Auf dem Weg zur ersten "humanistischen Schule" in Deutschland
(Letzter Bericht: 10/2005, 388) Im Frühjahr 2004 beantragte der Humanistische Verband Nürnberg (HVD-Nürnberg) die Genehmigung zur Einrichtung einer Ersatzschule (Grundschule) in Fürth. Dieser Antrag wurde Ende Dezember 2004 abschlägig beschieden. Begründet wurde die Entscheidung u.a. damit, dass kein „besonderes pädagogisches Interesse“ an einer solchen Schule bestünde. In einer Presseinformation vom Sommer 2005 äußerte der HVD-Bundesverband den Verdacht, dass die mittelfränkische Regierung das Projekt aus weltanschaulichen Gründen zu vereiteln versucht. Zu dieser Ansicht war der HVD-Nürnberg nach Kenntnisnahme der Akten gelangt: „Bei der unlängst erfolgten Akteneinsicht zeigte sich, dass wahrscheinlich ganz andere als pädagogische Gründe bei dieser Entscheidung eine Rolle gespielt haben. Vielmehr wurde die Eignung des HVD als Schulträger aus religiösen Gründen heraus bezweifelt. Diese, intern umfangreich vorgetragenen Überlegungen der Regierung von Mittelfranken wurden uns gegenüber freilich nie thematisiert, sondern verborgen gehalten. Als weltlich-humanistische Vereinigung nicht-religiöser Menschen sei unsere Eignung als Schulträger in Bayern sehr zu bezweifeln, heißt es dort. Auch wurde unterstellt, dass der HVD-Nürnberg nicht in der Lage sei, Religionsunterricht an seiner Schule anzubieten, obwohl der HVD-Nürnberg dies ausdrücklich erklärt hat. Weiterhin wurde ohne jede Grundlage unterstellt, der HVD-Nürnberg betreibe mit seinem Antrag in Wirklichkeit die Gründung einer so genannten ‚Weltanschauungsschule’ (in Analogie zu den christlichen Bekenntnisschulen). Grundsätzlich wurde der Artikel 131 der Bayerischen Verfassung gegen den HVD-Nürnberg geltend gemacht, nach dem das ‚oberste Erziehungsziel’ an bayerischen Schulen die ‚Ehrfurcht vor Gott’ zu sein habe. Nachdem der HVD-Nürnberg als Verband dieses Ziel nicht teilt, komme er schon aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht als Schulträger in Frage.“
Gegen die Ablehnung hat der HVD-Nürnberg Klage erhoben. Man sieht hier einen Verstoß gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Der HVD-Nürnberg hofft, dass die Richter „die Regierung in (die) Schranken verweisen“ werden. Der HVD-Geschäftsführer erklärte dazu: „Es wird Zeit, dass endlich der Weg freigemacht wird für unser modernes, zukunftsgerichtetes und kindgerechtes Reformprojekt. Wir sind jetzt von der Regierung und ihrem vordemokratischen Glaubenskämpfertum lange genug behindert worden.“
Der Schule soll ein modernes, reformpädagogisches Konzept zugrunde gelegt werden, zu dessen Besonderheiten gehört u.a. die Mitarbeit einer Sozialpädagogin als zweiter Lehrkraft in jeder Gruppe, Gruppengrößen von maximal 25 Kindern unterschiedlicher Jahrgänge, Fremdsprachenunterricht ab dem 5. Lebensjahr, die Beurteilung der Schüler nicht mit Noten, sondern in Form eines Portfolios, Einbezug der Eltern in verschiedene Unterrichtsthemen, Vernetzung mit dem Gemeinwesen, demokratische Beteiligung der Schüler am Schulleben und anderes mehr. Ein weiteres Charakteristikum soll der „umweltpädagogische Tag“ sein, d.h. ein fester Tag in der Woche, an dem der Unterricht gemeinsam mit qualifizierten Umweltpädagog/inn/en im Freien stattfindet. Schließlich soll es an der geplanten Schule das (für Bayern neue) Schulfach Humanistische Lebenskunde als Wahlpflichtfach für nicht-religiöse Kinder in Ergänzung zum katholischen und evangelischen Religionsunterricht geben.
Der HVD-Nürnberg hofft auf eine Entscheidung in den nächsten Monaten, damit die neue Einrichtung zum Schuljahr 2006/2007 ihre Arbeit aufnehmen kann. Sollte das gelingen, wäre dies die erste freidenkerische Schule – nach eigenem Sprachgebrauch „die erste humanistische Schule“ – Deutschlands, die eröffnet wird (vgl. www.humanistische-schule.de).
Andreas Fincke