Atheismus. Fünf Einwände und eine Frage
Schützenhilfe für Atheisten
Winfried Schröder: Atheismus. Fünf Einwände und eine Frage, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2021, 144 Seiten, 16,90 Euro.
Winfried Schröder, Philosoph und Philosophiehistoriker in Marburg, legt einen ungewöhnlichen Beitrag zur Diskussion über den Atheismus vor: Er bietet Atheisten nicht dadurch Schützenhilfe, dass er bekannte Argumente vertieft oder nach weiteren Ausschau hält, sondern indem er den Gegnern des Atheismus die von ihnen eingesetzten Waffen aus der Hand zu nehmen sucht. Er geht dabei sachlich, unpolemisch und zugleich äußerst kenntnisreich vor, wobei er auf zahlreiche eigene Spezialuntersuchungen zurückgreifen kann. Er diskutiert fünf Einwände, die der „sogenannte Standardtheismus“ (7) gegen seine Bestreiter vorbringt. An der Länge der jeweiligen Kapitel lässt sich ablesen, welche Einwände dem Autor am meisten Mühe machen.
Leicht ist ein Standardtheismus zu widerlegen, der sich auf Erklärungslücken oder auf ein Defizit an Moral beziehen möchte. Erklärungslücken mögen früher ein Argument gewesen sein, sind es aber längst nicht mehr. Antiklerikalismus hat tatsächlich Atheisten stark motiviert, aber damit war und ist das philosophische Problem ja keineswegs erfasst. Macht sich der Atheismus von einer von ihm vorausgesetzten Ontologie abhängig? Man müsse keineswegs „Naturalismus“ vertreten, um Atheist sein zu können. In diesem Kapitel missversteht Schröder m. E. das Anliegen seines Kontrahenten Holm Tetens.
Schwieriger ist es, den Einwand zu entkräften, Atheisten verhielten sich „dogmatisch“ und Atheismus komme damit als eine „Quasi-Religion“ zu stehen, womit sich ein Patt zwischen den beiden Konfliktpartnern ergäbe. Doch wer ist dem andern gegenüber beweispflichtig – doch der Theist dem Atheisten gegenüber! Das lasse sich an Bertrand Russells bekanntem „teapot argument“ zeigen. Wenn jemand behauptet, es gebe eine extraterrestrische Teekanne, habe natürlich er dies zu begründen. Die Unschuldsvermutung liege beim Leugner der fliegenden Teekanne. Doch das Teekannen-Argument widerlege nur den Agnostizismus, nicht jedoch den Theismus. Man müsse vielmehr bei den widersprüchlichen Implikationen des Theismus ansetzen. Schließlich sei zu fragen, ob Atheismus im Blick auf das konkrete Leben mit Verlusten verbunden sei, da er ein Leben ohne existenziellen „Halt“ und ohne „Hoffnung auf Erlösung“ bedeute (97). Die Antwort darauf findet Schröder in dem von ihm behaupteten Ungenügen der christlichen Soteriologie, die ja mit einer „Hölle“ rechne, keine klare Beziehung zwischen moralischem Verhalten des Menschen und seiner Erlösung zu erkennen gebe (104) und insofern den „salto mortale der menschlichen Vernunft“ (Kant) darstelle.
Für den christlichen Theologen am interessantesten ist Schröders Auseinandersetzung mit „alternativen Gotteskonzeptionen“. Bei dem Verzicht, „Gott überhaupt personale Eigenschaften wie Geist zuzuschreiben“ (83), lassen sich natürlich bestimmte Argumente gegen ihn nicht aufrechterhalten. Als Kronzeuge für diese Sicht wird Paul Tillich angeführt, der es mit der Formel „ultimate concern“ bei einem „inhaltsleeren“ (23) „ultimism“ belasse (89). Dieser Argumentationsgang zeigt: Atheismus braucht eine robuste theistische Konzeption von Gott, den man im Prinzip z. B. mit einer „extraterrestrischen Teekanne“ vergleichen kann, was für Glaubende einfach nur albern klingt. Andernfalls fehlt Atheisten die Angriffsfläche. Zwei Wege bieten sich dann für sie an: Man blendet bestimmte Gesichtspunkte aus, übergeht im Fall von Tillichs Gottesverständnis, was er über Jesus Christus und den Heiligen Geist zu sagen hat, oder, so die zweite Möglichkeit: Man klassifiziert, was man in der eigenen Argumentation nicht brauchen kann, als das „bis zur Unkenntlichkeit entstellte Christentum“ (99). Man braucht dann weder auf Charles Taylor noch auf Jürgen Moltmann einzugehen. Auch die Suche nach einer Gotteskonzeption, die nach Vorgabe des trinitarischen Glaubens weder als theistisch noch als nichttheistisch zu stehen käme (mein Vorschlag 1971), lohnt die Mühe des Erwägens nicht.
Der „teapot“-Atheismus mag sich spielerisch oder auch in subtiler philosophischer Anstrengung mit dem Problem einer möglichen Existenz Gottes befassen, aber er sollte sich nicht der Illusion hingeben, er treffe damit den „christlichen“ Gott oder insgesamt die Gottesvorstellungen der abrahamitischen Religionen, worauf Schröder verschiedentlich abhebt. Es wäre aber sehr wohl weiterführend, im Blick auf die Atheismus-Debatte den Begriff „Existenz“ zu klären (auch im Sinn der von Markus Gabriel angestoßenen Diskussion über den Begriff „Wirklichkeit“). Schon Dietrich Bonhoeffer hatte formuliert: „Einen Gott, den ‚es gibt‘, gibt es nicht.“ Sollte dieser Gedanke nicht auch philosophisch nachvollziehbar sein?
Ich vermute, Atheisten werden sich damit abfinden müssen, dass es Menschen gibt, die Trost, Lebenszuversicht und Handlungsorientierung nicht primär durch rationale Überlegungen finden, sondern sich anstecken lassen von Hoffnungsgestalten wie Jesus von Nazareth und von Hoffnungstexten wie den biblischen, und die auf diese Weise im Blick auf ihr Leben und ihr Sterben Vertrauen gewinnen. Gott ist ihnen jenseits von Theismus und Atheismus Quelle und Woher ihres Vertrauens, Liebens und Hoffens. Dann wäre es vielleicht auch für Atheisten und Agnostiker einladend zu fragen: Woher solches Vertrauen? Oder (frei nach Derek Parfit): „Why any confidence? Why this?“
Hans-Martin Barth, 13.05.2022