Martin Fritz

Apologetische Zentrale?

Zum Auftrag der EZW heute

Die Moderne als Herausforderung

Die Gründung der „Apologetischen Centrale“ im Jahre 1921 war Ausdruck eines tiefgreifenden Krisenbewusstseins. Es hatte sich im Laufe des „langen 19. Jahrhunderts“ unter Kirchenleuten ausgebildet, aber seine Vorgeschichte reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Mit der Reformation zerbricht die konfessionelle Einheit des westlichen Christentums. Es folgen Konfessionalismus und Konfessionskrieg im 17. Jahrhundert, Pietismus und Aufklärung im 18. Jahrhundert, Romantik, Idealismus, Naturalismus und radikale Religionskritik im 19. Jahrhundert. Mit diesen Schlagworten sind die geistigen Wandlungen umrissen, die in Europa vom „christlichen Mittelalter“ in die säkularisierte und religiös pluralisierte Moderne führen. Das Ergebnis dieser Entwicklungen war zum einen ein unübersehbarer Rückgang christlicher Überzeugungen und Praktiken und mithin ein Relevanzverlust christlicher Frömmigkeit im persönlichen Leben der Menschen. Auch gewann infolge der Konjunktur religionskritischer und naturalistischer Ansichten die Option einer gänzlich areligiösen Weltanschauung und Lebenseinstellung erstmals in der Geschichte eine erhebliche Zahl von Anhängerinnen und Anhängern. Daneben vollzog sich mit der Etablierung vielfältiger religiöser Angebote außerhalb der Kirche und außerhalb des Christentums zugleich eine enorme religiöse Pluralisierung. Kirche und Christentum büßten auch unter den religiösen Zeitgenossen, die es natürlich nach wie vor in großer Zahl gab, ihre einstige Monopolstellung ein. So verwundert es nicht, dass sich bei den Kirchenvertretern um die Jahrhundertwende die Klage über die „entkirchlichten“ und „entchristlichten Massen“ häufte. Überall gediehen, um es in der kirchlichen Sprache der Zeit zu sagen, Unglaube und Aberglaube, die einstige Selbstverständlichkeit des volkskirchlichen Christentums war dahin.

Nach dem Ersten Weltkrieg verschärfte sich die Lage noch. Infolge der Trennung von Staat und Kirche in der Weimarer Reichsverfassung war nun der Kirchenaustritt eine gesellschaftlich akzeptierte Möglichkeit, und es kam, befeuert durch antikirchliche Kampagnen von Freidenkerverbänden sowie von kommunistischen und sozialistischen Parteien, zu einer ersten großen Kirchenaustrittswelle. Zum anderen florierten die religiösen und weltanschaulichen Alternativen in zuvor ungekanntem Ausmaß: Methodismus, Baptismus, Heilsarmee, Pfingstbewegung, Neuapostolische Gemeinde (später: Kirche), Adventismus, Mormonismus, Theosophie und Anthroposophie, Lebensreform, völkische Religion, Spiritismus und Okkultismus, Freidenker- und Monistenbund, ferner Christengemeinschaft, Tempelgesellschaft, Christliche Wissenschaft, Neugeist-Bund, Lorenzianer, Darbysten – die „Explosion der Moderne“ (Kurt Nowak) nach dem Bankrott der alteuropäischen Kultur im großen Krieg beschleunigte die Erosion des Überkommenen und führte in Teilen der Gesellschaft nachgerade in einen Zustand religiöser Erhitzung, der viele neue Blüten trieb.

Die Aufgaben der Apologetischen Centrale

In der skizzierten Situation wurden 1921 Pläne verwirklicht, die schon vor dem Krieg im „Central-Ausschuss für die Innere Mission“ ventiliert worden waren.1  Dabei war die Überzeugung leitend, dass der Entkirchlichung und Entchristlichung der Massen nicht allein mit Projekten der Volksmission oder Evangelisation zu begegnen sei. Unter den Bedingungen der rasanten Industrialisierung mit ihren sozialen Folgen mussten viele Menschen erst durch soziale Hilfe in den Stand gesetzt werden, sich überhaupt um tiefere oder höhere Heilsbedürfnisse jenseits der handfesten Alltagssorgen kümmern zu können. Zum anderen aber musste die Kirche endlich mit Entschiedenheit die geistige Auseinandersetzung mit der religiös-weltanschaulichen Konkurrenz aufnehmen. Sie musste sich der Herausforderung stellen, die verbreiteten intellektuellen Vorbehalte auszuräumen, die keineswegs nur bei den Gebildeten einem persönlichen Christentum im Wege standen. Eine derartige „Verteidigung“ oder „Rechtfertigung“ sollte mindestens zu einer Atmosphäre der vernünftigen Vertretbarkeit des (kirchlichen) Christentums beitragen, dem bei vielen inzwischen der Geruch des Obskurantismus anhaftete – wenn sie nicht selbst, intellektuell ganz ungehemmt, den neuen religiösen Obskurantismen der Zeit zustrebten.

Diese „apologetische“ Aufgabe (von griech. apología, Verteidigungsrede, Rechenschaft) war auch schon seit Jahrzehnten in verschiedenen Vortrags- und Publizistik-Initiativen in Angriff genommen worden. Aber um die Überzeugungskraft und Reichweite dieser Unternehmungen zu erhöhen, so die Idee, sollte eine Zentralstelle ihre Koordination und Professionalisierung übernehmen, nicht zuletzt durch die Qualifikation von engagierten „Verteidigern des Glaubens“. Kirchliche Amtsträger und Laien sollten von dieser Stelle durch Fortbildungskurse und publizistische „Zurüstung“ dazu befähigt werden, gegenüber den religiösen und säkularen Geistern der Zeit rechenschaftsfähig zu werden, um das verbreitete Gefühl des Ausgeliefertseins an eine scheinbar überlegene Kritik zu überwinden.

