An der Schwelle zwischen Fiktion und Realität
Christlich-apokalyptische Religionspolitiken
Nach Fukushima, Oslo und der Finanzkrise muss man vielleicht auch über Apokalyptik anders sprechen, als man das vorher getan hat. Gleichwohl klammere ich den in den 1980er Jahren prägenden Aspekt einer ökologisch konnotierten Apokalyptik aus, nicht nur aus Gründen der Zeit und der Pragmatik, sondern vor allem, weil trotz des medienindizierten Augenscheins für meine Begriffe in den christlich grundierten Gesellschaften Westeuropas und Nordamerikas das Apokalyptische zur Zeit gerade keine Konjunktur zu haben scheint. Mein Beitrag ist so gesehen dezidiert theologisch, weil er grundsätzlicher nach dem Ort der Eschatologie, der Lehre von den letzten Dingen, in einer allgemeinen Anthropologie sucht und nach einer eher affirmativen Klärung dieses Ortes nach Instrumenten und Materialobjekten für eine Kritik des Apokalyptischen Ausschau hält.Bereits 1999, zwei Jahre vor den Attentaten des 11. September 2001 und vier Jahre vor Beginn des jüngsten Irakkrieges, konnte man aus der Feder des evangelikalen Autors Tim LaHaye im theologischen Kommentarband zu seiner apokalyptischen Romanreihe „Left Behind“ lesen: „Saddam Husseins Hass gegen Juden, Jesus Christus, dessen Nachfolger und jeden, der sich ihm in den Weg stellt und seine Ziele behindert, ist am ehesten noch als dämonische Besessenheit zu verstehen ... Es könnte sein, dass er ein Vorläufer des Antichristen ist, der bald auf der Weltbühne erscheinen wird, um, wie wir glauben, die Leitung der Vereinten Nationen ... zu übernehmen.“2 LaHayes Romane haben sich 60 Millionen Mal verkauft. Er hat nicht nur die Politisierung der christlichen Rechten in den USA seit den 1970er Jahren massiv befördert, sondern gehört zu den Organisatoren mehrerer ausgesprochen einflussreicher quasipolitischer Organisationen. Sie haben die beiden Wahlkämpfe George W. Bushs maßgeblich finanziert und durch die Mobilisierung einer bisher unerreichten Zahl „wiedergeborener Christen“ wesentlich zu seiner Wiederwahl 2004 beigetragen. Vorstellungen eines endzeitlichen Gerichts mit anschließender, meist ewig gedachter Belohnung beziehungsweise Bestrafung wirken offenbar in besonderer Weise als Kristallisationspunkte, ja als Auslöser der seit einiger Zeit weltweit sich aufschaukelnden religiös grundierten Gewalt.Sogenannte islamistische Selbstmordattentäter, aber auch der präapokalyptische Blick, den eine ernst zu nehmende Anzahl von US-Bürgern auf die Konflikte im Nahen Osten wirft, sollten auch für Religionswissenschaft und Theologie in Mitteleuropa ein Diskursfeld in den Mittelpunkt ihres Interesses rücken, das hier wegen der irritierenden Spannungen zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Fiktion und Realität, die es bestimmen, seit der Aufklärung an den Rand der Wahrnehmung gedrängt wurde.Entgegen einem lange verbreiteten umgangssprachlichen Vorurteil tut der ausdrücklich fiktionale Charakter apokalyptischer Texte ihrer realpolitischen Wirksamkeit offensichtlich keinen Abbruch. Ihre bloße Verdrängung dekomplettiert den Inhalt der christlichen Religion essenziell und dürfte in Europa die Attraktivität asiatischer Jenseitsvorstellungen wie des neuzeitlich-evolutiv aufgeladenen Reinkarnationsgedankens wesentlich befördert haben. Ob er auch ein Motor für Konversionen zum Islam sein kann, werden die nächsten Jahre zeigen.In meinem Beitrag sollen zunächst außereuropäische (vor allem US-amerikanische) Phänomene christlicher Apokalyptik in ihrem organischen Anschluss an die semitische und europäische Religionsgeschichte dargestellt werden. Dann wird deutlich, dass nachaufklärerische theologische Sprachformen wie etwa die Theologie Karl Rahners tendenziell eher nicht in der Lage sind, solche Phänomene adäquat zu erfassen. Das Fehlen einer kritischen Theologie in einer Mehrheit der freikirchlichen und pentekostalen Gemeinschaften der USA ebenso wie im Islam generiert auf der anderen Seite eine spezifische und definitiv zerstörerische Verwendung apokalyptischer Sprachformen. Wo der europäische religionswissenschaftliche Diskurs auf dieses Phänomen trifft, neigt er nicht selten zu Marginalisierung, Verharmlosung oder Denunziation.Dabei könnte hier gerade eine spezifisch europäische Diskurskonstellation als Alternative angeboten werden, die das geregelte Zueinander von adäquater Deskription apokalyptischer Diskurse etwa mithilfe der fiktionalen Anthropologie Wolfgang Isers3 mit den kritischen Potenzialen der europäischen Aufklärung verbindet. Eine solche Verbindung von fiktionaler und kritischer Theorie, von eher kultur- und religionswissenschaftlicher und theologischer Methodik scheint mir ein angemessenes Instrumentarium zu sein, christlich-apokalyptische Religionspolitiken in ihrem Entstehungsumfeld und ihrer religionspsychologischen wie -politischen Durchschlagskraft in den Blick zu bekommen, ohne bei interesseloser Deskription stehen zu bleiben. Die aktuelle religionspolitische Situation fordert eine solche kundige, aber eben auch normative Positionierung ausdrücklich. Sie scheint nur in Europa entwickelt werden zu können.
