Oliver Koch, Johannes Lorenz

Shinchonji – „neuer Himmel und neue Erde“

Erläuterungen zu einer neureligiösen Bewegung aus Korea

Manche Schilderungen aus dem Umfeld der koreanischen Neuoffenbarungsbewegung Shinchonji1   muten abenteuerlich an: Da muss die Polizei verständigt werden, weil ehemalige Aussteigerinnen belästigt und gestalkt werden. Da müssen der evangelische und der katholische Weltanschauungsbeauftragte „Warnungen“ an die Kirchengemeinden herausgeben, weil in und nach Gottesdiensten Shinchonji-Mitglieder versuchen, Gemeindeglieder zu missionieren. Da möchte eine Unterorganisation von Shinchonji namens „International Peace Youth Group“ ein ganzes Stadtteilfest managen, ohne Hintergründe und Ziele transparent zu machen – es kann in letzter Minute verhindert werden. Und schließlich werden kirchenleitende Gremien vom Dekan bis hin zum Bischof zu einem „Friedensfest“ unter dem wohlklingenden Namen „World Alliance of Religions – Peace Summit“ nach Seoul in Südkorea eingeladen.

Wer steht hinter den Teil- und Unterorganisationen, die unter immer wieder wechselnden Namen verstärkt in deutschen Ballungsgebieten und Großstädten auftreten und aggressiv missionieren? Dieser Artikel soll Klarheit schaffen und Hintergründe darstellen, soweit dies möglich ist. Anlass dafür ist erstens die steigende Anzahl und qualitativ anspruchsvolle Beratung von Aussteigern, zweitens die Aufklärungsarbeit aufgrund bisher ungewohnt aggressiver Missionierung innerhalb bestehender christlicher Gemeinden: Über die evangelischen und katholischen Gemeinden hinaus haben sich auch Freikirchen und die Neuapostolische Kirche mit der Bitte um Unterstützung an die Weltanschauungsbeauftragten gewandt. Anlass ist drittens der immer wieder zu beobachtende Versuch, diverse staatliche oder kirchliche Würdenträger zu Werbezwecken zu instrumentalisieren. Zur Veranschaulichung der Konfliktträchtigkeit, die von den Aktivitäten von Shinchonji ausgeht, soll zu Beginn ein kurzes Interview mit einem Aussteiger beitragen.

Interview mit einem Aussteiger

Der Aussteiger besuchte einige Zeit intensiv die „Frankfurter Friedensgemeinde“ an der Galluswarte, eine Unterorganisation und „Bibelschule“ von Shinchonji.

Wie kommt man mit Shinchonji in Kontakt, und wie wird man Mitglied?

Meist suchen die Mitglieder von Shinchonji den persönlichen Kontakt. Sie suchen Gemeinden auf und versuchen, die Leute abzuwerben, besonders Neuankömmlinge, die sich noch orientieren wollen. Oft sind das Neuzugezogene, die gesellschaftlich noch nicht gefestigt und daher leichter von anderen zu isolieren sind.

Wie viel Ihrer Zeit hat die Beschäftigung mit Shinchonji in Anspruch genommen?

Die Kurse fanden viermal in der Woche statt. Hinzu kam die Zeit für die Vor- und Nachbereitung. Sonntags lief immer der Gottesdienst, dem ich selbst aber nicht beigewohnt habe.

Wie war die Atmosphäre in den Bibelkursen?

Die Atmosphäre wirkte auf den ersten Blick sehr entspannt. Es wurde für Getränke und Snacks gesorgt. Die Menschen waren unterschiedlicher Herkunft und gehörten verschiedenen Altersstufen an. Im Nachhinein fiel mir auf, dass einige im Kurs ziemlich zurückhaltend waren. Sie wollten angeblich den Kurs nur wiederholen und waren mit dem Inhalt schon sehr vertraut. Ich hatte auch das Gefühl, dass sie einen beobachteten und ausfragten.

Können Sie im Nachhinein eine Missionierungsstrategie erkennen?

Die generelle Vorgehensweise ist, Gleichnisse und deren Bedeutungen zu verdrehen. Es wird behauptet, dass die Bibel voller Gleichnisse sei – in den Geschichten, den Lehren, den Prophezeiungen und der Erfüllung. Die meisten Gleichnisse werden mit Gottes Wort gleichgesetzt. Dabei gibt es immer ein gutes und ein böses Wort, also stammen sie von Gott oder von Satan. Als Beispiel die Kombination von Mt 24,45-51 (Gleichnis vom guten und bösen Knecht) und Offb 2,17 (der Überwinder/verborgenes Manna). Man bringt beide Stellen zusammen und behauptet, dass der treue und kluge Knecht der Überwinder sei, weil dem Knecht diese Speise, also diese Worte, zur rechten Zeit offenbart werden. Jedoch werden zwei isolierte Verse willkürlich in einen Zusammenhang gebracht, ohne Rücksicht auf den Kontext. Das Ganze läuft darauf hinaus, dass Man-Hee Lee der Überwinder ist, dem das verborgene Manna übergeben wurde – sozusagen die eröffneten Worte von Jesus Christus. Er ist dann laut der „Bibelschule“ derjenige, der die Prophezeiungen erfüllt und meint, dass wir uns bereits in der Erntezeit befinden.

Sie sprechen von Methoden der Manipulation und der Ablenkung, die Sie erlebt haben. Könnten Sie das beschreiben?

Am Anfang werden harmlose Gleichnisse genommen, die auch wirklich stimmen und jederzeit nachprüfbar sind. Doch mit der Zeit überlagern sich die Informationen und nehmen an Tempo zu. Es bleibt immer weniger Zeit zu prüfen und die Verse in ihrem Kontext zu vergleichen. Durch die Überreizung werden unbewusst Informationen hingenommen, ohne sie vorher kontrolliert zu haben. Das bedeutet, dass falsche Informationen zwischen die wahren Bedeutungen der Gleichnisse eingestreut werden können, ohne dass es auffällt. Zwar wird suggeriert, man könne immer prüfen, jedoch darf man während der Stunde nicht direkt Fragen stellen, sondern nur vor und nach der Indoktrinationsstunde, sodass unangenehme Fragen bequem abgefangen werden können. Da der Unterricht viermal in der Woche stattfindet, wird der Informationsdruck permanent aufrechterhalten. Aus diesem Grund wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass Nachholstunden immer zeitnah stattfinden, da sonst der Druck wieder sinkt. Es gibt immer zwei Tage Indoktrination und einen Tag Pause, um die Worte wirken zu lassen – gemäß dem optimalen biochemischen Lernrhythmus. Bei unangenehmen Fragen wird oft vertröstet und die Antwort offen gelassen, weil sie angeblich dem Lernstoff vorgreifen würde. Es heißt dann, man bekomme Speise zur rechten Zeit.

Wie sind Sie auf die Verbindung der Gemeinde zu Shinchonji aufmerksam geworden?

