Bewegt sie sich doch nicht?
Ein Kommentar zum aktuellen Selbstbild der Neuapostolischen Kirche
In jüngster Zeit war häufig von einer ökumenischen Öffnung der Neuapostolischen Kirche (NAK) die Rede. So ließen sich erstaunliche Lockerungen im Hinblick auf die Taufanerkennung anderer christlicher Kirchen wie auch Relativierungen zum Anspruch des Apostelamtes beobachten (vgl. MD 6/2007, 231f). Deshalb gab es euphorische Stimmen, die meinten, die Zeit der autoritären Herrscher sei endgültig vorbei, und ohne Zweifel sei die NAK eine christliche Kirche. Die NAK hat erstmals im Januar 2006 einen Informationsabend aus Uster/Schweiz ausgestrahlt1, der deutliche Hinweise auf eine Annäherung der NAK an die verfassten Kirchen enthielt. Ein Jahr später, am 4. Dezember 2007, folgte nun ein zweiter Informationsabend aus dem Kommunikationscenter des internationalen Kirchensitzes der NAK in Zürich, der in die entgegengesetzte Richtung wies. Die Sendung wurde per Satellit in rund 1 400 Gemeinden in 18 Ländern in Europa ausgestrahlt. An diesem Informationsabend wurden zwei Themen behandelt, die im Nachgang zu erheblichen Widersprüchen und Protesten führten. Zum einen wurde in sieben Thesen das „Selbstbild der NAK“ vorgestellt, das erneut die Macht und die Autorität der Apostel hervorhob. Zum anderen wurden erste Ergebnisse der Arbeitsgruppe Geschichte vorgelegt, die die schwierigen Verwerfungen innerhalb der eigenen Tradition aufarbeiten sollte. Im Nachgang war von einer „Schlammschlacht“ die Rede, und ein Kritiker forderte sogar den Leiter der Arbeitsgruppe in einem öffentlichen Brief auf, den Vorsitz wegen unsauberen Vorgehens niederzulegen.
Es brodelt also wieder einmal in der mitgliederstärksten christlichen Sondergemeinschaft. Die frühere Ankündigung, die überarbeitete Neuauflage des NAK-Katechismus „Fragen und Antworten“ 2008 vorzulegen, ist derzeit kein Thema mehr. Die neuen Konflikte weisen auf erhebliche Richtungsstreitigkeiten innerhalb der NAK hin. Es kostet offenbar sehr viel Zeit, Kraft und Geschick, hier eine einheitliche Linie zu finden und sich der Ökumene zu öffnen, ohne die eigene Identität preiszugeben. Der folgende Beitrag eines ehemaligen Mitglieds analysiert das aktuelle Selbstbild der NAK, wobei die Gegensätze zu den anderen christlichen Konfessionen deutlich hervortreten.
Michael Utsch
Das im Dezember in Zürich vorgestellte, erneut exklusiv formulierte Selbstbild der NAK sowie der Umgang mit der Geschichte um die Spaltungen im Rheinland und in der Schweiz in den 1950er Jahren sorgten sowohl bei den Kirchenmitgliedern als auch bei den Betroffenen der Spaltungen für großes Empören und tiefe Enttäuschung. Der Leser erhält über die Berichterstattung auf den Homepages im Umfeld der NAK einen Eindruck über die allseits wahrzunehmende Bestürzung.2
Mit dem nun vorliegenden Selbstbild hat die Kirchenleitung der NAK den Weg der vorsichtigen Öffnung der letzten Jahre bereits wieder verlassen und sich in der öffentlichen Wahrnehmung unter Umständen deutlicher in der Sektenecke positioniert denn je.
Das Selbstbild der Neuapostolischen Kirche3
Das von der NAK am 15.10.2007 erstellte und am 4.12.2007 der Öffentlichkeit präsentierte Selbstbild gliedert sich in sieben Punkte. Am 14.12.2007 legte die Kirchenleitung eine Ergänzung mit dem Titel „Das Selbstbild der Neuapostolischen Kirche – Anmerkungen zu den sieben Ziffern“4 vor. Alle Punkte sind mit der Aussage „Der von Jesus Christus gelegte Weg zum Heil in unserer Zeit“ überschrieben. Es fällt auf, dass alle Punkte an das Apostelamt geknüpft sind, woraus deutlich wird, dass der „Weg zum Heil“ aus Sicht der NAK ausschließlich über ihr Apostelamt zu finden ist. Dies wird durch den 2. Punkt des Papiers verstärkt, in dem es heißt, dass das Apostelamt das „bevollmächtigte Amt zur Heilsvermittlung“ sei.
