Baha´i

Das Wort Baha’i (oder Bahai, eigene Schreibweise: Bahá’í) leitet sich vom Ehrentitel des persischen Stifters der Baha’i-Religion, Baha’u’llah („Herrlichkeit Gottes“), ab und bezeichnet dessen Anhänger. Auch wenn die Baha’i zahlenmäßig mit vielen anderen religiösen Minderheiten nicht konkurrieren können, treten sie durch ihr überproportionales Engagement im interreligiösen Dialog wie auch durch die Medienberichterstattung über ihre Unterdrückung besonders im Iran relativ häufig in Erscheinung. Der „Weltreligionstag“ am dritten Sonntag im Januar geht auf die Anregung der nordamerikanischen Baha’i-Gemeinde zurück, den Gedanken der Einheit der Religionen in den Mittelpunkt einer öffentlichen religiösen Feier zu stellen.

Zur Geschichte

Die Baha’i-Religion ist im 19. Jahrhundert als eigenständige Offenbarungsreligion aus dem schiitischen Islam Persiens hervorgegangen. Für die dort vorherrschende Schia ist der Glaube kennzeichnend, dass der zwölfte Imam in der Reihe der Nachfolger des Propheten Muhammad von der Erde entrückt wurde und seither (seit 874 unserer Zeitrechnung) in Verborgenheit lebt. Bis zu seiner Wiederkunft als Retter und Erneuerer des Islam (Imam Mahdi) üben die Rechtsgelehrten (Ulema) stellvertretend die Herrschaft aus. Während der Verborgenheit des Imams gibt es die Möglichkeit des Kontakts zu ihm durch besondere Mittlerfiguren.

So konnte Sayyid Ali Muhammad aus Schiras (1819-1850) den Anspruch erheben, der Vorläufer und Wegbereiter des seit nunmehr tausend Jahren erwarteten Mahdi zu sein. Er nannte sich im Mai 1844 mit einem schiitischen Ehrentitel „Tor (Bab) zum kommenden Imam“ und trat bald nicht nur als Ausleger der Offenbarung, sondern mit eigenen Offenbarungsschriften auf. Viele betrachteten enthusiastisch die schiitischen Messiashoffnungen als erfüllt, immer deutlicher zeigten sich unüberbrückbare Unterschiede zum Islam. Mit zunehmender Popularität und Politisierung der Babi-Bewegung mehrte sich der Widerstand des iranischen Klerus und der Staatsgewalt. 1850 wurde der Bab hingerichtet und seine Anhänger wurden hart verfolgt. Er hatte einen jungen Mann als Nachfolger bestimmt, Mirza Yahya Nuri (später Subh-i Azal genannt, „Morgen der Ewigkeit“), der sich in Auseinandersetzungen um die Leitung der Babis gegenüber seinem 13 Jahre älteren Halbbruder Mirza Husain Ali Nuri (1817-1892) jedoch nicht durchsetzen konnte. Dieser nannte sich Baha’u’llah („Herrlichkeit Gottes“) und erklärte sich 1863 im Garten Ridvan in Bagdad – 19 Jahre nach der Verkündigung des Bab – als Manifestation Gottes (als „derjenige, den Gott offenbaren wird“ – so hatte der Bab jenen Offenbarungsbringer angekündigt, dem erst nach Ablauf eines Jahrtausends wieder ein Offenbarer folgen werde).

