„Zwischen Pauschalisierung und Differenzierung. Einstellungen gegenüber Muslim:innen und dem Islam in Deutschland“ (Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung Juni 2024) lautet der Titel des jüngst veröffentlichten aktuellen Religionsmonitors der Bertelsmann-Stiftung. Er nimmt auf der Basis von in den Jahren 2022 und 2023 erhobenen Daten eine Bestandsaufnahme von Ausmaß und Formen der Islam- und Muslimfeindlichkeit in Deutschland vor.
Stärker als frühere Studien differenziert der von Isabell Diekmann und Olga Janzen unter Mitarbeit von Yasemin El-Menouar verfasste Religionsmonitor ausdrücklich zwischen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er macht so, über die Analyse von Verhaltensintentionen, die fragebogenbasierte quantitative Vorurteilsforschung auch an andere Forschungsperspektiven anschlussfähig.
Zur Verbreitung muslimfeindlicher Einstellungen in Europa
Muslimfeindliche Einstellungen erweisen sich, wie El-Menouar in ihrer Einführung (6-16) ausführt, als ein weit über Deutschland hinausgehendes, europaweites Phänomen, wobei Polen mit einem Anteil von 54 Prozent von Befragten, die im Islam eine Bedrohung sehen, den in Deutschland erhobenen Wert (52 Prozent) nochmals übertrifft. Im Vergleich zu anderen Religionen wie dem Christentum, dem Buddhismus und dem Hinduismus, die in Deutschland mehrheitlich als bereichernd und von nur wenigen (10-20 Prozent) als Bedrohung wahrgenommen werden, nimmt der Islam somit El-Menouar zufolge eine „Sonderstellung“ (7) ein. Insofern jedoch im aktuellen Religionsmonitor Vorurteile gegenüber dem Islam als Religion und gegenüber den Muslimen als Mitbürgern gesondert analysiert werden, wird zugleich ausdrücklich zwischen Islam- und Muslimfeindlichkeit unterschieden. So habe das Phänomen der Ablehnung und Ausgrenzung von Muslimen, so eines der zentralen Ergebnisse der Studie, wesentlich mit der Unterstellung zu tun, Muslime seien für Extremismus besonders anfällig: Diese Unterstellung löse, so El-Menouar, „den stärksten Distanzierungsreflex“ aus (11).
Islam- und Muslimfeindlichkeit hängen zusammen, sind aber nicht identisch
Das innovative Design des federführend von Diekmann und Janzen verantworteten Religionsmonitors besteht methodisch darin, entlang der ermittelten inhaltlichen Dimensionen eine systematische Adressatendifferenzierung (Islam- und Muslimfeindlichkeit) vorzunehmen. Zu den wesentlichen Indizes, die dieser Differenzierung dienen sollen, gehören zum einen die „Zuschreibung von Bedrohung“, bei der es implizit um eine „zugeschriebene Inkompatibilität mit der sozialen Ordnung und Werten des ‚Westens‘“ geht, zum anderen die konkret auf den islamistischen Terrorismus sowie auf den aktiven Aufruf zur Gewalt abhebende „Zuschreibung von Islamismus“ (20). Stimmen mit Blick auf den Islam als Religion zwei Drittel der Befragten (66 Prozent) der Aussage zu, „der Islam richte sich gegen die Freiheiten und Rechte der Menschen“, sind es bei der Aussage, der Islam rufe zur Gewalt auf, 57 Prozent, bei der Aussage, „dass islamistische Terrorist:innen starken Rückhalt im Islam finden“ (23), 73 Prozent. Frauenfeindlichkeit und Rückständigkeit werden dem Islam von jeweils drei Viertel der Befragten (75 und 74 Prozent) zugeschrieben, 54 Prozent sehen im Islam „in erster Linie eine politische Ideologie“ (26). Anders hingegen verhält es sich, werden die genannten Indizes auf die Muslime selbst bezogen: Hier sind es, um nur einen Index zu nennen, bei der „Zuschreibung von Islamismus“ als Aufruf zur Gewalt statt 57 nunmehr 45 Prozent, beim Rückhalt islamistischer Terroristen im Islam statt 73 nunmehr 58 Prozent. Als eine Erklärung dafür, dass der Islam im Vergleich zu Muslimen (bei sonst wortgleichen Aussagen) „als signifikant bedrohlicher, dem Islamismus näher, unterdrückender und rückständiger wahrgenommen“ (29) wird, benennen die Autorinnen die Kontakthypothese, der zufolge Begegnungen und Kontakte zu Muslimen dabei helfen, Vorurteile abzubauen. Nicht alle Vorurteile gegenüber dem Islam werden somit automatisch auf Muslime projiziert.