Die Offenbarung des Johannes als Buch fiktionaler Bilder
Zunächst bedarf das Genre der Apokalypse einer genaueren Einordnung. Eine eingehende Untersuchung der verwendeten Motive der Johannesapokalypse lässt etwa die Zürcher Religionswissenschaftlerin Daria Pezzoli-Olgiati in ihrer Dissertation zu dem Schluss kommen, „der Seher [habe] mit großer Freiheit einzelne Motive aus disparaten literarischen Zusammenhängen [entnommen], um eine neue, ganz an der christlichen Botschaft orientierte Komposition für die sieben Gemeinden in Kleinasien zu verfassen“.4 Die Vokabel eidon (41-mal) übernimmt dabei insofern wesentliche Funktionen, als sie den Text strukturiert, ihn als prophetisch-visionären charakterisiert und einen Bezug zum Leser herstellt.5 Von „Vision“ als einem homogenen Phänomen zu sprechen, erweist sich jedoch insofern als schwierig, als eidon die verschiedensten Textgattungen einleiten kann: von distanzierten Berichten über Hymnen und Dialoge bis hin zu deutenden Antworten und zur direkten Anrede der Adressaten. Pezzoli-Olgiati begreift Visionen deshalb als „mehrdimensionale Sprachbilder“6, die sich durch Paradoxiefähigkeit auszeichnen.7 Sie sind als solche in der Lage, traditionelle Motive unter neuen Bedingungen zu rekonstruieren.Entscheidend für unsere Fragestellung ist es, dass es Pezzoli-Olgiati gelingt zu erläutern, warum die Offenbarung des Johannes gerade als Buch der Visionen – und das heißt für sie vor allem als Austragungsort einer spezifischen Text-Leser-Relation – gelesen werden kann: Auf der Zeitebene findet diese Relation ihren Niederschlag als Verhältnis zwischen der Herrschaft Gottes in einer fiktional antizipierten Zukunft und der – aus welchen Gründen auch immer – als bedrängend empfundenen Gegenwart der Leser der Apokalypse: „Das Verhältnis zwischen den Zeiten in der Fiktion und den Zeiten der Menschen in Kleinasien ist nicht linear, sondern von einer dichten, mehrdeutigen Spannung bestimmt.“8Der Exeget Otto Böcher schreibt treffend, mit ähnlicher Intention: „Aus dem Reichtum prophetischer und mystischer Traditionen assoziierte, erlebte und deutete Johannes, nicht anders als die jüdischen Apokalyptiker vor, neben und nach ihm, was zu den Problemen seiner Leser am besten paßte. ‚Erlebnisechtheit‘ und der Rückgriff auf Traditionsgut schließen sich nicht aus.“9 Wie alle visionären Texte dieser Art müssen freilich auch apokalyptische Texturen ihre Konkretheit und Vorstellbarkeit gleichzeitig mit einer gewissen Vagheit verbinden, um dem Leser Möglichkeiten der individuellen Aneignung in der Lektüre zu bieten. Böcher schreibt weiter: „Alles bleibt im Schwebezustand des Bildhaften und Ungefähren; der Leser erhält nur Vorstellungshilfen. Auch wo die distanzierenden Ausdrücke fehlen, ist deutlich, daß der Visionär lediglich Bilder anbietet; der Leser soll nicht über die Form (Offb 21,6) und das Material (Offb 21,18-21) der Gottesstadt nachdenken, sondern über ihre Harmonie und strahlende Schönheit.“10Die von Böcher geleistete Strukturierung der Bilderwelt des Johannes lässt die innere Logik der Relationierung zwischen erfahrener Welt und evoziertem Bildkosmos noch deutlicher werden:11 Gott wird mit alttestamentlichen Bildern (Jes 6) der dem Autor auch zeitgenössisch bekannten königlichen Regierungsform dargestellt, als thronender Herrscher in einem himmlischen Schloss (Offb 4,3b), mit Engeln und Ältesten als Hofstaat, Sängern und Instrumentalisten, Knechten und Untertanen. Dabei wird eine Überhöhung des Bildmaterials, das dem Kult um den als Antichrist karikierten römischen Imperator entnommen wurde, durch Rückgriff auf den Astralbereich, also Sonne (Offb 21,23) und Sternbilder, erreicht. Gleiches gilt für den erhöhten Christus, bei dessen Darstellung zudem die überwältigende Vielfalt der verwendeten Bilder und die paradoxe Gleichzeitigkeit von Herrschaftszeichen und solchen der Niedrigkeit und Ohnmacht auffällt: Dem wie ein Himmelskörper (Offb 21,23; 22,5) über der Stadt thronenden Kosmokrator (Offb 1,5 u. ö.), dem Feldherrn hoch zu Ross (Offb 17,14) steht das Opferlamm gegenüber.Auch in der den Text beherrschenden Darstellung von Engeln und Dämonen kann Johannes auf reiche Ressourcen zurückgreifen. Dabei fällt erneut die Technik der Überhöhung alltäglicher Gegenstände und Naturmotive durch paradoxe Rekombination und Verbindung mit Katastrophen- und Astralphänomenen auf.12 Besonders tritt hier der in einer komplexen Darstellungsweise gebrochene Dualismus der Offenbarung des Johannes zutage. Er ist jedoch zentral von der