Akten über "Colonia Dignidad" freigegeben, Haftantrag gegen ehemaligen Arzt
(Letzter Bericht: 5/2016, 192f) Ende April 2016 hat das deutsche Außenministerium einen Teil der Akten über das Schreckenssystem der Colonia Dignidad freigegeben. 1961 hatte der Jugendpfleger Paul Schäfer (1921 – 2010) in Chile diese christliche Gemeinschaft gegründet, um Waisenkinder aufzunehmen (s. zuletzt den Film „Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück“). Hinter Stacheldraht und überwacht von Kameras lebte die auf 300 Mitglieder angewachsene „Brautgemeinde Christi“ abgeschottet und autonom in totalitären Strukturen. Systematisch missbrauchte der pädophil veranlagte Schäfer die Jungen der Gemeinschaft. Er war dorthin aus dem Rheinland geflohen, um sich einem Haftbefehl zu entziehen – ihm waren schon damals Vergewaltigungen an betreuten Jungen vorgeworfen worden. 2006 wurde Schäfer von einem chilenischen Gericht des Kindesmissbrauchs in 25 Fällen für schuldig befunden und zu einer Haftstrafe von zwanzig Jahren verurteilt. Vier Jahre später starb er im Militärgefängnis.
Fast 25 Jahre lang konnte Schäfer in Chile unter Deckung durch das Pinochet-Regime unbehelligt agieren. Deutsche Diplomaten ignorierten viele Jahre massive Vorwürfe und Beschwerden, was jetzt erst langsam ans Licht kommt. Außenminister Steinmeier hat in einer Veranstaltung mit Opfern Schäfers, Fachleuten und Diplomaten am 26. April Fehler des Auswärtigen Amtes eingestanden und zugesagt, daraus Lehren ziehen zu wollen. Das Aktenmaterial soll aufgearbeitet werden, und die Geschichte der Skandalkolonie soll in das Ausbildungscurriculum für angehende Diplomaten aufgenommen werden.
Der ehemalige Arzt der Gemeinschaft, Hartmut Hopp, der als die rechte Hand Schäfers galt, wurde ebenfalls 2006 wegen Kindesmissbrauchs in Chile zur Rechenschaft gezogen und zu fünf Jahren Haft verurteilt. Hopp entzog sich dem Gefängnis durch die Rückkehr in seine Heimat. Der heute 72-jährige Arzt wird als deutscher Staatsbürger nicht nach Chile ausgeliefert. Nun hat die Staatsanwaltschaft Krefeld beantragt, die in Chile verhängte Freiheitsstrafe in Deutschland zu vollstrecken. Eine schnelle Umsetzung ist zu wünschen, denn die Opfer der Colonia Dignidad warten schon viel zu lange auf Gerechtigkeit.
Michael Utsch