Kai Funkschmidt

200. Geburtstag Baha´u´llahs

Eindrücke von der Feier der Baha´i in Bad Vilbel

„Ich dachte, bei diesen östlichen Religionen sei das Essen immer vegetarisch.“ So kommentierte eine Vegetarierin das opulente Buffet bei einer Feier zum 200. Geburtstag Baha’u’llahs und reichte ihren Spinatauflauf ihrer Freundin weiter, als sie Fleisch darin entdeckte. Auch ein Erfolg für den Veranstalter: Wissen über die Baha‘i zu vermitteln, war zentrales Anliegen.

Am 21.10.2017 jährte sich zum 200. Mal der Geburtstag Baha’u’llahs. Dies ist der Ehrentitel („Glanz/Herrlichkeit Gottes“) Mirza Husain-‘Ali Nuris (1817 – 1892), der in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Persien die Religion der Baha‘i begründete. Das Jubiläum wurde nicht mit einem zentralen Großereignis begangen. Vielmehr waren alle Baha’i-Gemeinden weltweit aufgerufen, lokale Feiern für die Öffentlichkeit zu veranstalten (vgl. MD 12/2017, 469f). Damit wollte man das Jubiläum nutzen, um die eigene Bekanntheit zu steigern. Die Gestaltung war der jeweiligen Gemeinde überlassen. Wie das im Einzelfall aussehen konnte, zeigt das Beispiel der Feier im hessischen Bad Vilbel (Wetterau), einer Kleinstadt in der näheren Umgebung des einzigen europäischen Baha‘i-Tempels in Langenhain im Taunus. Die Baha‘i beanspruchten bei ihrer Selbstdarstellung an dem Abend, trotz ihrer nur sieben Millionen Anhänger die „nach dem Christentum am zweitweitesten verbreitete Religion“ der Welt zu sein.

Schon Monate vorher hatten Plakate in der Stadt auf das bevorstehende Ereignis hingewiesen und die Öffentlichkeit ins Bürgerhaus eingeladen. Vor allem aber hatten die Gemeindeglieder rege Werbung unter Freunden, Bekannten und Nachbarn betrieben, zahlreiche Menschen angesprochen und ihnen edel gestaltete Einladungskarten überreicht. Mit Erfolg: Die knapp 20 erwachsene Mitglieder starke Gemeinde begrüßte an diesem Samstagabend fast 300 Gäste, die mit einem aufwendigen persischen Buffet versorgt wurden. Seitens der Kirchen und Religionen war nur die evangelische Kirche offiziell vertreten. Die große syrisch-orthodoxe Gemeinde Vilbels hatte niemanden entsandt, eine offizielle islamische Vertretung fehlte. Auch unter den Teilnehmern waren, obwohl vor Ort viele leben, keine Muslime erkennbar, was angesichts der schweren Verfolgung der Baha‘i in ihrer persischen Heimat, wo sie als vom Islam Abgefallene gelten, ein unschönes Signal abgab.

Die Vilbeler Baha’i haben in der Stadt einen guten Ruf, wie der Bürgermeister zur Eröffnung betonte. Sie sind an verschiedenen Stellen zivilgesellschaftlich und karitativ engagiert. Sie weigern sich, staatliche Gelder anzunehmen, um ihre Unabhängigkeit zu wahren, und hatten daher auch ein städtisches Zuschussangebot für ihre Jubiläumsfeier abgelehnt.

Der inhaltliche Teil des Abends bestand aus einem Wechsel von Musik und Informationen über den Glauben und seinen Gründer. Auftakt und Abschluss gestaltete ein städtischer Chor mit zwei christlichen Liedern, ansonsten strukturierten kleine Klavierstücke den Abend. Diese Mischung aus Gastfreundschaft, Glaubenszeugnis und Kulturgenuss kam bei den Besuchern hervorragend an.

Inhaltlich gewann man einen guten Überblick über die relativ wenig bekannte Religion. Geboten wurden ein Film über Baha’u’llah, Lesungen aus seinen Schriften, ein Kurzvortrag, eine szenische Darstellung der gemeindlichen Jugendgruppe, eine Lesung aus einem Werk E. G. Brownes (einer der wenigen Westler, die Baha’u’llah zu Lebzeiten begegnet waren). Immer wieder wurden Zitate aus dem „Meer der Worte Gottes“ eingestreut, wie Baha’i die ca. 15 000 überlieferten Schriften und Sprüche Baha’u’llahs bezeichnen.

Baha’u’llah ist für die Baha’i der letzte in einer Reihe von Gottesboten bzw. „heiligen Seelen“, die Gott jeweils für ihre Zeit zum Wohl der Menschen zwecks „sittlicher und geistlicher Vervollkommnung“ sandte. Diese Reihe umfasst Krishna, Abraham, Mose, Buddha, Zoroaster, Jesus, Mohammed, den Bab (Vorläufer Baha’u’llahs) und Baha’u’llah. Sie alle „hatten angeborenes Wissen von Gott und strebten keine weltliche Macht an“ (Mohammed?! fragt sich da der Beobachter), verkündeten aber „alle denselben Gott“. An dieser Stelle sah man viel zustimmendes Nicken im Publikum. Theoretisch ist die Liste der Propheten nach hinten offen, doch praktisch ist Baha’u’llah der „Bote für unsere Zeit“. Die Prophetenreihe spiegelt dabei das religionsgeschichtliche Wissen, das dieser zu seiner Zeit hatte. Darum fehlen in ihr natürlich viele bedeutende Religionsstifter wie etwa Guru Nanak Dev (Sikhismus) und Joseph Smith (Mormonen), was ihr eine gewisse Zufälligkeit verleiht. Auch hat Gott aus Baha’i-Sicht die Menschen Schwarzafrikas, Australiens und Amerikas offenbar etwas vernachlässigt.

