Bhagwan-/Osho-Bewegung

In den 1970er Jahren schlugen die Wogen weltweit hoch, als rot gekleidete junge Menschen demonstrierend durch die Innenstädte zogen und eine neue Lebensphilosophie von Befreiung, grenzenloser Selbstentfaltung und freier Liebe proklamierten. Sie beriefen sich auf einen indischen Meister, der seit 1969 Jünger um sich scharte. 1974 zog er mit seinen Jüngern nach Poona, etwa 260 km südöstlich von Bombay (heute Mumbai), wo er einen Ashram gründete. Zwischen 1974 und 1980 strömten 250 000 intellektuelle Aussteiger aus westlichen Ländern – vor allem junge Frauen – mit dem Wunsch nach Erleuchtung nach Poona. Hier sollte der neue Mensch entstehen, der mit sich und seiner Umgebung in Harmonie lebt, um sich frei von allen Ideologien und Glaubenssystemen grenzenlos entfalten zu können. Zunächst ließ sich Rajneesh Chandra Mohan (1931-1990) mit „Bhagwan“ (der Göttliche) anreden, gegen Ende seines Lebens mit „Osho“ (Lehrer).

Über 20 Jahre nach dem Tod des Inders legen die großen Buchverlage seine Reden neu auf. Noch immer pilgern Tausende nach Poona, das heute Pune heißt. Mittlerweile zählt der Ort zu den bevorzugten Meditationszentren für Besserverdienende, und eine professionelle Internet-Präsenz informiert über Publikationen, Workshop- und Wellness-Angebote (www.osho.com). Die einstige Kommune ist heute ein mehrere Hektar großes Anwesen mit Tennisplätzen, Swimmingpool, Restaurants und einem spirituellen College. Man versteht sich als Dienstleistungsbetrieb für eine internationale Kundschaft, die möglichst schnell und unkompliziert die Bewusstseinstechniken Oshos kennenlernen möchte.

Aufstieg und Fall einer Meditationsbewegung

Rajneesh Chandra Mohan Jain wird 1931 als ältestes Kind einer Kaufmannsfamilie in Mittelindien geboren. Nach dem Philosophie-Studium ist er von 1958 bis 1966 als Dozent an der Universität von Jabalpur tätig. 1970 wird in Bombay die „Dynamische Meditation“ eingeführt (abrupter Wechsel zwischen Phasen intensiver Körperbewegungen und meditativer Stille), und die Initiation der ersten sechs Schüler findet statt. 1974 gründet Rajneesh in Poona ein Meditationszentrum (Poona I), das sich mit Hilfe westlicher Therapeuten zu einem Therapiezentrum mit vorwiegend westlicher Anhängerschaft entwickelt. Von 1981 bis 1985 baut Rajneesh eine zweite Kommune in Oregon/USA auf, nach Meinung von Kritikern aus Gründen der Steuerflucht. „Rajneeshpuram“ ist streng hierarchisch organisiert. Rajneesh zieht sich jedoch zurück und hält zwischen 1981 und 1984 keine öffentliche Rede. Einmal am Tag wird er – in einem Rolls Royce sitzend – über das Ranch-Gelände gefahren („drive-bye“). Seine Mitarbeiterin „Sheela“ Birnstiel übernimmt die zentrale Leitungsfunktion. Der Zulauf ist enorm, und im Westen entstehen zahlreiche Meditationszentren nach gleichem Muster. Nach internen Machtkämpfen und kriminellen Machenschaften (u. a. Körperverletzung) kommt es im September 1985 zum Zerwürfnis zwischen Sheela und Rajneesh und dem Zusammenbruch der Kommune. Rajneesh will die USA heimlich verlassen, wird aber für knapp drei Wochen inhaftiert und dann ausgewiesen. Sheela wird in Deutschland festgenommen und büßt eine mehrjährige Haftstrafe ab. Sie lebt heute als Altenpflegerin in der Schweiz.

