Psychoszene

Ausbreitung der Satsang-Szene

Die Satsang-Bewegung als westlich-therapeutische Variante der hinduistischen Advaita-Philosophie („Nicht-Zweiheit“) hat sich auf dem Markt alternativer Lebenshilfe fest etabliert. Im Zentrum der Bewegung steht die individuelle Suche nach „Erleuchtung“. Dieser angeblich anhaltende Bewusstseinszustand soll durch spirituelle Lehrer übermittelt werden können.

Ein Beleg für die Ausbreitung dieser Form von Lebenshilfe ist das Internet-Portal „Jetzt-TV“ (www.jetzt-tv.net), das seit November 2006 online ist und mittlerweile mehrere hundert Stunden Videomitschnitte und zum Teil auch Live-Satsangs veröffentlicht. Manche Satsang-Anbieter bieten zudem persönliche Beratung per Skype an. Interessenten können sich von zu Hause aus zum Satsang zuschalten, um dem spirituellen Lehrer live eine Frage zu stellen. Das Magazin „connection spirit“ stellt in der Herbstnummer 2014 (9-10/2014) detailliert 22 Advaita-Lehrer vor und begründet die Popularität der Bewegung mit ihrer Ablehnung jeglicher Vermittlerinstanzen: „Priester, Brahmanen oder Schamanen braucht es nicht, und schon gar nicht irgendwelche Hierarchien. ‚Erkenne dich selbst‘ ist das Motto der Szene.“

Aber ist ein Guru nicht auch ein Vermittler? Der spirituelle Meister übernimmt doch beim Satsang eine Schlüsselrolle! Aus dem höchsten Bewusstseinszustand der Erleuchtung meint er, unerleuchtete Schüler zur Befreiung anleiten zu können. Häufig schart sich um einen spirituellen Meister ein innerer Kreis langjähriger Schüler, die ihren Lehrer bei der Seminarorganisation unterstützen.

Zu den bekanntesten Advaita-Lehrern in Deutschland zählt Cedric Parkin („OM“), der im letzten Jahr dadurch Aufsehen erregte, dass er in die katholische Kirche eintrat – für manche Schüler ein Schock (vgl. MD 1/2014, 27f). Die spirituelle Gemeinschaft („Große Sangha“) um Parkin zählt mehrere hundert Mitglieder. Bei der letzten Mitgliederversammlung Ende September 2014 wurde beschlossen, den Verein „Allionce“ (vgl. ebd., 27) aufzulösen und sein Vermögen satzungsgemäß auf die Stiftung „Gut Saunstorf – Ort der Stille“ (bei Wismar gelegen) zu übertragen. In Deutschland, der Schweiz und Frankreich treffen sich etwa 20 regionale Gruppen („Sanghas“), um sich gegenseitig auf dem inneren Weg zu unterstützen.

Ein Rhetorik-Trainer machte sich 2005 auf eine spirituelle Suche, bei der er auch zehn Satsang-Lehrer konsultierte. Auf seinem Blog kritisiert er nun die „Macken und Irrtümer der Erleuchteten“ (www.spiritueller-blog.com/die-macken-und-irrtuemer-der-erleuchteten). Nach seiner Erfahrung gebe es keinen Erleuchteten, der sich nicht mindestens in einer Sache irre. Außerdem hätten auch Erleuchtete spirituelle Dogmen und Glaubenssätze, die sie einfach nachplappern würden. Ihre persönlichen Konzepte, Meinungen und moralischen Vorstellungen würden sie jedoch als höchste Wahrheit verkaufen. Detailliert werden Irrtümer und Ungereimtheiten von über 20 „Erleuchteten“ dargestellt. Beispielsweise habe OM C. Parkin entgegen seiner Lehre noch eigene Wünsche und Sehnsüchte, weil er zu den ganz wenigen zähle, die nach ihrem Erwachen noch ein Kind in die Welt gesetzt haben. Darüber hinaus kümmere es ihn, was andere von ihm denken. Wenn es jedoch laut Advaita-Lehre kein „Ich“ mehr gebe, wieso kümmere ihn dann die Meinung anderer über ihn? Entgegen der spirituellen Satsang-Tradition gründe er Gruppen und residiere in der herrschaftlichen Villa „Gut Saunstorf“, die er für seine Organisation erworben habe.

Es stimmt zuversichtlich, dass sich Satsang-Lehrer auch interner Kritik stellen müssen und mit eigenen Widersprüchen und Irrtümern konfrontiert werden.


Michael Utsch