Anerkennung vom Antichrist
(Letzter Bericht: 7/2005, 275f) Es war ein weiter Weg für die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas bis sie nun erreicht hat, worum 15 Jahre gestritten wurde: Das Bundesland Berlin muss die Gemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkennen. Am 1. Februar 2006 sprach das Leipziger Bundesverwaltungsgericht das endgültig letzte Urteil in dieser Sache und wies damit die Beschwerde des Berliner Senats gegen die Nichtzulassung der Revision in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin zurück. Somit ist das Urteil des OVG vom 24. März 2005 rechtskräftig (vgl. hierzu MD 5/2005, 190f) und das Land Berlin muss der Religionsgemeinschaft die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zugestehen.
Die Zeugen Jehovas dürfen demgemäß eine Reihe öffentlich-rechtlicher Befugnisse wahrnehmen. Hierzu gehört das Recht, von den Mitgliedern Steuern zu erheben, Stiftungen zu gründen, Beamte einzusetzen usw. Zu den Einzelbegünstigungen, dem sog. „Privilegienbündel“, gehört ferner ein besonderer Vollstreckungsschutz, die Anerkennung als freier Träger nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz und im Sozialhilferecht und Vergünstigungen im Kosten- und Gebührenrecht. Einige Körperschaften wirken darüber hinaus in öffentlichen Gremien mit, zum Beispiel in der Bundesprüfstelle oder in Rundfunk- und Medienräten. Das häufig in diesem Zusammenhang genannte Recht zur Erteilung von Religionsunterricht gehört allerdings nicht zu diesen Privilegien und ist nicht an den Körperschaftstitel gebunden.
Es bleibt abzuwarten, welche Rechte die Gemeinschaft für sich reklamieren wird. Da sich die Zeugen Jehovas traditionell über die Abgrenzung von den großen Kirchen definieren, werden sie zum Beispiel Kirchensteuern kaum erheben können. Auch die Einsetzung von Beamten würde ihrem (derzeitigen) Selbstverständnis widersprechen. Mit gewissem Erstaunen hört und liest man gegenwärtig, dass die Leitung der Wachtturmgesellschaft noch nicht entschieden hat, welche der neuen Privilegien man in Anspruch nehmen wird. Das überrascht, denn Zeit für Ideen war genug. So entsteht der Eindruck, dass man um etwas gekämpft hat, was man eigentlich gar nicht recht wollte – oder besser: was man eigentlich nicht wollen kann, wenn man den Staat und seine Institutionen verdammt und in solch düsteren Farben zeichnet, wie dies die Publikationen der Zeugen Jehovas unablässig tun. Noch im Sommer 2001, als der Streit um die Anerkennung als Körperschaft ins elfte Jahr ging, konnte man in „Erwachet!“ lesen, „dass das wilde Tier aus der Offenbarung menschliche Regierungen darstellt. Da sich diese Regierungen dem Königreich Gottes widersetzen, bilden sie einen Teil des Antichristen“ (8.8.2001, 21).
Der Ausgang des jahrelangen Rechtsstreits ist nicht ohne Ironie: Ohne es zu wollen haben die Zeugen Jehovas auch anderen Religionsgemeinschaften den Zugang zum Körperschaftstitel geöffnet, wenn diese nur ein Mindestmaß an Erwartungen erfüllen. Viele Gruppen, darunter islamische, islamistische, aber auch christliche Extremgruppen sehen ihre Chancen gestiegen. In Berlin hat die Islamische Religionsgemeinschaft bereits angekündigt, den Weg beschreiten zu wollen, der auch Jehovas Zeugen zum Ziel geführt hat.
Dennoch sollte man eines nicht vergessen: Die theologische Auseinandersetzung mit Gemeinschaften wie den Zeugen Jehovas hat mit deren Organisationsform wenig zu tun und ist auch mit dem neu erworbenen Körperschaftstitel nicht obsolet geworden.
Andreas Fincke