Freunde haben mich darauf aufmerksam gemacht, die im Internet einige Sachen gefunden hatten. Und ich habe selbst zu dem Zeitpunkt auch einige Ungereimtheiten festgestellt. Die Leute von Shinchonji haben aber von vornherein versucht, dem entgegenzuwirken. Sie haben im Vorfeld bereits gesagt, man stoße immer auf Widerstand, wenn Gottes Wort verkündet wird. 

Warum sind Sie ausgestiegen?

Weil mir immer klarer wurde, dass Inhalte aus dem Kontext gerissen wurden, aber auch, weil es praktisch immer mehr darauf hinauslief, dass der Überwinder (Man-Hee Lee) angeblich schon da sei. Da fragt man sich natürlich, wer soll das denn bitteschön sein? Aber der Hauptpunkt war, dass, wenn man sich zurückzog, der Druck anstieg, weiterhin zu kommen.

Wie waren die Reaktionen von Shinchonji auf Ihren Ausstieg?

Sie versuchten, mich zum Bleiben zu bewegen, egal welche Argumente ich vorbrachte. Sie schrieben mich an, telefonierten mir hinterher und standen sogar vor meiner Haustür und wollten herein. Das hat mich dann umso mehr abgeschreckt. Vor allem habe ich Argumente gebracht, bei denen jeder eigentlich sagen würde: Nein, allein der Menschlichkeit wegen ist es besser, dir die Zeit zu nehmen, die du brauchst. Aber das war denen egal. Man kann schon sagen: Die gehen geistig über Leichen.

Geschichtliches

Man-Hee Lee ist der Gründer von Shinchonji. Er wurde am 15. September 1931 in dem Dorf Hyeonri-ri in der Provinz Cheongdo, in der Nähe der Stadt Gyeongsangbuk-do, im heutigen Südkorea geboren. In der ländlichen Gegend wuchs er in einer Bauernfamilie auf. Nach eigener Aussage stammt er von einer 500 Jahre alten Königsfamilie der Joseon-Dynastie ab. Sein Name habe ihm sein Großvater gegeben, der geträumt haben soll, dass ein großes Licht vom Himmel gekommen sei, bevor Man-Hee Lee geboren wurde. Aufgrund dieser Schau habe er seinen Enkel „Man-Hee“ („umfassendes und unfehlbares Licht“) genannt. Lees religiöse Sozialisation umfasste diverse Stationen: Zunächst wurde er von baptistischen Missionaren in Seoul 1948 getauft, nach eigener Aussage geschah dies „without faith“. 1957 erfolgte sein Beitritt zur Jondogwan-Gemeinde.

Einige Jahre später schloss er sich der religiösen Gruppierung „Olive Tree Movement“ des Tae-Sun Park an, der sich selbst als den verheißenen Boten aus dem Osten sah, dem „Heil auf dem Fuße folge“ (Jes 41,2). Er proklamierte, dass das Ende der Welt noch zu seinen Lebzeiten kommen werde, was darauf schließen lässt, dass seine Gruppierung stark endzeitlich ausgerichtet war.2  Park wurde 1957 wegen Häresie aus der Presbyterian Church of Korea ausgeschlossen. Nach James Huntley Grayson handelte es sich beim Olive Tree Movement um die „nach dem Koreakrieg am stärksten und schnellsten wachsende synkretistische Neureligion“3, die allein im Jahr 1963 von 800 000 auf 2 Millionen Mitglieder in ca. 200 Gemeinden wuchs. Mitte der 1960er hatten manche Beobachter den Eindruck, als würde Parks Gruppierung die großen protestantischen Bewegungen in Südkorea ersetzen.4  Besonders Heilungserlebnisse brachten dem Olive Tree Movement einen großen Mitgliederschub. Die Gottesdienste waren charismatische Lobpreisgottesdienste. Nach einem kurzen Gefängnisaufenthalt wegen Betrugs und einigen Familienskandalen kam es aber in den 1970er Jahren zu großen Zerwürfnissen, gefolgt von Massenaustritten.

1967 wechselte Man-Hee Lee zum „Tent Temple Movement“ (auch: „Temple of the Tabernacle“), gegründet von Jae-Yul Yoo (1949). Unter anderen fand er hier die theologische Aussage vor, dass Jesus nur in Gleichnissen und Geheimnissen geredet habe, die zum rechten Verständnis „übersetzt und erleuchtet“ werden müssten. Der Einzige, der dies tun könne, sei exklusiv Jae-Yul Yoo, der durch apokalyptische Schlüssel den hinter jeder Textpassage versteckten „hidden twin“ (wörtl.: „verborgenen Zwilling“) auflösen könne. Auch diese Gruppierung war stark endzeitlich ausgerichtet. U. a. lehrte Yoo, dass es in der Nähe des Berges Chungkye, im Süden Seouls, einen von Gott eingerichteten geheimen Fluchtraum gebe, in dem man das endzeitliche Harmageddon überleben könne. Wenn die Erde dann vom Feuersturm vernichtet worden sei, könnten die überlebenden „Heiligen“ die Welt neu regieren.5  Nachdem Yoo wegen Betrugs angeklagt worden war, zerfiel diese religiöse Strömung in hauptsächlich drei Absplitterungen mit ähnlich endzeitlichen und apokalyptischen Inhalten: Die eine war das „Heaven Gospel Witnessing Movement“ von In-Hee Ko, die zweite die „Saegwang Central Church“ von Poong Il Kim6  und die dritte Man-Hee Lees Shinchonji Church of Jesus.

In der Selbstdarstellung wird die Zeit dieser religiösen Zerwürfnisse und Spaltungen im „Tent Temple Movement“ für Man-Hee Lee in den Jahren 1980 bis 1983 als Erscheinung und Handauflegung von Jesus nach Offb 1,17-20 gedeutet, also als eine Erwählungs- und Offenbarungserfahrung. Ab hier identifiziert sich Lee immer mehr mit Inhalten aus der Offenbarung des Johannes. So deutet er die erwähnten Schismen als eigenen Kampf gegen die Nikolaiten (gemäß Offb 2,6). Daraufhin habe er, analog zu den prophetischen Botschaften des Johannes, Sendschreiben an sieben Gemeinden verfasst. Er habe die geöffnete Schriftrolle von einem Engel empfangen und ihm sei befohlen worden, Völkern, Nationen und Königen zu predigen, die unter Babylon gefangen gehalten seien.

