Stammapostel Leber: 10 Millionen werden entrückt
(Letzter Bericht: 9/2012, 323-331) Für einigen Wirbel in den ökumenisch interessierten Teilen der Neuapostolischen Kirche (NAK) sorgte Ende September 2012 Stammapostel Wilhelm Leber, als er vor 55000 Teilnehmern am Ende eines europaweit ausgestrahlten Gottesdienstes darüber spekulierte, wie es am Tag des Herrn zugehen werde, wenn „plötzlich 10 Millionen entrückt werden“. Leber antwortete auf Befürchtungen, zu denen ihn ein Gemeindeglied gefragt hatte: „Das gibt doch den Super-GAU!“ Er distanzierte sich von Katastrophenvorstellungen (wie sie zum Beispiel in den amerikanischen Left-Behind-Romanen popularisiert wurden (vgl. MD 8/2004, 301ff), und sagte, er vertraue, dass Gott es schon so machen werde, dass „die Menschen zwar schon ein bisschen gucken und ins Staunen geraten werden“, aber doch so, dass „kein Schaden entsteht“. Solch göttliche Rücksichtnahme überrascht, da nach neuapostolischer Vorstellung anschließend ohnehin die Zeit der Großen Trübsal für die Zurückgebliebenen anbrechen wird – und da soll es für die Normalchristen und andere schon mehr geben als ein bisschen Gucken und Staunen.
Ansonsten warnte Leber, obwohl die Frage verständlich sei, vor Spekulationen. Er bekannte, dass er „genauso wenig wie ihr alle miteinander [wisse], wie das nachher abläuft“. Dies ist recht bescheiden angesichts der ausgefeilten Eschatologie und der erstaunlich detaillierten Kenntnis, welche die NAK ansonsten im Hinblick auf die Ereignisse am Tag des Herrn („Erste Auferstehung“) besitzt, zumal für einen Mann, den seine Kirche als lebenden Propheten mit direktem Offenbarungsempfang bekennt. Die Nennung der Zahl von „10 Millionen“, die Leber in diesem Zusammenhang nur aus der ihm gestellten Frage zitierte, ist zwar formal neu, inhaltlich aber kaum. Es handelt sich um die Zahl der derzeitigen NAK-Mitglieder. Und es ist seit Langem Lehre der NAK, dass sie als „Brautgemeinde Christi“ im Eschaton vor allen anderen entrückt werde und nach einer Zeit im Himmel („Hochzeit des Lammes“) mit Christus wiederkehren werde, um in seinem Friedensreich zu herrschen.
Bemerkenswert war allerdings auch, dass Leber in seiner Predigt zuvor den Akzent sehr stark auf eine präsentische Eschatologie gelegt hatte, der zufolge im Messias Jesus das Himmelreich bereits unter uns angebrochen sei. Das unterscheidet sich von der traditionellen Ausrichtung neuapostolischer Predigten, die fast ausnahmslos die Naherwartungsspannung aufrecht zu erhalten suchen, indem sie die Nähe des künftigen Gottesreiches im zeitlichen Sinne verkünden. Ein Blick in die ökumenische Runde lehrt: Auf Dauer verändert Parusieverzögerung Kirchen.
Kai Funkschmidt