Nach dem Selbstverständnis der Baha’i fasst Baha’u’llah all diese Vorläuferpropheten zusammen und überbietet sie. Schon in der Zeit des Imperialismus habe er die „Einheit der Menschheit“ verkündet: „Niemand rühme sich, dass er sein Land liebt, sondern dass er die ganze Menschheit liebt.“ Dass man Baha’u’llah schwer verfolgte, sei ein tragischer Fehler gewesen. Erst habe „die Menschheit jahrhundertelang um die Ankunft des Messias gebetet, und als er kam, lehnte sie ihn ab“. Dies war an dem Abend der einzige Hinweis darauf, dass Baha’u’llah den Baha’i als der Verheißene vieler Religionen gilt (Messias, Zehnter Avatar, Maitreya-Buddha usw.).

Der dargestellte Inhalt der Botschaft war minimalistisch. Abgesehen vom Topos der „einen Wahrheit, dem einen Gott hinter allen Religionen“ ging es Baha’u’llah demnach vor allem um Ethik in Gestalt allgemeiner Tugendlehren. Zusammenfassen lassen sich diese etwa in einem Vers, den die Jugendgruppe bei ihrer szenischen Aufführung minutenlang als Mantra vortrug und den die Besucher am Ende auf einem Lesezeichen nach Hause trugen: „Die Besserung der Welt kann durch reine und gute Taten, durch lobenswertes und geziemendes Verhalten erreicht werden.“ Der Satz löste in unserer Tischgruppe spontane Zustimmung aus, allenfalls getrübt durch Skepsis gegenüber der praktischen Durchsetzbarkeit. Diese Reaktion ist typisch für erste Begegnungen mit den Baha’i, z. B. dann, wenn man mit Besuchern den Baha’i-Tempel im Taunus besichtigt. Die Baha’i-Lehre erscheint ähnlich wie die pluralistische Religionstheologie unmittelbar anschlussfähig in säkularer und individualistischer Zeit – die aber trotz ihres ausgeprägten Individualismus reale und bleibende religiöse Unterschiede schwer aushält. Keiner meiner Gesprächspartner stellte sich an diesem Abend die naheliegende Frage, ob vielleicht „gute Taten“ sowie „lobenswertes und geziemendes Verhalten“ keineswegs eindeutig seien, sondern in verschiedenen Kulturen und Religionen unterschiedlich, ja geradezu gegensätzlich verstanden werden können. Die ökumenische Missionsbewegung gab sich einst den Slogan „Lehre trennt, Dienst eint“ und merkte bald, dass sich religiöse Spannungen ebenso an der Ethik wie der Dogmatik entzünden.

Bei aller religionsübergreifenden und -versöhnenden Rhetorik war unverkennbar, dass die Baha’i mit ihrer messianischen Deutung Baha’u’llahs eine Offenbarungsreligion neben vielen anderen sind. Es ist die geistige Pflicht eines jeden Baha’i, mit seinen Mitmenschen über die Botschaft Baha’u’llahs zu sprechen. Dementsprechend konnte man den Abend durchaus als missionarisch-einladend beschreiben, obwohl Baha’i den Begriff „Mission“ nicht mögen und eher von „Dialog“ sprechen, weil sie Mission, das wurde am Abend deutlich, als „Eiferertum“ sehen.

Das Ziel ihres Glaubens wurde als eine „Weltkultur auf der Basis der göttlichen Lehren“ beschrieben. Unübersehbar der universale Geltungsanspruch: Immer wieder war von der „Menschheit“ die Rede, deren Zukunft so aussehen soll: „Ein Gott, eine Religion, eine Menschheit.“ Das soll den Frieden fördern. „Der Hauptzweck, der ... Seine Religion beseelt, ist, das Wohl des Menschengeschlechts zu sichern“ (Zitat Baha’u’llah, abgedruckt auf der Einladungskarte). Hier stellen sich Fragen. Ist die Zielvorstellung einer Einheitsmenschheit mit Einheitskultur und Einheitsreligion wirklich eine humane Verheißung? Wohnt ihr nicht eher ein totalitäres Moment inne? Praktisch wird so etwas nie ohne Zwang durchsetzbar sein. Aber auch theoretisch und theologisch muss man fragen: Impliziert diese Sehnsucht nach Überwindung der Verschiedenheit menschlicher Kulturen, Religionen und Gesellschaften nicht auch eine Abneigung gegen Vielfalt und Fremdheit? Wie wertschätzend kann es sein, andere Religionen alle nur als Vorstufen meiner eigenen, den krönendem Abschluss bildenden Religion anzusehen? Sollte denn friedliches Zusammenleben – darum geht es den Baha’i vor allem, und man glaubt es ihnen – wirklich voraussetzen, dass dereinst weltweit alle gleich denken, handeln, glauben?


Kai Funkschmidt