Vor dem Hintergrund seiner religiösen Sozialisation und seinem Erwählungsbewusstsein gemäß gründete Man-Hee Lee seine Shinchonji Church of Jesus the Temple of the Tabernacle of the Testimony („Shinchonji Kirche von Jesus der Hütte des Tempels des Zeugnisses“, SCJ) am 14. März 1984. Er selbst setzte dieses Datum als Beginn von Shinchonji mit der Begündung fest: „[It was] the year that the universe completed its orbit and returned to its point of origin“.7  Der Name „Shinchonji“ bedeutet so viel wie „neuer Himmel und neue Erde“ und wurde in Anlehnung an Offb 21,1 gewählt. Die Bedeutung des Namens wird auf der Homepage der Gruppierung wie folgt erklärt: „Shinchonji ist, die Abkürzung für „neue Himmel, neue Erde” und die Bedeutung davon ist ,neuer Tempel und neue Heilige‘ (2. Petr. 3:13, Mt. 13:31-32, Offb. 14:1-5, Offb. 2-5). Nach dem Abbild und der Form des Himmelreichs, so wie Gott es ihm gezeigt hatte, errichtete Moses das Zelt Gottes auf Erden. Auch der verheißene Hirte hat die geistliche Welt des Himmelreichs gesehen und errichtet Shinchonji in der heutigen Zeit nach diesem Standard der Bibel hier auf Erden. Dieses ist das Reich Gottes, das wie im Himmel, so auf Erden bereitet wird und den Namen Shinchonji trägt.“8

Aufgrund seiner Missionsarbeit wuchs Shinchonji rasant. Durch geschickte mediale Präsenz erreicht die selbsternannte Kirche mit ihren Filmen, Bibelunterweisungen und Massenspektakeln Millionen von Zuschauern und Teilnehmern. Aktuelle Mitgliederzahlen sind wenig verlässlich. Man-Hee Lee stellt die aktuelle Situation so dar: „Allein letztes Jahr waren es 20.000 Schüler, die am Unterricht teilgenommen haben, und bis jetzt gibt es insgesamt ca. 85.000 Absolventen. Das christliche Missionscenter Zion hat als einheitliche Denomination die meisten Absolventen in der ganzen Welt. Des weiteren sind sie in 15 Ländern vertreten. Unter anderem in den USA, China, Japan, Kanada, Deutschland, Niederlande, Frankreich, Spanien, Italien, Australien, Österreich, Süd Afrika, Indien, Philippinen und Hong Kong. In rund 300 Ortschaften wurden Missionscenter aufgebaut. Davon abgesehen, gibt es heute bereits hunderte von Pastoren die ihr Amt als Pastor abgelegt haben und die Worte der Wahrheit von Shinchonji anerkennen.“9

45 Kirchengemeinden gehören in Südkorea zu Shinchonji; außerdem unterhält Shinchonji weltweit über 300 Bibelschulen. Im Jahr 2013 wurde die Zahl der „Versiegelten“ auf über 100 000 geschätzt. Die Tendenz ist seither offenbar deutlich steigend, obgleich die Zahl der 144 000 noch nicht erreicht worden zu sein scheint.

Seit ca. 2006 ist Shinchonji vor allem mittels Untergruppierungen auch in Deutschland aktiv. Es gibt Bibelschulgemeinden in Essen, Leipzig, Berlin und Frankfurt a. M. Die Angaben schwanken zwischen 50 und 100 Mitgliedern pro Ort. Aussteiger berichten mittlerweile von ca. 70 bis 80 wöchentlichen Bibelkursteilnehmern. Durch die rege Missionstätigkeit scheinen die Gruppen zu wachsen.

Folgende Bücher werden Man-Hee Lee zugeschrieben: The Reality of the Book of Revelation (2005); The Acts of Jesus Christ (2006); The Creation of Heaven and Earth (2007); The Revelation and Commentaries (2008); The Correct Understanding of the Bible and of Shinchonji: The Altar of Truth I (2009), II (2010), III (2011).

Der verheißene Gesandte Gottes

Man-Hee Lee ist klein gewachsen, immer gut gekleidet (oft mit einem weißen Anzug) und lächelt freundlich; in seiner Hand hält er eine kleine Eisenstange, die seinen Anhängern signalisieren soll, mit wem sie es zu tun haben. Die Eisenstange deutet darauf hin, dass durch Man-Hee Lee die Werke, die den sieben Gemeinden durch die Sendschreiben in Offb 1-3 zu tun aufgetragen werden, vollständig erfüllt wurden. Im Sendschreiben an die Gemeinde Thyatira heißt es: „Wer siegt und bis zum Ende an den Werken festhält, die ich gebiete, dem werde ich Macht über die Völker geben. Er wird über sie herrschen mit eisernem Zepter und sie zerschlagen wie Tongeschirr“ (Offb 2,26f). Der weiße Anzug und der Eisenstab ergänzen sich gut, denn derjenige, der die Verheißungen erfüllen kann, muss bereits Sieger sein und ist damit auch unsterblich. Der Sieger ist nach der Offenbarung des Johannes nicht nur mit einem Eisenstab versehen, er trägt auch weiße Kleidung: „Wer siegt, wird ebenso mit weißen Gewändern bekleidet werden. Nie würde ich seinen Namen aus dem Buch des Lebens streichen …“ (Offb 3,5).

Man-Hee Lee ist der Versammlungsleiter und Gründer von Shinchonji und damit die entscheidende Führungsfigur dieser koreanischen Glaubensgemeinschaft. Sieht man sich die thematisch angeordneten „exegetischen“ Bibelauslegungen an, die in den sogenannten Bibelkursen gelehrt werden, weist die immer gleiche Präambel auf die entscheidende Stellung des freundlich lächelnden Koreaners in seiner Glaubensgemeinschaft hin.10  Auf ihn allein gehen die Auslegungen und Deutungen diverser Bibelstellen zurück. „Dieser Artikel beinhaltet das, was Gott und Jesus – durch den Versammlungsleiter von Shincheonji – der Kirche Jesu – zum allgemeinen Gebrauch für die Gemeinden und Gläubigen niederschreiben ließen, zur Erkenntnis des Glaubens.“11  Was genau darunter zu verstehen ist, wird nicht ersichtlich; es scheint sich um eine Art sicheres Wissen zu handeln, dessen man sich aus der Bibel mithilfe Man-Hee Lees versichern könne. Es kann davon ausgegangen werden, dass Lees Anspruch, sicheres Wissen aus der Bibel ableiten zu können, von seinem ehemaligen Engagement im Tent Temple Movement und im Olive Tree Movement herrührt. Sowohl der Anführer des Olive Tree Movements, Tae-Sun Park, als auch Jae-Yul Yoo, der Chef des Tent Temple Movements, sahen sich selbst als von Gott auserwählte Gestalten an. Park identifizierte sich mit dem in Deuterojesaja erwarteten Perserkönig Kyrus (Jes 41), und Yoo meinte, als Einziger die aus Gleichnissen bestehende Bibel entschlüsseln zu können (s. o.). Dieser Anspruch, als Einziger den Schlüssel für das rechte Verständnis zu besitzen, übernahm Man-Hee Lee offensichtlich von Yoo.

