Confessio 3/2023 (Gastbeitrag)

Wie viele Muslime gibt es in Deutschland?

Dr. Harald Lamprecht, Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens sowie Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen, verfasste jüngst einen Beitrag zur aktuellen Religionsstatistik auf Grundlage der 6. EKD-Mitgliedschaftsuntersuchung. Sein Artikel ist auf Confessio.de erstveröffentlicht. Wir empfehlen diesen Text für eine eingehende Lektüre.

Für diejenigen, die sich mit der Thematik befassen, ist es eine Binsenweisheit, für alle anderen aber oft überraschend: Genaue Zahlen zur Statistik von Religionszugehörigkeiten zu erheben ist extrem schwierig. In der von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) herausgegebenen „Zeitschrift für Religion und Weltanschauung“ gibt Edgar Wunder einen differenzierten Überblick über den aktuellen Forschungsstand. Er ist Soziologe und arbeitet beim sozialwissenschaftlichen Institut der EKD. Seine Ausführungen werden nachfolgend zusammengefasst. Für eine detailliertere Diskussion sei auf den Artikel verwiesen.1

Christliche Kirchen

Noch relativ einfach und zuverlässig sind die Daten der beiden größeren Kirchen in Deutschland zu erheben, weil sowohl die evangelischen Landeskirchen als auch die römisch-katholischen Bistümer sich um eine genaue Mitgliederstatistik bemühen. Der ist zu entnehmen, dass am 31.12.2022 20,94 Mio. Menschen den katholischen Bistümern und 19,15 Mio. den Gliedkirchen der EKD angehörten. Weil die Gesamteinwohnerzahl von Deutschland nicht exakt bekannt ist, da sie auf einer fehlerbehafteten Extrapolation der Daten des letzten Zensus beruht, bleibt bei der Umrechnung in Prozentangaben eine Unsicherheit. Edgar Wunder schätzt einen Anteil von 22,7% evangelischen und 24,8% röm.-kath. Kirchenmitgliedern in Deutschland. Dieser Anteil sinkt durch Demografie und Austritte jährlich um ein bis zwei Prozent. Statistisch fallen die anderen autochthonen christlichen Kirchen (Freikirchen, NAK) mit ca. 2,2% und die Kirchen mit überwiegendem Migrationshintergrund (wozu u.a. die orthodoxen Kirchen zählen) mit ca. 2% weniger ins Gewicht. Insgesamt ergibt sich damit für Ende 2022 in Deutschland ein christlicher Bevölkerungsanteil von 51,7%. Durch den jährlichen Schwund wird er 2024 unter die 50% Marke fallen.

Konfessionslosigkeit

Die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD (KMU) versuchte, in der befragten repräsentativen Stichprobe der Bevölkerung auch Menschen ohne Religionszugehörigkeit zu erfassen. Die Ergebnisse bestätigen entsprechende Hochrechnungen und kommen auf einen Anteil von 42,7% von Menschen, „die ihr Leben ohne Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft führen und deuten“, so eine Definition der EKD von 2020 zum Phänomen der Konfessionslosigkeit. Allerdings ist zu bedenken, dass eine solche Negativ-Kategorisierung in keiner Weise eine irgendwie geschlossene Gruppe beschreibt. Ein Beispiel: Die Gruppe der Nicht-Veganer eint lediglich, dass sie sich nicht zu rein veganer Ernährung verpflichtet sehen. Ansonsten haben sie keine Gemeinsamkeiten. Es gibt keine kollektiven gemeinsamen Interessen oder Verpflichtungen, kein gemeinsames Bekenntnis geschweige denn eine Organisation und praktisch alle von Ihnen essen auch gelegentlich Brot und Äpfel. Ähnlich sind die Konfessionslosen lediglich in keiner religiösen Organisation. Wie sie religiös empfinden, ob und wie oft sie dennoch beten, ist damit nicht erfasst. Organisierte Weltanschauungsgemeinschaften, unter ihnen vor allem die atheistisch/humanistischen Verbände (wie u.a. der Humanistische Verband Deutschland), kommen lediglich auf 0,3% der Bevölkerung.

Ethnie oder Mitgliedschaft?

Im Blick auf die statistische Erfassung der Zugehörigen zu nichtchristlichen Religionsgemeinschaften stellen sich grundlegende Probleme. 

Etliche dieser Gemeinschaften haben gar kein Konzept einer „Mitgliedschaft“, das dem christlichen Verständnis vergleichbar wäre. Sie sind mehr über ihre Herkunft definiert. Die Möglichkeit eines Austrittes ist oft gar nicht vorgesehen. Das betrifft nicht nur streng mit einer Ethnie verbundene Gemeinschaften wie z.B. die Drusen oder die Eziden, sondern auch den Islam als Ganzes – jedenfalls in den meisten seiner Ausprägungen weltweit. 

Inwieweit sich Menschen aus muslimisch geprägten Ländern möglicherweise auch selbst aktiv als „Mitglieder“ ihrer Religionsgemeinschaft verstehen, lässt sich in gewisser Weise über ihr persönliches finanzielles Engagement schlussfolgern. So wollte die 6. KMU von den muslimischen Befragten wissen: „Sind Sie Mitglied einer muslimischen Gemeinschaft, an die Sie regelmäßig finanzielle Beiträge bezahlen“? Unter denen, die sich selbst der Religion des Islam zurechneten, betraf das lediglich 14% – ein Ergebnis, dass dem der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ entspricht (14,8%). 

Bandbreite der Schätzungen

Nach diesem – im Blick auf das Christentum durchaus etablierten – Kriterium würde laut Edgar Wunder der muslimische Bevölkerungsanteil in Deutschland zwischen 0,5 und 1,2% liegen – je nachdem, welche Gesamtzahl von Menschen aus mehrheitlich muslimischen Ländern in Deutschland man annimmt. Andere Untersuchungen versuchten, mit einer expliziten Frage nach „Religionszugehörigkeit“ sogenannte „Kulturmuslime“ auszufiltern. Damit kam die Studie des BAMF „Muslimisches Leben in Deutschland“ von 2020 auf einen muslimischen Anteil von 6,4 bis 6,7% der Bevölkerung. Der Religionsmonitor 2023 der Bertelsmann-Stiftung verzeichnet hingegen einen muslimischen Bevölkerungsanteil von 8,5%, wobei allerdings auch „konfessionslose Muslime“ dazugezählt wurden. Die „Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland“ (fowid) der Giordano-Bruno-Stifung postuliert einen Anteil von 3,6%. Je nach Definition von „Religionszugehörigkeit“ und verwendeter Erhebungsmethodik ergibt sich also eine Bandbreite zwischen 0,5 und 8,5% muslimischen Bevölkerungsanteil in Deutschland. Im Zusammenhang mit den oben geschilderten bekannten anderen Werten lässt sich dieses Ergebnis aber noch etwas präzisieren. 

Fazit

Wenn man von 100% deutscher Bevölkerung 51,7% Christen und 42,7% Konfessionslose abzieht, bleiben rechnerisch 5,6% übrig. Für Edgar Wunder ist es eine plausible Annahme, dass davon 0,2% auf die autochthone Bevölkerung entfallen (also z. B. deutsche buddhistische Gruppen) und 3,8 bis 4,5% auf den Islam sowie 0,9 bis 1,6% auf andere nichtchristliche Religionsgemeinschaften. Wesentlich genauere Zahlen gibt es nicht und sind wegen der konzeptionellen Probleme auch nicht realistisch zu erwarten.

Harald Lamprecht

  1. ZRW 5/2023, S. 346-358

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