Baha´i - Einheitsreligion und globale Theokratie. Ein kritischer Einblick in die Universalreligion der Zukunft
Francesco Ficicchia, Baha’i – Einheitsreligion und globale Theokratie. Ein kritischer Einblick in die Universalreligion der Zukunft, Edition Octopus, Münster 2009, 150 Seiten, 12,50 Euro.
Das Buch des ehemaligen Baha’i und Kritikers der Baha’i-Religion knüpft an eine Auseinandersetzung an, die vor Jahrzehnten Wellen geschlagen hat. Der Autor hatte 1981 eine inzwischen vergriffene Darstellung des „Baha’ismus“ „in kritischer Anfrage“ vorgelegt (übrigens damals eine EZW-Publikation im Quell Verlag), auf die Vertreter der Baha’i mit dem umfangreichen Band „Desinformation als Methode – Die Baha’ismus-Monographie des F. Ficicchia“ von 1995 reagierten. Die nun vorliegende „Aktualisierung“ Ficicchias will sich auf das Wesentliche beschränken und ist in vielen Punkten nicht mehr mit der früheren, 475 Seiten umfassenden Publikation zu vergleichen. Inhalte wurden umgestellt und komprimiert, auch Korrekturen vorgenommen, der Stil lässt nicht mehr die Polemik der unmittelbaren Konfrontation spüren. Ficicchia ordnet den Stoff in drei Teile, die jeweils in sich abgeschlossen sind, wodurch es doch wieder zu etlichen inhaltlichen Überschneidungen kommt. Der erste und ausführlichste Teil geht auf Geschichte, Lehre und Organisation ein, der zweite analysiert das „heiligste Buch“, den „Kitab al-Aqdas“, während sich der dritte Teil über „Anspruch und Wirklichkeit“ des Baha’ismus wie eine Zusammenfassung des Ganzen liest.
Trotz kleinerer Änderungen und Akzentverschiebungen bleibt der Autor bei seinen Grundthesen. Eine der wichtigsten, in allen Teilen vertretene, ist die theokratische Zielsetzung des Baha’i-Glaubens auf der Grundlage theonomen Rechts. Die Baha’i erstrebten die Errichtung einer theokratischen, auf die Souveränität Gottes gegründeten Weltordnung (1981: eines theokratischen Weltstaates), es bestehe ein Weltherrschaftsanspruch, der mit einem säkularen und pluralistischen Gesellschaftsmodell nicht vereinbar sei. Ein solches werde verworfen. Insbesondere im Blick auf die Funktion und die Bedeutung der ihrer Herkunft nach göttlichen „Verwaltungsordnung“ (Manfred Hutter: Gemeindeordnung) zeigen sich daher fundamentale Differenzen in der Einschätzung im Vergleich zur Selbstdarstellung oder auch zu religionswissenschaftlichen Beurteilungen. So betont Hutter gerade die Distanz zur schiitischen Herrschaftsideologie und diagnostiziert eine Nähe der Baha’i zu konstitutionellen und demokratischen Bewegungen; dieses Politikverständnis impliziere die „Legitimität eines säkularen Staates“ (Handbuch Baha’i, 181-184).
Die Vielfalt der Religionen bringt Ficicchia in Verbindung mit der Vorstellung einer zyklischen oder fortschreitenden Gottesoffenbarung, deutet sie jedoch ganz vom Ausschließlichkeitsanspruch der göttlichen Universalwahrheit her, die den Baha’i allenfalls eine formale, nicht aber eine inhaltliche Toleranz fremdreligiöser Überzeugungen ermögliche. Von der Offenheit im Inklusivismus, die die Beurteilung älterer Offenbarungen als vollgültige Religionen erlaube, zumal hinsichtlich der „abrahamitischen Religionen“ (Hutter, Handbuch Baha’i, 199-204), ist nicht die Rede. Hier zieht Ficicchia Linien aus, die Hutter nur kritisch andeutet.
Ficicchia legt Wert darauf, nicht die Religion als solche, sondern die organisatorischen Strukturen in ihrem Unfehlbarkeits- und Absolutheitsanspruch zu kritisieren. Deren Analyse lässt ihn aufgrund ihrer dem 19. Jahrhundert verhafteten dogmatischen und ideologischen Formen zu dem Schluss kommen, der für ihn schon 1981 feststand: Es bestehe wenig Hoffnung, dass ein „im Kern stagnantes Religionssystem“ wie das der Baha’i sich angesichts des dynamischen Zeitgeistes als zukunftsfähig im Sinne der angestrebten Welteinheitsreligion erweise. Kann man hier – und vielleicht auch nur bei Kenntnis des früheren Streits – zwischen den Zeilen Verbitterung ahnen, so erscheint der Hinweis nicht überflüssig, dass Ficicchia einen inhaltlichen Beitrag leistet, der in Zukunft kaum komplett mit Stillschweigen übergangen werden kann, so wie es Hutter mit dem für die deutsche Situation nicht unerheblichen „Fall Ficicchia“ noch in seinem Handbuch tut.
Friedmann Eißler