Das Gründungsjahr von Shinchonji wurde von Man-Hee Lee zu einem kosmologischen Ereignis erhoben. So heißt es in seinem Buch „The Creation of Heaven and Earth“, die Gründung falle in das Jahr, in dem das Universum „completed its orbit and returned to its point of origin“. Wie die Gründung von Shinchonji heilsgeschichtlich begründet wird, so legitimiert sich Man-Hee Lee ebenfalls heilsgeschichtlich.12

Man-Hee Lee beschreibt sein Berufungserlebnis, das ihn zum entscheidenden Ausleger und Verkündiger des neuen Zeitalters macht, durch eine Begegnung mit einem „Menschen des Himmels“13; der Begegnung folgte ein Treueschwur mit Blut. Der Beginn seines Glaubenslebens ist seinen Berichten zufolge durch die Führung eines Sterns gekennzeichnet. Bereits als kleines Kind – er beschreibt seine Kindheit als äußerst beschwerlich – sei er von einem Stern geführt worden. Der Begegnung mit dem „Menschen des Himmels“ ging, so Man-Hee Lee, ein dreitägiges Herabkommen eines großen Sterns voraus. Weil sein Großvater ihm den Namen Hee („Licht“) gab (s. o.), deutet er seine Geburt als eine Lichtgeburt: „Ich bin durch das Licht des Himmels geboren.“ Nach einigen Jahren „gemeinnütziger Arbeit“ bekommt Man-Hee Lee, so weiter in seiner Selbstbeschreibung, „das aus dem Himmel kommende Buch zu essen“, was ihn zu einer akribischen Bibellektüre verpflichtete. „Von dieser Zeit an unterschied sich das, was ich empfand und verstand, und ich erkannte die Bedeutung der Bibel, also unter anderem das Ziel Gottes, unsere Hoffnung, die von mir zu vollbringende Arbeit und das zu vollbringende Werk an sich.“ Durch die Bibellektüre gewinnt er die Einsicht, dass das 6000-jährige Werk Gottes zu vollenden sei und die Offenbarung – gemeint sind die Verheißungen aus Offb 2 und 3 – erfüllt werden müsse. Er allein sieht sich als den verheißenen Hirten des Neuen Testaments: „Da dieser Mensch [gemeint ist er selbst, J. L.] der fürsprechende Bote Jesu ist, stellt er den Boten dar, der in Offenbarung 22,16 zu den Gemeinden gesandt worden ist.“

Entscheidend für seine Auslegung der Bibel ist die Annahme, dass alle Geheimnisse und Gleichnisse in Paaren angeordnet sind. Diese sich durch die ganze Schrift ausspannenden Parallelen gelte es zu entschlüsseln; nur wer die Entschlüsselungen kenne, könne gerettet werden. Das behauptete Parallelisierungsmuster zeigt sich etwa in Man-Hee Lees Auslegung von Genesis 1. Er meint festzustellen, dass bereits in Gen 1 bis 3 eine Parallele zwischen alter Erde und neuer Erde zu finden sei. Seiner Interpretation zufolge gab es unmittelbar nach dem ersten Schöpfungshandeln Gottes eine erste Erde, die sich durch Wüste und Wirrnis auszeichnete. Erst danach erfolgte die zweite Schöpfung, bei der die zweite Erde erschaffen wurde, die sogenannte Wiederschöpfung. „Wie man … sieht, gibt es vor der Schöpfung (Wiederschöpfung) des Himmels und der Erde aus 1. Mose 1:6-13 bereits einen Himmel und eine Erde (1. Mos 1:2).“14  Diese Urparallele zwischen erster Erde/erstem Himmel und neuer Erde/neuem Himmel zieht sich bis zur Offenbarung des Johannes durch. Überall sollen sich zu erschließende Parallelen finden, die als Geheimnisse zu entschlüsseln seien. Deshalb ist es für Man-Hee Lee wichtig, überall von Geheimnissen zu sprechen. Auch der Schöpfungsbericht sei ein großes Geheimnis, was in Psalm 78 nachzulesen sei (Ps 78,3) und bei Matthäus bestätigt werde (Mt 13,11). Diese Parallelisierungen spiegeln sich auch im Verständnis der Heilsgeschichte wider.

Heilsgeschichtliches Selbstverständnis

Die Anhänger von Shinchonji sind davon überzeugt, Anhänger eines neuen Himmels und einer neuen Erde zu sein. Mit der Gründung von Shinchonji beginnt in ihren Augen die Zeit der Errichtung der zwölf Stämme mit 144 000 Priestern, an deren Ende sich der bereits im Himmel erfüllte Zustand auch auf Erden verwirklichen werde.15  Die Erfüllung der Offenbarung beginnt in Korea. Dass überhaupt dieser „neue Himmel“ und diese „neue Erde“ errichtet werden soll, liegt am Zeitalter, in dem man sich heute befinde. In den Auslegungen Man-Hee Lees findet sich öfter der Ausdruck der „verdorbenen Menschheit“, der den gegenwärtigen Zustand der Zeit charakterisieren soll und muss. Denn wäre die gegenwärtige Menschheit nicht verdorben, müsste der verheißene Pastor nicht erscheinen.16  Die Menschheitsgeschichte, so lesen sich zahlreiche Auslegungen, verwandelt sich seit der Erschaffung der Welt periodisch von einer gottergebenen in eine verdorbene Menschheit. Immer dann, wenn die Menschheit verdorben ist, gibt es einen Umbruch, der ein neues Zeitalter einläutet.

Dieser für Shinchonjis heilsgeschichtliches Selbstverständnis charakteristische Dispensationalismus teilt die Zeitalter in folgende biblische Perioden ein: Adam bis Noah; Noah bis Mose; Mose (fleischliches Israel) bis Jesus (geistliches Israel); Jesus (geistliches Israel) bis Erfüllung der Offenbarung durch Shinchonji. Dabei zieht Man-Hee Lee eine Parallele zwischen sich selbst und Jesus. So wie Jesus nach der Lehre von Shinchonji das Alte Testament erfüllt, so erfülle er, Man-Hee Lee, die Zeit nach einer 2000-jährigen Ära des Christentums.

Die Mitglieder, die sich bereits als Teil der Erfüllung der Offenbarung sehen, dürfen nicht mehr zur Welt gehören, die als satanisch abgewertet wird. Die Polarität zwischen der Verheißung Gottes und der „Hoffnung in der Welt“ ist wesentlich für das heilsgeschichtliche Selbstverständnis von Shinchonji.17  Die Gemeinde Shinchonjis wird dadurch, dass sie sich vom Satan oder Drachen losgesagt hat und versiegelt ist, vom Endkampf zwischen Gott und Satan verschont werden. Denn Gott werde am Ende mit seinem Arm die Ähren abmähen (Jes 17,5), was zu einer großen Zahl von Opfern führe. Am Ende wird es eine Welt des Friedens geben, „ohne Tränen, Schmerzen und Tod“.18  Diese Vision von einer Welt, in der Gott herrscht, habe mit Shinchonji bereits begonnen. Wichtig für das Selbstverständnis von Shinchonji ist, dass im Gegensatz zu allen bereits vergangenen Zeitaltern, in denen Gott sich bemerkbar gemacht hat, das Zeitalter des „neuen Himmels und der neuen Erde“ vollständig von der satanischen Welt entkoppelt ist. Allen bisherigen, göttlichen Zeitaltern war der Kampf zwischen Satan und Gott inhärent. Deshalb ist auch die christliche Tradition durch diesen Kampf gekennzeichnet, was sich für Shinchonji besonders an den weltlichen Aspekten der sogenannten „traditionellen Gemeinden“ zeigt. Aus diesem Grund lehnt Shinchonji alle etablierten christlichen Traditionen ab.

