Auch der neue Stammapostel der Neuapostolischen Kirche will am Öffnungsprozess festhalten
(Letzter Bericht: 6/2005, 231f) Die Neuapostolische Kirche (NAK) hat seit Pfingsten einen neuen Stammapostel. Der promovierte Mathematiker Wilhelm Leber, 58 Jahre alt und zuvor nordrhein-westfälischer Bezirksapostel, wurde vom bisherigen Stammapostel Richard Fehr zum Nachfolger berufen. Fehr hatte dieses Amt seit 1988 inne.
Auf einer Pressekonferenz am Hauptsitz der NAK in Zürich präsentierte sich Leber der Öffentlichkeit. Dabei kam auch der unter Fehr eingeleitete Öffnungs- und Reformprozess zur Sprache, der ganz offensichtlich das Ziel verfolgt, die NAK „ökumenekompatibel“zu machen. 1999 hatte die NAK eine Projektgruppe „Ökumene“ ins Leben gerufen, woraus sich Gespräche mit der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) in Süddeutschland sowie ein vergleichbarer Dialog in der Schweiz ergaben. Die NAK ist ganz offensichtlich ihr Sektenimage leid – überall auf der Welt werde sie als Kirche wahrgenommen, nur nicht in Europa, klagte Fehr. Allerdings räumte er auch ein, dass sich die Glaubensgemeinschaft aufgrund der massiven Kritik von Kirchenseite in den sechziger und siebziger Jahren stark in einer „Igelposition“ befunden habe.
Ganz gewiss hat es Fehr verstanden, Zeichen der Öffnung zu setzen. Früher wäre es undenkbar gewesen, dass der Stammapostel der NAK der katholischen Kirche zum Tod des Papstes sein Beileid und zur Wahl des neuen seine Gratulation ausspricht. Dass er dies tat, habe ihm in den eigenen Reihen eine hohe Anerkennung, aber auch herbe Kritik eingetragen, so Fehr. Einige Mitglieder hätten ihm „Verrat“ vorgeworfen und ihn gefragt, ob sie nun ihren Glauben begraben sollten. Fehrs Nachfolger Wilhelm Leber, der als liberal gilt, scheint dennoch gewillt, den Kurs seines Vorgängers fortzusetzen. Dabei gelte es jedoch, die Harmonie zwischen eher konservativen und eher progressiven NAK-Mitgliedern zu wahren.
Darüber hinaus möchte Leber auch auf die Kritiker in den Reihen ehemaliger NAK-Anhänger eingehen. Die Aussteiger hätten bisweilen für erhebliche Unruhe gesorgt, doch habe die NAK gelernt, mit Kritik umzugehen, der sie sich im Übrigen stelle, sofern ein fairer Umgang gewährleistet sei. In diesem Zusammenhang kündigte Leber an, dass eine Aufarbeitung der NAK-Geschichte durch eigene Historiker begonnen werden solle, denn die Glaubensgemeinschaft sei bereit, sich zu eigenen Fehlern zu bekennen. Leber greift damit eine Forderung auf, die gerade seitens der Aussteiger immer wieder erhoben worden war.
Leber regte außerdem an, eine interne Reformdebatte anzustoßen, die sich etwa mit der Rolle der Frau innerhalb der NAK oder den Formen der internen Kommunikation befassen solle. Neue Akzente scheint er auch in der theologischen Ausbildung setzen zu wollen; zwar bekenne sich die NAK weiterhin uneingeschränkt zum Laienpredigtamt, doch schließe dies eine bessere theologische Ausbildung der Prediger nicht aus.
Man darf angesichts solch zahlreicher und erfreulicher Ankündigungen des neuen Stammapostels gespannt sein, wie sich die NAK unter Wilhelm Leber entwickeln wird. Eine weitere „Entsektung“ sowie eine Entwicklung hin zu einer ökumene- und dialogfähigen Freikirche scheint jedenfalls nicht mehr utopisch zu sein.
Christian Ruch, Zürich