Soziodemografische Perspektiven auf Vorurteile und Verhaltensabsichten gegenüber Muslimen
Ein zentrales Kapitel der Studie widmet sich „Verhaltensintentionen gegenüber Muslim:innen“ und zeigt auf, dass insbesondere die jüngere Generation der 16- bis 24-Jährigen mit dem nachbarschaftlichen Zusammenleben mit Muslimen oder der Wahl eines muslimischen Gläubigen ins Bürgermeisteramt sehr viel weniger Probleme hat als andere Alterskohorten: „Jüngere Menschen wachsen viel selbstverständlicher in einer diversen, multireligiösen Gesellschaft auf, haben – etwa in Schule und Ausbildung – mehr Kontakte zu Muslim:innen und damit einhergehend geringere Vorurteile“ (39). Für alle Alterskohorten sowie sozialen Milieus hingegen gilt: „Je stärker ausgeprägt die Vorurteile sind, desto stärker fallen auch Distanzierungs- und Diskriminierungsbestrebungen aus“, wobei die Dimension „Islamismus“ am stärksten mit den angegebenen Verhaltensabsichten zusammenhängt: „Unterstellter Islamismus und unterstellte Gewalt sind besonders starke Indikatoren für distanzierende und diskriminierende Verhaltensabsichten gegenüber Muslim:innen“ (41).
Differenzierteres Wissen zum Islam als Prävention – Mehr als Handlungsempfehlungen
Der aktuelle Religionsmonitor beschränkt sich jedoch nicht nur auf die nüchterne Analyse und Beschreibung der in Deutschland (und Europa) verbreiteten Islam- und Muslimfeindlichkeit, sondern legt in einem abschließenden Abschnitt auch Empfehlungen für präventive Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung vor, die als solche aufgrund weittragender interpretativer Prämissen und Setzungen durchaus Anlass zu kritischen Rückfragen geben. Zu einer zentralen Empfehlung des Religionsmonitors gehört beispielsweise, wie El-Menouar bereits in der Einführung der Studie betont, „ein differenzierteres Wissen über die religiöse Vielfalt in Deutschland und insbesondere über das muslimische Leben in diesem Land“: Wesentlich sei dafür die Unterscheidung „zwischen fundamentalistisch gesinnten Minderheiten – wie islamistischen Strömungen – und der breiten Vielfalt muslimischer Glaubenshaltungen“ (13f). Dieser Empfehlung zu differenzierterem Wissen, der niemand wird widersprechen wollen, folgen dann aber flächige, gleichsam pauschalisierende Aussagen über Islamismus als ein Phänomen, das „außerhalb eines allgemein akzeptierten Glaubensspektrums“ stehe und nicht innerhalb des muslimischen Mainstreams verortet werden dürfe: Eine solche Verortung würde vielmehr „zu einer Stärkung dieser religiös verbrämten Ideologie“ beitragen. Zudem seien, so El-Menouar, „die ideologischen, sozialen und politischen Wirkungsweisen von islamistischen, rechten und anderen extremistischen Strömungen sehr ähnlich“ bzw. hätten die besagten Strömungen „mehr gemeinsam […] als Islamist:innen und Muslim:innen im Allgemeinen“ (14). Die Stoßrichtung dieser hermeneutischen Einordnungen, deren Stichhaltigkeit hier nicht eigens problematisiert werden soll, ist offensichtlich: Eine kultur- und religionswissenschaftliche Erfassung des Islamismus als eigenständige Kategorie sui generis würde nur den Islamisten selbst in die Hände spielen. Angemessener sei es, so die abschließende, in der Einführung vorgetragene Handlungsempfehlung, die „Vielfalt muslimischen Lebens sichtbar [zu] machen“ und „vom Gelingen [zu] erzählen“ (15): Es brauche „mehr Erzählungen über die Normalität muslimischen Lebens“, „beeindruckende Geschichten eines gelingenden Miteinanders“ (Beispiel: das jüdisch-muslimische Dialogprojekt „Schalom Aleikum“) und „neue, positive Bilder“, die „den Zusammenhalt in einer superdiversen Gesellschaft stärken“ (15).
Gegendiskurse zum Islam und Sensibilisierung für Rassismus als strategische Prävention
Der entsprechende, die „Prävention von Islam- und Muslim:innenfeindlichkeit“ thematisierende Abschnitt des Religionsmonitors stellt nun „Gegendiskurse als Strategie“ vor und beschreibt diese als Diskurse, die „auf eine kritische Auseinandersetzung mit Vorurteilen und Diskriminierungen sowie ihren Spuren in der Sprache“ zielen: Zu der von Dirk Halm (2013)1 herausgearbeiteten Kategorie „Counter-discourse“ zählen unter anderem „Äußerungen, die darum bemüht sind, den Islam neu zu bewerten, die sich gegen Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit wenden und zum Dialog aufrufen“, aber auch „Aussagen, die den Islam als Teil der europäischen Kultur verstehen, Kritik am allgemeinen Diskurs über den Islam üben, einen ausgewogenen Blick auf Muslim:innen fordern und Muslim:innen als Opfer von Terrorismus und nicht als Bedrohung in den Blick rücken“ (44f). In einer Studie mit offen gestellten Fragen2 hat Isabell Diekmann, Co-Autorin des Religionsmonitors, durch eine systematische Kategorisierung der offenen Antworten inhaltliche Strategien offenlegen können, die es – als ein ebenso selbstverständlicher Teil des Deutungsrahmens der Befragten – erlauben, pauschalisierenden und abwertenden Aussagen etwas entgegenzusetzen. Dazu rechnet Diekmann unter anderem „Verweise, die auf Heterogenität innerhalb der Gruppe der Muslim:innen und die Vielfalt der Auslegungspraxen zielen“, „das Explizitmachen von Vorurteilen, Diskriminierungen und Rassismen“, „das Benennen von Islamfeindlichkeit und Islamophobie“ sowie „Assoziationen, die auf die kulturelle und religiöse Vielfalt verweisen, auf Gastfreundschaft oder darauf, dass der Islam zu Deutschland passt“ (46).