Als diese „Apologetische Centrale“ (AC) ihre Arbeit aufnahm, kam ihr indessen noch eine weitere Grundaufgabe zu, die sich von dem namengebenden Zentralanliegen unterscheiden lässt. Der Boom außerkirchlich-christlicher, nichtchristlich-religiöser sowie a- und antireligiöser Strömungen und Gruppierungen machte es notwendig, das unübersichtlich gewordene Feld zu sondieren, zu dokumentieren und zu sortieren. Um eine Auseinandersetzung führen zu können, muss man wissen, mit wem man es zu tun hat. Man könnte diese Aufgabe als religiös-weltanschauliche Gegenwartskunde oder Zeitdiagnose bezeichnen. In Verfolgung selbiger Aufgabe entstand in den 16 Jahren des Bestehens der AC (1921 – 1937) ein umfangreiches Archiv mit Unterlagen über Hunderte von Gruppierungen, anhand dessen die AC auf Anfragen hin Auskünfte und Einschätzungen erteilte. Dass dies unter der Ägide von Walter Künneth (1901 – 1997) zeitweise auch für den nationalsozialistischen Machtapparat geschah, ist der dunkle Punkt in der kurzen Geschichte der AC. Der vielleicht hellste Punkt wiederum ist der Umstand, dass Künneth seine anfänglich positive Einstellung gegenüber den Machthabern schnell revidierte. Die nationalsozialistische Ideologie wurde zum Gegenstand seiner apologetischen Kritik – was denn auch die Schließung der AC durch die Nazis provozierte.

Die Aufgaben der EZW

Als die Apologetische Centrale 1960 als „Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ in neuer Trägerschaft neu gegründet wurde – der Begriff „Apologetik“ und das Projekt einer Rechenschaft des Christentums vor dem Forum des Zeitgeistes war zwischenzeitlich durch die „Dialektische Theologie“ in Verruf geraten –, wurde die doppelte Aufgabenstellung von der AC unmittelbar übernommen. Sie ist auch noch der revidierten Ordnung der EZW von 19962  zu entnehmen (§ 1 Auftrag):

„Die EZW ist die zentrale wissenschaftliche Studien-, Dokumentations-, Auskunfts- und Beratungsstelle der Evangelischen Kirche in Deutschland für die religiösen und weltanschaulichen Strömungen der Gegenwart“ (§ 1 Abs. 1).

„[Sie] hat den Auftrag, die Entwicklungen im religiös-weltanschaulichen Bereich zu beobachten und ihre Bedeutung für die Evangelische Kirche in Deutschland zu klären. Sie trägt dazu bei, die Darstellung des christlichen Gottes- und Weltverständnisses im Gegenüber zu anderen Gottes- und Weltverständnissen zur Geltung zu bringen (evangelische Apologetik), und bemüht sich um Koordination der Arbeit zu religiös-weltanschaulichen Fragen im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland“ (§ 1 Abs. 2).

Genannt sind als inhaltliche Grundaufgaben die religiös-weltanschauliche Gegenwartskunde („Beobachtung der Entwicklungen im religiös-weltanschaulichen Bereich“) und die eigentliche Apologetik, also die intellektuelle Behauptung des Christlichen in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden religiös-weltanschaulichen Positionen („die Darstellung des christlichen Gottes- und Weltverständnisses im Gegenüber zu anderen Gottes- und Weltverständnissen zur Geltung bringen“). Dazu kommt als konkrete Aufgabe die Koordination der Weltanschauungsarbeit der EKD.3  Das würde man eigentlich erst in § 1 Abs. 3 erwarten, wo weiter ausbuchstabiert wird, wie die EZW ihre inhaltlichen Grundaufgaben zu erfüllen habe: Sie muss ihre gegenwartskundlichen und apologetischen „Studienergebnisse“ natürlich auch „vermitteln“, nämlich einerseits in „Studientagungen und Seminaren“ und andererseits in „geeigneten“ Publikationen. Schließlich wird die EZW zur Zusammenarbeit mit „kirchlichen, staatlichen und gegebenenfalls mit privaten Einrichtungen“ verpflichtet, „die sich mit religiös-weltanschaulichen Fragestellungen befassen“ (§ 1 Abs. 3).

Im Prinzip scheint also alles beim Alten geblieben zu sein. Den beiden Grundaufgaben korrespondiert der konkrete Folgeauftrag der publizistischen und seminaristischen Vermittlung der wissenschaftlichen Ergebnisse, zwecks gegenwartskundlicher und apologetischer Bildung einer allgemein interessierten kirchlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit sowie der speziell interessierten kirchlichen Amts- und Funktionsträger. Außerdem wird der alte Koordinationsauftrag fort- und ein Kooperationsgebot festgeschrieben.

Mit diesem letzten, etwas vagen und unscheinbaren Punkt ist ein Bereich angedeutet, der in der Arbeit der EZW (wie schon bei der AC) großen Raum einnimmt: die Anfragen zu bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Gruppen oder Themen vonseiten verschiedenster kirchlicher, staatlicher und wissenschaftlicher Stellen, von Privatpersonen und nicht zuletzt von Journalisten aus Presse, Radio, Fernsehen und Internet. Neben der Wissens- und Einsichtsvermittlung durch Publizistik und Bildungsangebote ist die damit verbundene Beratungs- und Auskunftsarbeit ein bedeutsames Tätigkeitsfeld. Einerseits leistet die EZW durch die Beratung in Weltanschauungs- und „Sekten“-Problemfällen einen wichtigen Dienst an Einzelpersonen (vorwiegend, aber keineswegs ausschließlich Kirchenmitgliedern), die – oftmals in privaten Krisensituationen – Orientierung auf dem verwirrenden „Weltanschauungsmarkt“ suchen. Die EZW zeichnet dabei eine besondere Religionskompetenz aus, über die das psychologische oder sozialpädagogische Personal der staatlichen Beratungsstellen meist nicht verfügt, weshalb sie von diesen in religionsbezogenen Fällen gerne hinzugezogen wird. Entsprechende Beratungsgespräche haben keinen unmittelbar apologetischen, sondern häufig eher einen seelsorgerlichen Sinn. Allerdings kann ihnen ein indirekt apologetisches Moment innewohnen, sofern mehr oder weniger Kirchendistanzierte auf diese Weise einen „qualifizierten“ Kontakt mit der Kirche haben. Andererseits macht die bundesweite Auskunftsarbeit (zusammen mit der Publizistik) die EZW zu einem wichtigen Akteur an der Schnittstelle von Kirche und Öffentlichkeit. Als eine der maßgeblichen Vermittlungsinstitutionen sorgt sie für die öffentliche Sichtbarkeit und Hörbarkeit der evangelischen Kirche in aktuellen Fragen von allgemeinem Interesse, weit über die Grenzen binnenkirchlicher Selbstverständigung hinaus. Und immer wieder mag dabei auch eine „Darstellung“ des Christlichen (EZW-Ordnung § 1) gelingen, die Näher- und Fernerstehende aufhorchen lässt.

