Ansturm junger Frauen auf Missionseinsätze der Mormonen
Nachdem der Präsident der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“, Thomas S. Monson, auf der Herbst-Generalkonferenz der Mormonen im Oktober 2012 bekanntgegeben hatte, dass ab sofort Männer ab 18 (statt 19) und Frauen ab 19 (statt 21) Jahren ihren Missionsdienst beginnen können, haben sich große Veränderungen ergeben.
In den Wochen nach Bekanntgabe der herabgesetzten Altersgrenze stieg die Zahl der Bewerbungen von 700 auf 4000 pro Woche, über die Hälfte waren Bewerbungen von Frauen. Sogar die Universitäten im mehrheitlich mormonischen Bundesstaat Utah mussten sich umstellen, da die Zahl der Einschreibungen fiel und Anfangssemester ihre Kurse unterbrechen wollten. Mehrere Monate nach Monsons Ankündigung waren die Bewerberzahlen im Vergleich zu früher noch immer doppelt so hoch, und der Frauenanteil lag weiter bei 50 Prozent. Vor der Ankündigung waren etwa 15 Prozent der Missionare junge Frauen, wobei diese bei der Mitgliedergewinnung etwas erfolgreicher sind als Männer. Für männliche Mormonen ist der zweijährige Missionsdienst eine priesterliche Funktion und daher eine religiöse Pflicht (der in den USA etwa ein Drittel der Mormonen nachkommen). Für Frauen, die nur anderthalb Jahre gehen, ist er freiwillig. Sie werden gemeinsam in einer von 15 Missionarsschulen auf ihre Einsätze vorbereitet. Weltweit lag die Zahl im Einsatz befindlicher Missionare zuletzt bei knapp 60 000. Sie dürfte sich nun erhöhen, da sich die Auszeit durch die Herabsetzung der Altersgrenze besser in die Biografie einfügen lässt. Der Zuwachs bedeutet jedoch keine Erschließung neuer Einsatzorte.
Die Missionstätigkeit ist eines der hervorstechendsten Merkmale der Mormonen. Im säkularisierten Westeuropa haben die Bemühungen allerdings kaum mehr Erfolg als die missionarischen Anstrengungen der alteingesessenen Kirchen. Die Mitgliederzahlen stagnieren seit langem. Die wenigen Konvertiten werden eher von Freunden und Verwandten mitgebracht als durch Straßen- und Haus-zu-Haus-Mission gewonnen. Die Bedeutung der Missionseinsätze ist trotzdem nicht zu unterschätzen. Die mormonische Amerikanistik-Professorin Claudia L. Bushman formuliert es treffend: „Ein Missionar mag in seinem ganzen Einsatz niemanden bekehrt haben. Aber oftmals sich selbst.“ Die Einsätze erhöhen die Mitgliederbindung und tragen durch den Erwerb von Auslandserfahrung, Fremdsprachenkenntnissen und interkultureller Kompetenz dazu bei, dass Mormonen in den meisten Ländern überdurchschnittlich gebildet sind.
Nun darf man gespannt warten, ob es bei dem hohen Frauenanteil bleibt und, falls das der Fall ist, welche sozialen Veränderungen sich dadurch in der Gemeinschaft auf Dauer ergeben. Traditionell sind nur männliche Mormonen zu priesterlichen Ämtern zugelassen.
Kai Funkschmidt