Die Gleichzeitigkeit von Vorurteilen und Gegendiskursen
Angesichts des im Religionsmonitor dargestellten Ausmaßes von Islam- und Muslimfeindlichkeit ist es ein zunächst überraschender Befund, dass „die allermeisten Befragten […] eine differenzierte Sicht auf die vermeintlich homogene Gruppe der Muslim:innen“ befürworten und der Aussage „Es gibt Rassismus in Deutschland“ nahezu uneingeschränkt zustimmen (90 Prozent, vgl. 48). Besonders ausgeprägt ist das Bewusstsein für Diskriminierung und Rassismus auch hier wieder in der Gruppe der 16- bis 24-Jährigen: Die vermehrten Debatten der letzten Jahre über (rassistische) Diskriminierung, ihre Ursache und Folgen scheinen sich bei jungen Befragten, so die Studie, in einem „stärkeren Bewusstsein für diese Themen und Emphatie mit Betroffenen“ (50) auszudrücken. Doch wenngleich zahlreiche Studien der letzten Jahre zeigen konnten, dass „gegendiskursive […] Kritik an pauschalisierenden und ausgrenzenden Diskursen Islam- und Muslim:innenfeindlichkeit entgegensteht“ (52), schließt eine kritische Haltung zum pauschalisierenden Diskurs über den Islam und Muslim:innen, so das zentrale Ergebnis des aktuellen Religionsmonitors, „das gleichzeitige Auftreten von Vorurteilen absolut nicht aus. Im Gegenteil: Diese Gleichzeitigkeit ist in der Bevölkerung sogar weit verbreitet“ (53). Gegendiskurse stehen somit, obwohl sie in der gesamten Bevölkerung in Deutschland Rückhalt finden, Vorurteilen nur bedingt entgehen: „Befragte tendieren sehr viel eher dazu, sowohl Vorurteile als auch Gegendiskurse zu unterstützen“ (57). Parallel zu Pauschalisierungen und Ablehnung findet somit zugleich auch „eine kritische Auseinandersetzung mit verallgemeinerndem und abwertendem Sprechen über Muslim:innen“ statt, die immerhin „distanzierenden und diskriminierenden Verhaltensabsichten“ (59) entgegensteht. Doch zeigt sich mit Blick auf den Alterseffekt bei den Aussagen zu Benachteiligung und Anfeindung, dass „vor allem die Erwachsenengenerationen“, so die abschließende Empfehlung der Studie, „für Diskriminierungserfahrungen und Rassismus sensibilisiert werden müssen“ (60).
Mut zur Aus-einander-setzung
Es ist davon auszugehen, dass sich die im Religionsmonitor beschriebene Situation im Zuge des durch das Hamas-Massaker im Oktober 2023 ausgelösten Gaza-Kriegs, der propalästinensischen Demonstrationen sowie der darauf bezugnehmenden antimuslimischen Affekte nochmals erheblich verschärft hat. Damit verlieren die noch vor 10/7 erhobenen Daten des Religionsmonitors mitsamt der in ihm vorgenommenen Diagnosen nichts an Relevanz. Jedoch veranlassen sie zu einer das beschriebene Phänomen nochmals tiefergehender und mutiger angehenden Aus-einander-setzung, die neben der Benennung von „Vorurteilen“, „Unterstellungen“, „Zuschreibungen“ und „Diskriminierungen“ auch deren Begründungen und Stichhaltigkeit kritisch zu reflektieren und sich der komplexen Gemengelage von Islam- und Muslimfeindlichkeit etwas weniger apologetisch3 anzunähern sucht.
Rüdiger Braun
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Anmerkungen
- Dirk Halm, „The Current Discourse on Islam in Germany“, International Journal for Migration and Integration 14,3 (2013), 457–474. Abrufbar unter: doi.org/10.1007/s12134-012-0251-7.
- Isabell Diekmann, Muslim*innen- und Islamfeindlichkeit. Zur differenzierten Betrachtung von Vorurteilen gegenüber Menschen und Religion, Wiesbaden: Springer 2022.
- Vgl. die häufigen Verweise auf die „Vielfalt“ und „Heterogenität“ des Islam, auf „positive Bilder“, „Gastfreundschaft“, das „gelingende Miteinander“ u.v.m.