Ulrich Beuttler

Auch der Himmel ist keine Grenze

Zu den jüngsten Weltraumabenteurern

Am 20. Juli 2021, kurz nach 15 Uhr, startete Amazon-Gründer Jeff Bezos bei leichter Bewölkung von der texanischen Wüste aus zu seinem ersten Weltraumflug. Es dauerte exakt zehn Minuten und zehn Sekunden, bis Bezos mit seiner Crew in der Raumkapsel wieder sicher auf dem Boden landete. Die Rakete New Shepard hatte die Raumkapsel in wenigen Sekunden auf eine Geschwindigkeit von 3700 km/h beschleunigt; nach drei Minuten wurde die Kapsel von der Rakete getrennt, sie stieg vom Schwung auf einer Parabelbahn weiter bis zu einer Höhe von 100 Kilometern. Am Scheitelpunkt herrschte für einige Sekunden Schwerelosigkeit, bevor die Raumkapsel, von Fallschirmen gebremst, wieder zur Erde zurückschwebte.

Der Beginn des privatwirtschaftlichen Weltraumtourismus

Dieser kurze Weltraumflug könnte eine Randnotiz in der Geschichte der bemannten Raumfahrt sein – geschätzt sind in den letzten 50 Jahren 550 Menschen aus 35 Nationen im All gewesen –, wenn nicht Ereignis und Inszenierung (der Flug wurde im Netz live übertragen) eine solche Bedeutung hätten, dass sich die Auseinandersetzung lohnt. Was hat sich hier ereignet und was bedeutet dies für unsere Gegenwart in öffentlicher, medialer, politischer, wirtschaftlicher Hinsicht und auch existenziell für unser Selbstverständnis als Menschen?

Bezos selbst bezeichnete nach der Landung den Trip als „besten Tag aller Zeiten“ („best day ever“). Aus der Kapsel waren während der wenigen Sekunden Schwerelosigkeit, als die Passagiere kurz ihre Sitze verlassen konnten, Lachen und Jubel zu hören. Bezos erfüllte sich mit diesem Abenteuer einen Lebenstraum, von dem er schon in der Highschool gesprochen hatte. 1983 hatte er in Florida die Abschlussrede als Jahrgangsbester gehalten und mit Ernst gesagt, dass die Menschheit irgendwann den Weltraum kolonisieren werde. 2000 gründete er dazu, nachdem Amazon gerade mächtig Gewinn gemacht hatte, das Unternehmen Blue Origin, das erste private Weltraumunternehmen, in das er nach eigenen Angaben in den letzten Jahren jährlich eine Milliarde Dollar aus dem Verkauf von Amazon-Aktien gesteckt hat. Inzwischen, 14 Tage vor seinem Jungfernweltraumflug, hat Bezos den Vorstandsvorsitz von Amazon abgegeben, um sich nur noch auf sein Weltraumprojekt konzentrieren zu können.

Ein neuer Schritt in der Geschichte der Weltraumfahrt ist dies nicht nur deshalb, weil erstmals ein Privatmensch mit seinem privaten Unternehmen einen solchen Traum, von dem viele träumen, zur Ausführung bringt. Das Bemerkenswerte daran ist, dass es nicht nur eine einfache Frage des Geldes ist, sondern eine Frage, wie dies geschieht. Dabei ist Jeff Bezos nicht der Einzige. Neun Tage vor ihm war der britische Milliardär Richard Branson mit einem Raumgleiter seines Unternehmens Virgin Galactic ins All geflogen. Branson kam Bezos damit zuvor, erreichte aber nur eine Höhe von ca. 80 Kilometern. Es ist müßig, darüber zu rechten, ob man diesen Flug auch als Weltraumflug bezeichnen kann, weil in der Regel in der Raumfahrt die sog. Karman-Linie, bei der die Erdatmosphäre endet und der Weltraum beginnt, 100 Kilometer über dem Meeresspiegel angesetzt wird. Die amerikanischen Luftfahrtbehörden jedoch definieren auch die Höhe von 80 Kilometern schon als Weltraum.

