. Umfassendere psychotherapeutische Konzepte gehörten nicht in personalwirtschaftliche Verfahren. Unverblümt werden Anbieter esoterisch gefärbter Trainingsverfahren als „Spinner in Nadelstreifen“ bezeichnet, deren Gefährlichkeit nicht zu unterschätzen sei.

Nach Einschätzung von Kulturwissenschaftlern erzeugt die Lebensmaxime des „Konsumismus“ mittelfristig ein Sinnvakuum. Die subjektive Lebenszufriedenheit speist sich nämlich schon lange nicht mehr aus materiellem Reichtum oder Besitz. Gerade in der jüngeren Generation werden heute Selbstbestimmung und Geborgenheit in sicheren sozialen Beziehungen als die wichtigsten Lebensziele verfolgt. Hier kommen existenzielle Fragen und spirituelle Bedürfnisse zum Vorschein, die auch im Rahmen eines professionellen Coachings zum Thema werden können. Insofern sollten Berater vorbereitet sein, fachlich versiert mit Sinnfragen und spirituellen Bedürfnissen umzugehen.

Der aktuelle Coaching-Markt kann mit der experimentierfreudigen Psychoszene der 1980er und 1990er Jahre verglichen werden. Der Wildwuchs an Therapieschulen und selbsternannten „Therapeuten“ ist inzwischen durch gezielte Forschungen, das Psychotherapeutengesetz aus dem Jahr 1999 und die Verkammerung dieses Heilberufs eingedämmt worden. Um auch im Coaching zukünftig die Spreu vom Weizen zu trennen, empfiehlt sich ein analoges Vorgehen. Die aktuelle Entwicklung zielt dabei auf Professionalisierung und wissenschaftliche Forschung im Business-Coaching – schon knapp ein Dutzend Hochschulen bieten akkreditierte Master-Studiengänge „Coaching“ an. Solche Anstrengungen fehlen auf dem Feld des Life-Coachings. Nur die wenigsten Anbieter sind psychologisch und psychotherapeutisch geschult, um etwaige Krisen, erinnerte Traumatisierungen oder manifeste psychische Störungen zu erkennen und zu behandeln. Hier besteht ein dringender Handlungsbedarf, um Teilnehmende besser vor Schädigungen zu schützen.

Sinn- und Wertefragen reflektieren und mitteilen

Zur qualitativen Einordnung eines Coaching-Angebots hat es sich bewährt, das zugrundeliegende Menschenbild der Methode und die transportierten Werte anzuschauen, um die Zielrichtung des Verfahrens besser zu verstehen. In den meisten Coachings werden Menschenbild und Grundwerte kaum reflektiert, geschweige denn kommuniziert. Erst vereinzelt nimmt ein „existenzielles Coaching“ oder „sinnorientiertes Coaching“ die weltanschaulichen Grundlagen der Beratung in den Blick (Längle und Bürgi 2014; Migge 2016). Gerade weil die Werte und das Menschenbild für den ethischen Qualitätsstandard eines Coachings maßgeblich sind, ist dieses Vorgehen zukunftsweisend. Es will die Freiheit und Potenziale der Person im Hinblick auf die eigene Verantwortung für die Gestaltung des Lebens mobilisieren und stärken – gerade im Coaching. Dieses anspruchsvolle Vorgehen analysiert zunächst die Grundmotivationen und Werte einer Person, um konkrete Veränderungsschritte im Alltag zu erreichen.

In einem Life-Coaching wird die persönliche Suche nach Sinn und das Eingebundensein in einen größeren Zusammenhang in der Regel zu einem zentralen Thema. Allerdings versagen hier die klassischen beraterischen Hilfsmittel. Existenzielle Fragen können nicht wissenschaftlich, sondern nur auf der Grundlage eines reflektierten Weltbildes beantwortet werden. Die persönliche Weltanschauung beantwortet die Fragen nach Sinn, Leid, Schuld und Tod. Sie liefert eine Deutungsfolie und einen Sinnhorizont, um angesichts der Absurditäten und des Leidvollen dieser Welt Trost, Hoffnung und Halt zu vermitteln. Coaches, die ihre weltanschaulichen Wurzeln offen kommunizieren, können diese als Ressourcen einsetzen (Uhlig 2015).