Mit dieser Proklamation, die alljährlich mit dem zwölftägigen Ridvan-Fest gefeiert wird, ist der entscheidende Anstoß zur Baha’i-Religion gegeben. Baha’u’llah formulierte in zahlreichen Werken seine teilweise auf schiitischer Theologie, teilweise auf dem Anspruch der eigenen göttlichen Sendung beruhende Lehre. Da er und seine Anhänger nach mehreren Stationen in die Verbannung nach Akko (heute Israel) geschickt wurden, befindet sich die heilige Stätte der Baha’i heute dort. Vor seinem Tod hatte Baha’u’llah seinen ältesten Sohn Abdu’l-Baha („Diener der Herrlichkeit“, 1844-1921) als Nachfolger eingesetzt. Dieser übernahm gegen den Widerstand seines Halbbruders Mirza Muhammad Ali (gest. 1937) die Führung, unter der die Baha’i-Religion sich mit beachtlichen Missionserfolgen im Westen auszubreiten begann. Der junge Enkel Abdu’l-Bahas, Shoghi Effendi (1897-1957), wurde zum Oberhaupt bestimmt, hatte aber viele Jahre mit der Festigung seiner Position innerhalb der Gemeinde zu tun, unter anderem weil das Testament des Großvaters lange umstritten war. Shoghi Effendi, der „Hüter der Sache Gottes“ (Vali-i Amru’llah), begann mit der Etablierung von Nationalen Geistigen Räten, die 1963 die neun Mitglieder des Universalen Hauses der Gerechtigkeit wählten. Auf dieses Gremium, das schon in Baha’u’llahs Kitab-i Aqdas vorgesehen und alle fünf Jahre neu zu wählen ist, ist seither die Verantwortung für die Leitung der weltweiten Baha’i-Gemeinschaft übergegangen. Es hat seinen Sitz in Haifa.

Lehre und normative Quellen

Die kürzeste Formel, die den Baha’i-Glauben bezeugt und häufig gebraucht wird, lautet: Ya Baha’ul-abha („O Herrlichkeit des Allherrlichen“). Das Gottesverständnis ähnelt in wesentlichen Punkten dem islamischen (strikter Monotheismus, absolute Transzendenz). Gott offenbart sich durch Propheten, die alle die Einheit und Einzigkeit Gottes verkünden. Charakteristisch für die Bahá’í-Religion ist die inklusivistische Einheitsvorstellung einer „neuen Weltordnung“, in der frühere Offenbarungen gleichsam als Stufen einer fortschreitenden Menschheitsentwicklung anerkannt werden (Einheit Gottes, Einheit der Religionen, Einheit der Menschheit). So werden Abraham, Mose, Buddha, Zarathustra, Krishna, Jesus, Muhammad, Bab und Baha’u’llah als Gottgesandte und zugleich Religionsstifter angesehen. Alle Religionen weisen aufgrund ihrer Zeitbedingtheit Unterschiede auf, sind aber im Kern wesenseins – Zeugnis des einen „Ewigen Bundes“ Gottes mit den Menschen. Die Menschen sind daher verpflichtet, Gott und seine Propheten anzuerkennen. Die Reihe der Propheten ist mit Baha’u’llah zwar für eine mindestens tausendjährige Zeitepoche, jedoch nicht für immer abgeschlossen.

Der Mensch ist Geschöpf Gottes. Er muss sein Potenzial nutzen, um durch seine individuelle Entwicklung zur Menschheitsentwicklung insgesamt beizutragen. Dabei ist der Gedanke der Erziehung bedeutsam, zu der die Gesetze Gottes beitragen wie auch die enge Verbindung von Glauben und Handeln, die sich in einer diesseitsbezogenen sozialen Ausrichtung äußert. Soziale Gerechtigkeit und ein hohes Bildungsethos gerade auch im Blick auf Frauen gründen in der Vorstellung der Gleichheit und Gleichberechtigung aller Menschen. Die Gläubigen sollen sich nicht an der Politik gegenwärtiger Ordnungen beteiligen, was aber politischem Engagement nicht grundsätzlich entgegensteht. Denn durch Friedenserziehung, Förderung einer Welthilfssprache (Esperanto), spirituelle Weiterentwicklung und vieles andere bemühen sich die Baha’i im Sinne des universalen Anspruchs der Baha’i-Religion auf hohen und höchsten politischen Ebenen (UNO) um die Errichtung eines friedlichen und geeinten föderalen Weltgemeinwesens („Weltordnung Baha’u’llahs“).