Einstellung zu christlichen Kirchen und anderen Religionen

„Traditionelle Gemeinden“ sind dem Verständnis Shinchonjis zufolge solche, die sich in der Zeit zwischen dem Leben Jesu und der Gegenwart entwickelt haben. Ohne die „traditionellen Gemeinden“ näher zu unterscheiden, wird allen Angehörigen christlicher Kirchen pauschal ein negatives Glaubensleben attestiert, indem sie mit der „verdorbenen Welt“ Adams gleichgesetzt werden. „Wenn man das Glaubensleben und dessen Wert in den traditionellen Gemeinden sowie in der Gemeinde des neuen Himmels und der neuen Erde … miteinander vergleicht, dann verhält es sich so wie mit der verdorbenen Welt Adams und der wieder erschaffenen Welt Noahs …“19  Etwas später heißt es, die „traditionellen Gemeinden“ hätten zwar mit dem heiligen Geist begonnen, seien aber „zur Erde, also zum Fleisch“ zurückgekehrt.20  Die christlichen Kirchen sind demnach für Shinchonji nur insofern heilsrelevant, als das mit ihnen aufkommende Ende die Voraussetzung für die Erscheinung des verheißenen Pastors darstellt. Da der verheißene Pastor nach deren Lesart bereits erschienen ist, muss das Ende der „traditionellen Gemeinden“ eingetreten sein. Was laut Shinchonji in den „traditionellen Gemeinden“ zu Verderben geführt hat, ist Macht, Ruhm, Geld und ein blindes Vertrauen gegenüber ihren „Pastoren“. „Sie erachten die Kirchendoktrin ihrer eigenen Konfessionen wichtiger als die Gebote Gottes.“21  Wieder wird zur Begründung ihrer Verworfenheit eine vermeintliche Parallele aufgezeigt zwischen der Konfessionsgläubigkeit der Christen und der Gesetzesfrömmigkeit der Juden, was nach Shinchonji das Kommen Jesu herbeigeführt habe.

Weiter wird den „traditionellen Gemeinden“ fehlender Glaube an die verheißene Wiederkunft Christi attestiert und behauptet, sie fügten der Offenbarung Dinge hinzu und ließen andere dafür weg. Besonders schlecht kommt im Weltbild von Shinchonji die Theologie weg, weil sie durch ihre Interpretation und Kommentierung der Bibel die Tatsachen verdrehe, was zu einem Missverhältnis zwischen Gotteswort und Menschenwort führe.22  Shinchonji hat, so das Selbstverständnis, das Erbe der christlichen Kirchen angetreten, die als solche aus Abgefallenen bestehen, da sie den verheißenen Pastor in Man-Hee Lee nicht anerkennen: „Lassen sie uns nicht so werden wie die verdorbenen reformierten Kirchengemeinden. Lassen Sie uns den ganzen Eifer aufbringen und in die Hoffnung eingehen. Wir sind das Volk des Himmels. Amen.“23

Schließlich zeigt sich Shinchonjis Verhältnis zur Ökumene in der radikalen Leugnung der Trinitätslehre. Man-Hee Lee lehrt, dass die Vorstellung von drei Wesen in einer Person absurd sei, stattdessen existierten der Heilige Geist, Jesus und der Vater als drei eigenständige Wesen.24  Die Taufe nach christlichem Vorbild wird ebenfalls abgelehnt.

Eine kurze Bemerkung noch zu Shinchonjis Bewertung anderer Religionen: Allen Religionen wird attestiert, durch „aus sich selbst heraus gefällte Urteile“ verdorben zu sein. Keine der Religionen berufe sich wirklich auf das Wort Gottes, sondern auf die Menschen. Besonders scharf werden die heiligen Texte der Religionen abgelehnt, weil sie ein wichtiges Kriterium für die Validität von Gottestexten nicht erfüllten: einen Zusammenhang von Verheißung und Erfüllung. Für Shinchonji ist dies der alleinige Maßstab zur Bewertung von Texten. „Schriften, in denen keine verheißene Vorhersage und Erfüllung vorhanden sind, haben keine Wertigkeit, um daran zu glauben.“25  Weil nur eine Erfüllung, das Kommen von Man-Hee Lee, auf die eine Verheißung aus der Offenbarung erfolgen kann, darf es dieser Logik zufolge auch nur einen heiligen Text geben, dessen Heiligkeit wiederum allein durch das Erscheinen Man-Hees Lee verbürgt ist.

Religiöser Eifer

Die „exegetische“ Auslegung mit dem Titel „Verhältnis von Wahrheit und Freiheit“ macht offensichtlich, welche Konsequenzen der Anspruch mit sich bringt, der „neue Himmel und die neue Erde“ zu sein. Aufschlussreich ist eine eigenwillige Interpretation von Joh 8,32 und Joh 17,17. Die darin enthaltene Aussage von der freimachenden Wahrheit und die Fürbitte Jesu, die Jünger durch die Wahrheit zu heiligen, wird von Shinchonji nur als Voraussetzung dafür gesehen, um am Ende siegreich sein zu können. Der Sieg ist für Shinchonji die Konsequenz aus Wahrheit und Freiheit. Shinchonji versteht das Siegreichsein als letzte Konsequenz ihres Auftrags. Deshalb gilt es, mit Eifer Mission zu betreiben. In der Predigt zum Thema „Das gerechte Verhalten“ heißt es, dass die Heiligen (die Mitglieder von Shinchonji) zu eifrigem Beten und Missionieren aufgefordert sind, indem sie den „freiwilligen Dienst am Nächsten“ tun, den Zehnten abgeben und „eine moralische Vortrefflichkeit“ in der Kirchengemeinde errichten.26

Wichtig ist zu sehen, worauf Shinchonji den Schwerpunkt beim „freiwilligen Dienst am Nächsten“ legt. Aus einer Auslegung zu diesem Thema geht hervor, dass das Gewicht offensichtlich auf der medialen Dokumentation der geleisteten Aktivitäten liegt. „Jeden Monat werden Fotos, Filme und Broschüren zum Hauptsitz geschickt, die die einzelnen freiwilligen gemeinnützigen Aktivitäten … festhalten. Dies stellt einen ewigen unveränderlichen Dienst am Nächsten dar.“ Shinchonji versteht sich dabei als „freiwillige gemeinnützige Organisation mit den höchsten Maßstäben in der Welt“.27  Dies erklärt den Eifer, mit dem Shinchonji-Mitglieder versuchen, ihre Aktivitäten bildlich festzuhalten. Für Shinchonji dokumentieren sie die sogenannten „Früchte des Lichts“, die es gelte, jeden Monat und jedes Jahr anzuhäufen.