Schließlich ist Elon Musk zu erwähnen, der dritte Multimilliardär im Bunde, der akribisch und mit gewaltigen finanziellen Mitteln seiner Firmen, Tesla zum Beispiel, an dem Projekt SpaceX arbeitet. Hier geht es ernsthaft darum, den Weltraum zu besiedeln, um damit die Probleme der Ressourcenknappheit, der Umweltbelastung und der Überbevölkerung der Erde zu lösen.

Das alles erschiene einigermaßen fantastisch, wenn es den Dreien nicht so ernst wäre. Bezos hat für seinen Flug ein symbolträchtiges Datum gewählt: genau 52 Jahre nach der ersten Mondlandung von Apollo 11 am 21. Juli 1969. Nach wie vor gilt die bemannte Mondlandung als einer der wichtigsten Meilensteine in der Geschichte der Raumfahrt. Auch Bezos arbeitet darauf hin, eines Tages auf dem Mond zu landen.

Bereits in den 1960er Jahren war dies ein Sieg der menschlichen Technik über die Naturgesetze. Es war möglich, der Unnachgiebigkeit der Erdanziehung zumindest für kurze Zeit zu entkommen. Blue Origin mit Bezos flog daher auch symbolkräftig genau die 100 Kilometer bis zur Karman-Linie, an welcher das Kräftegleichgewicht zwischen der immer zum Erdmittelpunkt gerichteten Gravitationskraft der Erde und der Schwerelosigkeit des Alls eintritt, wo Körper nicht mehr fallen, sondern schwerelos im All treiben. Zum Vergleich: Die bemannte Raumstation ISS befindet sich in 400 km Höhe. Bezos’ Flug ermöglichte nur kurz völlige Schwerelosigkeit an Bord. Diese kann auch innerhalb der Erdatmosphäre für wenige Sekunden mit sog. Parabelflügen in Flugzeugen erzielt werden, welche zu Trainingszwecken von Astronauten dienen.

Dennoch ist die Karman-Linie real und symbolisch die Grenze zwischen dem begrenzten, ortsgebundenen, mit Schwerkraft behafteten Lebensraum Erde und dem grenzen- und schwerelosen Weltraum. Bewusst wollte Bezos diese Grenze erreichen und überschreiten; es gehe ihm, sagte er im Vorfeld, nicht darum, einen Wettbewerb zu eröffnen, sondern darum, „einen Weg ins All zu eröffnen, damit zukünftige Generationen unglaubliche Dinge im Weltraum tun können“. Er stellt sich, wie Elon Musk, eine nahe Zukunft vor, in der Millionen von Menschen im All leben und arbeiten. Seine Firma hat das Ziel, mehr und mehr Touristen zu verschiedenen Tätigkeiten in den Weltraum zu bringen. Sein Projekt ist daher der Start in den privatwirtschaftlichen Weltraumtourismus. Das symbolkräftige Datum weist darauf hin, dass nicht mehr, wie bei Apollo 11 und allen Weltraummissionen bis zur Internationalen Station ISS, das gesammelte Wissen, Können und Vermögen, technisch wie wirtschaftlich, von Staaten oder Institutionen die Basis solcher Projekte darstellt, sondern es genügen private Unternehmen mit ihrer Tatkraft und ihren Ideen.

Mit Bezos waren drei Begleiter an Bord – Rakete und Kapsel wurden vollautomatisch gesteuert, sodass kein ausgebildeter Pilot oder Astronaut nötig war. Die Crew war sorgfältig ausgewählt worden: zunächst sein jüngerer Bruder, mit dem Bezos seit Jahrzehnten die Leidenschaft für das Weltraumprojekt teilt; dann Wally Funk, mit 82 Jahren die älteste Person jemals im All, die schon zur Zeit von Apollo 11 zur Astronautin ausgebildet wurde, jedoch wegen der damaligen Regeln der NASA als Frau nicht ins All fliegen konnte, sodass Bezos hiermit ein Statement für Emanzipation und Frauenrechte setzte; und schließlich ein unbekannter 18-jähriger Abiturient, der jüngste Mensch jemals im Weltraum, dessen Vater die Auktion für den freien Platz gewonnen hatte, nachdem der ursprüngliche Gewinner, der angeblich 28 Millionen Dollar dafür bezahlt hatte, wegen „Terminproblemen“ zurückgetreten war.

