Bei Anruf Hexe - oder: Wie "wicca" am Kiosk für 0190-Nummern wirbt
Die Popularisierung und Vermarktung des Hexen-Themas nimmt weiter zu. Jüngstes Beispiel: Seit Anfang des Jahres setzt die seit 2003 erscheinende Zeitschrift "Sternenwelt" verstärkt auf diese Modewelle. Der im brandenburgischen Eberswalde ansässige Astrostarverlag hat sich dazu entschlossen, den Titel seiner Zeitschrift "Sternenwelt" nunmehr gegen "wicca" einzutauschen. Auf dem Titel erscheinen die Schlagworte "Esoterik - Gesundheit - Familie". Das Produkt versteht sich als "Zeitschrift für die Frau + TV". Im Frühjahr 2004 erschien zum Preis von 2,85 Euro ein großes "Sammelheft Esoterik".
Das Titelblatt des rund 50 Seiten umfassenden mehrfarbigen Heftes nennt neben "Beauty, Rätselspaß, Astrosingles" gleich die Themen, um die es "wicca" geht: ein chinesisches und ein indianisches Horoskop, "Heidnische Feste" sowie der obligatorische "Große Kartenlegekurs - Kartenlegen selbst gelernt".
Zwischen Kreuzworträtsel und Gesundheitstipps finden sich immer wieder Kleinanzeigen für telefonische Kontakte mit den kostenpflichtigen 0190-Nummern, überwiegend zum Preis von 1,86 Euro pro Minute. Im Angebot: "Kartenlegerin Ashly", die "hellsichtige Angelina", "Voodoopriesterin und Shamanin (!) Sinaid" oder "Hexchen und Seherin Serafin". Weitere Beratungsangebote und schnelle Problemlösungen bietet zum Beispiel "Magierin Angela: Ererbte Fähigkeiten - Tarot Meisterin - Hohe-Priesterin der geheimen Voodoo-Magie". In der Werbeanzeige heißt es: "Diese Magischen Rituale haben schon sehr vielen Menschen geholfen. Nutzen Sie die Macht der Magie. Nichts ist unmöglich bei Problemen aller Art - Partnerzusammenführung und Trennung, Beruf, Liebe, Schutz vor Magischen Angriffen usw. Schamanische Spezialrituale. Haben Sie Mut und rufen Sie mich an. Persönliche Termine nach Absprache. Auch Hausbesuche möglich." "Seherin Susanne", angeblich "Großmeisterin der Magie", nutzt die Umbenennung der Zeitschrift dazu, über die Naturreligion Wicca "aufzuklären". Sie versäumt es nicht, in Form einer großspaltigen Werbeanzeige für ihre "Esoterische Lebensberatung" und ihren "Shop für Magie und Wahrsagen" zu werben, in dem man angeblich alles findet, "was Hexen, Wicca, Magier und Zukunftsdeuter für die Arbeit benötigen". Weitere ganzseitige Anzeigen bietet ein "Prometheus-Beratungs-Portal", in dem Wahrsager, Astrologen, Kartenleger und Hellseher ihre telefonischen Dienste anbieten.
Kontaktanzeigen finden sich in der Rubrik "Astro-Singles". Hier geht es um "Lebenspartner, Bekanntschaften, Treffs". Wiederum über eine kostenpflichtige Telefonvorwahl (1,24 Euro/Min.) gelangt man dann zum "Traumpartner": "Sie hören dann den persönlichen Begrüßungstext des Partnersuchenden und können sich dann live zu ihm verbinden lassen".
Das Magazin "wicca" präsentiert sich einerseits als populäres Unterhaltungsmagazin zwischen Rätselspaß, Schönheitskult und Fernsehzeitschrift. Neu in diesem Marktsegment ist die Vermischung von TV-Programm mit kommerziellen astrologischen und mediumistischen Beratungsangeboten per Telefon. Im Bereich vulgärastrologischer kommerzieller Offerten scheint es nach wie vor einen großen Bedarf zugeben - für die Anbieter mit Aussicht auf zum Teil erhebliche Gewinnspannen. Und es scheint Kunden zu geben, die bereit und finanziell in der Lage sind, entsprechende Kosten für Beratungen aufzuwenden. Neben den Seelsorge-Angeboten der Kirchen und den professionellen Lebenshilfeberatern wie Psychologen oder Psychotherapeuten hat sich hier ein neues Marksegment gebildet. Seine Anbieter berufen sich auf "höhere Kompetenzen". Die Beratung verläuft anonym per Telefon zum Minutenpreis. "Wicca" nimmt für die Vermittlung und Werbung für solche kostenpflichtigen esoterischen Telefonberatungen eine Schlüsselposition ein. Es bleibt abzuwarten, ob bzw. inwieweit dem Blatt damit Erfolg auf dem ohnehin umkämpften Zeitschriftenmarkt beschieden ist. Zugkräftig ist der Titel beim gegenwärtigen Hexen-Trend in jedem Fall.
Ein weiteres marktstrategisches Kalkül gibt sich im Zeitschriftenimpressum zu erkennen: "wicca" ist - wie oben angemerkt - ein Produkt des Astrostarverlags, der wiederum eng verbunden ist mit der TVM-Kommunikation, einer Firma, die sich als "Spezialist für Mehrwertdienste & Kommunikation" im Internet präsentiert und entsprechende Service-Telefonnummern, sog. 0190-Nummern vermietet. Neben einer "Flirtline (Heiße Girls)" und "Partnerkontakte" gibt es als weitere "Servicedienste" Tageshoroskop, Astrologie, Magie und Rituale und mit der Internetadresse www.beratungsportal24.de auch ein eigenes kostenpflichtiges Angebot für astrologische Beratungen per Telefon.
Der Aufklärungsbedarf nimmt zu - im Fall solcher offensichtlich gewinnorientierten und auf Aberglauben abzielenden Angebote ist er unbedingt geboten. Ob das alleine für betroffene Menschen ausreicht, die in ihrer Not zum Telefonhörer greifen, ist eine andere Frage.
Matthias Pöhlmann