Armenische Patriarchenwahl
(Letzter Bericht: 5/2018, 188f) Am 8. März 2019 verstarb der armenisch-apostolische Patriarch Mesrob II. Mutafyan im Alter von 62 Jahren in einem Istanbuler Krankenhaus. Mesrob II. Mutafyan war seit 1998 der 84. Patriarch der Armenisch Apostolischen Kirche von Konstantinopel mit Sitz in Istanbul. Während seiner Amtszeit positionierte er sich u. a. immer wieder gegen die Diskriminierung der in der Türkei verbliebenen Armenier und wurde wegen „Beleidigung des Türkentums“ angezeigt. 2007 verurteile er den Mord an dem armenischen Publizisten Hrant Dink scharf. Nach einer schweren Erkrankung 2008 und der damit einhergehenden faktischen Amtsunfähigkeit wurde das Patriarchat in der Folge von einem Rat unter Führung von Bischof Aram Ateşyan geleitet. 2010 wählte ein 26-köpfiger Pastoralrat Ateşyan auch offiziell zum Stellvertreter des kranken Patriarchen. Der türkische Staat beansprucht in diesem Zusammenhang ein Mitspracherecht bei der Wahl religiöser Würdenträger. Während der türkische Staat die islamische Religionsausübung weitgehend durch die Religionsbehörde (Diyanet İşleri Başkanlığı) regelt, wird die Autonomie nichtmuslimischer Gemeinschaften in der Türkei durch einen komplizierten Rechtsstatus geregelt. Ernennungen von religiösen Würdenträgern innerhalb einer Religionsgemeinschaft müssen daher zum Teil und unter bestimmten Bedingungen von staatlicher Seite bestätigt werden. Ateşyan ist dafür bekannt, auf gute Beziehungen mit den türkischen Behörden zu setzen.
2017 gab es Streit um die Stellvertreterregelung des erkrankten Patriarchen. Damals wurde Erzbischof Karekin Bekdjian von der Kirchenführung nach Istanbul berufen, um Mesrob II. Mustafyan, zu vertreten. Er galt als aussichtsreicher Kandidat für eine Nachfolge im Geiste des erkrankten Patriarchen. Erzbischof Bekdjian, deutscher Staatsbürger, musste jedoch nach seiner Absetzung durch die türkischen Behörden nach Deutschland zurückkehren.
Nach einer 40-tägigen Trauerzeit werden voraussichtlich die Vorbereitungen für die Wahl eines Nachfolgers des verstorbenen Patriarchen Mesrob II. Mustafyan beginnen. Voraussetzung für eine Nachfolge ist nach türkischem Recht, dass der Kandidat die türkische Staatsbürgerschaft besitzt oder aber zumindest in der Türkei geboren ist. Für die Gegenseite des von den türkischen Behörden vermutlich favorisierten Bischofs Ateşyan wäre der Wunschkandidat der aus dem Istanbuler Klerus stammende junge Prälat Damatyun Damatyan. Die vom türkischen Gesetz geforderte Vorbedingung, wenn schon nicht Staatsbürger, so doch in der Türkei geboren zu sein, erfüllen zudem noch die Erzbischöfe von New York, Khajag Barsamian, von Washington, Vicken Aykazian, sowie der Bischof von Kukark (Armenien), Sebuh Tsuldzian.
Abzuwarten bleibt, wie stark die türkischen Behörden auf die Nachfolgeregelung und damit auch auf eine gegebenenfalls wieder gesellschaftskritischere Ausrichtung der Armenisch Apostolischen Kirche von Konstantinopel Einfluss nehmen. Wahrscheinlich erscheint in diesem sensiblen Bereich türkischer Staatsraison ein profiliertes Interesse von Staatspräsident Erdoğan.
Ronald Scholz, Köngen