Baha’u’llah hat eine große Zahl an Schriften in arabischer und persischer Sprache hinterlassen, die als göttliche Offenbarungen gelten und noch nicht vollständig veröffentlicht sind. Der Kitab-i Aqdas (arabisch 1873, englisch 1992, deutsch 2000), das „heiligste Buch“, wird als „Mutterbuch“ (umm al-kitab) der Religion bezeichnet. Zusammen mit dem „Buch des Bundes“ bildet die nachträglich in 190 Abschnitte eingeteilte Schrift gleichsam die Verfassungsurkunde der Baha’i-Gemeinde. Der Kitab-i Aqdas befasst sich zum größten Teil mit religionsgesetzlichen Regelungen, die nicht systematisch geordnet erscheinen, sondern – ähnlich wie im Koran – abrupte Themenwechsel aufweisen. Zu den Hauptthemen gehören Gebet und Andacht, Fastenzeiten und Reinheitsvorschriften, sodann eher auf den Einzelnen ausgerichtete Regelungen des Ehe- und Erbrechts sowie Äußerungen zu religiösen und gesellschaftlichen Aspekten der Religion. Die Offenbarungsschriften enthalten eine Reihe von Aussagen, die einer Übersetzung in die Gegenwart und in westliche Gesellschaften bedürfen.

Verbreitung, Organisation, Praxis

Bei weltweit ungefähr 6 Millionen Anhängern zählen im Ursprungsland Iran rund 300000, in Deutschland etwa 5000 bis 6000 und in Österreich etwas mehr als 1200 Gläubige zu der Religionsgemeinschaft.

Das Universale Haus der Gerechtigkeit in Haifa mit seinem neunköpfigen Führungsgremium, das in bestimmten Lehr- und Glaubensfragen mit Unfehlbarkeit ausgestattet ist, steht an der Spitze der Laienreligion, die keinen geistlichen Stand kennt. Das deutsche Zentrum mit dem Nationalen Geistigen Rat befindet sich in Hofheim-Langenhain im Taunus. Dort wurde 1964 auch das erste und bisher einzige „Haus der Andacht“ Europas eingeweiht. Belange vor Ort werden von örtlichen Geistigen Räten geregelt. Die Gemeinden sind meist international geprägt mit hohem Anteil an Iranern.

Das Baha’itum ist eine missionarische Religion. In den ersten Jahrzehnten nach der Gründung des Universalen Hauses der Gerechtigkeit hat sich die Zahl der Baha’i vervielfacht. Die Zielsetzung zur äußeren Ausbreitung und inneren Festigung der Religion ist in Mehrjahresplänen formuliert worden.

In die Religionsgemeinschaft wird man ab Vollendung des 15. Lebensjahres durch „Erklärung als Baha’i“ aufgenommen, was weniger ein religiöser als ein administrativer Akt ist. Eine gleichzeitige Mitgliedschaft in einer anderen Religionsgemeinschaft ist ausgeschlossen. Die zu befolgenden kultischen Regeln sind an die „fünf Säulen“ des Islam angelehnt: Glaubensbekenntnis, Gebet, Fasten, Almosengeben und Wallfahrt. Täglich sind zu drei Gebetszeiten wahlweise unterschiedlich lange Pflichtgebete zu verrichten, denen rituelle Waschungen vorausgehen. In den „Andachten“ der Baha’i werden Texte aus heiligen Schriften aller Hochreligionen rezitiert. Ein Fastenmonat (von 19 Tagen) ist einmal im Jahr einzuhalten, auf Alkohol ist ganz zu verzichten. Das Almosen wird als finanzielle Abgabe von 19 Prozent des Nettoeinkommens entrichtet (Huququ’llah „Rechte Gottes“). Die Wallfahrt zu den heiligen Stätten in Haifa und Akko in Israel gilt als besonders verdienstvoll.

Der Baha’i-Kalender ist ein Sonnenkalender mit 19 Monaten zu je 19 Tagen. Vor Neujahr am 21. März werden Zusatztage eingeschoben. Jeder Monatsbeginn wird mit dem Neunzehntagefest markiert, das mit einem Andachtsteil, einer internen Baha’i-Beratung und einem geselligen Zusammensein gefeiert wird. Feste und Andachten sind nicht an bestimmte Kultbauten gebunden, auch Kultbilder oder Kultgegenstände sind nicht vorhanden. Neben der Zahl 19, die zur Zeiteinteilung dient, spielt insbesondere die Zahl 9 mit dem mystischen Zahlenwert des Namens Baha eine wichtige Rolle als Symbol für Einheit und Vollendung.

