Anskar-Kirche Hamburg: Wolfram Kopfermann verstorben
Anskar-Kirche Hamburg: Wolfram Kopfermann verstorben. (Letzter Bericht: 5/2012, 188-190) Am 21. November 2018 ist der Gründer und langjährige Leiter der „Anskar-Kirche“ Wolfram Kopfermann im Alter von 80 Jahren gestorben.
Kopfermann arbeitete nach dem Theologiestudium als wissenschaftlicher Assistent an der Theologischen Fakultät in Erlangen, absolvierte sein Vikariat in Bayern, übernahm eine Pfarrstelle in Friesenhausen nahe dem für Tagungen der charismatischen Bewegung bekannten Schloss Craheim und war Mitglied im Marburger Kreis, einer der Vorstufen der charismatischen Bewegung in Deutschland. Kopfermann orientierte sich an Vorstellungen der sich in Deutschland allmählich entwickelnden charismatischen Bewegung. 1974 wechselte er nach einer Anfrage eines Hamburger Hauptpastors an die in der Innenstadt gelegene Hauptkirche St. Petri.
Nach dem Wechsel nach Hamburg prägte Kopfermann die Geistliche Gemeinde-Erneuerung (GGE) in der EKD bis 1988 in starkem Maße: Ab 1976 führte er charismatisch orientierte Glaubenskurse sowie entsprechende Gottesdienste durch und rief zahlreiche Hauskreise ins Leben. Zwischen 1978 und 1988 war er Leiter der GGE in Deutschland und Gründungsmitglied der 2004 aufgelösten Arbeitsgemeinschaft für Gemeindeaufbau.
Die von Kopfermann initiierten charismatischen Angebote an der Hauptkirche St. Petri erfuhren zunehmende Resonanz; in den 1980er Jahren kamen bis zu 1000 Menschen zu den Gottesdiensten. Nach zunehmenden Spannungen zwischen Kopfermann und den charismatisch orientierten Gemeindekreisen einerseits sowie Vertretern traditionell geprägter gemeindlicher Arbeit und eines umfangreichen Seelsorge- und Beratungszentrums andererseits brach das Modell einer „versöhnten Verschiedenheit“ der Gemeinde auseinander.
Im Herbst 1988 verließ Kopfermann die Landeskirche und gründete mit 500 Anhängern die heutige „Anskar-Gemeinde – Freie Evangelische Gemeinde e. V.“. Er rechtfertigte in seinem Buch „Abschied von einer Illusion. Volkskirche ohne Zukunft“ (1990) den Austritt aus der Landeskirche und die Gründung der Anskar-Kirche mit der volkskirchlichen Praxis einer unreflektierten Säuglingstaufe, einem kirchlichen „Pluralismus als dem Totengräber der Gemeinde Jesu Christi“ und einem aus seiner Sicht auch in der Landeskirche um sich greifenden Synkretismus. Nachdem er schon am Ende seiner St. Petri-Zeit die Prophetie einer großen Erweckung in Hamburg ausgesprochen hatte, schrieb er nun, dass sich in den „kommenden 5 bis 10 Jahren so viele neue Gemeinden und Kirchen bilden werden, wie seit Jahrhunderten nicht mehr“, die „viele glaubensmäßig Frustrierte aus den Landeskirchen anziehen“ werden.
Es folgte eine rasante Aufbauphase mit der Gründung fünf weiterer Gemeinden (vier davon im Hamburger Raum), der „Anskar Kirche International“ (AKI) als Dachorganisation sowie der Errichtung einer eigenen Ausbildungsstätte („Anskar-Kolleg“), da das universitäre Theologiestudium als „Infektionsherd des Unglaubens“ und als ineffektiv zu beurteilen sei. Nach einer Ausbildung am Anskar-Kolleg wurde auch Martin Dreyer, der die von ihm gegründeten „Jesus Freaks“ sieben Jahre leitete und die Volxbibel herausgibt, von Kopfermann ordiniert.
Als Kopfermann sich bereits im Herbst 1990 durch einen anderen zur Anskar-Kirche übergetretenen Pastor erneut taufen ließ, löste er sich mit dieser Hinwendung zur sogenannten Glaubenstaufe endgültig von der konfessionellen Bindung ans Luthertum. Theologische Grundlage der Gemeinde sind seither neben der Bibel die altkirchlichen Bekenntnisse und die Glaubensbasis der Evangelischen Allianz, aber nicht mehr die lutherischen Bekenntnisschriften. Durch die Gründung der AKI war die Abwendung vom Luthertum in eine neue, auch institutionalisierte Form gegossen worden. Die AKI erhielt eine episkopale Struktur mit Kopfermann als leitendem Geistlichen, der auch die am Kolleg ausgebildeten Theologinnen und Theologen ordinierte.