Rajneesh kehrt 1987 trotz Protesten von Anwohnern nach Poona zurück (Poona II). Die Reglementierungen sind jetzt weniger streng, und die Ausbildungsvielfalt in alternativen Therapieformen und esoterischen und okkulten Praktiken wächst beständig. Kurz vor seinem Tod im Januar 1990 übergibt Rajneesh die Führung der Kommune einem 21-köpfigen Leitungskreis („Inner Circle“), der alle Entscheidungen einstimmig und geheim treffen soll.

In den folgenden Jahren berichten Medien über Drogengeschäfte und Geldwäsche in der Kommune. Westliche Reisende werden verhaftet, der „Inner Circle“ ergreift Disziplinarmaßnahmen. 1996 veröffentlicht Sheela ihre Erinnerungen und erhebt schwere Vorwürfe gegen Schüler Rajneeshs und auch gegen ihren früheren Chef, den sie aber immer noch als ihren persönlichen Meister verehrt. 1998 werden die Bild- und Tonrechte von Rajneeshs Werken und der Name „Osho“ von der New Yorker „Osho Foundation“ in Zürich markenrechtlich geschützt. Ein Führungstrio des „Inner Circle“ erklärt sich zu alleinigen Inhabern aller Copyrights und versendet Mahnbescheide an andere Bhagwan-Zentren, die verlegerisch tätig sind. Ein amerikanisches Schiedsgericht weist jedoch eine Klage mit der Begründung ab, „Osho“ könne kein rechtsgültiges Markenzeichen sein. Eine langjährige Mitarbeiterin und Vertraute von Rajneesh, die bis 2000 Mitglied im „Inner Circle“ war, wendet sich nach Konflikten mit den Co-Leitern an die Presse und wirft dem Führungstrio diktatorisches Verhalten vor.

Der Film „„GURU – Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard“ (2010) von zwei Schweizer Filmemachern stellt den selbsternannten Guru aus der heutigen Sicht seiner Sekretärin und seines Bodyguards dar. Neben deutlicher Kritik wird bleibende Hochachtung sichtbar.

Lehre

Das Ego kann nur mithilfe eines Meisters transformiert werden, davon war Rajneesh überzeugt. Deshalb verlangte er Unterwerfung: „Du bist nicht wirklich! Ich werde dich töten, zerstören, damit deine alte, vergängliche Persönlichkeit zur ewigen Existenz wird.“ Der heutige Mensch, so Rajneesh, sei durch längst überholte Weltbilder und Traditionen gebunden und durch die Ängste des modernen Lebens belastet, sodass er einen tiefen Reinigungsprozess durchmachen müsse, um in den Zustand der völlig entspannten, von allen Gedanken befreiten Meditation gelangen zu können.

Rajneesh verband das Entwicklungsideal der humanistischen Psychologie, die Selbstverwirklichung, mit Wirklichkeitsvorstellungen östlicher Religionen, besonders mit der vom göttlichen Wesenskern des Menschen. So werden Mystik und Spiritualität als „Psychologie der Buddhas“ in den Dienst einer tiefer verstandenen Therapie gestellt. Die Fesseln des Ich-Bewusstseins sollen „aufgesprengt“ und dadurch die göttliche Wesensnatur des Menschen zugänglich werden. In einer spirituell-psychologischen Zusammenschau soll das Ziel einer Buddha-Natur mithilfe von Therapietechniken der humanistischen Psychologie umgesetzt werden. Körperorientierte Übungen sollen die Dominanz des Verstandes und der primär intellektuellen Wahrnehmung und Bewertung brechen und einen Zugang zum angeblich unverfälschten Wesenskern ermöglichen. Das angestrebte befreite Leben erfordert die Überwindung gesellschaftlicher Konditionierungen durch die Auflösung des Egos.