bekannten Metaphorik Licht-Finsternis, Oben-Unten, Leben-Tod bzw. Gut-Böse (Christ-Antichrist) bestimmt.Dualismus in der Apokalypse bestimmt sich aber, wie Pezzoli-Olgiati gezeigt hat, nicht einfach nur als schroffes Gegenüber zweier unvereinbarer Größen, wie es die dichotome Relation „Licht und Finsternis“ eigentlich nahelegt. Vielmehr weisen die Darstellungen Gottes und des Antichrist, des Lammes und der apokalyptischen Tiere, Jerusalems und Babylons sowie der Heiligen und der Anbeter des Tieres auffallende Parallelen auf. Allerdings werden die Gegensätze in der spiegelbildlichen Konfrontation bei aller so erzeugten Verwechselbarkeit nicht geschwächt, sondern eher noch bekräftigt und durch den endgültigen Sieg, ja die niemals gebrochene, bisweilen aber verborgene Souveränität des positiv besetzten Teils schließlich überwunden: „Transparenz, Liebe und Lebendigkeit sind eigentlich nicht mit Undurchschaubarkeit, Gewalt und Tod vergleichbar, denn sie sind ihnen überlegen.“13Die Stärke der Offenbarung des Johannes scheint also gerade darin zu liegen, auch dem Bösen, Dunklen und Verabscheuungswürdigen auf der Höhe seiner Möglichkeiten zu begegnen, ihm in seiner ganzen Macht und Verführungskraft stärkste Bilder zur Verfügung zu stellen und es damit für den Leser als berückendes Identifikationsangebot mit negativem Vorzeichen vor Augen zu führen. Eine einseitige, manichäische Fehllektüre kann freilich nie ausgeschlossen werden.Über eine Analyse der Handlungsräume kommt Pezzoli-Olgiati zu einer weiteren hilfreichen Einsicht in Sachen Dualismus: „die Erde ist ein Ort der Mischung, des Gemenges zwischen verschiedenen Kräften ... das Leben auf der Erde ist von starken Spannungen gekennzeichnet.“14 Angesichts des damit einhergehenden Zueinanders von Gut und Böse fungiert die Offenbarung des Johannes nun tatsächlich in gewisser Weise als Trostbuch, insofern sie nämlich den über weite Strecken authentisch inszenierten Kampf zwischen verwechselbaren Mächten in heilsgeschichtlicher Dimension entwirrt und dem Leser die unübersichtliche Gegenwart in ein kontrastreiches Schwarz-Weiß-Gemälde zerlegt. Dies geschieht jedoch im ursprünglichen Text nicht in einem autoritativen Gestus, sondern in einem Dialog zwischen Autor und Leser, wie ihn in dieser Weise nur ein als solcher gekennzeichneter, aber nicht „enttarnter“ fiktionaler Text ermöglicht.15Für die Wirkungsgeschichte, vor allem für millenaristische Datierungsversuche bei Zeugen Jehovas, Darbysten, Mormonen und seit 1945 einer wachsenden Mehrheit von evangelikalen Christen in den USA, besonders bedeutsam ist die Zahlensymbolik der Offenbarung, die sich nach Böcher pythagoreischen Quellen verdankt. Hervorzuheben sind hier vor allem die auf Vollkommenheit verweisenden Drei-er-16 und den Kosmos symbolisierenden Viererreihen17, die gemeinsam die Sieben ergeben – ebenfalls eine Zahl der Vollkommenheit und Endgültigkeit.In den Ausführungen Böchers, die eine im Hinblick auf die Bedeutsamkeit und die Herkunft der Motive umfassende und klare Darstellung der Bildelemente der Offenbarung des Johannes bieten, wird schließlich die nicht zu unterschätzende Wirkungsgeschichte dieses Textes in der bildenden Kunst neu deutlich: Böcher bringt zu Bewusstsein, dass die Offenbarung des Johannes nicht nur ornamentale Elemente in Reliefs, Mosaiken und Teppichen in eine an sich anderswo herkommende Architektur eingetragen hat, sondern dass das ottonische, romanische und teilweise auch noch das gotische Konzept des „himmlischen Jerusalem“ sich als Ganzes der Offenbarung des Johannes quasi als „Baubuch der Sakralarchitektur“ verdankt.18Jüngere psychoanalytische Interpretationen knüpfen zwar ebenfalls an den visionären Charakter der Offenbarung des Johannes an, wirken jedoch angesichts der nicht zu unterschätzenden Deutungsoffenheit der Motivgruppen merkwürdig eng geführt, vor allem insofern sie – auf den Dualismus der Gesamtkonzeption fixiert – deren von Pezzoli-Olgiati bemerkte paradoxe Durchkreuzung übersehen.Ich breche hier die textnahe Analyse der Johannesapokalypse und ihrer spezifischen Relationierung von Alltagsrealität und Fiktionalität ab, um unserem Thema einen Schritt näherzukommen. Es sollte deutlich geworden sein, in welcher Weise der apokalyptische Text ein bis heute wirksames Instrument von Lebensbewältigung mit Hilfe von Fiktionen sein kann und wie selbst der theologisch besonders verpönte Dualismus apokalyptischer Texte irdische Komplexität zu reduzieren und damit lebensdeutend relevant zu werden in der Lage ist.
