Berliner Neutralitätsgesetz auf dem Prüfstand
Das Berliner Neutralitätsgesetz ist aktuell Gegenstand vieler Diskussionen und Gerichtsprozesse. Nachdem es im Jahr 2005 beschlossen wurde, wird gegenwärtig um seine Abschaffung gerungen. Das Gesetz fordert von den Beschäftigten des Landes Berlin, sich mit ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis in den Bereichen, in denen Bürgerinnen und Bürger in besonderer Weise dem staatlichen Einfluss unterworfen sind, zurückzuhalten. Dies stellt nach Einschätzung vieler Juristen allerdings einen Konflikt mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen ein pauschales Kopftuchverbot aus dem Jahr 2015 dar. Dass diese Einschätzung allerdings ebenfalls umstritten ist, belegt das jüngste Urteil des Berliner Arbeitsgerichts. Der zuständige Richter Arne Boyer hat die Klage einer muslimischen Lehrerin abgewiesen. Sie hatte mit Kopftuch an einer Berliner Grundschule unterrichten wollen und wurde daraufhin an ein Oberstufenzentrum (OSZ) versetzt, da Kopftücher hier erlaubt sind. Boyer begründete sein Urteil durch die Einschätzung, dass religiösen Symbolen generell eine gewisse Konflikthaftigkeit anhafte. Zudem erklärte er, dass er das Berliner Neutralitätsgesetz nicht für verfassungswidrig halte.
Diese Spannungslage sorgt auch für kontroverse Debatten innerhalb der Parteien des Berliner Abgeordnetenhauses – wie eine Diskussion von Bündnis 90/Die Grünen am 16.4.2018 belegt hat. In der Veranstaltung wurden die gegenwärtig diskutierten Positionen gleichwertig abgebildet. So setzten sich Personen, die das Berliner Neutralitätsgesetz als inkompatibel mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2015 betrachten, mit glühenden Verteidigern des Gesetzes, die sich in der Initiative „Pro Berliner Neutralitätsgesetz“ zusammengeschlossen haben, auseinander.
Für die Beibehaltung des Neutralitätsgesetzes spricht aus der Perspektive der Befürworter der Wunsch, religiös konnotierte Konflikte möglichst von Schulen fernzuhalten und die Schülerinnen und Schüler zu schützen. Für deren Wohl müsse Lehrerinnen und Lehrern eine Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit abverlangt werden können.
Die Kritiker lehnen das Neutralitätsgesetz ab, da es diskriminiere, ausgrenze und kriminalisiere. Zudem werde dadurch eine Illusion von scheinbarer Homogenität in einigen öffentlichen Räumen erzeugt, die der gesellschaftlichen Diversität nicht entspreche. Gerade Schulen, in denen Konflikte im Umgang mit kultureller und religiöser Diversität trotz des Neutralitätsgesetzes allgegenwärtig seien, müssten über bessere Strategien und Ressourcen zur Bewältigung solcher Konflikte verfügen. Dazu bedürfe es keiner Verbote, sondern konkreter Hilfestellungen und neuer Ansätze in den Schulen.
Ein Konsens konnte an diesem Abend im Berliner Abgeordnetenhaus nicht erzielt werden. Die emotionale Stimmung der Diskussion machte deutlich, dass hinter der Debatte über das Berliner Neutralitätsgesetz grundsätzlichere gesellschaftliche Fragestellungen und Konflikte liegen, die nicht nur unter den Berliner Grünen nach einer konstruktiven Aufarbeitung verlangen. Brennglasartig bündeln sich im Streit über das Neutralitätsgesetz verschiedene offene gesellschaftspolitische Fragestellungen, die nicht nur die Frage nach Kopftuchverboten an öffentlichen Schulen betreffen.
Hanna Fülling