Den Begriff „Heil“ definiert die NAK seit dem ersten Informationsabend am 24.1.2006 so: „1.3 Für uns Menschen kommt das Heil aus dem Opfer Christi und bewirkt die Befreiung von Sünde, die dauerhafte Aufhebung der Trennung von Gott und die Gewährung der ewigen Gemeinschaft mit ihm.“ „1.5 Die Vermittlung von Heil geschieht nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift im gegenwärtigen Abschnitt des göttlichen Heilsplans durch das Apostelamt, das die Aufgabe hat, das Wort Gottes zu verkündigen und die Sakramente zu spenden.“5
Das Papier thematisiert Jesus Christus im letzten Punkt, und das mutet eigenartig an, heißt es doch dort: „Jesus Christus, von dem die Heilige Schrift zeugt, steht im Mittelpunkt des Glaubenslebens der neuapostolischen Christen.“
Die anderen Punkte lauten: 1. Die Neuapostolische Kirche ist von Jesus Christus durch lebende Apostel geleitet. Ihre Lehre basiert auf der Heiligen Schrift. 2. Das Apostelamt ist das von Jesus Christus bevollmächtigte Amt zur Heilsvermittlung. 3. Apostel sind unerlässlich, um seine Kirche auf die von ihm verheißene Wiederkunft vorzubereiten. 4. Die Neuapostolische Kirche kennt die drei Sakramente Heilige Wassertaufe, Heilige Versiegelung und Heiliges Abendmahl. 5. Die Spendung der Sakramente Heilige Versiegelung und Heiliges Abendmahl sowie die Vergebung der Sünden sind an das Apostelamt gebunden. 6. Neuapostolische Christen haben durch die Heilige Versiegelung die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.
Kirchenbegriff
Wer ist Kirche? Dies lässt sich aus den Aussagen der NAK nicht präzise fassen. Seit dem ersten Informationsabend könnte der Eindruck entstanden sein, ein wenig „Kirche-sein“ würde auch den Christen anderer Konfessionen zugestanden. Aus den damals gemachten Aussagen kann man folgendes Bild gewinnen:
• „Gemeinschaft der an Christus Glaubenden und ihn Bekennenden“ (bewusst kein „Kirchen“-Begriff): Hierzu gehören alle, die rite in christlichen Gemeinschaften getauft sind. Ich würde dies als „äußeres Kirchenverständnis“ bezeichnen.
• Kirche Christi („Werk des Herrn“) – Kirche Jesu Christi als Synonym für die NAK: Innerhalb der „Gemeinschaft der an Christus Glaubenden und ihn Bekennenden“ vollbringt Gott ein besonderes Werk der Erlösung. In dieses Werk sind nur die aus Wasser und Geist Wiedergeborenen, also neuapostolische Christen, mit einbezogen, die damit Gotteskinder und Glied am Leib Christi werden. Dies nenne ich „inneres Kirchenverständnis“.
Die NAK sieht ihre Aufgabe innerhalb der Christenheit darin, eine bestimmte „Teilgemeinschaft“ in einer fest abgesteckten Zeit auf etwas Bestimmtes vorzubereiten, das anderen verwehrt bleibt, weil sie sich dem neuapostolischen Apostelamt nicht unterstellen. Dies erhellt sich aus folgender Aussage der „Anmerkungen“: „Der Untertitel des Selbstbildes: ‚Der von Jesus Christus gelegte Weg zum Heil in unserer Zeit’ macht einen wichtigen Eckpunkt neuapostolischer Lehre deutlich: Das Wirken des Apostelamtes und damit die Aufgabe der Neuapostolischen Kirche erstreckt sich auf den Zeitraum bis zur Wiederkunft Christi.“
Trotz aller Bemühungen, Christen anderer Konfessionen zuzugestehen, dass sie auch irgendwie zur christlichen Kirche gehören, versteht sich die NAK als „die Kirche Jesu Christi gleich den apostolischen Gemeinden zur Zeit der ersten Apostel“6. „Lehrmäßige Festlegungen zum Kirchenverständnis der Neuapostolischen Kirche beschreibt das Selbstbild nicht“, heißt es in den „Anmerkungen“, wobei die Aussagen zum Apostelamt und zur Vermittlung von Heil zwangsläufig das Kirchenverständnis der NAK prägen.