Die religionspolitische Aktualität der Apokalyptik in Geschichte und Gegenwart
Das Christentum hatte in der Kanonisierung der geheimen Offenbarung des Johannes die jüdische Vorstellung vom Endgericht mit einigen Veränderungen übernommen: Am Ende der Zeiten würde Jesus Christus als Richter wiederkehren und seine Anhänger in das von ihm verkündete Reich Gottes führen. Die Offenbarung des Johannes ist die konkrete Ausmalung dieses Endes unter Bedingungen der enttäuschten Naherwartung. Vor dem Hintergrund einer mehrfachen Marginalisierung der frühen Christen liegt die Hoffnung auf eine Besserung, ja eine Umkehrung der aktuellen religionspolitischen Verhältnisse im Jenseits nahe. Noch in dem wahrscheinlich spät eingefügten Vers 17,9 der Offenbarung ist das auf sieben Hügeln gelegene Rom ja als eines der imaginierten apokalyptischen Tiere und damit auch als Zeichen für den Einbruch der Realpolitik in den heiligen Text und umgekehrt auszumachen.Als das Christentum gut 200 Jahre nach der Entstehung der Johannesapokalypse durch Kaiser Konstantin zur erlaubten Religion und 391 n. Chr. gar zur Staatsreligion geworden war, trat eine rasante Umdeutung oder besser Zähmung und Befriedung der Apokalypse und ihrer imaginativen Energien ein: Augustinus verabschiedete in seinem monumentalen Werk „De Civitate Dei“ die aufgeheizte Naherwartung der kleinen Sekte endgültig und leistete so keinen geringen Beitrag zur Universalisierung und „Verkirchlichung“ des Christentums: Entscheidend ist für Augustinus die Selbstoffenbarung Gottes in der Vergangenheit, die durch kein historisches Datum mehr überboten werden kann. Jede spätere Geschichte kann ihr nur mehr oder weniger gerecht werden.Für die Theologen der römisch-katholischen Kirche gilt daher für lange Zeit Geschichte vor allem als Ort der Bewährung gegenüber dem ungeheuren Ereignis göttlicher Gegenwart auf Erden. Die imaginativen Potenziale sind hier stillgestellt auf das Theologoumenon der Inkarnation des einen Gottes und seiner Wiederkunft am fernen Ende der Zeiten. Die Gegenwart kann so nicht mehr (apokalyptisch) als ein der Katastrophe verfallender Äon gedeutet werden. Wie auch? War sie doch als Zeit der Kirche von den Nachfolgern Petri und dem Gesetz Christi bestimmt. Konsequent wurde der Chiliasmus zur Häresie, und bis ins 19. Jahrhundert fristete der eschatologische Traktat „De Novissimis“ ein Schattendasein im katholischen Curriculum, während außerhalb der Kirchenmauern säkulare Utopien und geschichtsphilosophische Fiktionen an Attraktivität gewannen und im 20. Jahrhundert schließlich in ihrer totalitären Umsetzung einen vorläufigen Höhe- und Endpunkt fanden.Die Abschwächung der apokalyptischen Spannung ist also und bis heute ein ausdrücklich großkirchliches Phänomen. Für all jene, die aufgrund eigener religionspolitischer Unterdrückung und Unzufriedenheit eine historische Wende herbeisehnten und vorbereiteten, für die christlichen Splittergruppen und Sekten also, bleibt die nahe erwartete Apokalypse für Jahrhunderte das ideenpolitische Instrumentarium schlechthin.Die wichtigste dieser Bewegungen ist die der Franziskanerspiritualen. Fußend auf der Lehre Joachims von Fiore, erwarteten sie nicht nur ein neues Zeitalter des Heiligen Geistes, eine Zeit der Orden, die die gesamte Struktur einer Kirche des Fleisches revolutionieren sollte, sie erwarteten es auch – eigentlich gut jüdisch – als realpolitischen Umsturz im Diesseits des späten 13. Jahrhunderts. Bereits im Hochmittelalter wuchs hier der Gedanke einer „Neuzeit“. Die Utopien von einem besseren Leben, wie sie sich bei einigen Reformatoren, bei Thomas Morus, im Fortschrittsmodell der modernen Technik und Naturwissenschaft, im dialektischen Geschichtsmodell Hegels und davon ausgehend und besonders wirkungsvoll im Marxismus, also jenseits jeder Religion, ja in Frontstellung gegen sie Ausdruck verschafft, traten später dann das Erbe Joachims von Fiore an.Das 19. Jahrhundert darf aus mehreren Gründen als Jahrhundert einer Renaissance des apokalyptischen Denkens innerhalb der westlichen Welt bezeichnet werden. Einerseits vertrat der anglikanische Erweckungsprediger John Wesley hier, angeregt von der Herrnhuter Reform, ein Gegenmodell zur wachsenden Anonymisierung und Erosion der frühindustriellen Gesellschaft Englands: Apokalyptische Elemente, die in seinen Predigten eher eine Nebenrolle spielten, entwickelten in den USA eine erstaunliche politische Durchschlagskraft: Angesichts des nahe bevorstehenden Gerichts ist jeder Einzelne aufgefordert, sich unabhängig von seiner Kirchenzugehörigkeit zu Jesus Christus zu bekehren und nach der Ethik Jesu zu leben. In die folgenden Jahrzehnte fällt die Entstehung der sogenannten Endzeitkirchen, der Mormonen, der Adventisten und der Zeugen Jehovas sowie der dispensationalistischen Darbysten. All das geschieht in einem Staatenbund, der von seinen protestantischen Bewohnern sowieso gern als Motor einer „neuen Welt“ oder doch wenigstens einer „neuen Weltordnung“ begriffen wird, wie George Bush das im durchaus