Ein menschheitliches Projekt der Völkerverständigung?

Was bedeutet dieses Projekt für die Geschichte der Raumfahrt und für unsere Gegenwart? Der Weltraumtourismus mag eine extravagante Idee einiger Superreicher sein, ein gewisser Wirtschaftsfaktor ist er auf jeden Fall. Die Preise sollten bei Virgin Galactic von Branson von anfänglich 250 000 Dollar auf 40 000 Dollar pro Flug fallen. Auch bei Elon Musk und SpaceX sind sowohl die wirtschaftlichen als auch die ideellen Ambitionen erheblich. Er will eine Mondlandefähre und sogar eine Marslandefähre bauen und hat dafür in freiem Wettbewerb bereits den Zuschlag der NASA erhalten.

Wer 1969 bis 1972 die Mondlandeflüge am Fernsehen mitverfolgt hat oder davon gehört hat, erinnert sich an den Aufbruchsoptimismus: Nicht einmal der Himmel könne die Grenze für die Menschheit sein. Außerirdische Himmelskörper zu erreichen, mit unbemannter, aber auch v. a. bemannter Raumfahrt, das sollte das eigentliche Ziel der Projekte sein. Weltraumfahrt gilt seit je als „unvollendetes Projekt der Moderne“ (Jürgen Habermas) und war zunächst, natürlich, lange ein Projekt der Fantasie in Romanen wie Jules Vernes „Von der Erde zum Mond“ von 1865 oder hundert Jahre später in einer Science-Fiction-Serie, die dann als „Raumschiff Enterprise“ verfilmt wurde.

Als die Weltraumfahrt dann realisiert werden konnte, war das nicht nur der Triumph der menschlichen Technik über die räumlichen Beschränkungen der Alltagswelt. Es war nun möglich, nicht nur auf der Erde räumliche Distanzen zu überbrücken und ferne Ziele in relativ kurzer Zeit zu erreichen, sondern die Distanzüberwindung über den irdischen Bereich in den Weltraum auszudehnen. Damit ändert sich auch das Selbstverständnis des Menschen, wie er sich in Bezug auf seine Umgebung versteht. War der Mensch selbst bei Fernreisen auf der Erde noch sozusagen gravitativ behaftet, war er also auf die horizontale terrane Ebene eingeschränkt und waren Flugreisen als mehrstündige Erhebungen auf einige tausend Meter Höhe immer noch horizontal zur Erdoberfläche beschränkt, so geschah die Flugrichtung nun zentripetal von der Erde weg. Der Mensch entkommt damit, zumindest für die Flugzeit, dem irdischen Verhaftetsein durch die Beschränkungen der Gravitation, der Massenfortbewegungstechnik, der politischen, der nationalen und anderer Gegebenheiten.

Dort oben im Weltraum ist der Mensch Weltbürger, kein national verhafteter Provinzialist mehr. Wer will, kann so in der Raumfahrt ein Ideal der Aufklärung vollendet sehen, die weltlich-nationalen Beschränkungen der räumlichen und geistigen Verhältnisse zu überschreiten. Schillers – in Beethovens 9. Sinfonie vertonte – Ode an die Freude ist seit über 200 Jahren Ausdruck dieses Menschheitsprojektes: „Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuss der ganzen Welt! Brüder, über’m Sternenzelt muss ein guter Vater wohnen.“ Die EU hat sich mit der Übernahme des Textes als Europahymne dieses Ideal zumindest regional zu eigen gemacht. Warum das Ziel nicht menschheitlich ausdehnen?

So kann man die Raumfahrt sehen, als ein menschheitliches, nicht mehr nationales Projekt. Die zahlreichen Raumfahrer repräsentieren in dieser Sicht die internationale Gemeinschaft der Menschheit und drücken etwas vom Weltfrieden aus, der nicht mehr vom Gegeneinander der nationalen Interessen bedroht ist, sondern in der freien Unterstellung einzig unter die Grenzen des Weltalls besteht: die eine Menschheit unter dem unendlichen Himmel. Das menschheitliche Projekt lebt vom Gedanken der Völkerverständigung, es ist eine Friedensutopie der vereinten Menschheit damit verbunden: Im All würde es keine Grenzen, keine Nationen, Hautfarben, Herkünfte und politischen Systeme geben, sondern nur die Zukunft der einen Menschheit, die sich von der Erde ins All erweitert.