Gegenwärtige Situation

Von einer einheitlichen Bhagwan-/Osho-Bewegung kann seit dem Tod Rajneeshs nicht mehr die Rede sein. Die Streitigkeiten in Poonas Leitungsgremium um die Vermarktungsrechte an Bhagwans Schriften, Kassetten und Videos haben aller Welt deutlich gemacht, dass Motive wie Neid und Habgier dieser spirituellen Erneuerungsbewegung zusetzen. Neben den Erbstreitigkeiten wurde die Frage der „Treue zum Meister“ intern intensiv diskutiert. Die Nachfolger Rajneeshs haben sich in unterschiedliche Richtungen weiterentwickelt. Zwar sprechen immer noch viele Seminarleiter und Gesundheitslehrer, die heute ihre Dienste auf dem alternativen Selbsterfahrungs- und Lebenshilfemarkt anbieten, mit Hochachtung von ihrem Meister. Dennoch ist unübersehbar, dass sich die Bhagwan-Anhänger auf dem alternativen Therapiemarkt auch anderer therapeutischer Methoden bedienen und noch lebende spirituelle Meister verehren. Die Anwendung neuerer Bewusstseinstechniken wird in der Rajneesh-Bewegung aber auch kritisch diskutiert. Als ein Therapeut in der Hauszeitschrift „Osho Times“ einen Brückenschlag zwischen den autoritär vorgehenden Familienaufstellungen nach Bert Hellinger und Rajneeshs Vision von Befreiung herstellte, hagelte es Proteste. Den Redakteuren wurde der Vorwurf gemacht, sie hätten unterschwellig bestimmten Ideologien Raum gegeben – und das in der „Osho Times“! Aller Kritik zum Trotz bieten immer mehr Bhagwan-Therapeuten Familienaufstellungen nach Hellinger an. Bekannte Seminarleiter, die zunächst bei Rajneesh in die Schule gingen bzw. sich von seinen Gedanken inspirieren ließen und sich dann selbstständig weiterentwickelten, sind:

•Paul Lowe („Teertha“), Jg. 1933, Amerikaner, bekannter Poona-Therapeut, gründete und leitete Meditationszentren in England und Italien, reist seit vielen Jahren als Gruppenleiter durch Europa (www.paullowe.org).

•Michael Barnett („Somendra“), Jg. 1930, Engländer, acht Jahre Schüler Rajneeshs, gründete 1982 sein erstes Zentrum in der Schweiz, zog dann nach Frankreich, arbeitet heute in der Nähe von Freiburg (www.michaelbarnett.net).

•Denny Yuson („Veeresh“), Jg. 1938, Amerikaner, Gründer und Leiter einer niederländischen Ausbildungsstätte (www.humaniversity.nl).

•Sam Golden („Samarpan“), Jg. 1941, Amerikaner, lebt in Frankfurt, erfolgreicher Satsang-Lehrer (www.samarpan.de).

•Alan Lowen , Jg. 1943, gründete eine eigene Tantra-Schule (www.theartofbeing.com).

•Michael Crawford (zunächst „Anamo“, dann „Mikaire“), Jg. 1955, Neuseeländer, ist als Satsang-Lehrer aktiv (www.mikaire.com).

•Margot Anand Naslednikov, Jg. 1944, wird als die Mutter des modernen, westlichen Neo-Tantrismus angesehen. Inspiriert durch Rajneesh entwickelte sie spezielle Methoden und Tantra-Institute in der ganzen Welt (www.SkyDancingTantra.de).

•Gerd B. Ziegler, Jg. 1951, schrieb mehrere Tarot-Bücher und begründete Tantra-Ausbildungen (www.gb-ziegler.de).

•Burkhardt Kiegeland, Jg. 1943, gründete den Verein „Der weiße Lotus“ in Salzburg, ist als Seminarleiter in der Schweiz tätig (www.einsundsein.org).

•Michael Plesse, Jg. 1945, gründete 1991 das Netzwerk „Orgoville International“ mit lokalen Tantra-Schulen (www.orgoville.de).

•Kabir Jaffe; nach 18 Jahren Aufenthalt in Indien bietet der Psychologe und Astrologe heute ein Bewusstseinstraining mit pseudoakademischen Abschlüssen auch in Deutschland an (www.essencetraining.com).

•Bernd Joschko („Dyhan“), Jg. 1951, bietet seit 1992 pseudotherapeutische Ausbildungen in „Synergetik-Innenweltreisen“ an (www.synergetik-institut.de).

