Oliver Koch

Die „Heilhaus-Stiftung Ursa Paul“

Eine esoterische Bewegung und ihre spirituelle Meisterin

Wer sich im Internet (www.heilhaus.org) über Ursa Paul und ihre Heilhausbewegung informieren will, stößt auf eine Vielzahl von Angeboten: z. B. Mehrgenerationenhaus, Begleitung von Schwangerschaft und Geburt, begleiteter Abschied von totgeborenen Kindern, Seminarangebote zur Lebensbegleitung, Trauer- und Sterbebegleitung, die „Heilhaus-Siedlung“ zum Wohnen und Leben. Immer wieder begegnen religiös-spirituelle Begriffe wie göttliche Kraft, Chakren, Energiekreise, Heilmeditation, Aura oder feinstoffliches Energiesystem. Sie korrelieren mit spirituellen Angeboten: z. B. Nährsystemarbeit nach Ursa Paul, Aurareinigung, Feinstoffliche Leibarbeit, Heiltage oder auch „Rituale zum Frühlingsanfang“. Die Vielfalt dieser Angebote wird schlicht überschrieben mit den drei Worten „Geburt – Leben – Sterben“. Neben dem spirituellen Bereich gibt es eine Reihe von handwerklichen, juristischen und anderen alltäglichen Dienstleitungen. Darüber hinaus findet man ein Netzwerk von Schulmedizinern, Hebammen, Heilpraktikern, Psycho­therapeuten, Supervisoren, Coachs etc.

Bei der „Heilhaus-Stiftung“ handelt es sich um eine vernetzte Organisation, die im Wachstum begriffen ist. Im Mittelpunkt der Gemeinschaft steht die Gründerin Ursa Paul, der die Mitglieder mit Ehrfurcht begegnen. Sie empfängt die Visionen und trifft die grundsätzlichen Entscheidungen.

Entstehung und Geschichte

1989 gründete Ursa Paul den gemeinnützigen Verein „Freundeskreis für Lebensenergie e.V.“.1 Ein Jahr später wurde das „Zentrum für Lebensenergie“ eröffnet. Es hat seinen Sitz in einem alten Fabrikgebäude in Kassel-Rothenditmold, einem Stadtviertel, das als sozialer Brennpunkt bezeichnet werden kann. Zwischen 1993 und 1997 folgten die Gründung des „Instituts E“, um „Lehre, Ausbildung und Forschung zusammenzuführen“, und der „Baugenossenschaft gemeinschaftliches Leben eG“. Letztere dient dem Zweck, die Bau- und Siedlungsprojekte des Vereins zu begleiten und zu fördern. 1998 wurde die erste Dependance „Zentrum für Lebensenergie“ in Berlin gegründet. 2001 hat Ursa Paul in Kassel das „Heilhaus – Zentrum für Lebensenergie“ eingeweiht. Es wurde um Angebote der Geburts- und Sterbebegleitung erweitert. Das alte Fabrikgelände wurde saniert. 2003 erfolgte die Gründung des „KinderHeilhauses“, „in dem Eltern Unterstützung erfahren, die mit dem Verlust ihres Kindes konfrontiert sind“2. Es folgte die „Kindergemeinschaft“, eine Kindertagesstätte mit Platz für ca. 40 Kinder, die auch integrativ arbeitet. Sie hat ihren Sitz in Kassel-Harleshausen.

2004 veränderte sich die Rechtsform des Heilhauses. Sie wurde zu einer Stiftung und hieß dann „Heilhaus-Stiftung Ursa Paul“.3 Träger des Heilhauses ist die „Heilhaus Kassel gemeinnützige GmbH“, eine 100-prozentige Tochter der Heilhaus-Stiftung Ursa Paul. Die gemeinnützige GmbH führt den täglichen Betrieb des Heilhauses. Dazu zählen das „KinderHeilhaus“, der Tagungs- und Ernährungsbereich, die Seminarorganisation, die Kindergemeinschaft sowie der Bereich Kur, Pflege und Sterbebegleitung.

