Eine neue E-Learning-Qualifizierung für Fachkräfte im Jugend- und Kinderschutz
Weiterbildung „Weltanschauungsbeauftragte/r“
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Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe werden immer häufiger mit Fällen konfrontiert, bei denen radikalisierte familiäre Strukturen das Kindeswohl gefährden. Manchmal wurden Kinder und Jugendliche durch den unkritischen Konsum ideologisch einschlägiger Internetportale unabhängig vom Familienkontext radikalisiert. Waren früher „Sekten“ einflussreich, sind heute vor allem Angebote esoterischer Lebenshilfe, Verschwörungserzählungen, Livecoaching, christlich-fundamentalistische Gruppen, Reichsbürgertum und andere ideologische Strömungen verbreitet und nachgefragt, die eine amtliche Familienhilfe nötig machen.
Weiterbildungen zu „Weltanschauungsbeauftragten“ waren früher eine rein kirchliche Domäne. Seit Jahrzehnten haben verschiedene Landeskirchen und auch die EZW entsprechende Fortbildungen durchgeführt. In den Jahren 2009, 2010 und 2017 wurde beispielsweise von der EZW die zweijährige Spezialfortbildung „Curriculum für Religion- und Weltanschauungsfragen“ für primär kirchliche Mitarbeiter durchgeführt (https://www.ezw-berlin.de/publikationen/artikel/curriculum-religions-und-weltanschauungsfragen-erfolgreich-abgeschlossen/). Die bayrische und die hessische Landeskirche bieten ähnliche regionale Qualifizierungen an (Bayern das „Curriculum Apologetik“: Curriculum Apologetik 2024-2027_2.pdf; Hessen den „Ökumenischen Kompaktkurs Weltanschauungsfragen“: Weltanschauungsfragen: Kompaktkurs 25/26).
Aufgrund ihrer besorgniserregenden Verbreitung finden religiöse und ideologische Radikalisierung und Extremismusprävention heute intensive mediale Beachtung und sind zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe geworden. Der kleine, junge Berliner Verein „Interdisziplinäres Zentrum für Radikalisierungsprävention und Demokratieförderung (IZRD)“ hat sich zum Ziel gesetzt, durch verschiedene Projekte strukturellem Rassismus entgegenzuwirken. Die zivilgesellschaftliche Initiative orientiert sich dabei an einem humanistischen Menschenbild und will Demokratie und Toleranz gemäß der freiheitlich-demokratischen Grundordnung fördern.
Um den Weiterbildungsbedarf von Jugendamt-Mitarbeitenden im Extremismusbereich präziser zu erfassen, hat der Verein im letzten Jahr ausführliche Interviews mit 25 Fachkräften geführt und dazu Ende letzten Jahres einen Ergebnisbericht vorgelegt. Die Interviews zeigen auf, dass die genannten Konfliktfelder in den Jugendämtern zunehmend thematisiert werden. Rechtsextremismus und Reichbürgertum wurden am häufigsten genannt, er auch Verschwörungsdenken, religiöser Extremismus, christlicher Fundamentalismus und geschlossene, sektenähnliche Gruppen waren Belastungs- und Störfaktoren in Jugendamtsfällen. Die Bearbeitung solcher Fälle wurde von allen Fachkräften als deutlich intensiver und herausfordernder als andere beschrieben. Die meisten Fachkräfte fühlten sich unsicher und überfordert, weil ihnen religionskundliches Wissen fehle. Wegen ihrer Komplexität würden solche Fälle deutlich mehr zeitlichen Aufwand erfordern. Darüber hinaus seien sie häufig emotional oder politisch aufgeladen, was eine zusätzliche Belastung darstelle.
Die Fachkräfte sahen ihre Kernaufgabe im Kinderschutz. Häufig fühlten sie sich jedoch nicht kompetent, ab wann es sich in einem Fall überhaupt um Extremismus oder Radikalisierung handelt. Wichtig war es allen Befragten, ihre fachlichen und persönlichen Grenzen nicht zu übergehen. Einhellig wurde der Bedarf geäußert, fehlendes Fachwissen zu ergänzen, an der eigenen Haltung gegenüber existentiellen Fragen zu arbeiten und durch intensive Fallsupervision mehr Sicherheit auf diesem neuen Themengebiet zu erhalten. Als eine besondere Herausforderung wurde in den Interviews genannt, eine konstruktive Arbeitsbeziehung mit weltanschaulich-konflikthaften, radikal oder extremistisch geprägten Erziehungsberechtigten einzugehen. Diese wurden oft als nicht zugänglich und unkooperativ beschrieben. Einige Fachkräfte berichteten davon, dass extremismusbezogene Fälle auch zu Spannungen und Konflikten innerhalb des Teams geführt habe, was die Fallbearbeitung zusätzlich erschwert habe. Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Bedarfserhebung wies auf die mangende Vernetzung und interdisziplinäre Kooperation hin.
Der Verein hat aufgrund seiner Bedarfsanalyse eine E-Learning-Qualifizierung konzipiert, die Ende dieses Jahres starten soll. Sie umfasst religionskundliche Inhalte, deeskalierende Gesprächstechniken sowie die Arbeit an der eigenen weltanschaulichen Haltung. Damit unterscheidet sich diese Weiterbildung nur unwesentlich von den zuvor in kirchlicher Trägerschaft durchgeführten Kursen. Eine bessere Vernetzung der zivilgesellschaftlichen und der staatlichen Weltanschauungsarbeit mit den kirchlichen Anbietern könnte sich für beide Seiten als gewinnbringend erweisen, weil sich der theologisch-seelsorgliche und sozialpädagogisch-beratende Ansatz sinnvoll ergänzen.
Michael Utsch, 21.02.2025
Link zum Angebot: https://www.izrd.de/de/projekte-2/weiterbildungskurs-weltanschauungs-und-extremismusbeauftragte-welex.html
Ansprechpartner
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