Abschaffung der Religion? Wissenschaftlicher Fanatismus und die Folgen
Richard Schröder, Abschaffung der Religion? Wissenschaftlicher Fanatismus und die Folgen, Verlag Herder, Freiburg 2008, 224 Seiten, 14,95 Euro.
In einer Vorbemerkung erläutert der Verfasser, warum er dieses Buch geschrieben hat: Es wurde „veranlasst durch ein anderes Buch“, nämlich durch Richard Dawkins’ Bestseller „Der Gotteswahn“. Schröder will jedoch keine „aufgeblähte Rezension“ vorlegen, vielmehr liest er Dawkins mit den Augen eines Christen in einer atheistisch geprägten Gesellschaft (9). Dieser Perspektivenwechsel ist die Stärke der Veröffentlichung. Denn ein Buch, das wie der „Gotteswahn“ gegen christliche Fundamentalisten in den USA und gegen islamistische Fundamentalisten gerichtet ist, liest sich in Ostdeutschland nun mal „sehr viel anders als in Oxford“. Um es vorweg zu sagen: Dieser neue Blick auf Dawkins macht Schröders Untersuchung interessant. Ich habe sie mit großem Gewinn gelesen.
Bekanntlich geht Dawkins mit allen Religionen scharf ins Gericht. Er sieht in der Religion die Ursache aller Übel und führt sämtliche, auch politische Konflikte auf die Religion zurück. Schröder hält dieser Hybris entgegen: „Dawkins erhebt einen Absolutheitsanspruch, wie ihn die christliche Theologie nie erhoben hat“ (13). Mehr noch, Schröder hält Dawkins vor, das 20. Jahrhundert verschlafen zu haben. Denn Dawkins erklärt: „Nach meiner Überzeugung gibt es auf der ganzen Welt keinen einzigen Atheisten, der Mekka – oder Chartres, York Minster, Notre Dame ... mit dem Bulldozer platt machen würde.“ Schröder hält dem entgegen, dass in der Sowjetunion unter Stalin und in der DDR unter Ulbricht genau das geschehen ist – wenngleich wie im Fall der Leipziger Universitätskirche mit Sprengstoff und nicht mit einem Bulldozer (18). Dawkins scheint eine sehr eingegrenzte Wahrnehmung der jüngeren Geschichte zu haben. So wird auch über Häftlinge gestritten. Dawkins meint, dass weltweit nur wenige Atheisten im Gefängnis sitzen – weil sie die besseren Menschen seien. Schröder erinnert auch hier an seine Erfahrungen in der DDR, wo in den 1950er Jahren gerade Christen in einem sich atheistisch verstehenden Staat von Inhaftierung bedroht waren. Dawkins beklagt, dass Atheisten Diskriminierungen und Anfeindungen ausgesetzt seien, die sie einsam werden ließen. Schröder hält dagegen, dass es ihm in der atheistischen Gesellschaft genauso ergangen sei (21).
Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert. Nach der Auseinandersetzung mit Dawkins folgt ein Kapitel zur Religion mit Ausführungen zur Definitionsproblematik, zu ihrem Verhältnis zur Ethik und zur Zukunft der Religionen. Der Unterschied von Wissen, Meinen und Glauben steht im dritten Kapitel im Zentrum mit einer Kritik von Dawkins’ weltanschaulicher Interpretation des Darwinismus. Im vierten Kapitel skizziert Schröder die Geschichte des Atheismus. Diesem Teil merkt man den ausgewiesenen Philosophieprofessor besonders deutlich an. Schließlich erörtert Schröder am Beispiel der Kreuzzüge und der Hexenverfolgung, ob dem Monotheismus bzw. dem Christentum eine Gewaltkomponente eigen ist. Diese Kapitel sind interessant, reichen aber für mein Empfinden bei weitem nicht an die Lebendigkeit der Diskussion mit Dawkins heran. Vermutlich handelt es sich um Texte, die der Verfasser in anderen Zusammenhängen erarbeitet hat und ohnehin veröffentlichen wollte. Die Stärke der Publikation ist die erste Hälfte mit ihrer Auseinadersetzung mit Dawkins. Allein dieser Teil rechtfertigt eine Leseempfehlung, die hiermit ausgesprochen sein soll.
Andreas Fincke, Berlin