Seit 2006 wurde verstärkt an der Siedlung des Heilhauses gebaut. Um die Siedlung herum bezogen Praxen und Dienstleistungsbetriebe ihre Räumlichkeiten. Ca. 80 Menschen sollen in Eigentumswohnungen in der Siedlung leben. Einen besonderen Schwerpunkt bildet das „Leben in Generationen“. Das Heilhaus ist seit August 2008 Mitglied im Aktionsprogramm der Mehrgenerationenhäuser, das u. a. vom Europäischen Sozialfonds für Deutschland gefördert wird.4

Insgesamt kann man sagen, dass sowohl das Heilhaus in Kassel als auch die hier verwurzelte „Heilhausbewegung“ als Netzwerk in den letzten zwei Jahrzehnten, besonders seit 2000, gewachsen ist. Die letzten Daten zur Mitgliederzahl finden sich in einem Artikel der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen aus dem Jahr 2000, in dem von 400 Mitgliedern in Deutschland gesprochen wird.5

Angebote

Die Heilhausbewegung profiliert sich besonders im Bereich von Geburt und Sterben. Den Anfang des Lebens sollen eigene Geburtsräume und Hebammenpraxen im Heilhaus begleiten. Dabei scheint ein Schwerpunkt darauf zu liegen, Eltern totgeborener Kinder zu betreuen. Ein „Abschiedsraum“ und das Bestreben, auf dem Friedhof von Kassel-Rothenditmold eine „Seelchenwiese“ zu installieren, unterstützen dieses Anliegen.

Für das Ende des Lebens wird sowohl „spirituelle Sterbebegleitung“ als auch die Begleitung Trauernder angeboten. Besonders interessant ist, dass sogar Rituale zur Bestattung durchgeführt werden: „Wir gestalten Rituale des Abschieds und Trauerfeiern, die sich nach den Wünschen des Verstorbenen oder der Angehörigen richten und die helfen, den Zyklus von Geburt, Leben und Sterben zu begreifen.“6 Wie diese Rituale begangen werden, wird nicht weiter ausgeführt.

Eingeklammert in die Angebote zu Geburt und Sterben sammelt sich eine Vielzahl von Lebensbewältigungs- und Lebensbegleitungsofferten. Dazu gehören ein täglicher offener Mittagstisch, ein Pensionsbetrieb (der sich auch als Kurbetrieb z. B. bei Chemotherapien oder allgemeinen Erschöpfungszuständen versteht), Pflegebetriebe, Kreativangebote wie Singen und Tanzen, diverse generationenspezifische Freizeitangebote bis hin zu Ausstellungen und Kulturarbeit. Darüber hinaus versteht sich das Heilhaus als „Ort der Heilung“. Es hat sich ein Netzwerk aus Schulmedizinern verschiedener Sparten, Psychotherapeuten, Naturheilkundlern, Hebammen und Heilpraktikern gebildet, die im Heilhaus kooperieren. Für sie wird mit folgendem Slogan geworben: „Wir behandeln und beraten mit Verständnis und Bewusstheit für die Verbindung zwischen Körper, Geist und Seele unter Einbeziehung schulmedizinischer und feinstofflicher Heilweisen.“7 Das Heilhaus versucht damit, Schulmedizin mit alternativen Anbietern des Gesundheitsmarktes zu kombinieren.

Die Angebote des Heilhauses werden von der Präambel eingeleitet, die als „Die Vision Heilendes Haus – Heilhaus“ bezeichnet wird. Sie bildet eine Art „Glaubensbekenntnis“ und wurde 1988 von Ursa Paul formuliert: „Menschen kommen und suchen nach Heilung. Sie erfahren die Begegnung in und mit der göttlichen Kraft. Kinder werden geboren. Menschen sterben in liebevoller Begleitung und Annahme dieses Geschehens. Die Trauer darf sein. Das Beschütztwerden ist da, die Liebe für den Menschen in Rückbindung an Gott. Geburt, Leben und Sterben sind eine Einheit. Im Heilhaus wird diese Einheit gelebt in Liebe, Glaube und Hoffnung für den Kreislauf des Lebens. Getragen von der Gemeinschaft ist das Heilhaus ein Ort, an dem die heilende Kraftquelle allen Seins lebt. Hier werden verschiedene Formen des Heilens aus tiefem Mitgefühl, Mitmenschlichkeit, Achtung vor dem Leben und der Schöpfung praktiziert. Heilhaus – Ort des Lebens und des Sterbens, Ort der Rückbindung an die göttliche Kraft.“8