Ich halte fest: Im Verständnis der NAK ist Kirche „im Vollsinn“, wie man öfter hört, nur dort, wo Apostel der NAK sind! Erst durch den Vollzug der Heiligen Wassertaufe und der Heiligen Versiegelung (diese ausschließlich durch einen neuapostolischen Apostel) ist die Wiedergeburt aus Wasser und Geist vollzogen und damit die Gotteskindschaft hergestellt und das Erbe der zukünftigen Herrlichkeit in Aussicht. Erst dann ist der Gläubige Glied am Leibe Christi.
Ausklammerung der sogenannten „Heiligen Wassertaufe“
Punkt 5 macht die exklusive Stellung der NAK deutlich. Dem neuapostolischen Apostelamt wird in der Aussage eine solch gewaltige Machtfülle zugesprochen, dass von einer Überhöhung des Amtes gesprochen werden muss.
Die Heilige Taufe wurde hier bewusst ausgeklammert, weil man am ersten Informationsabend 2006 eine Anerkennung der rite vollzogenen Taufe in anderen christlichen Kirchen formulierte und damit den Eindruck hinterließ, als würde man deren Taufen vollgültig anerkennen. Dies ist jedoch bei genauerer Betrachtung nicht die volle Wahrheit. Die Taufanerkennung hängt maßgeblich davon ab, welches Verständnis von der Taufe entwickelt wird. Die Taufe wird in anderen Konfessionen gemäß der Heiligen Schrift als Wiedergeburt aus Wasser und Geist verstanden (Röm 6), was die NAK mit ihrem zweigeteilten Wiedergeburtsverständnis (Heilige Wassertaufe und Heilige Versiegelung) nicht teilt. Wie kann sie also die Taufe der anderen anerkennen?
In diesem Punkt 5 kann das Feld hinsichtlich der Taufe getrost geräumt werden, hat man doch noch die Heilige Versiegelung, die nur von einem Apostel der NAK gespendet werden kann. Diese Versiegelung wiederum eröffnet ja erst die „Gotteskindschaft“ und die „Gliedschaft am Leibe Christi“.
Was die NAK meint, wenn sie mitteilt, dass „die Spendung der Sakramente Heilige Versiegelung und Heiliges Abendmahl sowie die Vergebung der Sünden“ an das „Apostelamt gebunden“ sind, ist eindeutig: Lossprechung (Vergebung der Sünden) und gültige Heilige Kommunion (Abendmahlsfeier) sind nur dort möglich, wo Geistliche sind, die das Apostelamt der NAK anerkennen.
Ein unvermittelbares Kirchenverständnis
Der theologisch unpräzise Umgang mit dem Kirchenbegriff sowie das spezielle Verständnis der Sakramente, besonders der Abhängigkeiten zwischen der Heiligen Taufe und der Heiligen Versiegelung, machen es schwer, ein klares Bild vom Kirchenverständnis der NAK zu zeichnen. Hierzu formulierten die sogenannten „geistigen Väter“ der NAK, die katholisch-apostolischen Gemeinden (KAG), bereits in ihrem Testimonium 1836 klar und unmissverständlich: Die Kirche Christi ist die Gemeinschaft aller, ohne Unterschied der Zeit und des Landes, welche im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft und durch ihre Taufe von allen anderen Menschen ausgesondert sind. Ein Leib (Eph 4,4), ein Pfeiler und eine Grundfeste der Wahrheit (1. Tim 3,15), die Wohnstatt Gottes, der Tempel des Heiligen Geistes (2. Kor 6,16).“
Folkmar Schiek, Stuttgart
Anmerkungen
1 Siehe Dokument ad-079 „Verständnis-Änderung der Taufe und Versiegelung in der Neuapostolischen Kirche vom 24.1.2006 – Eine Analyse“ auf www.adfontes.mediasinres.net.
2 www.adfontes.mediasinres.net; www.mediasinres.net; www.christ-im-dialog.de ; www.apostolisch.ch; www.naktuell.de ; www.nakobserver.nl .
3 Siehe www.nak.org/fileadmin/download/pdf/Infoabend_041207_Selbstbild-deutsch_Internetversion.pdf.
4 Siehe www.nak.org/de/news/nak-international/article/15368/ (4.12.2007).
5 Siehe die Verlautbarung „Das Verständnis von Heil, Exklusivität, Heilsnotwendigkeit des Apostelamtes und Nachfolge in der Neuapostolischen Kirche“ vom 24.1.2006 auf www.nak.org.
6 Siehe „Statuten der Neuapostolischen Kirche International“, 17. Mai 2002, Vorwort.