Spirituelles Coaching wird etwa mit den Lehren von Bhagwan/Osho begründet, aber auch der Dalai Lama gibt Ratschläge. Coaching-Tipps in der buddhistischen Zen-Tradition, in esoterischer, schamanischer, evangelikaler, franziskanischer oder pfingstkirchlicher Spiritualität sind in Buchform, Online-Kursen, Wochenendworkshops oder als Weiterbildung jederzeit verfügbar. Wenn das Coaching-Angebot die weltanschauliche Basis des Vorgehens transparent macht, kann die ratsuchende Person überprüfen, ob diese den eigenen Werten entspricht und zu den eigenen Bedürfnissen passt.

Eine Taskforce der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hat ein Positionspapier zum professionellen Umgang mit Spiritualität in Psychotherapie und Beratung vorgelegt (vgl. Utsch u.a. 2017). Hier wird einerseits auf die Bewältigungskraft von Spiritualität hingewiesen, durch die Hoffnung und Sinn vermittelt werden können, aber auch auf die berufsethischen Grenzen der ausschließlichen Verwendung wissenschaftlich überprüfter Verfahren. Zwischen beiden besteht ein Spannungsverhältnis. Keinesfalls sollen spirituelle Methoden das professionelle Handwerkszeug ersetzen. Unbestritten ist aber die Bewältigungskraft von positiver Spiritualität, deren Bedeutung in der Psychotherapie zunehmend erkannt wird. Dort sind klassisch religiöse Haltungen wie Achtsamkeit, Vertrauen oder Dankbarkeit therapeutisch adaptiert worden, um sie im Beratungsprozess nutzbringend anwenden zu können.

Professionalisierung im Business-Coaching, fehlende Standards im Life-Coaching

Erst festgelegte und überprüfbare Qualitätsstandards eines professionellen Berufsverbandes gewährleisten, dass Klienten fachlich geführt werden und keinem Motivationsguru auf den Leim gehen. Weil der Begriff „Coaching“ jedoch nicht geschützt ist und keine eindeutige professionelle Identität hat, tummeln sich unter diesem Label die unterschiedlichsten Angebote: Es gibt Glückscoaches, Hypnose-, Astro- und Tantracoaches, Bachblüten- und Kinesiologie-Coaching (der „feinstoffliche Mensch“) sowie Berater, die Karrierewege an der Schädelform ablesen wollen. Explizit spirituelles Coaching findet zunehmend Anklang bei Menschen mit einem ganzheitlich-esoterischen Gesundheits- und Weltverständnis (Kanning 2013). Kein Wunder, dass manche die Coaching-Szene als einen „Markt der schwarzen Schafe“ kennzeichnen.

Auf dem Feld des Business-Coachings wurde das Scharlatanerie-Problem in den letzten Jahren eingedämmt. Die Professionalisierung der etwa 300 Coaching-Ausbildungsinstitute in Deutschland ist weit fortgeschritten, und überprüfbare Qualitätsstandards wurden festgelegt. Intensiv hat man sich im Business-Coaching mit den Guru-Fallen und schwarzen Schafen in den eigenen Reihen beschäftigt. Schon 2005 hatte eine von der Deutschen Gesellschaft für Supervision und Coaching (DGSv) in Auftrag gegebene Studie ein „Scharlatanerie-Problem“ diagnostiziert, auf die Qualitätsprobleme dieser Branche hingewiesen und Professionalisierungsempfehlungen formuliert. Im Jahr 2010 etablierte der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) nach einem fünfjährigen Beratungsprozess ein eigenes Coaching-Zertifikat. Im Jahr 2011 legte der Fachverband für Supervision praktische Hinweise zur Unterscheidung von Supervision und Coaching vor.

