Bert Hellingers „Geistiges Familienstellen“ in der Kritik
(Letzter Bericht 3/2007, 112ff) Mehr als 750 Teilnehmer waren über Pfingsten zum 6. Internationalen Kongress der Systemaufsteller nach Köln gekommen, darunter viele ausländische Gäste. Das Interesse an dieser mittlerweile rund 15 Jahre bestehenden Therapieform ist also ungebrochen groß. Ihr Ansatz stößt in unterschiedlichen weltanschaulichen Milieus auf Resonanz. Europas größtes Osho-Institut in Köln verwendet Hellingers Systemaufstellungen als „Praktiziertes Tao“ und hat eine eigene Ausbildungsschule gegründet.1 Auf dem Kölner Kirchentag wurde Bert Hellinger vor zahlreich erschienenem Publikum von Jürgen Fliege interviewt, in manchen evangelischen und katholischen Bildungs- und Einkehrhäusern werden Aufstellungen nach Hellinger angeboten, im freikirchlich-charismatischen Umfeld wirbt eine Ausbildung für christliches Familienstellen.2 Allerdings ist diese Bewegung erheblichen Veränderungsprozessen ausgesetzt, die in den letzten Jahren zu den beiden gegensätzlichen Schwerpunkten „Professionalisierung“ und „Spiritualisierung“ geführt haben.
Der Kölner Kongress der Systemaufsteller machte deutlich, dass die Szene besonders durch den Disput mit ihrer Vaterfigur – wie berichtet hatte Hellinger seine Teilnahme zurückgezogen – verunsichert ist. Deshalb wurde auf dem Kongress versucht, die Unterschiede zwischen den herkömmlichen Aufstellungen als „Bewegungen der Seele“ und dem neuen, geistigen Familienstellen besser zu verstehen. Unverkennbar dominierte bei dieser Veranstaltung aber eine freundliche und eher betroffene Haltung darüber, dass Hellinger als Initiator und Leitfigur der Bewegung dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Systemaufstellungen die kalte Schulter gezeigt hat.
In einem kürzlich erschienenen Aufsatz in der Verbandszeitschrift der Systemaufsteller fand ein prominenter Schüler Hellingers, der selbst Familiensteller ausbildet und bisher zehn Bücher darüber geschrieben hat, nun deutlichere Worte des Unterscheidens.3 Fairerweise muss man konstatieren, dass der Fachverband sich um eine sachliche Debatte bemüht. Deshalb wurde Hellinger Raum gegeben, seine neue Form des geistigen Familienstellens vorzustellen, bevor Wilfried Nelles untersuchte, wohin sich die Aufstellungsarbeit durch die „Bewegungen des Geistes“ entwickelt. Nach seiner Analyse hat sich die Vorgehensweise wenig, die Deutung und Erklärung des Familienstellens jedoch grundsätzlich geändert: „Hellingers geistiges Familienstellen ruht nicht mehr auf der Erde, sondern gründet auf einer Idee, die er ‚Geist’ nennt. Damit wird es zur Ideologie“. Nelles sieht darin eine fundamentale Wendung – einen Sprung von der Phänomenologie zur Metaphysik: „Was Bert ‚Geist’ nennt, ist in meinen Augen nichts anderes als Gott, und zwar der Schöpfergott.“ Während Hellinger früher von „etwas Größerem“ oder „der großen Seele“ gesprochen habe, würde er sich nun im geistigen Familienstellen in unzulässigen spirituellen Spekulationen ergehen. Diese Festgelegtheit würde jedoch dem offenen System der Aufstellungsarbeit widersprechen. Vor allem durch den exklusiven Offenbarungscharakter begründe sich „zugleich ein persönlicher Führungs-Anspruch (Hellingers; M. U.), der vorher nicht gegeben war … Als Empfänger einer geistigen Offenbarung steht er oberhalb jeder Diskussion, und die Offenbarung selbst steht nicht zur Debatte.“
Es ist zu begrüßen, dass die Hellinger-Szene den spirituellen Hintergrund und Charakter des Familienstellens deutlicher als bisher untersucht und herausstellt. Nelles plädiert engagiert für die weltanschauliche Offenheit und empfiehlt eindringlich, sich von spirituellen Festlegungen fernzuhalten, weil das die phänomenologische Wahrnehmungsfähigkeit einschränken würde. Eine „Geist“ genannte Instanz sei überflüssig. Die Benennung der spirituellen Wirklichkeit als „Geist“, so Nelles, verfestige die lebendige Bewegung und töte sie. Nelles hält sich hier an den Taoismus bzw. die Lehre des Lao-Tse, nach der es keine Trennung zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen Beweger und Bewegtem gebe: „Dort gibt es nur Tao, und das ist unaussprechlich und undefinierbar, nur erfahrbar“.
Aus religionspsychologischer Sicht sind an eine solche Deutung jedoch zwei kritische Anfragen zu richten: Zum einen resultiert jede Erfahrung – auch und gerade eine religiöse – aus gedeuteten Erlebnissen. Eine wesentliche religionswissenschaftiche Erkenntnis besagt, dass reine, ohne Deutungen vermittelte Erfahrungen nicht möglich sind. Sich einem religiösen Phänomen ohne eine Bewertung rein beschreibend zu nähern, ist nur sehr oberflächlich und äußerlich möglich. Die innere Welt eines Fremden erschließt sich nur von einem klaren eigenen Standpunkt her. Insofern ist das Ziel einer weltanschaulichen Offenheit und Neutralität gegenüber der spirituellen Dimension nicht einzulösen. Zum anderen gibt es zahlreiche Belege aus der Psychotherapieforschung dafür, dass ein gemeinsames Weltbild des Therapeuten und des Klienten einen wichtigen, oft übersehenen Wirksamkeitsfaktor darstellt. Deshalb ist nicht die Festlegung und Benennung eines weltanschaulichen Deutungsrahmens das eigentliche Problem der geistigen Aufstellungsarbeit, sondern problematisch ist es, wenn ein solcher Deutungsrahmen nicht offengelegt wird. Wenn ein Therapeut seine weltanschaulichen Voraussetzungen reflektiert und kommuniziert, ermöglicht das gemeinsame Weltbild des Therapeuten und des Klienten die Einbeziehung der spirituellen Dimension in den Beratungs- und Therapieprozess. Unter Sozialwissenschaftlern und Therapieforschern wird darüber inzwischen intensiver nachgedacht und diskutiert.
Michael Utsch
Anmerkungen
1 www.tao-systemstellen.de.
2 www.lebenimkontext.de/aktuelles/Fortbildung Familienstellen.html.
3 Praxis der Systemaufstellung 1/2007, 32-45.