Ausstieg aus einer fundamentalistischen Gruppe: Sohn des Gründers hat die „Organische Christus Generation“ verlassen
Seit einigen Jahren ist die „Organische Christus Generation“ (OCG) vor allem durch Aktivitäten in den sozialen Medien bekannt geworden. Gründer ist der Schweizer Ivo Sasek (Jg. 1956), der zunächst als Automechaniker arbeitete und dann eine Bibelschule besuchte, von der er später wegen seiner charismatischen Theologie ausgeschlossen wurde. Über verschiedene freikirchliche Netzwerke und Gemeinden breitete sich die Bewegung im gesamten deutschsprachigen Raum aus. Mitglieder der Gemeinschaft produzieren Videos auf den YouTube-Kanälen Klagemauer-TV, Sasek-TV und Jugend-TV. Weiterhin stellen sie eigene Filme und Zeitschriften her und veranstalten Kongresse im Namen einer sog. „Anti-Zensur-Koalition“, wo umstrittene Redner wie die Holocaust-Leugnerin Sylvia Stolz eine Bühne erhalten.
Die Gemeinschaft ist streng hierarchisch organisiert und fordert die klare Unterordnung unter Autoritäten und unter Gott sowie die vollständige Selbstaufgabe. Als Vorbild fungiert die Familie Sasek – der Gründer hat mit seiner Ehefrau elf Kinder. Das Ziel der Unterordnung sei es, Gott ähnlicher zu werden und die vollkommene Einheit wie ein Organismus zu erlangen. Um den Eigenwillen der Kinder zu brechen, empfiehlt Ivo Sasek die Züchtigung mit der Rute.
Nach vielen negativen Medienberichten verbreitete sich in der Gemeinschaft die Meinung, in der Welt seien satanische Kräfte gegen sie am Werk. Aus dieser Überzeugung heraus verfestigen sich in der Gruppe zunehmend Verschwörungserzählungen, die von der OCG über die „freien Medien“ verbreitet werden. Gezielt werden dabei auch Kontakte zu rechten Esoterikern und zu Impfgegnern geknüpft.
Nun hat sich der älteste Sohn Ivo Saseks, Simon, auf dem YouTube-Kanal „Simon Sasek 2.0“ zu Wort gemeldet und von seinem schwierigen Ausstieg aus der Gemeinschaft erzählt. Sehr persönlich schildert er seine inneren Konflikte und seine Versuche, Kompromisse zwischen der Lehre der Gruppe und seinem Gewissen zu finden. Aus diesem Grund sei es häufig zu Streit mit seiner Familie gekommen. Um den Auseinandersetzungen zu entgehen, habe er seit 2011 nur noch eine Rolle („Simi“) gespielt und sich darin stets der Gemeinschaft untergeordnet. In dieser Rolle habe ihn sein Vater als „perfekten Mitarbeiter“ beschrieben.
Seit 2016 hätten die Lehren, welche unter seiner Mitwirkung auf Klagemauer-TV verbreitet wurden, nicht mehr mit seinen Ansichten übereingestimmt. Immer deutlicher habe er die „unheilvolle Dynamik“ der Gruppe wahrgenommen, die bei ihm eine zunehmende „psychische Platzangst“ ausgelöst habe. Er habe die Selbstbestimmung über sein Leben verloren und beschreibt die Gemeinschaft rückblickend als „totalitäres System“ und „kollektive Psychose“. Deshalb buchte er heimlich einen Zug nach Deutschland, um von dort aus mit seiner Frau und seiner Tochter nach Australien zu fliehen. Der räumliche Abstand hätte ihm geholfen, seine Gedanken zu ordnen. Heute lebt er mit Frau und Kind als Student in einer deutschen Großstadt.
Nach seinem Austritt wirkt der junge Mann in seinen Videos befreit und erleichtert darüber, die Fesseln der Vergangenheit abgelegt zu haben. Simon Sasek verwendet das Medium des Internets, das auch sein Vater strategisch klug und höchst professionell einsetzt. Die sozialen Medien haben zur Ausbreitung der OCG-Ideen beigetragen. Dabei ist das Internet gleichzeitig Segen und Fluch: Markante Botschaften werden rasant verbreitet. Aber auch Mitglieder einer geschlossenen Gruppe können sich nach wenigen Klicks mit der Kritik an ihrer Gruppe auseinandersetzen und die eigene Haltung dazu überprüfen. Es ist davon auszugehen, dass der öffentliche Aussteigerbericht von Simon Sasek (www.youtube.com/watch?v=WB0V8ABtcF0) die internen Spannungen in der OCG verstärkt. Einerseits kann der Ausstieg des ältesten Sohnes gut zur Bestätigung einer Verschwörungserzählung verwendet werden. Andererseits haben Aussteigerberichte in anderen geschlossenen Gruppen zweifelnden und halbherzigen Noch-Mitgliedern den letzten Anstoß gegeben, ebenfalls den Schritt in die Freiheit zu wagen.
Michael Utsch, 01.05.2021