Den gleichen Eifer legen Mitglieder an den Tag, wenn es darum geht, ehemalige Mitglieder wiederzugewinnen. Kommt ein Mitglied nicht zur Versammlung, dann sind der Reihe nach der Bezirksleiter, der Abteilungsleiter und der Gemeindeleiter gefragt, das „verlorene Schaf“ zurückzuholen. Hat schließlich auch der Stammführer keinen Erfolg, muss „der Grund seiner Abwesenheit samt seiner Adresse und Telefonnummer an die Zentrale weitergeleitet werden“.28  Der Grund, weshalb Mitglieder die Gemeinde verlassen, liegt für Shinchonji am Festhalten an „nutzlosen Dingen“. Wer beginne, an der Lehre etc. zu zweifeln, werde unbewusst von Dämonen heimgesucht. Ein Grundübel in Bezug auf die menschliche Verführbarkeit und den Abfall von der Lehre Man-Hee Lees sieht dieser in der Erinnerung der Mitglieder an Dinge, die vor ihrem Beitritt zu der Gemeinschaft liegen. In den Augen Shinchonjis ist dies einzig die Folge mangelnder Ausbildung.29

Bibelkurse

In erster Linie wirbt Shinchonji mit kostenlosen Bibelkursen für sich. Dabei wird nicht transparent gemacht, zu welchem Ziel sie führen. Die Kursstrukturen sind in der Regel dreiteilig aufgebaut und enden jeweils mit Graduierungen. Es wird peinlich genau darauf geachtet, dass die Kursteilnehmer alle Unterrichtsstunden besuchen und sie ggf. nachholen. „Nach einem Alpha-Kurs, der in der Regel in einem persönlichen „Hausstudium“ mit einem Shinchonji-Mitglied absolviert wird, folgen im Alpha-Omega-Kurs eine Grund-, Mittel- und Oberstufe.“ Erst in letzterer Stufe nähert man sich der Offenbarung und wird nach vorheriger Indoktrination langsam dorthin geführt, dass der verheißene Pastor in der Person Man-Hee Lees in Korea längst erschienen sei. Im Folgenden seien die Kursbeschreibungen – wie sie die Shinchonji bewirbt – wiedergegeben:30

„1. Alpha Kurs: Die Dauer des Kurses setzt sich aus 10 Lektionen zusammen. Eine Lektion besteht aus zwei Schulstunden. Es wird ein grundsätzliches Wissen über die Bibel vermittelt und das ganzheitliche Verständnis aufgezeigt. In diesen Lektionen werden bereits tiefe Worte Gottes vermittelt.“

„2. Alpha-Omega-Kurs: Je nachdem, wie hungrig man nach den Worten Gottes ist, bieten wir einen Aufbaukurs mit einer Dauer von ca. 6-8 Monaten an. In diesem Kurs werden alle 66 Bücher der Bibel gelehrt, einschließlich Offenbarung. Voraussetzung für diesen Kurs ist, den Alpha Kurs zu absolvieren. Der Kurs besteht aus drei Stufen, Grund-, Mittel- und Oberstufe. Grundstufe: Hier wird das Fundament aufgebaut. Die wahre Bedeutung der Gleichnisse (Mt. 13, Mt. 24) in der gesamten Bibel werden vorgestellt. Diese sind wichtig, um in der Oberstufe die Offenbarung besser verstehen zu können. Mittelstufe: Man erhält einen tiefen Einblick in die Bibel. In der Schöpfungsgeschichte (1. Mose) wird das Prinzip von Gottes Arbeitsweise anhand der natürlichen Ordnung aufgezeigt. Der Lerninhalt der Mittelstufe konzentriert sich insbesondere auf die Bücher im Alten Testament einschließlich der prophetischen Bücher, aber im Hinblick und Zusammenhang auf die Geschehnisse und Verheißungen des neuen Testamentes. Der rote Faden in der Bibel wird sichtbarer und verständlicher. Oberstufe: In der Oberstufe wird die Offenbarung, das wichtigste Buch der Bibel, behandelt. Dieses ist der Schlüssel, um alle anderen Bücher verstehen zu können und letztendlich der Schlüssel zu Gottes fantastischem Plan für uns und für die gesamte Welt. Die Kurszeiten sind relativ flexibel. Sie können in den Morgen-, Vormittags- und Abendstunden absolviert werden. Bist Du mindestens 18 Jahre alt, bereit und entschlossen, Dich zu verändern nach den Worten Gottes? Dann besuche uns persönlich oder vereinbare eine Probestunde mit uns. Wir freuen uns sehr auf Dich. In besonderen Fällen und Lebenssituationen sind Belehrungen auch über Skype und Telefon möglich. Der Unterricht ist kostenfrei.“

Strukturen und Zusammenhänge

  • HWPL (Heavenly Culture, World Peace, Restoration of Light, www.hwpl.kr):Diese Vereinigung unter Vorsitz von Man-Hee Lee strebt zum einen die Wiedervereinigung Koreas an und führt sie in der „Declaration of Unification“ aus: Überwindung von Grenzen, gutes Leben für alle Bürger, Reisefreiheit und Niederlegen der Waffen sowie Religionsfreiheit in dem Sinne, dass sich alle Religionen vereinigen sollen. In einer zweiten „Declaration of World Peace“ werden alle Staatsoberhäupter aufgerufen, eine internationale Vereinbarung zu schließen, die das Ziel hat, alle Kriege zu beenden. Die Jugendlichen der Welt werden aufgerufen, sich gegen Krieg auszusprechen, indem sie sich in der „einzigen und wahren“ „International Youth Coalition“ der HWPL registrieren. Alle Menschen der Welt werden aufgerufen, sich für den Frieden einzusetzen, die Medien sollen verantwortungsvoll berichten und sich für den Weltfrieden einsetzen. Diese Deklaration ist sowohl von Man-Hee Lee, dem Vorsitzenden der HWPL, als auch von Nam Hee Kim, der Vorsitzenden der IPYG, unterzeichnet. HWPL wirbt damit, dass z. Zt. 34 jetzige oder frühere Staatsoberhäupter aus 25 Ländern ihre Ziele unterstützen.31
  • IPYG (International Peace Youth Group, http://ipyg.org): Die IPYG ist die direkte Nachfolgeorganisation von „Mannam“, der Jugendorganisation innerhalb der Shinchonji. Sie entwickelte sich zunächst innerhalb der HWPL als Jugendgruppe in Südkorea und wurde dann laut Eigenaussagen im Mai 2013 aufgrund der „inspirierenden Reden des Gründers, Friedensstifters und Kriegsveteranen Man-Hee Lee“ neu gegründet. Sie fusionierte mit der MIYC und wuchs damit zu einer Organisation mit 235 Dependancen in 69 Ländern. Ziel ist es laut Selbstauskunft, für den Weltfrieden einzutreten. Dazu würde IPYG „alle Jugendorganisationen rund um die Welt kontaktieren und sie einladen, der eigenen Mission zu folgen“.
  • IWPG (International Women‘s Peace Group, http://internationalwomenspeacegroup.org): das weibliche Pendant zur IPYG. Die Vorsitzende ist Nam Hee Kim, die auch als „Mutter der Völker“ bezeichnet wird. Es ist ungewiss, ob sie (vielleicht symbolisch) mit Man Hee Lee verheiratet ist. Die beiden Organisationen treten seit 2014 zusammen auf und haben gemeinsam die Vereinigung auf der großen „Weltfriedenskonferenz der Religionen“ (WARP, http://warpsummit2014.org) gefeiert.