Es ist an dieser Stelle aber noch ein Aufgabenbereich zu benennen, der sich gegenüber der AC als neuer Bestandteil der EZW-Arbeit etabliert hat, ohne bisher in die Ordnung ausdrücklich Eingang gefunden zu haben. Es handelt sich um eine dritte Grundaufgabe, die sich, obwohl mit beiden eng verflochten, von der religiös-weltanschaulichen Gegenwartskunde und von der Apologetik abheben lässt. So gehört es schon lange zum „Stil des Hauses“, dass die EZW zum Zweck der religiös-weltanschaulichen Erkundung und Auseinandersetzung den persönlichen Austausch mit den einschlägigen Gruppierungen und Institutionen sucht. Eine derart „dialogische Apologetik“ ist seit Jahrzehnten das „Ideal der EZW-Arbeit“.4  Sie dient natürlich unmittelbar der Gegenwartskunde: Mit wem man redet, den versteht man besser. Der Kontakt dient aber mittelbar auch der eigentlichen Apologetik: Die persönliche Bekanntschaft stiftet, sofern man sich in einer Atmosphäre ziviler Höflichkeit oder gar Freundlichkeit begegnet, zu Fairness und Differenziertheit in der Kontroverse an. Sie verhütet damit grobe Verzeichnungen des anderen und verhindert, dass die Kontroverse an den entscheidenden Differenzpunkten vorbeiläuft.

Aber darin deutet sich schon eine weitergehende Funktion an, die den Dialog als eigenständige Grundaufgabe ausweist: In einem von Empathie geprägten Gespräch kann auch das Bewusstsein für die Grenzen und Schwächen der eigenen sowie für das Recht und den Wert der anderen Position wachsen. Im Ergebnis zielt der Dialog dann nicht mehr nur auf bessere Kenntnis und treffendere Auseinandersetzung, sondern auch auf die Förderung von Toleranz und respektvoller Konvivenz. Dies trifft jedenfalls unter der Voraussetzung zu, dass dabei die religiös-weltanschauliche Pluralität als unveränderliches Faktum anerkannt wird. Denn dann müssen Toleranz und Konvivenz als notwendig, wertvoll und entsprechend förderungswürdig gelten. Allem Anschein nach hat sich an diesem Punkt zwischen AC und EZW eine grundsätzliche Verschiebung im Selbstverständnis vollzogen. Lassen manche AC-Äußerungen noch auf die Zielvorstellung schließen, es gehe bei der Apologetik letztlich doch um eine Wiedereindämmung der „Vielfaltsexplosion“ zugunsten des kirchlichen Christentums, herrscht bei der EZW infolge der fortgeschrittenen geschichtlichen Erfahrungen von Anfang an eine stärkere Akzeptanz der modernen Situation. Erst recht gilt das für die Gegenwart. Nach den Pluralisierungsschüben der letzten 20, 30, 40 Jahre sind inzwischen alle Ideale einer christlichen Einheitskultur nur noch als nostalgische Schwärmereien zu betrachten – und daher für nüchterne Zeitdiagnostiker obsolet. Im Zuge dieser Einsichten ist der EZW mitunter auch die Aufgabe zugewachsen, für die EKD gleichsam die diplomatischen Kontakte mit bestimmten Gruppen und Institutionen zu pflegen. In Einzelfällen haben diese Kontakte auch zu einer inhaltlichen Annäherung geführt, im Regelfall immerhin zu einem Abbau wechselseitiger Vorurteile, Abwertungen und Verletzungen. Und auch dies ist im Sinne des dringenden Gewinns von Pluralitätsfähigkeit für alle Beteiligten und für die Gesellschaft im Ganzen kein gering einzuschätzender Erfolg.

Damit ist freilich nicht gesagt, dass die beschriebene Trias von Aufgaben nicht ihre Schwierigkeiten berge. Die Aspekte GegenwartskundeApologetik und Dialog können sich in der Weltanschauungsarbeit auch in die Quere kommen, und ihr kompliziertes Verhältnis muss daher immer wieder neu ausgelotet werden. Dessen ungeachtet ist für die Selbstklärung des „Berufsapologeten“ und seiner Berufsgenossin schon einiges gewonnen, wenn er und sie sich nicht in jeder Minute ihres Tuns zur offenen Verteidigung von Kirche und Christentum aufgerufen sehen, im Wissen um die Mehrdimensionalität ihres Geschäfts. Im Übrigen können auch die faire Beschreibung und der freundliche Dialog ein in gewisser Weise „apologetisches“ Zeugnis von der Respektabilität christlicher Gesinnung ablegen – ohne dass dabei immer die große Glocke der christlichen Wahrheit angeschlagen werden müsste.

Grundtypen der Apologetik

Es ist deutlich geworden, dass die genuine Apologetik nur eine Teildimension der EZW-Arbeit darstellt. Aber sie ist dennoch eine zentrale oder, legt man die Gründungsidee der Vorgängerinstitution zugrunde: die zentrale Dimension. Wie kann die EZW ihrer apologetischen Aufgabe heute gerecht werden? Idealtypisch lassen sich zwei gegenläufige Arten des Engagements zur Selbstbehauptung des Christlichen in einer widrigen Umgebung unterscheiden, die hinsichtlich dieser Frage zu einer Grundorientierung verhelfen können.

