Axel Stoll gestorben
Der Esoteriker, Verschwörungstheoretiker und Gründer des „Neuschwabenlandforums“ Axel Stoll ist nach Angaben seines langjährigen Mitstreiters Mario Romanowski am 28. Juli 2014 im Alter von 65 Jahren in seiner Heimatstadt Berlin gestorben.
Stoll trat seit Langem öffentlich als Vertreter einer esoterisch-alternativen Physik („Magie ist Physik durch Wollen“) und über seine Firma Biolife GmbH durch den Vertrieb alternativer Heilstoffe wie kolloidales Silber, Anti-Aging-Mittel und Schlankmacher in Erscheinung. Er sah sich selbst als „Reichsbürger“, also Teil einer demokratiefeindlichen Bewegung, die die staatliche Autorität der Bundesrepublik Deutschland („Deutschland GmbH“) ablehnt und den rechtlichen Fortbestand des Deutschen Reiches nach 1945 behauptet (vgl. z. B. auch Peter Fitzek, MD 1/2013, 30f; 1/2014, 28f).
Stoll war, wie er zur Glaubwürdigkeitssteigerung oft betonte, als Geologe „promovierter Naturwissenschaftler“. Er beanspruchte aber auch, in allen anderen Naturwissenschaften umfassende Kenntnisse zu besitzen, die in der Regel vage formuliert waren, aber durchweg von der Schulmeinung abwichen. Zu seiner alternativen Kosmologie gehörten die Überzeugungen, dass die Sonne kalt, die Erde innen hohl und an der Oberfläche von einer außerirdischen Zivilisation („Aldebaraner“) besiedelt worden sei. Diese Theorien, die in verschiedensten Versionen im Internet und in Büchern kursieren, wurden mit rassistischen, antisemitischen und antiamerikanischen Elementen angereichert.
Die größte Aufmerksamkeit erregten aber nicht die esoterischen und pseudowissenschaftlichen Überzeugungen Stolls, sondern seine Rolle als Verfechter einer Vielzahl von Verschwörungstheorien („Chemtrails“, menschengemachte Erdbeben, „Wetterkriegsführung“ u. Ä.), die sich meist um den Fortbestand geheimer Nazi-Stützpunkte nach 1945 drehten, von denen aus eine Rückeroberung der Welt vorbereitet werde.
Diese in manchen Kreisen populären und in zahllosen inkompatiblen Fassungen vorhandenen Theorien werden meist mit dem Stichwort „Neuschwabenland“ verbunden. Demnach hätten sich führende Nazis am Kriegsende in eine unterirdische Festung ins Innere der hohlen Erde zurückgezogen, deren Zugang im antarktischen „Neuschwabenland“ liege. Dabei handelt es sich um eine reale Region am Weddell-Meer, die nach dem Forschungsschiff „Schwabenland“ der deutschen Antarktisexpedition 1938 benannt wurde. Unter Vermischung diverser historischer Ereignisse mit fiktivem Material wie dem angeblichen Raumforschungsprogramm der Nazis und dessen sogenannten „Flugscheiben“ (UFOs) entsteht ein wirres Konstrukt, das die Hoffnung auf eine gewaltsame Restauration des Dritten Reiches mithilfe innerirdischer SS-Bataillone und außerirdischer Aldebaraner wachhält. Es ist eine der wenigen Verschwörungstheorien, deren Geschichte und Entwicklung wissenschaftlich erforscht wurde (vgl. Colin Summerhayes/Peter Beeching, Hitler’s Antarctic Base, http://de.scribd.com/doc/25311/Hitler-s-Antarctic-Base-the-Myth-and-the-Reality).
Zur Verbreitung seiner Anliegen veranstaltete Axel Stoll mit Peter Schmidt, Mario Romanowski und anderen seit 2003 zweiwöchentliche „Neuschwabenlandstammtische“, bisweilen auch als Pressekonferenzen deklariert, in Berliner Kneipen und Restaurants mit jeweils zehn bis zwanzig Besuchern. Diese Treffen wurden auf einem eigenen YouTube-Kanal dokumentiert. Außerdem veröffentlichte Stoll Schriften online im Neuschwabenlandforum sowie im Eigenverlag und in dem auf Verschwörungstheorien spezialisierten Rottenburger Kopp Verlag.
Stoll tauchte häufig in Dokumentarfilmen in Kino und Fernsehen auf: So kam er unter anderem 2010 in „Ufo Hunters“ (History Channel), 2011 in Thomas Frickes „Die Mondverschwörung“ (epd: „Eine faszinierende Reise in Abgründe, wo sich Rudolf Steiner und Adolf Hitler gute Nacht sagen“) und 2014 in „Die Arier“ von Mo Asumang (Arte) zu Wort. 2013 veröffentlichten Mitglieder der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) ein Stoll-Interview in Buchform (Sebastian Bartoschek u. a., Muss man wissen!, Hannover 32014).
Axel Stoll ist damit aber auch ein Beispiel für das Missverhältnis zwischen medialer Aufmerksamkeit und realer Bedeutung des verschwörungstheoretischen esoterischen Rechtsextremismus. Stoll wirkte in allen seinen öffentlichen Auftritten über weite Strecken verwirrt und zerfahren, nicht nur die Inhalte, sondern auch ihre Präsentation in genuschelten, unzusammenhängenden Kneipengesprächen schlossen eine ernst zu nehmende Breitenwirkung von vornherein aus. Selbst in den Dokumentationen der zweiwöchentlichen Treffen, die von seinen eigenen Anhängern publiziert wurden, ist erkennbar, dass das Neuschwabenlandtreffen eher eine Handvoll durcheinanderredender, zum Teil alkoholisierter Stammtischgäste als eine gefährliche Zusammenrottung von Neonazis ist. Auch eine Woche nach seinem Tod umfasste ein Online-Kondolenzbuch keine zwanzig Einträge, viele darunter von Spöttern. So dürfte die Zahl der über Stoll erschienenen Publikationen die Zahl seiner Anhänger deutlich übersteigen. Daher wird auch gelegentlich gefragt, ob es sich hier um eine reale rechtsextreme Gefährdung handele oder ob diese regelmäßigen ritualisierten Warnungen vor einer speziellen Art brauner Esoterik nicht alarmistisch übers Ziel hinausschießen. Sollte man dem Phänomen nicht am besten durch Nichtbeachtung oder allenfalls satirisch begegnen und die Aufmerksamkeit besser anders investieren? Der linkspopulistische Verschwörungstheoretiker und ehemalige SPD-Bundesforschungsminister Andreas von Bülow findet zum Beispiel eine weitaus größere Verbreitung als alle „Reichsbürger“ und Neuschwabenlandverfechter zusammen – erregt damit aber viel weniger mediales Aufsehen und dazugehörigen Gefahrendiskurs. Sein Buch „Die CIA und der 11. September“ hat sich seit 2003 weit über 200 000 Mal verkauft. Von solcher Rezeption im gesellschaftlichen Mainstream konnten Axel Stoll und seine Gesinnungsgenossen nur träumen.
Kai Funkschmidt