Zunächst konstatiert die „Vision“ eine Bedürftigkeit des Menschen. Er sucht nach Heilung, nach liebevoller Begleitung, nach Annahme und Ausdrucksmöglichkeiten für seine Trauer usw. Die Sehnsucht des Menschen wird kontextuiert mit einer nicht näher definierten Göttlichkeit, die mal als „Gott“, mal als „göttliche Kraft“ bezeichnet wird. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Kontext der benutzte Gottesbegriff stammt. Vermutlich wird das bewusst offen gelassen. Die Erfüllung seiner Sehnsüchte erfährt der Mensch in der Gemeinschaft des Heilhauses, „an dem die heilende Kraftquelle allen Seins lebt“. Ob mit dieser Kraftquelle nun Gott oder die „göttliche Kraft“ gemeint ist, ob es sich um die Gemeinschaft oder gar um Ursa Paul selbst handelt, ist unklar. Sowohl was Herkunft und Bedeutung des zugrunde liegenden Gottesbegriffes angeht als auch was die (Mittler-)Rolle Ursa Pauls betrifft, bleibt die Vision unkonkret.

Gerade dadurch, dass die Präambel viele Deutungen zulässt und mit kaum widerspruchsfähigen Allgemeinweisheiten gepflastert ist, können die erwähnten Angebote der Lebensbegleitung und -bewältigung bis zu einem gewissen Grad auch ohne weltanschauliche Implikationen des Heilhauses genutzt werden. Das geht aber nur so lange, bis man sich etwas intensiver mit den angebotenen Lebensbewältigungsstrategien beschäftigt. Sie sind von rituell-religiösen und spirituellen Angeboten durchzogen, die in Form von Kursen, Freizeiten oder Seminaren offeriert werden. Zeitlich variieren solche Veranstaltungen von kurzen Etappen (Meditationen) über Tagesveranstaltungen (Heiltage) bis hin zu längeren Spannen (Heilwochen – „eintauchen in die spirituelle Gemeinschaft des Heilhauses“). Abgesehen von einigen Einführungsveranstaltungen sind alle Angebote kostenpflichtig.

Blättert man durch die Jahresprogramme des Heilhauses, erkennt man rasch Prioritäten und Zielgruppen. Unter der Überschrift „Die Suche des spirituellen Pfades – Angebote zur Wegsuche mit Ursa Paul“ werden Menschen auf der spirituellen und religiösen Suche angesprochen: „Neue Kraft schöpfen, Erdung, Zentrierung und Heilung erfahren. Ein Tag mit Meditation und feinstofflicher Leibarbeit. Jeder Tag ist einem Chakra gewidmet.“9 Immer wieder fallen Angebote zum Thema „Heilung“ auf, wobei eine Definition dieses Begriffes fehlt. Neben wechselnden finden sich auch wiederkehrende Kursangebote. Besonders zu nennen sind hier Rituale zum Frühlings-, Sommer- Herbst- und Winterbeginn, die in Form von „Energiekreisen“ zelebriert werden.