Der erste Typus soll hier Konfrontationsapologetik heißen. Sie beurteilt das Andere in unmittelbarer Konfrontation mit dem Eigenen, d. h. sie misst alternative religiöse oder areligiöse Welt- und Lebensansichten nach dem Maßstab der Übereinstimmung mit der eigenen christlich-konfessionellen Tradition, dem eigenen Bekenntnis, der eigenen Lehre. Im protestantischen Fall kann das zum Beispiel bedeuten: Eine Freikirche, die den trinitätstheologischen Formeln des nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses zustimmt, darf in Sachen Gotteslehre mit einer positiven Beurteilung rechnen. Eine christliche Gruppierung hingegen, die emphatisch die Forderung der Heiligung des Lebens propagiert, droht mit den rechtfertigungstheologischen Grundeinsichten der Reformation zu kollidieren und wird daher eher kritisch bewertet. Bei nichtchristlich-religiösen oder areligiösen Strömungen wiederum bietet eine derart klare Kriteriologie keinen großen Urteilsspielraum: Die Abweichung vom orthodoxen christlichen Standpunkt ist hier in jedem Falle so groß, dass ein eindeutiger Ablehnungsbescheid ergehen muss.

Die Voraussetzung dieser apologetischen Haltung ist die Überzeugung eines abgeschlossenen Kreises von christlich-kirchlichen Lehren oder Wahrheiten, die von der Überlieferung her vorgegeben sind und die es zu bewahren und zu vertreten gilt. Dieses gegebene, „positive“ Christentum ist in seiner normativen Autorität gesetzt und von der Apologetin entsprechend normativ zur Geltung zu bringen, im Zweifelsfall durch die ungeniert-selbstbewusste Behauptung seiner religiös-weltanschaulichen Normativität. Ein solches Verfahren stellt gewissermaßen die „natürliche“ Form von Apologetik dar. Denn es kommt dem natürlichen menschlichen Verlangen nach Bestätigung des Eigenen entgegen; es konvergiert mit der prominenten Tradition christlicher Offenbarungstheologie; und es verspricht durch die klare Abgrenzung tatsächlich einen unmittelbaren Identitätsgewinn: Die Kritik an den Abweichungen des Anderen bekräftigt in wohltuender Weise das eigene Sosein. Allerdings hat dieser Gewinn einen Preis. Erstens wirkt der positive Effekt nur nach innen, nicht nach außen. Er wirkt nur dort, „wo Schrift und Bekenntnis“ grundsätzlich „als Norm akzeptiert sind“, also innerhalb der Kirche.5  Außerhalb der Kirchenmauern wird die einfache Behauptung dieser Normen mit Schulterzucken oder Augenrollen quittiert. Der Rechenschafts- und Vermittlungswert einer solchen „traditionsorientierten Abgrenzungsapologetik“ (Reinhart Hummel) ist also sehr begrenzt. Außerdem zeigt dieser Typus von Verteidigung eine prinzipielle „Tendenz zum Traditionalismus und Antimodernismus“7. Sofern die Konfrontationsapologetik jede Abweichung des modernen „Zeitgeistes“ vom Traditionell-Christlichen als gegenchristlich verwirft, droht sie das Christentum vom allgemeinen Wahrheitsbewusstsein der Gegenwart zu isolieren. „Um der Macht des Zeitgeistes zu entrinnen, schließt sie nicht selten Bündnisse mit dem Zeitgeist von gestern“ – und lässt das Christentum damit vielen als eine religiöse Option von gestern erscheinen. So verfehlt sie gerade das eigentliche apologetische Ziel.

Das Gegenkonzept zu Konfrontation und Abgrenzung heißt Vermittlung. Die Vermittlungsapologetik bemüht sich dementsprechend um den Erweis der Anschlussfähigkeit des Christentums an den gegenwärtigen Zeitgeist, wohlgemerkt ohne damit den Anschluss an die christliche Tradition aufzugeben. Es geht ihr gerade um die Vermittlung zwischen dem traditionellen Christentum und dem Wahrheitsbewusstsein der Gegenwart, damit um den Erweis seiner Vertretbarkeit in Konkurrenz zu den alternativen Weltdeutungen. Und es geht ihr zugleich um die dialogische Vermittlung der Plausibilität oder Respektabilität des Christentums im Gespräch mit den Zeitgenossen jedweder religiösen oder weltanschaulichen Prägung. Daher versteht die Vermittlungsapologetin das Eigene nicht als unhinterfragbare Norm, sondern akzeptiert seine Infragestellung durch das Andere. Selbst zutiefst tangiert vom Geist der Gegenwart und von der geradezu aufdringlichen Präsenz der anderen weltanschaulichen Optionen, empfindet sie die „Fragwürdigkeit“ des Eigenen gleichsam am eigenen Leib und macht sich auf die Suche nach tragfähigen Antworten – für die anderen und für sich selbst.9  Dabei nimmt sie in Kauf, dass sie selbst möglicherweise auch zu einer veränderten Auffassung, einer Neudarstellung oder Neubestimmung des Eigenen kommt. Um die fragliche Auseinandersetzung sinnvoll, also in der notwendigen Offenheit führen zu können, begreift sie das Christentum nicht als unveränderlichen Kanon von Wahrheiten, sondern als geistige Größe, die sich in der Geschichte in sich wandelnden Formen verwirklicht. Sie geht deshalb davon aus, dass das Wesen des Christentums, d. h. das, was am Christentum wesentlich und unverzichtbar ist im Gegensatz zu seinen veränderlichen und aufgebbaren Gestaltungen, in jeder Zeit neu ausgedrückt, neu bestimmt werden muss – auf dass es für diese Gegenwart vertretbar und „erschwinglich“ bleibe.

