Sondergemeinschaften / Sekten

Alle Kirchentage wieder ...

Der 2. Ökumenische Kirchentag in München (12.-16.5.2010) hat mehr als 130 000 Dauerteilnehmer angezogen – Christen aller Konfessionen ließen sich inspirieren, feierten und staunten über die Weite der Ökumene.

Es war nicht überraschend, dass man in München, vor allem in der Nähe des Marienplatzes, auch Vertreter religiöser Randgruppen antraf. Bei vielen scheint es zur Tradition zu gehören, an Kirchentagen eine Unmenge an Heften, Flugblättern und Büchern unters Volk zu bringen. Aber auch Vertreter individueller Glaubensüberzeugungen ließen an ihrer religiösen Welt teilhaben. Schon beim Abend der Begegnung verteilten religiöse Eiferer ihre Werbematerialien.

So liefen adventistische Splittergruppen wieder einmal zu missionarischer Höchstform auf: Altbekannt sind die seit Jahrzehnten gleichen Verteilschriften der „Missionsgesellschaft zur Erhaltung und Förderung adventistischen Glaubensgutes“ (MEFAG) aus Berlin mit den rotschwarz bedruckten „Fakten der Zukunft“. Dagegen bemüht sich die „Internationale Missionsgesellschaft der S.T.A.-Reformationsbewegung“ immerhin um ein verändertes Layout und einen neuen Titel ihres Faltblattes „Hoffnung trotz Weltkrise“, wenn auch bei näherem Hinsehen drei Viertel des Textes schon seit Jahren identisch sind. Letztere Gruppierung wie auch das „Missionshaus Hahnenhof“ übergaben Interessierten zudem DVDs, in denen die Schrecken der Endzeit beschworen werden. Das „Missionshaus Hahnenhof“ versorgte außerdem umfangreich mit Schriften von E. G. White. Ferner erhielt man auch vom „Missionswerk Historischer Adventisten“ (MHA) sowie von der Gemeinschaft „Gottes Gebote-haltende Christen“ adventistisch-sabbatistische Schriften.

Die auf dem Messegelände an ihrem Agora-Stand angetroffenen Vertreter der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten zeigten sich überrascht, als ich sie auf diese umfangreiche Missionstätigkeit ansprach. Das massive Auftreten adventistischer Splittergruppen außerhalb der offiziellen Veranstaltungsorte hatten sie offenbar noch nicht zur Kenntnis genommen.

Ebenfalls wie auf früheren Kirchentagen waren auch die „Zwölf Stämme“ in der Fußgängerzone mit Erwachsenen und Kindern präsent. Mit Musik und Tanz wurde der Eindruck einer fröhlich-familiären Basisgemeinschaft erweckt, zu der mit zwei Broschüren eingeladen wurde.

Die Verteilung christlicher Traktate durch evangelistische Gruppen scheint beim Ökumenischen Kirchentag nicht in nennenswertem Umfang erfolgt zu sein. Dafür traf man jedoch eine Vielzahl missionierender Einzelkämpfer in der Innenstadt, die mit selbstgestalteten Verteilmaterialien nicht für eine Kirche oder Glaubensgemeinschaft werben wollten, sondern etwa aufforderten, „Kontakt zu Gläubigen“ zu suchen, „die das Wort Gottes ernst nehmen und ihr Leben danach ausrichten“. Auf einem Flugblatt wurde gefragt: „Hast du Die Lebens entscheidende Frage getroffen?“; doch die für diesen Flyer verantwortliche Münchner Gruppe blieb auch beim E-Mail-Kontakt vorerst anonym. Eine weitere Gruppe lud zum „Gespräch über den christlichen Glauben und zum Bibellesen“ ein und stellte sich auf E-Mail-Anfrage als kleine Gruppe vor, die ernsthaft ihr Christsein in der Welt und für die Welt leben will. Das Büchlein „Religionsreform 2000“ hielt eine umfassende Reform der christlichen Kirchen und die Einigung unter „dem Papst als Oberhaupt“ für notwendig. Oft schienen die allein agierenden Reisenden in Sachen Glauben nicht auf öffentliche Diskussion ausgerichtet, sondern waren zufrieden, wenn sie ihr Material unters Volk gebracht hatten.

Auch eine pfingstlerisch geprägte Gruppe, die in Nigeria beheimatete „Christ Embassy“ (Leitung: Chris und Anita Oyakhilome), war in München vertreten; Neugierige erhielten die „Rhapsodie der Realität“ und wurden in eine der neun Gemeinden Deutschlands eingeladen.Ökumenischer Kirchentag bedeutete (natürlich) auch, dass aus dem Kosmos und den Randbereichen katholischen Glaubens zu den Papiermengen in der Innenstadt beigetragen wurde. So konnte man vom „Schriftenapostolat“ das „Rendezvous eines Verbrechers“ mit dem Auferstandenen nachlesen und sich zur Neuevangelisierung ermutigen lassen. Besonders zu erwähnen ist die Werbung für Vassula Ryden, eine Griechin, die für sich in Anspruch nimmt, „Gott innerlich zu hören und zu sehen“ und „Botschaften Gottes an die Menschheit“ weiterzugeben. Ihre Offenbarungen sind von der Glaubenskongregation unter Kardinal Ratzinger bereits vor rund 20 Jahren als Ergebnis privaten Meditierens, nicht aber als übernatürliche Botschaften charakterisiert worden (vgl. MD 11/2005, 419ff).

Beim 2. Ökumenischen Kirchentag also ein gewohntes Bild: Das Spektrum religiös Übereifriger hat auch der Ökumene seine Referenz erwiesen. Die großen Bäuche der vielen Papiermüllcontainer, die extra zum Kirchentag aufgestellt worden waren, erwiesen sich als hilfreich, so dass die Münchner Fußgängerzone nicht allzu sehr von einer Papier-Sintflut überschwemmt wurde. Den vielen, oft verbissen wirkenden Verteilern wäre die Teilnahme an einer der fröhlichen, lebendigen und geisterfüllten Kirchentagsveranstaltungen zu wünschen gewesen.


Jörg Pegelow, Pinneberg