Man kann es aber auch gerade anders sehen: War dieses Ziel schon bei Schiller ein realpolitisch betrachtet recht utopisches Ideal, so ist auch heute Weltraumfahrt ein hartes Konkurrenzunternehmen: Die Rivalität zwischen den Weltraummächten USA, Russland und neuerdings China um die neuen und spektakulären Schritte spielt nach wie vor eine gewichtige politische Rolle; die technischen Errungenschaften dienen nicht primär dem Weltfrieden, sondern zeigen ein Wettrüsten im All; die Weltraumprojekte dienen nicht allein menschlicher Erkenntniserweiterung, sondern auch rein kommerziellen Zwecken wie der Unterhaltung. Und ob nicht die privaten Projekte gerade dem Gegenteil von Weltfrieden und freier Menschheitsentfaltung dienen, sondern am Ende der Spionage, Überwachung und digitalen Kontrolle, ist ja nicht ausgemacht. Die James-Bond-Filme oder Orwells Roman „1984“ haben auch im 21. Jahrhundert mediale Entsprechungen solcher Befürchtungen. Der Böse ist z. B. im Film „Der Morgen stirbt nie“ von 1997 ein milliardenschwerer Medienmogul, der per Satellitentechnik und -überwachung die Weltmacht anstrebt.

Der schöpferische, die naturgesetzten Grenzen überschreitende Mensch

Dennoch lohnt es, weiter darüber nachzudenken, was Weltraumfahrt für das Selbstverständnis des Menschen bedeutet. Man kann also außer der technik- und kulturwissenschaftlichen oder der politikwissenschaftlichen Einordnung auch eine anthropologisch-sozialwissenschaftliche vornehmen. Um eine solche hat sich der Anthropologe und Soziologe Joachim Fischer im Gefolge der großen anthropologischen Entwürfe des 20. Jahrhunderts bemüht. Er weist darauf hin, dass ein geeigneter Begriff für das Phänomen der Weltraumfahrt fehlt, um es anthropologisch-soziologisch zu begreifen, und prägt dafür das Wort Kosmonautik im Unterschied zur Astronautik. Die Begriffe sind allerdings missverständlich, weil sie das alte Ost-Welt-Konkurrenzdenken im Begriff reproduzieren; Astronauten hießen ja die amerikanischen, Kosmonauten die sowjetischen Raumfahrer. Gemeint ist die Unterscheidung des technisch-materiellen-körpergebundenen Projektes Weltraumfahrt, das er Astronautik nennt, vom ideellen Projekt, das mit der Sonderstellung des Menschen als einem geistig und räumlich Grenzen überschreitenden Lebewesen zu tun hat. In dem Sinne soll Kosmonautik das menschliche Unterfangen bezeichnen, welches die natürliche Stellung des Menschen in der Natur und der Naturgeschichte eigengesetzlich und autonom überschreitet. Als „Kosmonaut“, als Raumfahrer in die Weiten des Kosmos, überschreitet der Mensch die natürliche Gebundenheit. Insofern stellt Weltraumfahrt nicht nur ein kulturell-technisch-politisches Phänomen dar, sondern ein anthropologisches Faktum, d. h. sie sagt etwas über das Wesen und Selbstverständnis des Menschen, wie er sich im 20./21. Jahrhundert in Bezug auf den Kosmos versteht.

Genauer gesagt: Die so genannte Kosmonautik ist ein besonders dezidierter Ausdruck dafür, wie sich das Naturwesen Mensch zu seinen eigenen natürlichen Beschränkungen verhält, diese überschreitet und damit selbst versteht. In Weiterführung wichtiger anthropologischer Entwürfe des frühen 20. Jahrhunderts sind m. E. folgende Einordnungen hilfreich, auf die Fischer hinweist.