Diese flexiblere Auffassung des Christentums gewährt diesem Apologetikansatz gegenüber dem ersten Typus zweifellos einen erheblichen Gewinn an Dialog- und Pluralitätsfähigkeit. Von dieser Vermittlungsposition aus fällt es leichter, aus dem dualistischen Disjunktionsschema von „Wahrheit“ und „Irrtum“ auszubrechen und in verschiedenen Welt- und Lebensansichten mit Spuren des Geistes und der Wahrheit zu rechnen. Aber auch dieser Gewinn hat seinen Preis: Er bedeutet den Verlust an christlichem Profil oder jedenfalls Einbußen hinsichtlich der leichten Erkennbarkeit des Profils. Denn wer sich nicht ungebrochen eine überkommene Identität aneignen kann, sondern stattdessen am eigenen Herkommen laufend unterscheiden muss, welche Aspekte er in welcher Weise für wesentliche „Kernelemente“ und welche er für lediglich periphere Ausdrucksformen des Christlichen hält, der gerät in komplexe und nie endgültig abschließbare Selbstverständigungsprozesse, die von außen leicht als Ausdruck profilloser Beliebigkeit oder kraftloser Überreflektiertheit wahrgenommen werden. Der Vermittlungswille droht die Konturen des Christlichen zu verwischen. Er steht in der Gefahr des Identitätsverlusts – womit das Verteidigungs- oder Rechenschaftsziel der Apologetik ebenfalls verfehlt wäre.

Mit den beiden Idealtypen sind zwei alternative Grundausrichtungen oder Gegenpole beschrieben, die ein breiteres Feld von apologetischen Einzelpositionen abstecken, und es sind kardinale Fragen der Apologetik aufgeworfen, die an den Rand der Aporie führen. Wo aber wären die EZW und ihre Mitarbeitenden aus Vergangenheit und Gegenwart in dem vorgestellten Schema einzuzeichnen? Eine schroffe Konfrontationsapologetik wird man bei ihnen kaum antreffen, bei allem vorhandenen Willen, „die christliche Stimme deutlich erklingen zu lassen“10. Aber auch eine radikale Vermittlungsapologetik wurde selten betrieben, bei allem grundsätzlichen Vermittlungswillen. Man darf also wohl ein gewisses Schwanken konstatieren, insgesamt mit einer leichten Neigung zur Vermittlung. Ohnehin lässt sich aber das reale Leben, auch des Berufsapologeten, nicht leicht mit einem Schema zur Deckung bringen.

Ebenen der Apologetik

Zur Charakterisierung der Berufsapologetik mag noch eine weitere Unterscheidung erhellend sein, anhand derer sie sich innerhalb der Theologie verorten lässt. Dazu soll das Theologieverständnis Friedrich Schleiermachers (1768 – 1834) herangezogen werden, worin der „Apologetik“ eine schlechthin grundlegende Rolle zukommt. Der Begriff steht beim Vater neuprotestantischer Vermittlungstheologie sachlich für die theologische Generalaufgabe der Neubestimmung des Wesentlich-Christlichen in der Vermittlung zwischen Tradition und Gegenwartsbewusstsein, von der gerade die Rede war.11  Laut Schleiermacher muss jeder Theologe in seinem Bildungsgang eine möglichst konturierte und reflektierte Vorstellung davon gewinnen, was als „Wesenskern“ christlichen Glaubens auch unter den Bedingungen eines allgemeinen Weltanschauungswandels – dem „sich niemand entziehen kann“12  – haltbar und vertretbar bleibt. Wollte hingegen ein Theologe ungeachtet aller weltanschaulichen Modernisierungsprozesse das überkommene Christentum in Gänze übernehmen und darin „Alles beim Alten [lassen]“, so würde dies bedeuten, „daß er eigentlich nichts thut, und der Herr ihn nicht wachend findet, wenn er kommt“.13  Der gesamten akademischen Theologie (als dem Ort der Bildung künftiger kirchlicher Amtsträger) ist damit die apologetische Aufgabe gestellt, die Ausbildung einer gegenwärtig anschlussfähigen Fassung des Christentums voranzutreiben, um damit einer traditionalistischen Fixierung und dem daraus resultierenden Veralten des Christentums zu wehren.

Wozu braucht es nun aber, wenn doch die gesamte Theologie apologetisch ausgerichtet ist, noch einer „apologetischen Zentrale“? Was ist gegenüber jener allgemeinen Apologetik das Geschäft der kirchlichen Berufsapologetik, für die AC und EZW geschaffen wurden? Die Antwort ergibt sich aus dem Dargelegten. Die akademische Theologie, die in der Kooperation der Fächer und in der Zusammenschau mannigfacher Einzelstudien auf den Entwurf einer gegenwartsplausiblen Auffassung des Christentums im Ganzen abzielt, beschäftigt sich dabei oftmals nur indirekt mit den geistigen Gegenwartsbedingungen und vor allem mit der religiös-weltanschaulichen Konkurrenz. Demgegenüber ist die „praktische Apologetik“ viel stärker auf die direkte und konkrete Auseinandersetzung mit den Alternativen zum kirchlichen Christentum und den sich daraus herleitenden Infragestellungen fokussiert. Gegenüber der Apologetik als theologischer Generalaufgabe arbeitet die Apologetik als spezielle Berufsaufgabe nicht an einer Gesamtperspektive, sondern an aktuell begegnenden Einzelphänomenen, -problemen und -kontroversen. Von der generellen Apologetik hebt sie sich demnach als kasuelle oder okkasionelle Apologetik ab: Sie ist vorwiegend „Apologetik bei Gelegenheit“, evoziert durch bestimmte Anlässe.14  Die Zeitschrift für Religion und Weltanschauung als Publikationsorgan der EZW mit ihrem Panorama an aktuellen Themen illustriert diesen Sachverhalt.