An dieser Weltfriedenskonferenz wird eine der Strategien der weltweit agierenden koreanischen Neureligion deutlich: Die Konferenz fand in Seoul statt und hatte vordergründig das Ziel, alle Nationen und Religionen auf einen weltweiten Friedenspakt einzuschwören – unter Führung von Man-Hee Lee. Auch in Deutschland bekamen nahezu sämtliche religiösen Leitungsorgane der großen Kirchen, Freikirchen, aber auch anderer religiöser Gruppierungen Einladungen zu dieser Konferenz. Die Kosten sollten übernommen werden, in vielen überregionalen Tageszeitungen wurde geworben. Von denjenigen, die diesen Einladungen folgten, wurden (am liebsten mit dem Erkennungszeichen der Shinchonji, dem zum Haken gespreizten Daumen und Zeigefinger) unzählige „Beweis“-Fotos angefertigt, die dann auf den Homepages der Organisation mit Vorliebe gezeigt werden, um sich mit fremden Autoritäten zu brüsten. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurden dazu aufgefordert, diverse Deklarationen der HWPL zu unterzeichnen und damit Teil dieser Bewegung zu werden.

Theologische Kritik

Eine Kritik kann sich nicht auf alle angesprochenen Aspekte beziehen. Im Folgenden sei insbesondere auf einige theologische Schwierigkeiten hingewiesen, die das Selbstverständnis von Shinchonchji betreffen. Aus christlicher Sicht eine Kritik an Shinchonji zu formulieren, bedeutet zuerst, die Sonderstellung Lees infrage zu stellen. Aus den in den Bibelkursen behandelten Auslegungen geht eindeutig hervor, dass sich seine Bibelhermeneutik einer an ihn ergehenden (Dauer-)Offenbarung durch Jesus und Gott verdankt. Er versteht sich damit als einziges Medium des richtigen Verständnisses der biblischen Geheimnisse. Seine Auslegungen diverser Bibelstellen stehen teilweise in eklatantem Widerspruch zum Literalsinn der Texte selbst, was in etwa seinem eigenwilligen Verständnis von Genesis 1 zu entnehmen ist. Seine Auslegungen geben so von vornherein zu erkennen, mit welchem Maßstab er misst: Alles ist auf seine Person als den vermeintlichen Endzeitpastor gerichtet. Die Texte werden damit auf ihre Funktion zur Bestätigung der eigenen Person reduziert. Die Grundlage bildet sein Beurteilungskriterium für die Heiligkeit von Texten. Ohne nähere Begründung wird Heiligkeit nur dort angenommen, wo eine (bzw. die) Verheißung mit einer (bzw. der) Erfüllung zu finden ist. Lee ist damit Ausgangspunkt und Endpunkt des richtigen Bibelverständnisses, was einer christuszentrierten Auslegung diametral widerspricht.

Ebenfalls im Widerspruch zur christlichen Auffassung steht die von Shinchonji propagierte Selbsteinschätzung, der angekündigte neue Himmel und die neue Erde zu sein. Ebenso bleibt völlig offen, wie Man-Hee Lee auf die Idee kommt, die Verheißungen der Bibel würden sich in Südkorea erfüllen. Systematisch-theologisch kann die Ankündigung des „neuen Himmels und der neuen Erde“ nicht als ein empirisch erlebbares „Ereignis auf der Zeitlinie unserer Erfahrungswelt“ aufgefasst werden. Alles Sprechen von Parusie oder Wiederkunft, von neuem Himmel und neuer Erde kann christlich verstanden ebenfalls immer nur christuszentriert sein. Wiederkunft als Vollendung des Einzelnen, der Schöpfung und der Geschichte in Christus meint nicht ein singuläres, empirisch wahrnehmbares Kommen des abwesenden Jesus (bzw. eines abwesenden Endzeitpastors). Wer wie Shinchonji (und auch andere religiöse Endzeitgruppen) Vollendung als innergeschichtliches Ereignis denkt, trägt die Beweislast, sein Verständnis von Transzendenz bzw. Ewigkeit zu buchstabieren.

Ebenfalls stellt es sich als schwierig dar, das Engagement der Shinchonji-Kirche für den Frieden auf der Erde vor dem Hintergrund ihres Verständnisses von Ökumene und Interreligiosität ernst zu nehmen. Wo einerseits eine in seiner Schärfe kaum zu überbietende Abwertung nicht nur der christlichen Kirchen, sondern auch der anderen Religionen stattfindet, ist es verwunderlich, wie stark Shinchonji andererseits immer wieder versucht, mit Religionsvertretern aller Art ins Gespräch zu kommen. Die theologische Abwertung aller christlichen Kirchen und der Religionen lässt nur den Schluss zu, dass sowohl „Ökumene“ als auch „interreligiöse“ Arbeit für Shinchonji nur darin bestehen kann, im Sinne des „freiwilligen Dienstes am Nächsten“ andere für die eigenen Ansichten zu vereinnahmen und Bildmaterial nach Korea schicken zu können. Ein vorurteilsfreier Blick auf religiöse Traditionen findet nicht statt. Shinchonji meint, „das Glaubensleben der christlichen Gemeinden“ von außen beurteilen zu können, und steht damit nicht nur gegen die christliche Spiritualität, sondern untergräbt auch den eigenen Anspruch, dass in der Bibelauslegung „das gerechte Verhalten“ gefordert werde: „Jesus hat uns viele Gebote bekannt gegeben. Doch wer nur sich selbst als gerecht, großartig, rechtschaffen und heilig erachtet sowie andere Menschen als Sünder behandelt … ist jemand, der ein Boten Satans ist.“32  Dagegen steht: „Auf der Welt gibt es zahlreiche Gemeinden, Pastoren und Gemeindemitglieder. Doch es gibt nicht einen Menschen, der die Voraussetzung erfüllt, um in das Himmelreich zu gehen.“33 Vor diesem Hintergrund ist Shinchonjis Einsatz für den Weltfrieden im Verbund mit den Religionen als fragwürdig einzuschätzen. Denn „Weltfrieden“ und jede Form des Zueinanders von Religionen dient Shinchonji lediglich als Anerkennung der Erfüllung der Verheißung. Damit wird der instrumentelle Charakter deutlich, den andere Religionen für Shinchonji haben.