Nachdem die erwartete Erweckung in Hamburg ausgeblieben war, trat Mitte der 1990er Jahre in den Visionen Kopfermanns eine deutschlandweite Erweckung in den Mittelpunkt: Bis zum Ende des Jahrtausends sollte eine Erweckungsgemeinde mit 10 000 Menschen unter Leitung von Kopfermann entstanden sein, auch der bald als illusorisch erkannte Bau einer Mega-Church mit 2500 Plätzen, Büro- und Gemeinderäumen war kurzzeitig beabsichtigt. In dieser Zeit entwickelten sich in der Leitung der AKI massive Auseinandersetzungen: Kopfermann wurden ein dominanter Führungsstil, die mangelnde Ausübung seiner bischöflichen Funktion und eine nicht-evangelikale Exegese vorgehalten. In der Folge spalteten sich drei Gemeinden ab; auch einige Pastoren verließen die AKI. Die darauf folgenden Jahre waren durch die Konsolidierung der Anskar-Gemeinden geprägt; die Gründung neuer Gemeinden spielte kaum noch eine Rolle. Kopfermann gab 2008 die Leitung der Hamburger Anskar-Kirche und 2013 auch die Leitung der „Anskar-Kirche Deutschland e. V.“ (AKD, Nachfolgerin der AKI) an Tillmann Krüger ab. Mit diesem Leitungswechsel war eine zunehmende Öffnung der AKD verbunden. Die sieben Gemeinden mit derzeit rund 700 Mitgliedern der AKD arbeiten in der Evangelischen Allianz mit. In Hamburg (seit 2011) und in Hessen-Rheinhessen ist die AKD Gastmitglied in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, seit 2014 gehört sie der Vereinigung Evangelischer Freikirchen an.
In einem 2014 von Bibel.TV ausgestrahlten Interview wurde Kopfermann mit den Worten vorgestellt: „Sein Name ist mit einer der größten Erweckungen in der evangelischen Kirche verbunden.“ (www.youtube.com/watch?v=nisurOCArys). In diesem Interview beschrieb er die von ihm auch im Rückblick als richtig eingeschätzte Trennung von der Landeskirche. Zwar erkannte er die ihm eingeräumten Möglichkeiten als Pastor der Landeskirche an, wiederholte aber auch die Kritik an der Volkskirche, der er eine nach wie vor mangelnde Jesus-Orientierung vorhielt: „Da liegt ein echter Konfliktpunkt, der bis heute besteht: Ist eine volkskirchliche Gemeinde, wo man durch die Taufe Mitglied wird, ist das eine Gemeinde nach Gottes Willen?“ In Freikirchen hingegen könne „man voraussetzen, dass alle Mitglieder Jesus persönlich kennen, dass sie eine persönliche Beziehung [zu Jesus] haben.“
An die doch etwas vollmundige Einschätzung bei Bibel.TV zu Kopfermanns Bedeutung ließe sich manche Rückfrage stellen. Denn die Visionen und prophetischen Vorhersagen einer von der Anskar-Kirche ausgehenden Erweckung in Hamburg, später dann in Deutschland, haben sich nicht erfüllt. Gleichwohl hatte Kopfermann nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der GGE wie auch der gesamten charismatischen Bewegung in Deutschland. Die von ihm ausgehenden Impulse zur Durchführung von Glaubenskursen wie von Hauskreisen haben in Landeskirchen und Freikirchen hineingewirkt. Zugleich hat der Austritt Kopfermanns aus der Landeskirche viele enttäuscht, die in ihr charismatische Frömmigkeit erfahren hatten. Und der von Kopfermann vertretenen (Über-)Betonung einer bestimmten Frömmigkeitspraxis ist u. a. entgegenzuhalten, dass das vor 30 Jahren von ihm verworfene Modell einer „versöhnten Verschiedenheit“ in der Landeskirche nicht Zeichen einer Beliebigkeit, sondern Ausdruck des unverfügbaren, die Menschen auf unterschiedliche Weise zum Glauben und im Glauben bewegenden Geistes Gottes ist. Darum ist zu begrüßen, dass sich die Anskar-Kirche seit Jahren zunehmend verlässlichen ökumenischen Beziehungen öffnet und im ökumenischen Miteinander die Vielfalt der Charismen und die ekklesiologische Pluralität derer erlebt, die auf je unterschiedliche Weise mit Ernst Christinnen und Christen sein wollen.
Jörg Pegelow, Hamburg