„Awake“ - ein Film über Yogananda

Der Dokumentarfilm „Awake [Erwacht] – Das Leben des Yogananda“, seit Oktober 2015 in den deutschen (Programm-)Kinos, kommt Anfang Februar als DVD (OmU) auf den Markt. Der knapp 90-minütige Streifen der Filmemacherinnen Paola di Florio und Lisa Leeman (USA 2014) porträtiert den weltbekannten bengalischen Yogameister und Schriftsteller Paramahamsa1 Yogananda (1893 – 1952), der Yoga nach dem ersten Weltkrieg in den USA verbreitete und dessen herausragende Bedeutung für die neohinduistische Mission im Westen schon durch sein Buch „Autobiographie eines Yogi“ deutlich wird, das in über 40 Sprachen übersetzt wurde und Generationen von Sinnsuchern und Yogaadepten inspiriert hat.

Die Lebensstationen des Meisters mit dem wallenden schwarzen Haar und den fast weiblichen Zügen werden in Originalaufnahmen und nachgespielten Szenen gezeigt, verbunden mit Archivaufnahmen und Interview-Ausschnitten, in denen Anhänger, Wissenschaftler und Zeitgenossen zu Wort kommen. Der Sitarspieler Ravi Shankar hebt die Vorzüge des Gurus ebenso hervor wie der „Quantenheiler“ Deepak Chopra; der Alt-Beatle George Harrison bekennt, er wäre ohne Yogananda wahrscheinlich ein schrecklicher Mensch geworden. Yoganandas Lehren werden von Schülerinnen und Schülern interpretiert oder von unterschiedlichen Forschern in einen Zusammenhang mit Erkenntnissen aus den modernen Wissenschaften gestellt. So erläutert der Neurotheologe Andrew Newberg, dass tiefe Meditation die Hirnaktivitäten nachweislich verändert. Die Physikerin Anita Goel unterstreicht Zusammenhänge zwischen Physik und Biomedizin. Bikram-Yoga-Gründer Bikram Choudhury darf erklären, dass dem Menschen unermessliche Macht innewohne, die durch Konzentration und Meditation nutzbar gemacht werden könne. Willenskraft verwandelt Gedanken in Energie, sagt Yogananda.

Immer wieder werden atmosphärische Landschafts- und Naturimpressionen eingespielt, häufig unterlegt mit längeren Zitaten aus Yoganandas Werken, die mit indischem Akzent verlesen werden. So wird das ganze auch zur spirituellen Reise, die damit anfängt, dass der Swami schon im Mutterleib seiner selbst bewusst gewesen sein soll und die Entscheidung treffen musste, ob er als Mensch geboren werden sollte oder nicht. Sie endet mit dem Antlitz des toten Meisters, von dem es hieß, er habe auch drei Wochen nach seinem „bewussten Austritt aus dem Körper“ keinerlei Anzeichen von Verwesung gezeigt.

Die Wundergeschichten, die in der Autobiographie auf Schritt und Tritt begegnen, erscheinen im Film jedoch etwas zurückgenommen. Stärker betont wird das, was Yogananda „Religion als Wissenschaft“ nannte. Er vermittelte die Tradition des Kriya-Yoga, einer tantrisch geprägten Meditationstechnik, die auf Atemkontrolle und Erweckung der Kundalini-Kraft gründet. Körper und Geist sollen gleichermaßen entwickelt werden. Yogananda erklärt: „Wir müssen die Lebenskraft von den Sinnen wegbringen, in der Wirbelsäule sammeln, nach oben zum Gehirn und dann durch das Christus-Zentrum zwischen den Augenbrauen hinaus lenken.“ Seine Methode ermögliche es, „den Lebensstrom, der über die Organe und anderen Körperteile verteilt ist, in unsere Zentrale (Wirbelsäule und Gehirn) zurückzuziehen. Der Vorgang besteht in einem Magnetisieren der Wirbelsäule und des Gehirns (welche die sieben lebenswichtigen Zentren beherbergen), wodurch der über den ganzen Körper verteilte Lebensstrom in die ursprünglichen Kraftzentren zurückgezogen und als Licht erlebt wird.“2 Hier klingt die westliche, „wissenschaftliche“ Terminologie, in die Yogananda die indische Yogaweisheit gerne gießt, ebenso an wie die Anspielung auf christliche Inhalte, die in seinen Lehren einen wichtigen Platz einnehmen. Nicht die Religionen sind das Eigentliche, sondern was hinter ihnen ist. Mit dem durch Meditation veränderten Bewusstsein kann hinter die Kulissen geblickt und „Gottverwirklichung“ erreicht werden. Es geht darum, „durch ein wissenschaftliches System der Realisierung die absolute grundlegende Harmonie und Einheit von Christentum, Hindu-Yoga-Lehre und allen wahren Religionen zu begründen“.3 In diesem Sinne hat Yogananda auch relativ ausführlich neutestamentliche Texte kommentiert. In diesem Sinne ist auch die „Selbstverwirklichung“ der Self-Realization Fellowship (SRF) zu verstehen, als Realisierung des „göttlichen Selbst“ durch die entsprechende Meditationstechnik. Die SRF entstand ab 1920 in den USA und trägt Yoganandas Erbe weiter, das freilich in verschiedenen Formen des Kriya- und Kundalini-Yoga weit über die Grenzen der SRF ausstrahlt. Die SRF selbst ist in Deutschland zahlenmäßig relativ unbedeutend und unauffällig (700 bis 1000 Anhängerinnen und Anhänger, ein Zentrum und neun Meditationsgruppen, nach REMID).

Die Hommage an den berühmten Guru ist einfühlsam und informativ, wenn man sich dem Werdegang und den Lehren des Paramahamsa widmen möchte. Die Vorgeschichte und die Wirkungsgeschichte bleiben allerdings ausgeblendet, die systematische Struktur hätte klarer ausfallen können, kritische Analysen fehlen, ebenso eine Einordnung der einbezogenen wissenschaftlichen Stimmen. Man merkt dem Film an, dass er ein Auftragsfilm der SRF ist. Für den Einsatz in der Schule ist die Dokumentation daher nur bedingt, bei entsprechender Vor- und Nacharbeit aber durchaus geeignet.


Friedmann Eißler, 15.01.2016

Anmerkungen

  1. Auch: Paramahansa oder Paramhansa, Ehrentitel für einen erleuchteten Lehrer.
  2. Reinhart Hummel, Indische Mission und neue Frömmigkeit im Westen. Religiöse Bewegungen Indiens in westlichen Kulturen, Stuttgart u. a. 1980, 48.
  3. Ebd., 162.