Uneinheitliches Lehrgebäude

Die Anzahl der Kurse, Zusammenkünfte und Seminare ist nahezu unüberschaubar. In einem Jahresprogramm10 finden sich ca. 200 verschiedene Angebote, die gender- und generationenspezifisch getrennt aufgeführt werden. Das Programm ist von allgemein gehaltenen Sinnsprüchen durchzogen, deren Herkunft unklar ist. Der Inhalt dieser Sprüche ist so wabernd, dass er keine Rückschlüsse auf ein durchgängiges religiöses oder philosophisches System zulässt. Ebenso verhält es sich mit den Ausschreibungstexten der Kurse, die von unterschiedlichen Mitarbeitern angeboten werden. Sie lassen zwar oft auf die Zielgruppen schließen („Meditationszeit für Paare“, „Wirtschaftlichkeit und Spiritualität“, „Spirituelle Geburt“, „Zeit der Besinnung für Männer“, „Yoga für Schwangere“, „Aurareinigung für Kinder“), nicht aber auf eine bestimmte spirituelle Genese. So wird z. B. klar, dass der Kurs „Meditationszeit für Paare“ sich an Paare wendet, eine Woche dauert und ohne Übernachtung und Verpflegung bis zu 540 Euro kostet. Aus der dürftigen Beschreibung („Erfahrung, Begegnung, Liebe, Erfüllung, Meditation, Klangarbeit, Heilkreis, Rituale, Lehre zur Bewusstseinsschulung“11) kann man jedoch nicht erkennen, welche (therapeutischen) Methoden einer Arbeit mit Paaren hier angewendet werden und welchem religiös-weltanschaulichen Kontext sie entnommen sind.

Deutlich wird allerdings ein klares hierarchisches System: Ursa Paul ist die Lehrerin, die Teilnehmenden sind die Schülerinnen und Schüler. Exemplarisch wird dies an der – als registriertes Warenzeichen rechtlich geschützten – Nährsystemarbeit erkennbar, die als Kernstück der Lehre dargestellt wird: „Die Heilwoche steht in der spirituellen Lenkung von Ursa Paul. Der Heilungsprozess von Körper, Geist und Seele wird mit Nährsystemarbeit, medizinischen, therapeutischen und kreativen Formen durch ihre Schülerinnen und Schüler begleitet.“12

Diese Beobachtungen legen die Vermutung nahe, dass die Aussagen von Ursa Paul als selbstdefinierter Lehrerin zum Maßstab für die religiös-spirituellen Inhalte werden. Ergänzt werden sie in den Kursen durch den Glaubens- und Erfahrungshorizont der Leiterinnen und Leiter, wobei jedoch nicht klar ist, welche Ausbildung diese für ihre Tätigkeit befähigt. Ursa Pauls Lebensweisheiten und Aussagen werden Inhalt der Lehre, drücken sich praktisch in den von ihr geleiteten oder verantworteten Kursen aus und bekommen durch allgemeine, aber nicht näher definierte Oberbegriffe therapeutischen Charakter, der von allgemein-religiöser Sprache begleitet wird.

Insgesamt betrachtet vermag ich kein einheitliches Lehrgebäude zu erkennen. Die Heilhausbewegung gibt vor, für alle Religionen und religiösen Bedürfnisse offen zu sein. Dennoch finden sich in den Angeboten deutliche Tendenzen zu religiösen Praktiken, die in bestimmte Kontexte gehören: Die Chakrenarbeit, Yoga und Tai Chi entstammen dem hinduistisch-buddhistischen Kontext und sind westlich assimiliert. Kombiniert mit Begriffen wie „Aurareinigung“, „feinstoffliche Heilweisen“ oder „Nährsystemarbeit“ spiegeln sie klassische esoterische Angebote wider. Außerdem sind die kostenpflichtigen Dienstleistungen der Heilhausbewegung dem Umfeld alternativer, esoterischer Lebensbewältigungshilfe zuzurechnen. Die therapeutischen Angebote stehen in teilweise erheblicher Spannung zu den Naturwissenschaften.13