Arnold Gehlen beschrieb den Menschen als „Mängelwesen“, welches aufgrund seiner natürlichen Grenzen von Natur aus eine künstliche Welt zum Überleben braucht, das also notwendigerweise die Natur durch Kultur überformt und gestaltet und sich so die Kultur zur zweiten Natur macht. Dieses Prothesen-Lebewesen, das von Natur aus an die lebensfeindliche Umgebung des Universums kein bisschen angepasst ist, schafft sich mit der Kosmonautik eine künstliche, raumfahrttechnische Existenz im Weltraum. So gleicht er sein natürliches Defizit als kosmisches „Mängelwesen“ aus durch seinen Vorzug der „Weltoffenheit“ einerseits (Max Scheler) und der „exzentrischen Positionalität“ (Helmuth Plessner) andererseits. Solche anthropologischen Bestimmungen benennen das Wesen des Menschen in Zusammenhang und Überschreitung der naturgegebenen Grenzen. Die Weltoffenheit meint, dass der Mensch mit offenen Augen in die Welt hinausschaut, wohin er sich wenden und erweitern kann. Dabei bleibt er, im Unterschied zur frühneuzeitlichen, ganz idealen Vorstellung des Menschen als unbeschränktem geistig-ideellen Wesen, weiterhin den irdisch-natürlichen Möglichkeiten, also der Körperlichkeit verhaftet, realisiert jedoch eine Art Gestaltoffenheit, einen Antriebsüberschuss, eine Lebensenergie, die in ihm natürlicherweise vorhanden ist, in eine künstliche Überschreitung hinaus. Seine Stellung ist exzentrisch positional. Damit ist keine Extravaganz gemeint, sondern dies, dass bei allem Körperbezug die Gestalt, die der Mensch in der Kosmonautik für sein Selbstverständnis findet, offen ist für fremde, eigenartige, besondere, nicht alltägliche Gestalten und Formen des Weltbezugs.

Kulturanthropologisch gesagt: Der Mensch ist das einzige Lebewesen im Universum, das keine feste, natürlich festgelegte Position hat, sondern das seine Position verrücken, beständig überschreiten, ins Offene erweitern kann. Er schafft sich mit der Weltraumfahrt seinen eigenen, selbstgewählten Ort, an den er natürlicherweise nicht gebunden ist, er überschreitet und erweitert die naturgesetzten Grenzen und wird daran erst Mensch, schöpferischer Mensch. Der moderne Weltraumfahrer erfüllt und vollendet, aber begrenzt zugleich das anthropologische Projekt der Moderne, das Pico della Mirandola am Anfang der Neuzeit so beschrieben hat: Gott habe, sagt er in seiner Rede über die Würde des Menschen 1486, den Menschen in die Mitte der Welt gestellt und zu ihm gesprochen:

„Wir haben dir keinen festen Wohnsitz gegeben, o Adam, kein eigenes Aussehen noch irgendeine besondere Gabe, damit du den Wohnsitz, das Aussehen und die Gaben, die du dir ausersiehst, entsprechend deinem Wunsch und Entschluss habest und besitzest. Die Natur der übrigen Geschöpfe ist fest bestimmt. Du sollst dir deine Natur ohne jede Einschränkung, nach deinem Ermessen, dem ich dich anvertraut habe, selber bestimmen.“

Im Sinne dieses Ideals der Renaissance sind Astronomie und entsprechend Kosmonautik Aktivitäten der Selbstbestimmung des Menschen.

Astronomen sind „Sternenboten“, wie Galileo Galilei das universale Projekt der Moderne benannte, die nicht nur ferne Sterne beobachten, sondern wie schon bei Kopernikus, Galilei und Kepler damit auch eine Idee des Menschen verbinden. Entsprechend sind heutige Weltraumfahrer solche Menschen, die hinausdrängen ins All, um sich selbst neu zu bestimmen, um sich zu finden nach einem selbstbestimmten Entwurf. Allerdings können sie diese Grenzen nicht rein ideell, nach reiner Fantasie, aus dem Geist in die Körperlichkeit ausdehnen, sondern bleiben dieser verhaftet, indem sie von hier aus vorgehen, von hier aus sich erweitern. Die Anthropologie des 20. Jahrhunderts hat diese Selbstbescheidung mitvollzogen, indem sie die Selbstwerdung des Menschen nicht rein in seiner Selbstüberschreitung, sondern in einer solchen Überschreitung sieht, die von der Naturbindung aus und in ihr erfolgt.