messianischen Sinne genannt hat.Als Ferment wirkt dieses Gedankengut heute leicht modifiziert, aber dafür in großer Breite in der inzwischen politisch ausgesprochen mächtigen US-amerikanischen christlichen Rechten weiter. Hier hat die Apokalyptik in den USA seit jener Krise Anfang der 1990er Jahre an Bedeutung gewonnen, die das Ende des Kalten Krieges, aber auch der erfolgreichen, doch „moralisch verkommenen“ Clinton-Regierung bei der christlichen Rechten ausgelöst hatte: Ähnlich wie die messianischen Zionisten deuten auch die Autoren der anfangs erwähnten Buchreihe „Left Behind“19, in der Nachfolge Hal Lindseys, die Gründung des Staates Israel 1948, aber auch die Erfindung der Atombombe, den moralischen Verfall und die als zu liberal empfundene Theologie der großen US-amerikanischen Kirchen als Kulminationspunkte für einen unweigerlich ablaufenden apokalyptischen „Fahrplan“. Während sich aber zwischen messianischen Juden und Zionisten einerseits und endzeitorientierten christlichen Evangelikalen und inzwischen auch konservativen Katholiken andererseits erstaunliche politische und religionspolitische Koalitionen ergeben, droht der Islam in einem dualistischen, am Endkampf Harmageddon orientierten Weltbild zunehmend die Rolle des unausweichlichen Gegners für die Truppen der „neuen Welt“ einzunehmen. Dies ist jedoch keine erstaunliche Entwicklung: Wissenschaftsgeschichtlich ist es in den USA, anders als in Europa, nie zu einem Zueinander von deskriptiven und kritischen Wissenschaften gekommen. Die in den USA starken Kultur- und Religionswissenschaften stoßen sich nicht an der evangelikalen Frömmigkeit, ja nicht einmal an einer zunehmend von offenbarungspositivistischen, ja fatalistischen Zügen durchaderten Außenpolitik. Die Kritik ist ihre Sache ja nicht, nur die Deskription.
Konkretion: Die „Left Behind“-Romane
Das Autorenduo Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins kommt aus dem Feld der US-amerikanischen Evangelikalen, konservativer, hierzulande gerne etwas undifferenziert „fundamentalistisch“ genannter Christen, die sich in den letzten Jahren durch massive politische Lobbyarbeit für die konsequente Durchsetzung einer konservativen Familienpolitik, einer Reduktion der Sozialleistungen, klarer Stellungnahmen auf den Feldern gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Abtreibung, aber auch im Sinne einer Israel-freundlichen Politik der militärischen Stärke und des Unilateralismus engagiert haben.LaHaye, Ideengeber des Buchunternehmens, promovierte vor 50 Jahren an der fundamentalistischen „Bob Jones University“ in South Carolina und hat seither eine zentrale Rolle als Prediger der „Southern Baptists“, Schriftsteller (mehr als 50 Buchtitel), Institutsgründer und Berater in den Reihen der extremen Rechten gespielt. Seine Frau Beverley hat vor Jahrzehnten den um das geistliche Wohl von Amerikas Frauen besorgten evangelikalen Club „Concerned Women of America“ gegründet und viele Jahre geleitet. Außerdem hob Reverend LaHaye 1979 gemeinsam mit dem Evangelisten Jerry Falwell die „Moral Majority“ mit aus der Taufe und organisierte den hinter verschlossenen Türen diskret operierenden „Council for National Policy“, laut Fernsehkanal ABC der mächtigste Verbund der amerikanischen Konservativen.Bei den genannten Institutionen handelt es sich rechtlich um sogenannte PACs (Political Action Comittees), eine in Europa weitgehend unbekannte Organisationsform, die nicht zuletzt durch eine Reform des Wahlfinanzierungsrechts und angesichts schwacher Parteien in den USA zu nicht zu unterschätzendem Einfluss gekommen ist. Als religiös grundierte Interessenverbände mit quasipolitischen Zielen waren sie vor allem in Sachen Finanzaquirierung und Wählermobilisierung aktiv und dürften eine entscheidende Rolle bei der Wiederwahl George W. Bushs gespielt haben. „Religion ist für zwei Drittel (64%) der wahlberechtigten Amerikaner ... ein Wahl entscheidendes Kriterium, vor allem für weiße evangelikale Christen: 70% erklärten sich als Republikaner bzw. ihnen nahestehend.“20 Aber bereits in den 1980er Jahren legten sie den Grundstein für den hohen Organisationsgrad der ursprünglich politikabstinenten christlichen Rechten und konnten bei der Wahl Ronald Reagans 1980 erstmals wahrnehmbare konservative Wählerschichten mobilisieren.Die Bücher der zwölfteiligen Romanreihe „Left Behind“ enthalten einen Cocktail aus den „über tausend Prophezeiungen der Bibel“ als Ansage über die kommenden Jahrzehnte der Erde. Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins bestehen darauf, dass ihre Bücher keineswegs in die Kategorie Science-Fiction fallen. Auf der Website www.leftbehind.com schreiben sie, die präapokalyptische Theologie der Serie sei „die vorrangige Bibel-Interpretation evangelikaler Christen“. Die Genrebezeichnung „Roman“ führt also in die Irre.Der große Erfolg der Buchreihe und die zunehmend enger werdende Verflechtung zwischen Religion und Politik in den USA lassen die Frage nach politischen Implikationen des „Left Behind“-Bewegung unausweichlich werden. Dass es sich hier um hochkomplexe und teilweise nicht zu objektivierende Zusammenhänge handelt, muss vorab betont werden. Gleichwohl ist es unübersehbar, dass bestimmte Motive zwischen Roman, Predigt und politischer Agitation hin und her wandern, dass Fiktion und Realität sich also wechselseitig beeinflussen.Dies gilt etwa für das Denkmodell eines moralisch verrohten und durch Liberale (Theologen), Homosexuelle und Feministinnen, aber auch durch hispanisch-katholische Einwanderer innerlich geschwächten US-Amerikas, das sowohl im Wahlkampf der politischen Rechten als auch in der „Left Behind“-Reihe (hier als Anzeichen der angebrochenen Endzeit) eine wesentliche Rolle spielt. Schon immer war es literarisches Merkmal und politische Funktion nah erwarteter apokalyptischer Ereignisse, eine Verstärkung des Handlungsdrucks für jene zu erzeugen, die ihnen folgen. Realpolitisch erhöht das Katastrophenszenario einer auf den Abgrund zutaumelnden, von innen durch Zerfall, von außen durch Terrorismus bedrohten Nation den Druck, die „richtige“ Partei zu wählen. Im Roman und in den Predigten der tausende Gläubige fassenden, kommerziell betriebenen „Megachurches“ geht es darüber hinaus darum, sich in einem individuellen Akt der Erweckung (Awakening) – Jesus Christus (wieder) zuzuwenden.Auch die Person George W. Bushs kann bei solchen Überlegungen nicht außen vor bleiben. Sicher ist nicht von einer unmittelbaren Einflussnahme der neuapokalyptischen Rechten auszugehen; gleichwohl stellt der ehemalige Präsident sicher den idealsten Andockpunkt für die massenweise Verbreitung ihrer Endzeitprophetien und die Verwirklichung der daraus resultierenden Politik dar. Zwar war Bush ebenso wie seine Vorgänger im Präsidentenamt kein Wunschkandidat der religiösen Rechten, doch wie keiner bisher hat er sich im Laufe seiner ersten Amtszeit auf diese zubewegt. Vor allem die Offenlegung seiner durch eine Bekehrung „geheilten“ Alkoholabhängigkeit sowie sein Bekenntnis zu Jesus Christus als dem „größten Philosophen aller Zeiten“ in einer Talkshow haben ihn geradezu zum Vorzeige-Evangelikalen im Präsidentenamt mit unschätzbarer Vorbildfunktion gemacht. Doch es blieb nicht bei einem persönlichen Bekenntnis, einer Umsetzung der konservativer Werte und einer Aufweichung der strikten Trennung zwischen Staat und Kirche durch die Bush-Regierung. Auch und vor allem jene drei wesentlichen außenpolitischen Konfliktpunkte zwischen USA und Europa, Unilateralismus, Nah-Ost-Politik und Antiterrorkrieg, lassen sich als Ergebnis einer fundamentalen außenpolitischen Orientierung der USA an den Maximen der „Christian Right“ beschreiben. Der von Bush in seiner Rede an die Nation am 28.1.2003, kurz vor dem Irakkrieg, bekundete Glaube an eine Vorsehung ließ auf ein grundlegend anderes Politikverständnis schließen, als es in Europa und großen Teilen der westlichen Welt herrscht: Es ist, wie das des aktuell rechten Flügels der Republikaner, der sogenannten Tea Party, geprägt durch den Wunsch, sich mit dem von Gott bestimmten und wenigstens in groben Zügen auch offenbarten Geschick der Erde und speziell der US-amerikanischen Nation in Einklang zu wissen.Die Politik in den drei genannten Konfliktfeldern scheint sich zum einen aus tief sitzenden und alten nationalreligiösen Überzeugungen der nordamerikanischen Kernbevölkerung, der „White Anglo-Saxon Protestants“ (WASPS), zu ergeben. Andererseits kann sie kaum anders verstanden werden, denn als Umsetzung der von LaHaye und Jenkins in bisher nicht gekannter Offenheit und Präzision entwickelten präapokalyptischen Glaubensüberzeugungen. Bushs Unilateralismus speiste sich religionswissenschaftlich betrachtet aus mehreren Quellen: Einerseits wird die UNO als von Europäern dominierte Institution betrachtet. Europa jedoch gilt bei den Nachkommen der „pilgrim fathers“ cum grano salis gleichzeitig als Ort der staatskirchlichen Unterdrückung religiöser Minderheiten und Quelle aller liberalistischen Versuchungen von historischer Bibelkritik bis zum Alkoholmissbrauch. Gleichzeitig wurden die USA von den ersten Siedlern als von Gott verheißenes gelobtes Land verstanden, analog zur Landnahme Israels, und im Laufe der Geschichte, vor allem seit dem frühen 20. Jahrhundert mit weltpolitisch-endzeitlichem Sendungsauftrag aufgeladen.Wenn in LaHayes Romanzyklus der rumänische UNO-Generalsekretär Nicolai Carpathia aus dem alten Europa stammt und sich im Amt des UNO-Generalsekretärs als die Welt versklavender Antichrist („Romania“ übernimmt hier – aus der US-amerikanischen Fernsicht schlüssig – die apokalyptische Rolle des alten Rom) entpuppt, so könnte man sich kaum ein besseres Bild für die traditionelle Weltsicht der „Evangelicals“ vorstellen. Hier werden alte Aversionen gleichzeitig ins Bild gebracht und mit neuer fiktionaler Energie aufgeladen.Mit der religionswissenschaftlichen Brille betrachtet, war George W. Bushs Krieg gegen den Terrorismus nicht nur unmittelbar an den Manichäismus eines apokalyptischen Schlachtengemäldes anschlussfähig, sondern auch an eine kämpferisch-konservative US-Politik, die zunächst die UdSSR – freilich nicht ohne gute Gründe – als „Reich des Bösen“ (Ronald Reagan) stilisierte. Nach den Attentaten des 11. September 2001 – interpretiert als Strafe für moralischen Verfall und Liberalismus in den USA – wurde das Feindbild islamischer „Schurkenstaaten“ aufgriffen und in reale Politik umgesetzt.Bei der Frage, wie gerade Saddam Hussein, der keine oder nur sehr lose Verbindungen zum Terrornetzwerk Al Quaida hatte, in den Fokus der US-Strategen kommen konnte, lohnt erneut ein Blick in LaHayes und Jenkins’ theologisches Begleitwerk „Leben wir in der Endzeit?