„300 Jahre Freimaurer" - Festakt in Hannover
(Letzter Bericht: 11/2015, 430f) Der Festakt in Hannover zum 300-jährigen Bestehen der organisierten Freimaurerei bildete den eigentlichen Höhepunkt der Feierlichkeiten in Deutschland. Bereits im Vorfeld war das Medienecho auf das Jubiläum groß. Artikel und Berichte in Zeitungen, Reportagen in Rundfunk und Fernsehen lieferten Hintergrundinformationen zur Geschichte und zum aktuellen Erscheinungsbild des ethischen Männerbundes. Die englische Großloge wird am 31. Oktober 2017 ihr 300-jähriges Bestehen in der Royal Albert Hall in London begehen.
Im Sprengel-Museum Hannover waren am 1. September 2017 rund 250 geladene Gäste zusammengekommen, darunter auch der Pro Grand Master Peter Lowndes der United Grandlodge of England (UGL). Der Ort für den zentralen Festakt war gut gewählt: Die niedersächsische Landeshauptstadt gilt als „Freimaurerhochburg“. Zwölf Männer- und zwei Frauenlogen mit rund 500 Mitgliedern haben hier ihren Sitz.
Wie am Rande der Veranstaltung zu erfahren war, hatten die fünf Großlogen im Vorfeld jeweils 50 Plätze zu vergeben. Neben Pressevertretern und einigen Gästen saßen überwiegend Freimaurer im Publikum. Als prominenter und souveräner Moderator fungierte Max Schautzer, der sich erstmals öffentlich als Freimaurer zu erkennen gab. Umrahmt wurde das Festprogramm von zahlreichen musikalischen Beiträgen, u. a. eines freimaurerischen Konzertpianisten und eines gemischten Hannoveraner Logenchors.
Ein schriftliches Grußwort des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier wurde verlesen, in dem er daran erinnerte, eigene Traditionen nicht versteinern zu lassen. In seiner Begrüßungsrede plädierte der Großmeister der Vereinigten Großlogen von Deutschland (VGLvD), Christoph Bosbach, für eine noch stärkere Öffnung des Bruderbundes. Zwar geschehe dies schon jetzt durch eine breite Öffentlichkeitsarbeit im Internet oder in den sozialen Medien, doch das öffentliche Wirken solle besonders durch den Einzelnen erfolgen. Wie er im persönlichen Gespräch erklärte, wünsche er sich, dass Freimaurer sich in ihrem Engagement öffentlich zu erkennen geben. So könne es gelingen, „glaubwürdige Zeugenschaft“ zu verwirklichen.
Ein Novum war sicherlich, dass bei den Jubiläumsfeierlichkeiten auch die Frauengroßloge von Deutschland mit einbezogen war: So waren im Hintergrund des Podiums nicht nur die Logos der VGLvD und die der fünf Großlogen, sondern auch das der Frauengroßloge von Deutschland zu sehen. Deren Großmeisterin Antje Hansen wurde sogar zum Gruppenbild mit den Großmeistern der fünf Großlogen gebeten.
Derzeit gibt es in Deutschland 15 000 Freimaurer in 485 Logen. Die Zahl scheint wieder zu stagnieren. Weltweit gibt es nach Schätzungen rund fünf Millionen Freimaurer. Innerhalb von 40 Jahren habe der Bruderbund, wie Bosbach sagte, rund die Hälfte seiner Mitglieder verloren. Besonders rückläufig sind die Zahlen in Großbritannien, Nordamerika, Australien und Südafrika. Der Frauengroßloge von Deutschland gehören 500 Freimaurerinnen in 16 Logen an. Hier zeichnen sich im bescheidenen Rahmen kleinere Zuwachszahlen ab.
Den weltumspannenden Charakter des Bruderbundes unterstrich beim Festakt auch die Anwesenheit von Großmeistern aus Serbien, Polen, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und Bulgarien. Der Oberbürgermeister der Stadt Hannover, Stefan Schostok, erinnerte an die Namen von 100 Freimaurern, die eng mit der Geschichte der niedersächsischen Metropole verbunden seien. Die Wohltätigkeit der Freimaurer zeige sich etwa in der finanziellen Unterstützung des sog. „Zahnmobils“, womit Obdachlosen kostenlose Hilfe ermöglicht werde.