Im Unterschied zu den allzu euphorischen Privatinitiativen ist Kosmonautik, auf die Möglichkeiten des Menschen bezogen, das Projekt des weltoffenen Menschen mit den offenen Augen, die ihm die Natur oder, je nach metaphysischer Letztorientierung, der Himmel bzw. Gott verliehen hat, der nicht an seinen natürlichen Ort gebunden ist, der diesen überschreiten, evtl. sogar in Kontakt mit außerirdischen Lebensformen kommen kann. Diesen Schritt hinaus tut er jedoch immer von seiner Basis, der Erde, und den natürlichen Gebundenheiten aus.

Bescheidenheit und der Blick zurück zur bedrohten Erde

Die Kosmonautik des 21. Jahrhunderts sollte sich bescheidener geben als die Astronomie der beginnenden Neuzeit. Denn sind die aktuellen Weltraumprojekte nicht auch Ausdruck der menschlichen Hybris und ihres vermessenen Selbstanspruchs? Sollte und müsste der Weltraum, das unendliche Universum und der Blick zur Erde nicht auch zur Bescheidenheit mahnen? Weltraumtouren und Leben im All wird es, realistisch betrachtet, nur auf (kurze) Zeit und nur für wenige geben. Weltraumfahrt kann aber auch den Blick zurück auf den blauen Planeten, diese „kosmische Oase“ (Hans Blumenberg) eröffnen, den Blick auf die menschliche Lebenssphäre auf der Erde, die von zahlreichen natürlichen, politischen, gesellschaftlichen Problemen und Fragen bedroht ist. Gerade die jüngsten Astronauten aus unserem Land wie Alexander Gerst oder Matthias Maurer verstehen sich selbst, mit dem außerordentlichen Blick von außen, als „Botschafter“ der Erde und machen sich für Klimaschutz und Ressourcenerhaltung stark.

Der Aufbruch in die Ferne macht mit dem Blick zurück auch das natürliche Positionsfeld deutlich. Die kopernikanische Revolution der frühen Neuzeit und der Blick hinaus ins Weltall haben zwar den Menschen als produktives geistiges Wesen ins Zentrum des Universums gestellt, ihn zugleich aber auch lokal deplatziert. Im unendlichen Universum ist der Mensch eine kosmische Randnote. Sein Herkunftsort, seine Lebenswelt ist bleibend die kleine, bedrohte Erde. Um des Überlebens willen ist eine neue Positionsbestimmung nötig. Schon Edmund Husserl forderte die „kopernikanische Umwendung der kopernikanischen Umwendung“: Wer den Blick hinaus tut und hinausstrebt ins unendliche Universum, muss sich auch wieder zurückwenden, um sich selbst, seine Möglichkeiten und seine Grenzen zu erkennen. Raumfahrt ist immer, bei aller Ambition, „geotrope Astronautik“ (Hans Blumenberg), sie geschieht immer von der Erde aus und dahin zurück. Diese Bescheidenheit, den Blick zurück, darf die Raumfahrt, gerade wenn sie der Menschheit dienen will, nicht aus dem Auge verlieren.

Ulrich Beuttler, Backnang, 01.01.2022


Literatur

Beuttler, Ulrich: Kosmologischer Raum und kosmischer Sinn, in: Vogelsang, Frank / Meisinger, Hubert / Moos, Thorsten (Hg.): Gibt es eine Ordnung des Universums? Der Kosmos zwischen Messung, Anschauung und religiöser Deutung, Bonn 2012, 39 – 50.

Beuttler, Ulrich: Gott und Raum. Theologie der Weltgegenwart Gottes, Göttingen 2010.

Fischer, Joachim / Spreen, Dierk: Soziologie der Weltraumfahrt, Bielefeld 2014.