Aktuelle Statistiken über die Verbreitung des Christentums
Aktuelle Statistiken über die Verbreitung des Christentums. Gesellschaftliche, kirchliche und theologische Diskurse diagnostizieren nicht selten die zunehmende Religionsdistanz vieler Menschen. Für das Christentum in Europa sind Entwicklungen hin zu einer forcierten Säkularität charakteristisch und unübersehbar. Keineswegs gilt dies für Afrika, für Asien und wohl auch nicht für Südamerika. Erst kürzlich wurden vom Pew-Forschungszentrum in Washington D. C. (www.pewresearch.org) – nach dem Industriellen Joseph Newton Pew (1886 – 1963) benannt – Prognosen vorgelegt: Demnach wird wahrscheinlich schon 2025 China das Land mit den meisten Christen sein. Auch das Christentum ist eine wachsende Religion. Die geografische Verschiebung des Christentums in die südliche Hemisphäre wird immer offenkundiger. 2050 werden voraussichtlich nur noch 14 Prozent der Christen in Europa leben.
Im Mai 2015 publizierte dasselbe Forschungszentrum Zahlen zur Veränderung der religiösen Landschaft in den USA. Auch in den Vereinigten Staaten gehe die Zahl der Christen zurück. Bei einer Befragung im Jahre 2014 bezeichneten sich 71 Prozent als Christen, 2007 waren es noch 78 Prozent gewesen. Ebenso wurde durch Umfragen ermittelt, dass die Zahl der Religionslosen deutlich gestiegen sei: von 8 auf 23 Prozent. Vor allem bei den unter 35-Jährigen der befragten US-Amerikaner seien Religionsdistanz, Atheismus und Agnostizismus verbreitet. Der prozentuale Anteil der Christen an der Bevölkerung habe abgenommen: von 51 auf 47 Prozent, am meisten in den Traditionskirchen (u. a. Methodisten, Lutheraner, Katholiken), deutlich weniger in evangelikalen und charismatischen Kirchen und Bewegungen, deren Mitgliedszahlen im Wesentlichen recht stabil geblieben seien.
In globaler Perspektive wird hinsichtlich pfingstlich-charismatischer Bewegungen, die sich auf das Wirken des Heiligen Geistes und die Praxis der Gnadengaben bzw. Charismen (besonders Glossolalie, Heilung, Prophetie) berufen, von verschiedenen Forschungsinstituten ein rasantes Wachstum konstatiert, wobei die angegebenen Zahlen durchweg Schätzungen sind. Pfingstler und Charismatiker repräsentieren gewissermaßen die christliche Trendreligion des 20. und 21. Jahrhunderts. Man muss allerdings über Europa hinausblicken, um dies mit Deutlichkeit zu erkennen. Gleichwohl tragen pentekostale Bewegungen auch im europäischen Kontext dazu bei, die historischen Monopole des katholischen Südens und des protestantischen Nordens zu beenden. Wie immer die Anliegen und Ausdrucksformen pfingstlich-charismatischer Bewegungen bewertet werden – nicht zu bestreiten ist, dass sie entgegen aller Prophezeiungen ihrer Kritiker in gut hundert Jahren die Zusammensetzung der Weltchristenheit grundlegend verändert haben.
Die Pentekostalisierung vor allem des Protestantismus – teilweise auch des Katholizismus – ist ein nicht zu übersehendes Phänomen. In Lateinamerika, Afrika und Asien ist es eng mit gesellschaftlichen Modernisierungs- und Pluralisierungsprozessen verflochten. Schon die Komplexität der religiösen und gesellschaftlichen Wandlungsprozesse und die Vielgestaltigkeit pentekostaler Bewegungen sprechen dagegen, diese einlinig als Beispiel für religiös-kulturellen Kolonialismus zu interpretieren. Solche Sichtweisen mögen im Blick auf Einzelphänomene durchaus Plausibilität besitzen, können aber die Resonanz, die die pfingstlich-charismatischen Bewegungen bei den Menschen gefunden haben, nicht erklären. Rückblickend auf das 20. Jahrhundert wird zu konstatieren sein, dass die Entstehung der Pfingstbewegung für die Christentumsgeschichte ein ähnlich folgenreiches Ereignis war wie die der ökumenischen Bewegung. Ob und wie beide Bewegungen in ein fruchtbares Verhältnis zueinander treten können, ist teilweise bis heute eine offene Frage und Zukunftsaufgabe geblieben.
Reinhard Hempelmann