Blickt man auf den immer wieder betonten ganzheitlichen Ansatz der Bewegung, liegt die Vermutung nahe, dass es eine gewisse Affinität zu anthroposophischen Lehrinhalten gibt. Freilich findet sich im Programm kein „typisch anthroposophisches“ Angebot. Die Nähe ergibt sich eher durch die allgemein-esoterischen Begriffe (Chakren, Energiearbeit, Ätherleib). In einem Interview in der Zeitschrift „Info 3 – Anthroposophie im Dialog“14 wird die Arbeit von Ursa Paul im Heilhaus gewürdigt: „Das Heilhaus ist ein wachsender und gedeihender Impuls, das immer mehr auch in der näheren örtlichen Umgebung wirkt.“ Im folgenden Gespräch geht es um die jeweilige Sicht und Bedeutung der Chakren, in der sich Ursa Paul zugleich in der Nähe als auch der Distanz zu anthroposophischer Eurythmie, Chakrenarbeit und dem Ätherleib sieht: „Wir haben hier viele Übungen, die genau das [Eurythmie als Körperwahrnehmung, O.K.] machen, da ist der Unterschied nicht so groß ... Wir nehmen auf und geben ab, das ist der Ätherkörper, wie Sie es anthroposophisch beschreiben, ich nenne das Auraschicht.“ Meines Erachtens finden sich einzelne Aspekte, die eine Nähe zu anthroposophischem Gedankengut vermuten lassen, diese werden jedoch nicht explizit so genannt. Hier spiegelt sich erneut die Absicht der Heilhausbewegung wider, keine weltanschauliche Position zu beziehen, sondern für alle offen zu sein. In der Außenperspektive lässt sich die Heilhausbewegung als esoterische Gruppierung mit einer spirituellen Meisterin einordnen.

Ursa Paul als spirituelle Lehrerin und Mystikerin

Ursa Paul (geb. 1943) ist die spirituelle Führungspersönlichkeit der Heilhausbewegung. Auch wenn die geschäftsführenden Aufgaben vom Stiftungsrat oder Vorstand übernommen werden und die im Netzwerk angegliederten Organisationen oder Firmen formal eigenständig sind, ist sie die geistige Mentorin. Über ihr „Leben vor dem Heilhaus“, eine eventuelle Ausbildung o. Ä. finden sich keine Angaben. Sie gibt sich als „spirituelle Lehrerin“ und „Mystikerin“ mit besonderen heilenden Fähigkeiten aus, macht sich durch ihre Eigentitulierung unangreifbar und genießt große Autorität in ihrer Anhängerschaft. Dass Kritik an ihr oder ihren Entscheidungen bzw. ihrem Wirken innerhalb der Gruppierung möglich sein könnte, kann ich mir nach den Begegnungen und Beobachtungen nicht vorstellen. Laut Eigenaussage lebt und lehrt Ursa Paul „eine zeitgemäße Spiritualität, die mit den großen spirituellen und mystischen Traditionen sowie mit den Erkenntnissen moderner Naturwissenschaften in Einklang steht. Die Entwicklung eines ganzheitlichen Menschseins, das in der Erfahrung des universellen Bewusstseins gegründet ist, ist ein zentraler Aspekt ihres Wirkens“.15

Man findet nur wenige Kurse, die Ursa Paul selbst anbietet. Dennoch ist sie die spirituelle Meisterin, was in folgendem Zitat deutlich wird, in dem es um die feinstoffliche Nährystemarbeit geht: „Ursa Paul beschirmt und begleitet diese Form der Heilarbeit.“16 Dadurch erschließt sich ihre Rolle: Ursa Paul scheint als „spirituelle Führungsperson“ sozusagen „geistig“ anwesend zu sein. Es bleibt spannend und muss in den nächsten Jahren beobachtet werden, ob sich diese „nicht körperliche“ Lehrautorität weiter manifestiert und welche rituellen Ausdrucksformen dafür gefunden werden. Ihre Visionen werden nicht hinterfragt, ihre Person und ihre Ziele innerhalb der Gemeinschaft nicht kritisiert.

Was die Grundlage ihrer Autorität ist, wird mir nicht deutlich. Sie spricht von „Visionen und Träumen“, die ihr gegeben wurden. Ihre Berufung auf eine höhere Macht lässt auf ein unpersönliches Gottesbild schließen. Dafür spricht auch das Kurssystem als Schulungs- und Erkenntnisweg, um das „göttliche Sein in mir“ zu finden. Ziel ist es, durch „Begleitung“ zur Selbsterkenntnis zu gelangen.