Anbieter eines Business-Coachings grenzen sich in der Regel deutlich vom Life-Coaching ab. Viele deutschsprachige Berufsverbände des Business-Coachings haben sich zusammengeschlossen, um für Professionalität und Qualitätssicherung eines Berufsfeldes zu sorgen, das durch Life-Coaches in Verruf geraten ist. Um verbindliche Coaching-Standards zu etablieren, arbeiten sie deshalb im sogenannten „Roundtable der Coachingverbände“ (RTC) zusammen. Ziel dieses Dachverbandes ist es, Coaching-Interessenten vor unseriösen Angeboten zu schützen und ihnen Zugang zu gut ausgebildeten und verantwortungsbewussten Beratern zu bieten. Dieser Zusammenschluss der dreizehn größten Coaching-Verbände in Deutschland vertritt rund drei Viertel der organisierten aktiven Coaches. Der Dachverband hat zur Qualitätssicherung im Jahr 2018 eine eigene Ethikrichtlinie herausgegeben, die ausdrücklich die „Bezugnahme auf sektiererische oder esoterische Praktiken“ ausschließt (RTC 2018). Business-Coaches verwenden wissenschaftlich überprüfbare Methoden und arbeiten an präzisen Zielen. Außerdem bevorzugen sie in der Regel das Einzelgespräch oder Kleingruppen. Demgegenüber stellen Life-Coaches zumeist unrealistische Ziele bis hin zu Heilsversprechen in Aussicht. Darüber hinaus bevorzugen sie Massenveranstaltungen, bei denen durch geschickte Gruppendynamik recht einfach euphorisierende Prozesse ausgelöst werden können.

Beratungsziele klären!

Ein Hauptproblem des Coachings besteht darin, dass seine Ziele meist erst im Laufe eines Beratungsprozesses klarer hervortreten. Zuweilen ändern sie sich auch, weil im Beratungsverlauf die Bedeutung bislang unbekannter Einflussfaktoren verstanden wird. Manchmal berühren die Fragen zudem existenzielle Themen. Wie mit religiösen und spirituellen Bedürfnissen professionell umzugehen ist, wird derzeit in Fachverbänden intensiv diskutiert und ist noch weitgehend unklar. Coaching kann helfen, Kommunikationsprozesse zu fördern, Strukturen zu klären und Entwicklungsprozesse anzustoßen. Eine fachlich begründete Beratung hat dabei immer ein klar begrenztes und erreichbares Beratungsziel im Blick. Allerdings versprechen viele Coaching-Angebote, optimale Selbstentfaltung und Selbst(er)findung möglich zu machen und teilweise auch existenzielle Lebensfragen beantworten zu können.

Keine fremde Expertenmeinung sollte den eigenen gesunden Menschenverstand ersetzen. Wenn Alltagskonflikte sofort an „Fachleute“ weitergeleitet werden, ist der Einzelne zwar zunächst der Verantwortung enthoben. Eine solche „Delegationsmentalität“ wird sich aber als Bumerang erweisen, weil sie übersieht, dass eine Persönlichkeit maßgeblich an der Bewältigung von Krisen wächst. Wird allen Konflikten und Krisen aus dem Weg gegangen, beraubt man sich der zwar schmerzhaften und mit Niederlagen verbundenen, aber letztlich charakterprägenden Identitätsbildung. Außerdem sollte man bedenken, dass auf diese Weise anderen Menschen Einfluss auf das eigene Leben eingeräumt wird, was ausgenutzt werden und bis in die Unmündigkeit führen kann.

Spirituelles Coaching und die Guru-Falle

Der Trend zur Selbstoptimierung, dem die meisten Life-Coachings folgen, hat deutliche Kritik hervorgerufen (Röcke 2021; Meister 2022; Curran 2023). Was früher Gurus waren, seien heute Life-Coaches, meinen Kritiker. Durch Sprechgesänge wie „Du kannst alles schaffen!“, „Ich bin meine eigene Sonne“ oder „Glück ist eine Entscheidung“ würden Tausende begeistert und in gezielter Gruppendynamik euphorisiert. Life-Coaching sei das neue Heilsversprechen, dessen Gurus Deutschlands Hallen füllen. Staatliche und kirchliche Beratungsstellen für Weltanschauungsfragen erhalten eine wachsende Zahl von Anfragen, bei denen Teilnehmer von Persönlichkeitstrainings von ihrem Eindruck berichten, dass es dort wie in einer Sekte zugegangen sei (Lamberty und Nocun 2022; Pohl 2022). Manche Betroffene fühlten sich durch Seminare so stark geschädigt, dass sie juristisch gegen die Leiter vorgegangen sind.

