Altes Geld und neue Ideen
(Letzter Bericht: 2/2006, 70f) Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD), eine der wichtigsten Organisationen von Konfessionslosen und Atheisten, überrascht die Öffentlichkeit wieder einmal mit neuen Vorstößen. So hat man die Gründung einer „reformpädagogischen und lebenskundlichen Schule“ in Berlin angekündigt, also die Gründung einer freidenkerischen Schule. Ein ähnliches Projekt verfolgt man bereits in Nürnberg (vgl. MD 11/2005, 424f). Beflügelt werden die Pläne des HVD auch dadurch, dass das Brandenburger Verfassungsgericht Ende 2005 den (freidenkerischen) Lebenskundeunterricht ausdrücklich dem Religionsunterricht gleichgestellt hatte (vgl. MD 2/2006, 70f). Fast beiläufig hatten die Brandenburger Richter darüber hinaus festgehalten, dass der HVD als Weltanschauungsgemeinschaft quasi in jedem Bundesland Lebenskunde als gleichberechtigte Alternative zum Religionsunterricht anbieten könne. Ein, wie der HVD in seinem Mitgliederrundbrief 4/5-2006 schreibt, „Novum in der bundesdeutschen Rechtsprechung“. In Nordrhein-Westfalen hat der dortige Landesverband des HVD umgehend einen entsprechenden Antrag bei den Kultusbehörden gestellt.
In Berlin erhält der HVD eine nennenswerte Entschädigung für die Enteignung einer Immobilie der Freidenker durch die Nazis. Ein Grundstück im Stadtbezirk Friedrichshain wurde 1933 entschädigungslos enteignet. In dem Haus befand sich ab 1922 die erste Geschäftsstelle des „Vereins der Freidenker für Feuerbestattung e.V.“. Seine Ansprüche konnte der Berliner Landesverband des HVD als Rechtsnachfolger des Freidenker-Verbandes der Weimarer Republik geltend machen. Da als Rechtsnachfolger auch der Deutsche Freidenker-Verband, Sitz Berlin, und der Deutsche Freidenker-Verband, Sitz Dortmund, gelten, wird die Entschädigungssumme geteilt. Wie man hört, erreichten die drei Vereine vor Gericht einen Vergleich, wonach die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain einen Betrag von etwa 300.000 Euro zuzüglich weiterer Einnahmen an die drei Kläger abführt. Die drei Verbände haben sich untereinander darauf verständigt, dass der HVD Berlin einen Anteil von 60 Prozent erhält. Dessen Geldeswert lässt sich derzeit noch nicht genau beziffern, man rechnet jedoch mit etwa 250.000 Euro. Einen Teil des Geldes will der HVD Berlin für den Aufbau der genannten Schule verwenden, ein anderer Teil soll in eine Stiftung eingehen, die sich z. Zt. in Gründung befindet.
Der Deutsche Freidenker-Verband, Sitz Berlin, erhält zwar nur einen kleinen, aber gemessen an seiner verschwindend geringen Größe und Bedeutung doch nennenswerten Teil der Entschädigung. Es bleibt abzuwarten, was man mit dem Geld zu tun gedenkt; zu hören ist, dass die Berliner Freidenker ihr kirchenkritisches Profil schärfen wollen. Einigen gilt der HVD bereits als zu kirchenfreundlich. Der neue Vorsitzende der Berliner Freidenker ist Redakteur der Tageszeitung „Junge Welt“, was vermuten lässt, dass das Blatt sich in Zukunft verstärkt kirchenkritischen Themen zuwenden wird.
Mitte März haben der Bundesverband des HVD und weitere freigeistige Organisationen die Humanistische Akademie Deutschland gegründet. Diese hat die Aufgabe, „die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen von Natur, Mensch und Gesellschaft unter humanistischen Prinzipien“ zu verfolgen. Es sollen Tagungen bzw. Konferenzen, weltanschauliche und politische Aus-, Fort- und Weiterbildungen organisiert werden, aber auch Forschungsvorhaben sowie die Veröffentlichung und Dokumentation von wissenschaftlichen Arbeiten und praktischen Projekten sollen zu den Aufgaben der Akademie gehören. Die bereits bestehende Publikationsreihe „humanismus aktuell“ erhält dazu eine breitere Basis. Ferner möchte man in den nächsten Jahren den Aufbau weiterer humanistischer/freidenkerischer Landesakademien forcieren.
Andreas Fincke