Netzwerkbildung

Ein klar definiertes Ziel der Heilhausbewegung ist es, sich in einem Netzwerk zusammenzuschließen und damit zu wachsen. Im Programm 2009 liest man: „,Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile’: In einem Netzwerk wirken Individuen und/oder Organisationen zusammen, die rechtlich und wirtschaftlich unabhängig voneinander sind und die durch das Zusammenführen ihrer jeweiligen Fähigkeiten eine Synergie erzeugen wollen, die die Kraft aller Beteiligten mehrt. Die Vision des Heilhauses bildet die Mitte des spirituellen Netzwerkes, das unter dem Dach der Heilhaus-Stiftung Ursa Paul entsteht. Sie ist die verbindende Kraft, die das Netzwerk und seine Mitglieder speist. Diesem Netzwerk fühlen sich Menschen zugehörig, die – gebend und empfangend – miteinander teilen und zur weiteren Realisierung der Vision beitragen möchten. Die Konferenz ist ein Forum für Schülerinnen und Schüler von Ursa Paul, die ihre Arbeit im Sinne der Vision des Heilhauses gestalten und Teil des entstehenden Netzwerkes werden wollen. Geplant sind Bewusstseinsarbeit zu Bedeutung und Inhalten des Netzwerkes sowie die Klärung praktischer Fragen zum Aufbau und zur Weiterentwicklung.“17

Sucht man auch hier nach klaren Inhalten, findet man sich rasch vor dem gleichen Problem, das sich schon herauskristallisierte: Die Sätze sind so allgemein gehalten, dass es schwerfällt, klare Prioritäten zu erkennen. Unterschiedliche Dependancen mit verschiedenen inhaltlichen Ausrichtungen sollen sich im Netzwerk zusammenfinden und sich ihm „zugehörig“ fühlen. Zurzeit werden offiziell ca. 35 Dependancen des Heilhauses angegeben: von Kiel bis Lausanne, von Berlin bis Wuppertal.18

Was macht die Heilhausbewegung ­attraktiv?

Aus meiner Sicht lässt sich die Attraktivität der Heilhausbewegung durch die angebotene Mischung erklären: das soziale Engagement für mehrere Generationen, der Schwerpunkt auf dem Thema Heilung, die integrative Arbeit mit Behinderten – verbunden mit einem auf den ersten Blick weiten und zunächst tolerant erscheinenden Ansatz, die unterschiedlichen spirituellen Bedürfnisse der Menschen aufzunehmen und dafür Angebote zu schaffen. Ursa Paul hat für die „Siedlung am Heilhaus“ einen Ort sozialer Not in Kassel gewählt und transportiert damit den Eindruck, soziales Engagement in diesem Stadtteil zu zeigen.

In baulich ansprechend und harmonisch gestalteter Umgebung wird eine Lebensbegleitung und -beratung offeriert, bei der der Einzelne keine spezialisierten Anbieter für das jeweilige Lebensalter suchen muss, sondern sich in einer Angebotspalette wiederfindet, die den Bogen von der Geburt bis zum Tod spannt. Die Gemeinschaft gruppiert sich um eine spirituelle Führungspersönlichkeit, die es versteht, ihre Anhänger mit ihrer Ausstrahlung und ihren Aussagen zu fesseln.

Der spirituell Suchende findet ein breites Angebot an esoterischen Offerten unter einem Dach und muss nicht auf Gemeinschaft verzichten. Hiermit wird dem Individual-Esoterikmarkt Paroli geboten. Man muss das Passende nicht mühsam bei verschiedenen Anbietern zusammensuchen, sondern hat die Möglichkeit, spirituelle Angebote in Gemeinschaft, vorsortiert und komprimiert zu nutzen.