Die Sehnsucht nach existenzieller Orientierung und spiritueller Führung nimmt in unserer komplexen, pluralistischen Gesellschaft stetig zu. Dieses Klima bildet allerdings einen günstigen Nährboden für weltanschauliche Heilsversprechen und spirituelle „Meister“. Die Klärung und Transparenz der beraterischen Rolle und Haltung sind ohne Zweifel der Dreh- und Angelpunkt bei der Bewertung spirituell offener Angebote. Die sorgfältig ausgearbeiteten Berufsethiken der Psychotherapeuten und der Berater wollen insbesondere die spezifische therapeutisch-beraterische Beziehung schützen – ein Berater kann und darf keine Abhängigkeiten herstellen und kein Guru sein!

An der Schnittstelle von Coaching und Spiritualität sind noch viele Fragen ungeklärt, auch wenn einige Vorarbeiten bereits geleistet wurden (Fiedler 2013; Migge 2016; Utsch 2017). Es ist zu wünschen, dass die Gratwanderung zwischen Klientenschutz und Nutzung empirisch geprüfter Ressourcen positiver Spiritualität bei der Weiterentwicklung des Coachings intensiver reflektiert wird und dass die spirituellen Ressourcen in der Praxis stärker genutzt werden – sofern sie bei den Klienten vorhanden sind.


Michael Utsch, 15.12.2024

 

Literatur:

Curran, Thomas (2023), Nie gut genug. Die fatalen Folgen des Perfektionismus – und wie wir uns vom Selbstoptimierungsdruck befreien können, Reinbek: Rowohlt.

Fiedler, Adelheid (2013), Gott im Coaching?, Kassel: Kassel University Press.

Kanning, Uwe Peter (2013), Wenn Manager auf Bäume klettern. Mythen der Personalentwicklung und Weiterbildung, Lengerich: Pabst Science.

Lamberty, Pia und Katharina Nocun (2022), Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik, Köln: Quadriga.

Längle, Alfried und Dorothee Bürgi (2014), Existentielles Coaching, Wien: Facultas.

Lau, Viktor (2013), Schwarzbuch Personalentwicklung. Spinner in Nadelstreifen, Stuttgart: Steinbeis.

Meister, Juliane Marie (2022), Ich möchte lieber nicht. Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven. München: Piper.

Migge, Björn (2016), Sinnorientiertes Coaching, Weinheim: Beltz.

Pohl, Sarah (2022), Spiritueller Schiffbruch? Sich selbst und anderen in Sinnnot helfen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Rauen, Christopher (2014), Coaching, Göttingen: Hogrefe.

Röcke, Anja (2021), Soziologie der Selbstoptimierung, Berlin: Suhrkamp.

RTC (2018), „Ethisches Verhalten im Coaching. Ein Commitment des Roundtable der Coachingverbände“, Roundtable Coaching e.V., https://tinyurl.com/2wry78ej.

Steinmeyer, Georg (2024), „Machtmissbrauch im Spirituellen Coaching: Phänomene, Gegenmaßnahmen, Prävention“, ZRW 87,5, 351–367.

Uhlig, Ralph (2015), „Christliche Spiritualität als Ressource im Coaching“, Coaching-Magazin 2/2015, 54–58.

Utsch, Michael (2017), „Auf der Suche nach Sinn – die existenzielle Dimension im Coaching“, Wirtschaftspsychologie aktuell 24,2, 57–60.

Utsch, Michael u.a. (2017), „Empfehlungen zum Umgang mit Religiosität und Spiritualität in Psychiatrie und Psychotherapie. Positionspapier der DGPPN“, Spiritual Care 6/1, 141–146.

Ansprechpartner

Foto Dr. Michael UtschProf. Dr. phil. Michael Utsch
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
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