“. Hier wurde bereits 1999 im Kapitel „Aufstieg und Fall Babylons“ formuliert: „Saddam Husseins Hass gegen Juden, Jesus Christus, dessen Nachfolger und jeden, der sich ihm in den Weg stellt und seine Ziele behindert, ist am ehesten noch als dämonische Besessenheit zu verstehen ... Es könnte sein, dass er ein Vorläufer dessen ist, der bald auf der Weltbühne erscheinen wird, um, wie wir glauben, die Leitung der Vereinten Nationen ... zu übernehmen“21 – also des Antichrist. Frieden kann unter präapokalyptischen Bedingungen nicht mehr Leitbild einer „christlichen“ Politik sein. Wir leben in der Endzeit, wie die Vielzahl von Kriegen weltweit nahezulegen scheint. Die entscheidende Frage lautet nun nicht mehr, wie diese Kriege zu verhindern seien, sondern ob man auf der „richtigen“ Seite steht.Auch die US-amerikanische Nahost-Politik könnte in den Jahren der Bush-Regierung also durchaus von chiliastischen Vorstellungen über die eschatologische Rolle des Staates Israel bestimmt gewesen sein: Seit einigen Jahrzehnten wird hier die Gründung des israelischen Staates 1948 von der religiösen Rechten mit Blick auf den Römerbrief als Zeichen der nahenden Apokalypse gedeutet. Der Besitz von Groß-Israel (die besetzten Gebiete eingeschlossen) durch das „jüdische Volk“ wird im Sinne der biblischen Landverheißung als Gottes ewiger Wille verstanden – seine Erfüllung bedarf der militärischen Unterstützung. Viel mehr als die vergleichsweise geringe Zahl amerikanischer Juden sorgte die christliche Rechte für eine Israel-freundliche Politik der USA. Eine republikanische Regierung, die mit den Palästinensern ernsthafte Verhandlungen anstreben würde, hätte mit breitem Protest der „Christian Right“ zu rechnen: Im April 2002 überfluteten wegen Bushs kurzzeitig Israel-kritischer und palästinenserfreundlicher Politik tausende E-Mails und Briefe das Weiße Haus und bewirkten so ein rasches Ende dieses vorübergehenden Tauwetters.Darüber hinaus werden aus privaten Mitteln Unterstützungsaktionen für die Rückkehr jüdischer Familien nach Israel, Hilfe für Siedler in den besetzten Gebieten und für sogenannte messianische Juden finanziert. Die Motivation für ein solches scheinbar selbstloses Engagement findet sich wiederum einigermaßen unverblümt bei LaHaye und Jenkins: „Viele Jahre lang wurde Israel von Fachleuten für biblische Prophetie als ‚Gottes Uhr‘ ... bezeichnet. Die Bestätigung dafür, dass wir möglicherweise in der Endzeit leben, können Sie beinahe täglich in den Abendnachrichten sehen.“ Die Erwartung eines apokalyptischen Endkampfes mitten in Israel wird dagegen nur angedeutet: „Die Juden stehen mit dem Rücken zur Wand und werden alle notwendigen Mittel einsetzen, um ihre Heimat gegen jeden feindlichen Angriff zu verteidigen.“22Inzwischen ist die Geschichte über die Ära Bush hinweggegangen, doch die „Left Behind“-Bewegung schläft nur scheinbar. Ihre Entstehung und apokalyptische Aufladung fiel in die Zeit der Brüskierung großer Teile der religiösen Rechten durch die Präsidentschaft Bill Clintons, und auch die Zeit unter Barack Obama könnte ein solcher Jungbrunnen unter Oppositionsbedingungen werden. Zur Tea Party, dem neuen rechten Flügel der Republikaner, unterhalten die Anhänger LaHayes jedenfalls hervorragende Beziehungen, und auch das Erdbeben in Japan wurde von LaHaye kommentiert: „The Bible tells us in Matthew 24 that one of the signs of the last days ... is an increase in earthquake activity and intensity. We’re seeing that happen here. It’s not just earthquakes, but hurricanes and all kinds of natural disasters.“23So stellt sich nach wie vor dem (noch) mächtigsten Staat der Welt ein fundamentales theologisches und religionswissenschaftliches Problem: Nur jene spezifische Vermittlung zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Fiktion und Kritik, die die europäische Theologie unter historisch einmaligen Bedingungen hervorgebracht hat, scheint langfristig in der Lage, zu einem Verhältnis von Religion und Politik zurückzufinden, das Real- und das heißt Friedenspolitik ermöglicht.24 Für Europa bleibt die Frage offen, ob sich wissenschaftspolitisch eine Religionswissenschaft etablieren lässt, die endlich deskriptive und kritische Instrumentarien verbindet, oder eine Systematische Theologie, die religionspolitischen und religionswissenschaftlichen Problemstellungen deutlich mehr Aufmerksamkeit schenkt.
