Gesellschaft

Amerikanischer Kulturimperialismus?

(Letzter Bericht: 10/1999, 313f) An prominenter Stelle, genauer in der Titelgeschichte des ZEIT-Feuilletons Nr. 22 vom 4. Mai 2006, polemisierte kürzlich Christian Schüle gegen den „spirituellen Feldzug“ der amerikanischen Templeton-Stiftung. „Geld lehrt beten“ – diese Stiftung setze ihren Reichtum ein, um die Wissenschaft auf den Weg des Glaubens zu bringen. In der Tat werden von Philadelphia, dem Sitz der Foundation, weltweit jährlich 40 Millionen Dollar in wissenschaftliche Projekte investiert, um „Kraft und Potential des menschlichen Geistes“ zu erforschen. Nach Schüles Erkenntnis haben die „spätmodernen Ritter von religiöser Gestalt“ aber nur eins im Sinn, nämlich einen „naturwissenschaftlichen Transzendenz- und Gottesbeweis“. Mit schriller Rhetorik prangert der Autor in seinem umfangreichen Artikel die Gefahren „verwissenschaftlichter Universalspiritualität“ an, stellt eine „schleichende Theologisierung der Wissenschaft“ fest und wirft der Stiftung Beeinflussung und Verzerrung der Religionsforschung vor. In einem Atemzug nennt er die Templeton-Stiftung mit Georges Bushs Fundamentalismus und unterstellt ihr den antiaufklärerischen Versuch, den Wissenschaftsbetrieb metaphysisch zu vereinnahmen.

Es stimmt: private Stiftungen wie Templeton oder Fetzer, die satzungsgemäß spirituelles Wachstum fördern wollen, treten mittlerweile auch als Sponsoren von deutschen Forschungsprojekten und Akademietagungen auf. Mehr als 300.000 Euro hat das Institut für Religionsphilosophische Forschung an der katholischen Fakultät der Universität Frankfurt a. M. im April aus Philadelphia erhalten, um in drei Jahren im interdisziplinären Dialog das Thema „Beherrscht die Materie den Geist? Neurowissenschaften und Willensfreiheit“ zu bearbeiten (www.trl-frankfurt.de). Ist hier und anderswo Manipulation im Spiel? Bei genauer Prüfung ist festzustellen, dass die Vorwürfe Schüles nicht zutreffen. Der Templeton-Stiftung geht es nicht um einen Gottesbeweis, sondern um interdisziplinäre Religionsforschung, und auch von Vereinnahmung kann nicht die Rede sei. Eine Kennerin der amerikanischen Forscherlandschaft hat den Vorwurf einer „pro-religiösen Schlagseite“ dieser Stiftung schon vor Jahren dezidiert zurückgewiesen. Wissenschaftler würden ihre Argumente nicht dem Geldgeber anpassen, und die akademische Zunft würde Studien nach der Güte ihres Versuchsaufbaus und der logischen Stringenz ihrer Argumentation beurteilen und nicht nach dem Geldgeber (Hermi Amberger, Wer glaubt, lebt länger, Wien 2000, 146-149). Ein von der Templeton-Stiftung geförderter Neurologe bestätigte diese Sicht. Er sei ein „grantiger Atheist“, und bisher seien ihm noch keine versteckten Motive bei den Förderungsprojekten dieser Stiftung aufgefallen (Amberger, ebd.).

Mit einem ärgerlichen Leserbrief hat auch der Heidelberger Systematiker Michael Welker auf den ZEIT-Artikel reagiert: Der Aufsatz wecke Ängste vor einer Ideologisierung der Wissenschaft, der der Autor selber „mit naiven Ansichten über die Ausdifferenzierung von Glauben und Wissen das Wort redet“. Er habe in seinen langjährigen Forschungserfahrungen auch mit dieser Stiftung keinen einzigen Fall kennen gelernt, wo der Versuch gemacht worden sei, auf Themen oder Teilnehmer Einfluss zu nehmen oder gar eine bestimmte Weltsicht zu übernehmen.

Es ist bedauerlich, dass eine große Wochenzeitung mit starken Worten undifferenziert Vorurteile schürt. Gerade eine interdisziplinär angelegte Forschung liefert die besten Voraussetzungen zum Verständnis der bemerkenswerten Veränderungen im Hinblick auf Religion und Spiritualität. Die Religionsforschung fristet in Deutschland seit jeher ein Schattendasein. Und Pharmakonzerne oder IT-Unternehmen haben in der Regel wenig Sinn für das Unendliche – warum soll man nicht die Freigebigkeit eines Philanthropen hier sinnvoll nutzen?


Michael Utsch