In Vertretung des Ministerpräsidenten würdigte der frühere Landtagspräsident des niedersächsischen Landtags, Rolf Wernstedt, die Bedeutung freimaurerischer Ideale wie Freiheit und Gleichwertigkeit aller Menschen. Er nahm Bezug auf Leibniz, der allerdings ein Jahr vor Beginn der organisierten Freimaurerei verstorben war. Wernstedt zufolge wäre Leibniz bestimmt Freimaurer geworden. Der Humanitäts- und Toleranzgedanke bedeute die Absage an jegliche Form von Fanatismus. Im Blick auf die im Zusammenhang mit den Freimaurern noch immer grassierenden Verschwörungstheorien konstatierte Wernstedt unter großem Beifall der Anwesenden: „Dummheit wirkt bis heute nach!“ Neben der positiven Würdigung der freimaurerischen Ideale warf der frühere Politiker auch die Frage auf, wie Toleranz gegen Intoleranz bestehen könne. Arbeit an sich selbst verhindere zwar Intoleranz. Gleichzeitig forderte er einen öffentlichen Beitrag der Freimaurer: So ermunterte er sie, einen spezifischen Beitrag zur Flüchtlingsbewegung und zur Bekämpfung ihrer Ursachen zu leisten. Gleichzeitig gelte es, der zunehmenden Tendenz zu „Fake News“ entgegenzutreten. So empfahl Wernstedt, der von 2005 bis 2016 als Präsident der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesellschaft vorstand, mit einem Augenzwinkern, den Philosophen und Mathematiker posthum in den Bruderbund aufzunehmen.
Mit dem Festakt zu diesem runden Jubiläum hat sich die deutsche Freimaurerei wieder ins öffentliche Bewusstsein rufen können. Manchem Freimaurer, der eher ein stilles und diskretes Wirken bevorzugt, mag das öffentliche, selbstbewusste Engagement im Jubiläumsjahr suspekt oder gar als „Farce“ erscheinen. Besteht für die Logen die Gefahr der intensiven Selbstbeschäftigung? Manche kritischen, durchaus selbstkritischen Töne waren nicht zu überhören.
Ob und inwieweit angesichts einer zunehmenden Digitalisierung das Selbstverständnis der Freimaurer als diskreter Gesellschaft überhaupt noch zeitgemäß ist oder ob sie sich dadurch als besonders attraktiv erweist, wird in den Logen intensiv diskutiert. Untrennbar mit der Zukunftsfrage ist auch die Mitgliederentwicklung in den deutschen Logen verknüpft. Es wird zu klären sein, was für die eigene freimaurerische Identität für unverzichtbar erachtet wird. Das wird sicherlich auch in Respekt gegenüber der englischen Großloge geschehen müssen, die für die VGLvD nach wie vor eine besondere Dignität genießt. Die United Grandlodge of England hat derzeit 200 000 Mitglieder in 8000 Logen. Weltweit unterhält sie Kontakt zu 198 regulären Großlogen. Ihr Pro Grandmaster, Peter Lowndes, machte in Hannover klar, dass das öffentliche freimaurerische Wirken nicht über die Organisation, sondern über das Individuum erfolgen müsse: „Wir glauben fest daran, dass es nicht die Freimaurerei selbst ist, die einen Einfluss auf die Gesellschaft hat, sondern das freimaurerische Individuum, das in seinen privaten und öffentlichen Kreisen den Prinzipien und Grundwerten der Freimaurerei Leben einhaucht.“ Ob der Öffnungsprozess des Bruderbundes weiter vorangetrieben oder es zu einer gegenläufigen Tendenz kommen wird, ist noch nicht abzusehen. In ihrem 301. Jahr befindet sich die organisierte Freimaurerei am Scheideweg.
Matthias Pöhlmann, München