Joachim Valentin, Frankfurt a. M.
Anmerkungen
1 Der Beitrag ist die vollständig überarbeitete und aktualisierte Version eines Textes, der erschienen ist in: Gregor Maria Hoff / Hans Waldenfels (Hg.), Die ethnologische Konstruktion des Christentums, ReligionsKulturen Bd. 5, Stuttgart 2008, 115-131.
2 Tim LaHaye / Jerry B. Jenkins, Leben wir in der Endzeit? Biblische Prophezeiungen und ihre Bedeutung für heute, Aßlar 2004, 134.
3 Vgl. Wolfgang Iser, Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt a. M. 41993.
4 Daria Pezzoli-Olgiati, Täuschung und Klarheit. Zur Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte in der Johannesoffenbarung, Göttingen 1997, 189.
5 Ebd., 190ff.
6 Ebd., 201.
7 Ebd., 198.
8 Ebd., 211.
9 Otto Böcher, Die Bildwelt der Apokalypse des Johannes, in: Ingo Baldermann (Hg.), Die Macht der Bilder (JBTh 13), Neukirchen-Vluyn 1998, 80.
10 Ebd., 81.
11 Ebd., 80-87.
12 Ebd., 83 bzw. 88. Erwähnenswert ist hier besonders die Gestalt des Drachen, der – wirkungsgeschichtlich in beinahe allen Kulturen präsent – das ideale Exempel für den visionär-kreativen Umgang und das Zueinander von Realität und Fiktion abgibt: Aus der Welt der Reptilien stammend wird er durch Vergrößerung, Verbindung mit dem Element des Feuers und der Projektion an den Himmel zu einem bedrohlich-faszinierenden Motiv eigener Valenz.
13 Daria Pezzoli-Olgiati, Täuschung und Klarheit, a.a.O., 203.
14 Ebd., 208.
15 „Die Adressaten der Offenbarung werden aufgefordert, ihre eigene Geschichte zu deuten: Dies ist die einzige Möglichkeit, welche einen Ausweg aus der Täuschung und der Undurchschaubarkeit eröffnet. Die Visionen leiten zu einer neuen Art des Sehens angesichts der von Bedrängnis gekennzeichneten Existenz an. Leser und Leserinnen der Offenbarung sollen den Unterschied zwischen dem, was sie aus den fiktiven Visionen erfahren, und dem, was sie in der Geschichte erleben, erkennen und deuten“ (ebd., 213).
16 Vgl. Offb 1,4f; 14,10; 12f; 16,13; 12,12; 14,7; 21,1; 8,13; 9,12; 11,14; 12,12.
17 Vgl. Offb 5,13; 7,1; 20,8; 6,1-8; 4,6.8; 5,6.8.14.
18 „Kubische Elemente im Gesamtaufriß des Kirchengebäudes und als Grundform des Gewölbejochs ... Türme und Portale ... Lang- und Querhaus [als] sich kreuzende Straßen der Gottesstadt. In der Ostung der Kirche spiegelt sich die Rolle Christi als des Helios ... Da man nach Jerusalem stets hinaufsteigt ... führen im Inneren Stufen in das Sanktuarium mit dem Altar empor ... Wörtlich umgesetzt wird die Aussage vom apostolischen Fundament der Himmelsstadt (Offb 21,14) durch mehrteilige Grundsteine mit den Namen der Apostel oder gar mit den Namen der zwölf Stämme Israels und der ihnen zugeordneten Apostel (Offb 21,12).“ Otto Böcher, Die Bildwelt der Apokalypse des Johannes, a.a.O., 92f.
19 Deutsche Ausgabe: Finale, München 2001 (Reihe: Die letzten Tage der Erde, Bd. 1).
20 Josef Braml, Die religiöse Rechte in den USA. Basis der Bush-Administration?, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Studie S 35, Berlin 2004, 9.
21 Tim LaHaye / Jerry B. Jenkins, Leben wir in der Endzeit? Biblische Prophezeiungen und ihre Bedeutung für heute, Aßlar 2002, 134.
22 Ebd., 66
23 Die Bibel sagt uns in Matth 24, dass eine häufigere und stärkere Erdbebentätigkeit eines der Zeichen der Endzeit ist ... Das erleben wir gerade. Und es sind nicht nur Erdbeben, sondern auch Wirbelstürme und alle möglichen Naturkatastrophen (Interview in World Net Daily, WND).
24 Weiterführende Literatur: Rainer Prätorius, In God We Trust. Religion und Politik in den USA, München 2003; Michael Minkenberg, Die Christliche Rechte und die amerikanische Politik von der ersten bis zur zweiten Bush-Administration, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 46 (2003), 23-32; Tarek Mitri, In Gottes Namen? Politik und Religion in den USA, Frankfurt a. M. 2005.