Aufgrund des Selbstverständnisses, Sieger und Mitglied der erfüllten Verheißung zu sein, erklärt sich auch der Eifer, mit dem Mitglieder für sich werben. Der Eifer, andere für das Eigene zu vereinnahmen (teilweise ohne den Hintergrund klar zu benennen), muss aus christlicher Sicht ebenfalls abgelehnt werden. Hier scheint weder so etwas wie die Überzeugung von einer allen Menschen innewohnenden Ebenbildlichkeit Gottes noch eine wohlwollende Bewertung von Menschen anderen Glaubens vorzuliegen.


Gemeinden in Deutschland:

FFG (Frankfurter Friedensgemeinde e. V.), früher: FKIM (Frankfurt-Korea Internationale Missionsgemeinde)

Vereint in Jesus e. V. (Essen)

Gemeinde im Licht e. V. (Berlin), früher: Internationale Bible Mission Center e. V.


Oliver Koch, Johannes Lorenz


Anmerkungen

1  Sowohl Shinchonji als auch Shincheonji sind gebräuchliche Schreibweisen. Siehe zu der Bewegung auch Michael Bulle / Reinhard Hempelmann, Zur Religionsgemeinschaft Shinchonji, in: MD 9/2014, 339-342; Marcus Göttig, Furcht rechnet mit Strafe aber die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Erfahrungen mit Shinchonji (SCJ), in: Berliner Dialog 31 (2014), 18-22, www.religio.de/dialog/114/bd31_s18.pdf.

2  Vgl. Felix Moos, Some Aspects of Park Chang No Kyo – A Korean Revitalization Movement, in: Anthropological Quarterly, July 1964, 110-120.

3  James Huntley Grayson, Korea: A Religious History,  London 2002, 208.

4  Vgl. ebd.

5  Vgl. Seung Yun Lee, The Genealogy of Cults: „The Tabernacle-Temple Denomination“, in: Modern Religion, April 2011, 138f.

6  Vgl. ebd., 139.

7  Man-Hee Lee, The Creation of Heaven and Earth, 2009, 44.

8   www.shinchonji.org/wp/?cat=18&paged=33 (Abruf: März 2016).

www.shinchonji.org/wp/?cat=18&paged=31 (Abruf: März 2016).

10  Die „exegetischen“ Bibelauslegungen der Bibelschule Shinchonjis können abgerufen werden unter http://m.cafe.daum.net/scjschool/E9Mb?boardType= (Abruf: 13.4.2016). Da es sich um eine Fülle von Material handelt, kann hier nur ein kleiner Ausschnitt zur Erläuterung des theologischen Hintergrundes herangezogen werden.

11  Jede Auslegung trägt diese Präambel.

12  Neben seiner heilsgeschichtlichen Legitimationsstrategie findet sich auch die, den Vorwurf, er sei Sektenführer, als Bestätigung seiner Erwählung durch Jesus anzusehen: „So wie Jesus und seine Jünger beim ersten Kommen verfolgt wurden, werden die Menschen den von Jesus gesandten Boten verfolgen, indem sie ihn als einen Sektenführer bezeichnen. Dieser von Jesus gesandte Bote ist bereits in die Welt gekommen.“

13  Die folgenden Zitate sind der Auslegung „Wahrheit, Freiheit und Sieg (K734)“ entnommen.

14  Shincheonji, Die Schöpfung und die Wiederschöpfung sowie der Bund und der neue Bund (k747).

15  „Und so wie es im Himmel erfüllt worden ist, müssen auch auf der Erde gemäß des neuen Bundes (Neues Testament) die 12 Stämme des neuen Reiches Gottes versiegelt und erschaffen werden.“ Shincheonji, Die Schöpfung und die Wiederschöpfung sowie der Bund und der neue Bund (k747). Die 12 Stämme sind weltweit vertreten.

16  „Wenn man das Werk in den 66 Büchern der Bibel … betrachtet, hat Gott in jedem verdorbenen Zeitalter die Welt jener Verdorbenen beendet und ein neues Zeitalter erschaffen.“ Shincheonji, Der Unterschied im Glaubensleben zwischen den traditionellen Gemeinden und der Gemeinde des neuen Himmels und der neuen Erde (K750).

17  Vgl. Shincheonji, Die Schöpfung und die Wiederschöpfung sowie der Bund und der neue Bund (k747).

18  Shincheonji, Jesus, Satan, die Versuchung und der Sieg vor 2000 Jahren (k742).

19  Shincheonji, Der Unterschied im Glaubensleben zwischen den traditionellen Gemeinden und der Gemeinde des neuen Himmels und der neuen Erde (K750).

20  Ebd.

21  Ebd.

22  „Da der Heilige Geist in den theologischen Fakultäten nicht vorhanden ist, ist auch das Wort nicht vorhanden. Da das Wort nicht vorhanden ist, werden Menschengebote gelehrt und die Pastoren, welche die Menschengebote gelernt haben, lehren ihren Gemeindemitgliedern ebenfalls Menschengebote. Sie haben den wahren Willen Gottes nicht in sich und keine Beziehung zu Ihm. Da sie aus der Erde geboren sind, lernen sie das, was von der Erde ist. Sie sind keine Religion.“ Shincheonji, Das Wort im Anfang sowie Freiheit und Frieden (K623).

23  Shincheonji, Das gerechte Verhalten (K725).

24  Vgl. Shincheonji, Der Gott der Dreieinigkeit (K14).

25  Shincheonji, Die Einheit mit den einzelnen Religionen (K639).

26  Shincheonji, Das gerechte Verhalten (K725).

27  Shincheonji, Der freiwillige Dienst am Nächsten (K733).

28  www.shinchonji.org/wp/?cat=18&paged=8 (Abruf: 3.9.2014).

29  Vgl. Shincheonji, Das gerechte Verhalten (K725).

30  www.frankfurterfriedensgemeinde.de/index.php/features/bibelkurse/kursstruktur (Abruf: 16.2.2015).

31  Vgl. http://ipyg.org, Video.

32  Shincheonji, Das gerechte Verhalten (K725).

33  Shincheonji, Der Unterschied im Glaubensleben zwischen den traditionellen Gemeinden und der Gemeinde des neuen Himmels und der neuen Erde (K750).