Der kasuelle Zuschnitt ihrer Arbeit bedingt auch die spezifische Art und Weise, wie die Berufsapologetik Rechenschaft von der Gegenwartsfähigkeit des (kirchlichen) Christentums gibt: Das zu „verteidigende“ Christentum wird in der konkreten Auseinandersetzung mit den konkurrierenden Gruppierungen und Strömungen nicht in umfassender Weise zum Thema, sondern nur hinsichtlich je einschlägiger Elemente oder Aspekte, die durch das jeweilige Andere in den Blickpunkt gerückt werden. Das heißt: Faktisch geschieht die apologetische Darstellung des Christlichen hier nicht umfassend, sondern punktuell, partiell und selektiv. Sie geschieht anhand exemplarischer Perspektiven, die das Christentum ausschnitthaft als gegenwärtig vertretbare Welt- und Lebenseinstellung ins Licht setzen. Die jeweilige Perspektivenwahl ist einerseits durch den je aktuellen Gegenstand angeregt. So wird das Christentum gerade in der Konfrontation mit dem je Anderen zu einer partiellen Selbstklärung gezwungen und erhält in der jeweiligen Hinsicht eine bestimmtere Profilierung. Die Perspektivenwahl steht aber auch im Horizont einer bestimmten Gesamtanschauung vom Christentum. Denn mittelbar macht sich darin die Auffassung vom Wesentlich-Christlichen geltend, die sich die jeweilige Apologetin in ihrem theologischen Bildungsgang (mehr oder weniger bestimmt und reflektiert) zu eigen gemacht hat. Insofern handelt es sich in allen Auseinandersetzungen der kasuellen um konkrete Applikationen der generellen Apologetik, die in der akademischen Theologie (mehr oder weniger bestimmt und reflektiert) betrieben wird.15

Freilich können, auch beim Berufsapologeten selbst, Zweifel an der Sinnhaftigkeit solch „gelegentlicher“ Einlassungen zur Rechenschaft des Christlichen aufkommen. Sind sie nicht sachlich zu verstreut, und ist ihre Rezeption nicht zu punktuell, um tatsächlich eine signifikante apologetische Wirkung entfalten zu können? Man könnte sich über solche Zweifelsfragen damit hinwegtrösten, dass ja in Gegenwartskunde und Dialog auch noch andere, unzweifelhaft sinnvolle Aufgaben zu verfolgen sind. Oder mit dem Gedanken, dass die Leistungen der großen Zusammenschau (erst recht solche mit dezidiert apologetisch-gegenwartsbezogener Absicht), die der Idee nach den Zielhorizont der akademischen Theologie ausmacht, faktisch auch dort eher Ausnahmeerscheinungen darstellen – die ausdifferenzierte Wissenschaft tendiert zur Einzel- und Spezialforschung. Aber das hieße, einer Schlüsselfrage des eigenen Berufs aus dem Weg zu gehen. So wird man sich besser auf den ureigenen Wert der kasuellen Apologetik besinnen.

Er liegt vornehmlich darin, bei Kirchen-, Christentums- und Religionsdistanzierten Urteile und Vorurteile über das Kirchlich-Christliche zu irritieren. Schon an einem einzelnen Thema, einem einzelnen Debattenbeitrag kann für Leserinnen und Hörer eine kirchliche Position sichtbar oder wenigstens erahnbar werden, die etwa reflektierter, (selbst-)kritischer, aufgeklärter, irgendwie „vernünftiger“ oder die umgekehrt auch „frömmer“ erscheint, als man es aufgrund von geläufigen Meinungen oder realen Begegnungen erwartet hätte. Sollte der christliche Glaube doch weniger abwegig, oder sollte das kirchliche Christentum doch weniger oberflächlich sein als gedacht? Solche produktiven Irritationen können Distanz mindern und damit im Idealfall anderen positiven Erfahrungen mit Christentum und Kirche den Weg bahnen. Der Irritationswirkung „nach außen“ entspricht zum anderen eine Bekräftigungswirkung „nach innen“. Auch wer sich Christentum und Kirche näher verbunden fühlt, wird bisweilen von intellektuellen Anfechtungen gegenüber beiden heimgesucht und bedarf daher der Bestärkung. Die argumentative Bewährung gegenüber einer bestimmten Alternative kann bei Lesern oder Hörerinnen zu einer derartigen Selbstvergewisserung ihres kirchlich-protestantischen Christentums dienen, jedenfalls für den Moment. Und womöglich bleibt sogar ein Argument, ein Gedanke hängen, der sie für das christliche Leben in einer pluralistischen Gesellschaft nicht nur selbstgewisser, sondern auch auskunfts- und gesprächsfähiger macht.

Somit ist jeder kasuelle Beitrag zur Apologetik ein kleiner Beitrag zu einer geistigen Atmosphäre, in der das kirchliche Christentum weiter als respektable, ernst zu nehmende Option unter den Welt- und Lebensorientierungen gelten kann. Die punktuellen Wirkungen nach „innen“ und „außen“ sind also nicht zu unterschätzen, zumal in ihrer Summe und in ihrer vergleichsweise großen Reichweite.

Vielleicht gibt es aber obendrein einen Effekt der EZW, der die Summe ihrer apologetischen Einzeläußerungen noch überschreitet. Eine Institution, die seit Jahrzehnten in zahllosen Veröffentlichungen, Vorträgen, Diskussionen und Interviews die Argumentations- und Gesprächsfähigkeit der Kirche unter Beweis stellt, wird vielleicht selbst gleichsam zum Inbegriff oder öffentlichen Symbol einer reflexions- und auskunftsfähigen christlichen Position, deren Umrisse sich anhand der mannigfachen konkreten Positionierungen immerhin schemenhaft abzeichnen. Oder um es mit einem Bild aus einem abgelegten Kirchenreformprogramm zu sagen: Sie wirkt womöglich in der Öffentlichkeit als „Leuchtturm“ eines nachdenklichen und daher bedenkenswerten Christentums.

