„Zu Gast zu Hause“: Das Frankfurter interreligiöse Dialogzelt in Zeiten des Lockdowns

Bereits zum dritten Mal wurde vom 9. bis 12. Mai das Frankfurter „Dialogzelt“ aufgeschlagen. Pandemie-bedingt musste die interreligiöse Veranstaltung diesmal in den digitalen Raum verlegt werden. Auch wenn dies den persönlichen Austausch erschwerte, ermöglichte das Online-Format doch eine deutlich erleichterte überregionale Beteilung.

Alexander Benatar
Weiß-rote Zirkuszelte

Bereits zum dritten Mal schlug vom 9. bis 12. Mai ein Zusammenschluss diverser Dialoginitiativen und Religionsgemeinschaften aus dem Raum Frankfurt a.M. ein interreligiöses „Dialogzelt“ auf. Das gewählte Symbol des Zeltes soll dabei für Offenheit und Beweglichkeit stehen; überdies spielten Zelte in vielen religiösen Traditionen eine wichtige Rolle – man denke nur an Erzählungen aus der hebräischen Bibel oder dem Koran. Nachdem die erste Veranstaltung unter dem Motto „Unter einem Zelt – Triff deinen Nachbarn“ im Mai 2018 noch unter einem echten Zelt an der Bockenheimer Warte in Frankfurt hatte stattfinden können, musste man die dritte Begegnung nun Pandemie-bedingt in den digitalen Raum verlegen. Auch wenn der persönliche Austausch durch diese seit über einem Jahr das gesamte Leben betreffenden neuen Umstände erschwert wurde, ermöglichte das Online-Format eine deutlich erleichterte überregionale Beteilung.

In diesem Jahr lud die inzwischen auf 20 Gemeinschaften und Initiativen angewachsene Projektträgerschaft zu insgesamt 55 digitalen Veranstaltungen ein, die angesichts der geänderten Umstände unter einen passenden Leitsatz gestellt wurden: „Unter einem Zelt – Zu Gast zu Hause!“ Das diesjährige Programm bestand sowohl aus digitalen Ausstellungen und Zoom-Meetings als auch aus Filmvorführungen sowie Podiumsdiskussionen in Form von YouTube-Livestreams. Ebenfalls vielfältig waren die im „Dialogzelt“ behandelten Themen. Das Spektrum reichte von aktuellen ökumenischen Reformbemühungen und der islamisch-theologischen Perspektive auf Nachhaltigkeit über jüdisches Leben in Frankfurt und Sarajevo als „Jerusalem Europas“ bis zur Bedeutung von Fußball für den interreligiösen Dialog, interkulturellen musikalischen Darbietungen und Kochkursen. Einen spirituellen Rahmen bildeten neben einem multireligiösen Gebet zum Auftakt des viertägigen Dialogzelts ein jüdisches Morgengebet, ein ökumenischer Gottesdienst, eine buddhistische Meditation und in den letzten Tagen des islamischen Ramadan ein gemeinsames abendliches Fastenbrechen.

Zu den auch nach Abbau des Dialogzelts noch abrufbaren YouTube-Livestreams gehört u.a. eine Einführung in die aus Nordindien stammende Sikh-Religion durch Khushwant Singh, den Leiter des Sekretariates der Internationalen Partnerschaft zu Religion und Nachhaltiger Entwicklung (PaRD) und ehemaligen Vorsitzenden des Rates der Religionen Frankfurt, sowie eine Podiumsdiskussion zum Thema „Was beschäftigt Muslim*innen in Deutschland?“ In dieser Veranstaltung diskutierten fünf VertreterInnen diverser muslimischer Organisationen u.a. vor dem Hintergrund des rassistisch motivierten Anschlags im nahen Hanau vor gut einem Jahr engagiert darüber, inwiefern es eigentlich noch angemessen sei, dass sich die Kinder der sog. „Gastarbeiter“-Generation auch Jahrzehnte nach Ankunft ihrer Eltern in Deutschland noch als Gäste behandelt fühlen müssten.

Weiterhin online verfügbar ist auch ein Gespräch zwischen Florian Dernbach, Geschäftsführer der Malteser Frankfurt, und dem Politik- und Religionswissenschaftler Ertuğrul Şahin über „Humanitäre Hilfe und Interreligiöse Begegnung“. Der katholische Malteser Hilfsdienst begreife Hilfe als einen Gottesdienst nach dem Vorbild Jesu Christi, betonte Dernbach. Sein Gegenüber Şahin wiederum ergänzte, dass Werte wie Barmherzigkeit, Nächstenliebe und Gerechtigkeit auch aus der islamischen Theologie begründbar seien, die jährliche Almosenabgabe „Zakat“ zähle als eine der sog. „fünf Säulen“ des Islam sogar zur religiösen Pflicht für MuslimInnen. Als ein gewisses Problem beschrieb er jedoch den Umstand, dass die Hilfstätigkeit häufig auf die je eigene Community beschränkt bliebe. Ein größerer muslimischer Wohlfahrtsverband werde in Deutschland gerade erst gegründet. Diesen begrüßenswerten Entwicklungen gelte es ein auch religiöses Fundament zu geben. Man müsse eine „Theologie der Not und Armut“ entwickeln, beschrieb Şahin das von ihm ausgemachte Desiderat.

Zu den Trägerorganisationen des diesjährigen Dialogzelts zählten neben der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach auch die Katholische Kirche in Frankfurt, die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Frankfurt, der Rat der Religionen Frankfurt, das Tibethaus, der hessische Landesverband des Zentralrats der Muslime sowie DITIB Hessen und das Interreligiöse Forum Bahnhofsviertel. Gefördert wird das Projekt außerdem u.a. durch die Hessische Landeszentrale für politische Bildung, das Bundesinnenministerium, die Deutsche Islam Konferenz und das Abrahamische Forum in Deutschland.

Alexander Benatar
 
Veranstaltungslink: https://www.unter-einem-zelt.de/

Ansprechpartner

Foto Dr. Alexander BenatarDr. phil. Alexander Benatar
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
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10117 Berlin