Instrumentalisierung der Kirche

Ursa Paul hat einige Male die Nähe zu den Kirchen gesucht oder ist im Kontext von kirchlichen Veranstaltungen aufgetreten. Ein Zitat von ihr ist in der ersten Auflage der „christlichen Patientenverfügung“ erschienen, das dann aber nach Protesten in den folgenden Auflagen gestrichen wurde. Aus dem Jahr 2001 existiert ein Artikel im „Kasseler Sonntagsblatt“, in dem positiv und werbend über „das neue Leben des Michael Hoffmann“ geschrieben wird, einem Heilhaus-Mitglied, das „den Schlüssel zu seiner Heilung“ gefunden habe.19 Umstritten war Ursa Pauls Auftritt auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 2005 in der Themenhalle Spiritualität. Hier wurde sie für eine Podiumsdiskussion eingeladen und sollte zum Thema „Heil werden – lieben, leiden, leben“ sprechen.20

Interessant sind die Aussagen ihres Sohnes Gerhard Paul, die im Rahmen eines Radio-Interviews am 2.12.2008 zu hören waren.21 Angesprochen darauf, wie man sich denn die Arbeit der Heilhausbewegung vorzustellen habe und ob die Bewegung sich „sektenhaft einigelt, um dort [in Kassel, O.K.] ihre Lebensphilosophie zu leben“, antwortete er zunächst mit dem Verweis, dass man sich seit 20 Jahren immer wieder mit dem Vorwurf, eine Sekte zu sein, auseinandersetzen würde. Er erklärt dazu, dass die Bewegung vom Bundesfamilienministerium als Mehrgenerationenhaus anerkannt sei. Außerdem stehe man in regem Kontakt mit der evangelischen und katholischen Kirche und teilweise würden die Räume des Heilhauses von kirchlichen Organisationen für Fortbildungen genutzt.22 Dadurch würde von vornherein ausgeschlossen, dass die Heilhausbewegung eine Sekte sei.

Durch Zeitungsartikel und Leserbriefe sind jedoch auch immer wieder mahnende Stimmen belegt, die das Heilhaus seit Beginn des Wirkens kritisch beobachten. Besonders bezieht sich die Kritik auf das „diffuse esoterische Weltbild Ursa Pauls“ und darauf, den Rahmen der Kirchen für eigene Anerkennung nutzen zu wollen.23

Mein Eindruck ist, dass die Heilhausbewegung die Nähe zur (evangelischen) Kirche sucht, um sich dadurch den Anschein der Seriosität zu geben. Es ist bekannt, dass teilweise auch vonseiten kirchlicher Mitarbeiter die Nähe zum Heilhaus gesucht wird und sie sich in dieser Bewegung engagieren. Das erscheint umso kurioser, als deutlich geworden ist, dass die Heilhausbewegung in Konkurrenz zu den Angeboten der evangelischen Kirche und ihrer Einrichtungen tritt.

Stellungnahme

Ein Schwerpunkt der Heilhausbewegung liegt auf dem Angebot von Lebenshilfe. Nach meinem Eindruck wird dabei der Mensch mit seinen Defiziten (Krankheit, Tod, Behinderung) als wertvoll und wichtig geachtet und steht im Mittelpunkt der Bemühungen. Fragwürdig erscheint jedoch der therapeutische Anspruch der Heilhausbewegung, der mit alternativen Heilungsangeboten einhergeht, die moderner Wissenschaft widersprechen. Geradezu widersinnig wirken vor diesem Hintergrund die Aussagen des Heilhauses, man würde alternative mit moderner Medizin in Einklang bringen. Auch die undurchsichtige Qualifizierung der Lebensberaterinnen und -berater ist kritisch zu sehen.

Christliche Glaubensinhalte spielen bei der Heilhausbewegung keine erkennbare Rolle. Sicherlich wird Christinnen und Christen eine eigene Glaubenspraxis nicht verwehrt. Dennoch steht das spirituelle Angebot in klarer Konkurrenz zu dem der Kirchen. Reinkarnationsvorstellungen und individuell-esoterische Rituale zur Lebensbewältigung sind mit dem Christentum nicht zu vereinbaren. Das religiös-spirituelle System der Heilhausbewegung in seiner Gesamtheit ist aus christlich-theologischer Sicht als synkretistisch zu bezeichnen.