Tugenden der Apologetin

Was aber sind die persönlichen Voraussetzungen, um das beschriebene Apologetenamt auszuüben? Welche Einstellung brauchen die kirchlichen „Vermittler vom Dienst“, um die Auseinandersetzung mit den Zeitströmungen an der Schwelle zwischen Kirche und Öffentlichkeit produktiv führen zu können? Kurz: Was zeichnet die ideale EZW-Referentin und ihren Kollegen aus?

Die unverzichtbare Basistugend ist ein Sinn für religiöse Freiheit und Pluralität. Er erwächst zum einen aus der altprotestantischen Überzeugung von der Unverfügbarkeit des Heiligen Geistes, der im Herzen des Einzelnen Gottvertrauen erweckt – der Glaube ist nicht eigene Leistung oder Entscheidung, sondern Gnadenergriffenheit. Und jener Sinn erwächst zum andern aus der neuprotestantischen Einsicht in die historisch-kulturelle Vermitteltheit des Glaubens – mein Christentum hängt auch vom Ort meiner Geburt und Sozialisation ab. Aus beidem ergibt sich die prinzipielle Akzeptanz von Andersglaubenden wie Nichtglaubenden. Da ich mir meinen Glauben nicht als Leistung zuschreiben kann, werde ich auch niemandem seine Abwesenheit vorwerfen. Aus alledem folgt wiederum die prinzipielle Akzeptanz der religiösen Pluralität als freiheitlicher Errungenschaft der Moderne.

Den Berufsapologeten kennzeichnet ein Sinn für die Ambivalenz von Religion. Zum einen kennen Christen, die sich in ihrem Christsein unverstellt wahrnehmen, die Spannung von Glauben und Zweifel – Frömmigkeit ist, spätestens unter den Bedingungen der kritischen Moderne, kein Zustand unerschütterlicher Heilsgewissheit, sondern ein steter Wechsel von Suchen und Finden. Aus Geschichte und Erfahrung kennen wir zum anderen die urmenschliche Sinnbedürftigkeit, aber auch die menschliche Verführbarkeit durch trügerische Sinnversprechen. Die nüchterne Betrachtung von Geschichte und Gegenwart lehrt außerdem, dass Religion sowohl höchste Erfüllung wie abgründigste Verzerrung des Humanen sein kann. Aus alledem folgt eine Grundsympathie für Religion und zugleich eine Grundsympathie für Religionskritik.

Die Berufsapologetin begegnet Anders- und Nichtgläubigen in einem doppelten Bewusstsein von Gemeinsamkeit und Konkurrenz, in einer Balance von Respekt und Kritik. Respekt gebührt dem anderen schon aufgrund des Wissens um die gemeinsame conditio humana, mit der uns letzte Fragen auferlegt sind, ohne dass dafür unbezweifelbare Antworten bereitstünden. Gleichwohl geht aus dem Umstand, dass wir unterschiedlichen Antworten auf jene Fragen anhängen, ein Moment der Ablehnung oder Kritik hervor – die Nichtübereinstimmung bei den letzten Welt- und Lebensorientierungen schafft fast unweigerlich eine gewisse wechselseitige Missbilligung. Aus der Balance von Respekt und Kritik aber geht Toleranz hervor. Denn diese Haltung besteht just darin, dass ein Ablehnungsimpuls durch ein Gegenmoment der Anerkennung ausbalanciert wird. Es folgt daraus zweitens die Maxime von Fairness und Ausgewogenheit auch im kritischen Umgang – gegen den polarisierenden Trend zur Identitätsbekräftigung durch Abqualifizierung anderer. Drittens folgt daraus, dass der Apologet gegenüber Anders- und Nichtreligiösen mitunter eine Doppelrolle von Anklage und Anwaltschaft übernimmt. Unbeschadet von Konkurrenz und möglicher Kritik sind Andersgläubige vor religiöser Ignoranz und vor Zerrbildern ihrer Religion in Schutz zu nehmen und die Anliegen A- und Antireligiöser als Äußerungen freier Gewissen und kritischer Geister zu würdigen.

In alledem beweist der Apologet eine gehörige Flexibilität im Wechsel zwischen Positionalität und Neutralität. Wie Schleiermacher herausgestellt hat, ist das Vermögen, zwischen dem „Standort im Christentum“ und einem „Standort über dem Christentum“ zu wechseln, eine Bedingung wissenschaftlicher Theologie.16  In der Berufsapologetik ist die Fähigkeit zur intellektuellen Selbstdistanz in besonderem Maße gefordert, nicht nur als Grundvoraussetzung seriöser Gegenwartskunde und unbefangenen Dialogs, sondern auch und gerade in der fairen Auseinandersetzung mit der konkurrierenden Position. Zu solcher Fairness gehört es auch, wo möglich die eigene Positionalität des Urteils über den anderen zu markieren, um nicht bei der Bewertung eine falsche Neutralität vorzuspiegeln.

Schließlich besitzt die Apologetin Klarheit über das eigene Christentumsideal und, darin eingeschlossen, über das eigene Religionsideal. Denn daraus entspringen ihr die inhaltlichen Leitkriterien in der Auseinandersetzung mit dem anderen, die ihm zwar nicht aufgezwungen, aber doch immerhin angesonnen werden können, zur freien Annahme oder Ablehnung. Mögliche Momente eines solchen Ideals sind: Freiheit – nur eine frei angenommene und ausgeübte Religion verdient diesen Namen. Wahrheit – die Religion muss mit der kritischen Vernunft im Gespräch bleiben, will sie nicht zu Obskurantismus herabsinken. Liebe – die Religion muss der Entfaltung der Person förderlich sein. Mitte – gedeihliche Religion hält die Mitte zwischen fundamentalistischer Verhärtung und säkularistischer Auflösung.

Wie die (sicher unvollständige) Tugendtafel zeigt, ist die Berufsapologetik nicht nur fachlich ein anspruchsvolles Geschäft. Der Apologet ist ein Grenzgänger, die Apologetin eine Meisterin der Ambiguitätstoleranz. Die Kirche braucht solche Heldinnen der Grenze, um das Christentum in der Gegenwart zu vermitteln und um dem Stachel der Infragestellung durch die Gegenwart nicht auszuweichen. In welchem Umfang sie sich die Spezialisten für Gegenwartskunde, Dialog und Auseinandersetzung künftig noch leisten wird, steht dahin.