Einschätzung

Im Zuge eines theokratischen Grundverständnisses erstrebt der Baha’ismus eine neue Weltordnung auf den von Baha’u’llah verkündeten religiösen Grundlagen. Baha’i trachten in Befolgung ihrer religiösen Grundsätze nach der Überwindung nationalstaatlicher Systeme und dem Aufbau einer neuen, auf die Souveränität Gottes gegründeten Weltordnung durch einen Prozess der globalen Vereinigung. Das universale Gemeinwesen kennt keine Trennung von Religion und Staat. Insofern die Baha’i-Religion als maßgebliche, die anderen Religionen integrierende Religion des gegenwärtigen Zeitalters gilt, wird ein auf Pluralität und Säkularität angelegtes Gesellschaftsmodell in Frage gestellt.

Der Universalismus des Baha’itums ist als Konzept einer „Einheit in der Vielfalt“ angesehen worden. Universalreligiöse Ansätze, wie sie in der Baha’i-Religion zum Ausdruck kommen, haben dennoch die Tendenz, andere Religionen zu vereinnahmen. Das Nebeneinander unterschiedlicher Religionen wird als zeitbedingte Notwendigkeit und als vorläufig betrachtet. Die Feststellung, das Baha’itum sehe ältere Religionen als vollgültige Religionen an, wird durch den Inklusivismus des Baha’i-Glaubens relativiert, der davon ausgeht, dass die Religionen letztlich die Fortentwicklung der Offenbarung(en) anerkennen und damit in den neuen Glauben einmünden. Die Einheitsterminologie ist die Kehrseite des Ausschließlichkeitsanspruchs.


Friedmann Eißler


Quellen

Bahá’u’lláh, Der Kitáb-i-Aqdas. Das heiligste Buch, Hofheim 2000
Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs. Briefe von Shoghi Effendi, Hofheim 1977


Baha’i im Internet

www.bahai.de 
www.bahaullah.de 
www.onecountry.org 


Baha’i-Literatur

Schaefer, Udo, Der Bahá’í in der modernen Welt. Strukturen eines neuen Glaubens, Hofheim 21981

Schaefer, Udo / Towfigh, Nicola / Gollmer, Ulrich, Desinformation als Methode. Die Baha’ismus-Monographie des F. Ficicchia, Religionswissenschaftliche Texte und Studien, Bd. 6, Hildesheim u. a. 1995

Schaefer, Udo (Hg.), Die Verfassung der Bahá’í-Gemeinde. Die Statuten der gewählten Institutionen, Hofheim 2000

Towfigh, Emanuel Vahid, Die rechtliche Verfassung von Religionsgemeinschaften. Eine Untersuchung am Beispiel der Bahai, Tübingen 2006


Weitere Literatur

Art. Baha’i, in: Krech, Hans / Kleiminger, Matthias (Hg.), Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen, hg. im Auftrag der Kirchenleitung der VELKD, 6., neu bearb. und erweiterte Auflage, Gütersloh 2006, 771-784

Borrmann, Kai, Das Aqdas, Würzburg 2005
Dehn, Ulrich, Baha’i, in: Reinhard Hempelmann (Hg.), Panorama der neuen Religiosität, Gütersloh 22005, 373-376

Ficicchia, Francesco, Baha’i – Einheitsreligion und globale Theokratie. Ein kritischer Einblick in die Universalreligion der Zukunft, Münster 2009

Hutter, Manfred, Heilige Schriften der Baha’i, in: Udo Tworuschka (Hg.), Heilige Schriften. Eine Einführung, Verlag der Weltreligionen, Frankfurt a. M. 2008, 364-381
Hutter, Manfred, Handbuch Baha’i. Geschichte – Theologie – Gesellschaftsbezug, Stuttgart 2009