Die Bedeutung von Ursa Paul als spiritueller Meisterin ist diffus. Ihr unpersönliches Gottesbild ist mit dem persönlichen Gott des christlichen Glaubens nicht in Einklang zu bringen. Von einer höheren Macht empfängt sie Visionen. Diesen Aussagen kommt faktisch Lehrautorität zu. Damit kann aus der Perspektive der Mitglieder der Person Ursa Pauls Heilsbedeutung zukommen.

Es wird interessant sein, in den nächsten Jahren zwei Entwicklungen zu beobachten: Zum einen soll in naher Zukunft in Kassel das „Haus der Mitte“ erbaut werden.24 Es bleibt abzuwarten, ob sich ­dadurch auch eine eindeutigere Lehre entwickelt, die in diesem spirituellen Zentrum ihre sichtbare Entsprechung findet. Ebenfalls sollte beobachtet werden, welche Rolle hier die Person und die Visionen von Ursa Paul spielen.

Zum zweiten bereitet die 68-jährige Ursa Paul wohl mittelfristig ihre Nachfolge vor. Eine besondere Rolle könnte dabei ihr Sohn Gerhard Paul spielen. Wie sich dann die „geistig-spirituelle Anwesenheit“ Ursa Pauls gestalten wird, bleibt abzuwarten.


Oliver Koch, Kirchhain-Großseelheim


Anmerkungen

1 Vgl. (auch zum Folgenden) www.heilhaus.org. (Die in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten wurden zuletzt eingesehen am 23.5.2011.)

www.heilhaus.org/web/guest/vita.

3 Zum Stiftungszweck: www.heilhaus.org/web/guest/unser-anliegen.

4 Siehe auch www.mehrgenerationenhaeuser.de.

5 Viele Fragen zum Projekt Heilhaus, in: Hessisch-Niedersächsische Allgemeine vom 26.9.2000.

www.heilhaus.org/web/guest/lebendige-kultur-des-abschieds. Leider findet sich nichts über die Praxis solcher Rituale oder die religiöse oder weltanschauliche Einordnung.

7 Broschüre des Netzwerks, Januar 2009.

8 Programm des Heilhauses 2009, 9.

9 Entnommen aus dem Angebot „Heiltage“ des Programms 2009.

10 Darin zusammengefasst sind die Angebote des Heilhauses Kassel und des Zentrums für Lebensenergie in Berlin.

11 Programm des Heilhauses 2009, 23.

12 Ebd., 20.

13 Vgl. zu den jeweiligen Angeboten: Federspiel, Krista / Herbst, Vera, Die andere Medizin. „Alternative“ Heilmethoden für Sie bewertet, hg. von Stiftung Warentest, Berlin 52005.

14 Es kann nur bewegt werden, was eine Struktur besitzt, in: Info3 2/2007, 13-18.

15  http://www.heilhaus.org/web/guest/ursa-paul

16 Programm des Heilhauses 2006, 24.

17 Programm des Heilshauses 2009, 28.

18 Vgl. www.heilhaus.org/web/guest/orte-unseres-netzwerkes.

19 Es geht auch ohne Himbeereis, in: Kasseler Sonntagsblatt 15/2001.

20 Vgl. Heilwerden. Lieben, leiden, leben. Vortrag von Ursa Paul auf dem Kirchentag in Hannover, 28.5.2005, www.heilhaus.org/web/guest/veroffentlichungen.

21 Als Podcast unter www.podcast.de/episode/951046/Heilhaus:_Gemeinschaft_als_Vision.

22 Meiner Vermutung nach bezieht er sich hier auf einen Besuch des Kollegiums der EZW und landeskirchlicher Weltanschauungsbeauftragter im Rahmen der Jahrestagung 2009.

23 Beides entnommen aus einer Pressemitteilung von idea 2005.

24 www.heilhaus.org/web/guest/haus-der-mitte3.