Martin Fritz, 01.07.2021

 

Anmerkungen

1  Vgl. zum Folgenden den anschließend abgedruckten Artikel von Alexander Benatar (dort auch weitere Literatur); ferner Reinhard Hempelmann: 50 Jahre Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, in: ders. (Hg.): Religionsdifferenzen und Religionsdialoge. Festschrift 50 Jahre EZW, EZW-Texte 210, Berlin 2010, 9 – 11; ders.: Den eigenen Glauben kennen – den fremden Glauben verstehen. 50 Jahre Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, in: MdEZW 73/6 (2010), 205 – 216; Matthias Pöhlmann / Hans-Jürgen Ruppert / Reinhard Hempelmann: Die EZW im Zug der Zeit. Beiträge zu Geschichte und Auftrag evangelischer Weltanschauungsarbeit, EZW-Texte 154, Berlin 2000; Matthias Pöhlmann: Kampf der Geister. Die Publizistik der „Apologetischen Centrale“ (1921 – 1937), Stuttgart 1998. Vgl. außerdem zum Ganzen Reinhard Hempelmann: Apologetik, in: MdEZW 76/8 (2013), 309 – 313; Michael Nüchtern: Art. Apologetik IV.2: Mittelalter bis Neuzeit, in: RGG4 Bd. 1 (1998), 620 – 622; Eilert Herms: Art. Apologetik VI: Fundamentaltheologisch, in: RGG4 Bd. 1 (1998), 623 – 626; Karl Gerhard Steck: Art. Apologetik II: Neuzeit, in: TRE Bd. 3 (1978), 411 – 424; Hans-Rudolf Müller-Schwefe: Art. Apologetik III: Praktisch-theologisch, in: TRE Bd. 3 (1978), 424 – 429.

2  Die Neufassung von 1996 ist abgedruckt in: Pöhlmann / Ruppert / Hempelmann: Die EZW im Zug der Zeit (s. Fußnote 1), 86 – 88 (dort auch die ursprüngliche Ordnung von 1964: 83 – 85). Die neue Ordnung ist auch online abrufbar unter www.ezw-berlin.de/downloads/Ordnung_fuer_die_EZW_Neufassung_10_05_1996.pdf.

3  Diese Aufgabe hat sich mit der Begründung der „Konferenz Landeskirchlicher Weltanschauungsbeauftragter in der EKD“ als solche inzwischen erübrigt. Geblieben ist die Aufgabe fachlicher Zuarbeit, etwa in Gestalt von Tagungen und natürlich durch die EZW-Publizistik.

4  Reinhart Hummel: Apologetische Modelle, in: Reinhart Hummel / Gottfried Küenzlen / Hansjörg Hemminger: Begegnung und Auseinandersetzung. Apologetik in der Arbeit der EZW, EZW-Impulse 39, Stuttgart 1994, 3 – 13, 7.

5  Ebd., 8.

6  Ebd.

7  Ebd.

8  Ebd.

9  Vgl. zu Paul Tillichs Begriff von Apologetik als „Kunst des Antwortens“ (ders.: Systematische Theologie, Bd. III, Berlin 41966, 226) Reinhard Hempelmann: Apologetik und Kontextualität, in: Matthias Petzoldt / Michael Nüchtern / Reinhard Hempelmann: Beiträge zu einer christlichen Apologetik, EZW-Texte 148, Berlin 1999, 25 – 34, 26.

10  Hummel: Apologetische Modelle (s. Fußnote 4), 8.

11  Im Besonderen ist „Apologetik“ bei Schleiermacher der Titel für eine Teildisziplin der „philosophischen“ oder „systematischen Theologie“, dem die Aufgabe der Wesensbestimmung in besonderer Weise obliegt; aber in Anbetracht der Tatsache, dass die Durchklärung einer Idee vom Wesentlich-Christlichen bei ihm auch das generelle Bildungsziel der Theologie (ausgenommen der Praktischen Theologie) ausmacht, kann man die Sache der Apologetik im Schleiermacher’schen Sinne auch als Generalziel der Theologie begreifen. Vgl. dazu Martin Fritz: Schleiermachers Idee theologischer Bildung. Zur Aktualität der „Kurzen Darstellung des theologischen Studiums“, in: Markus Buntfuß / Martin Fritz (Hg.): Fremde unter einem Dach? Die theologischen Fächerkulturen in enzyklopädischer Perspektive (TBT 163), Berlin / New York 2014, 167 – 218, bes. 181 – 198.

12  Friedrich Schleiermacher: Über die Glaubenslehre. Zwei Sendschreiben an Lücke (1829), in: ders.: Theologisch-dogmatische Abhandlungen und Gelegenheitsschriften, hg. von Hans-Friedrich Traulsen (KGA I/10), Berlin / New York 1990, 309 – 394, 345f.

13  Ebd., 352.

14  Vgl. zur Apologetik als „kasueller Theologie“ Michael Nüchtern: Apologetik ist nötig, in: Petzoldt / Nüchtern / Hempelmann: Beiträge (s. Fußnote 9), 16 – 24, 19f.

15  Eine Nebenfunktion der apologetischen Zentralstelle kann darin erblickt werden, die akademische Theologie an ihre betreffende Generalaufgabe zu erinnern. Denn im Betrieb der drittmittelgetriebenen Projektwissenschaft kann das „kirchliche Interesse“ an der Förderung des Christentums, das Schleiermacher der universitären Theologie neben dem „wissenschaftlichen Geist“ als notwendige Voraussetzung eingeschärft hat und das deren apologetische Ausrichtung begründet, durchaus unter die Räder geraten.

16  Vgl. Fritz: Schleiermachers Idee (s. Fußnote 11), 197.