Es ist erstaunlich, dass die Rajneesh-Bewegung trotz aller Skandale, Intrigen und Widersprüchlichkeiten bis heute lebendig geblieben ist. Wenn sie neue Elemente integriert, wie es beispielsweise das Osho-UTA-Institut in Köln tut, indem esoterische Trends und aktuelle alternative Therapieformen „bhagwanisiert“ werden, scheint dies zu helfen und auch eine Expansion zu ermöglichen. Das Osho-UTA-Institut in Köln wirbt damit, dass es sich in den letzten 18 Jahren zu einem der größten spirituellen Wachstumszentren in Europa entwickelt habe und neben Poona das weltweit größte Osho-Institut sei.

Zunehmend hat die Osho-Bewegung jedoch ihren revolutionären Anspruch verloren und ist nur noch durch ihre Selbsterfahrungs-, Therapie- und Meditationsmethoden bekannt. Dabei mischen sich typische Osho-Methoden wie die „Dynamische Meditation“ mit allem, was auf dem alternativen Gesundheitsmarkt gerade aktuell ist. Schwerpunktmäßig sind die Angebote immer noch körperorientiert, aber auch rein kognitiv arbeitende wie das NLP (Neurolinguistisches Programmieren) nehmen in der Osho-Szene zu.

Einschätzung

Aus religionswissenschaftlicher Perspektive hat Rajneesh die Grundregel des indischen Asketentums, die Besitzlosigkeit, verletzt. Neben Rajneesh wurden die Transzendentale Meditation des Maharishi Mahesh Yogi und die ISKCON-Bewegung als „Geschäftemacher mit hinduistischer Spiritualität“ bezeichnet. Allen drei Organisationen ist nämlich gemeinsam, dass sich ihre Gründer als religiöse Lehrer verehren ließen und unter diesem Deckmantel als clevere Geschäftsleute agierten.

Außerdem ist problematisch, dass die Abwertung des Denkens zu einem Kennzeichen dieser Bewegung zählt. Damit wird ein Merkmal des Menschen, seine Rationalität, in Misskredit gebracht oder gar geleugnet. Die Absolutsetzung der emotionalen Erfahrung führt aber zu einer verzerrten Realitätswahrnehmung. Die Widersprüchlichkeiten des Alltags erfordern eine Zusammenarbeit von Herz und Kopf. Wie sieht es um höhere, z. B. gemeinschaftliche Werte aus? Wahrscheinlich nicht zufällig entscheiden sich auffallend viele Sannyasins gegen eigene Kinder, weil diese den individuellen Erleuchtungsweg behindern könnten.

Die intensive Bindung in der Meister-Schüler-Beziehung sowie die gezielten Gefühlsprovokationen in den Meditationsgruppen sind weitere Kritikpunkte an der Bewegung. Entgegen dem utopischen Ziel eines Aufgehens im Nichts muss aus psychologischer Sicht betont werden, dass es gerade nicht zu einer gelingenden Alltagsbewältigung beiträgt, Grenzen zu sprengen, sondern sie zu akzeptieren und mit ihnen umgehen zu lernen. Dazu gehört das Arrangieren mit Vorläufigem, das Verarbeiten von Enttäuschungen und der Umgang mit Krisen und Rückschlägen. Auch solche Erfahrungen gehören essenziell zum Leben – es ist ungesund und unmenschlich, sie auslöschen zu wollen.


Michael Utsch


Quellen

Birnstiel, Sheela, Tötet ihn nicht!, Basel 1996
Osho, Esoterische Psychologie, Zürich 1991
Osho, Das Buch der Heilung, München 1995 Osho, Jenseits der Grenzen des Verstandes, Köln 1997
Osho, Body-Mind-Balancing. Ein Entspannungsprogramm, München 2003
Osho, BewusstSein. Beobachte ohne zu urteilen, München 2004
Osho, Das orangene Buch, Köln 2008
Osho, Das Buch der Geheimnisse. 112 Meditations-Techniken zur Entdeckung der inneren Wahrheit, München 2009
Osho, Das Thomas-Evangelium. Die bahnbrechende Botschaft von Jesus, München 2010


Zeitschrift

Osho Times (deutsche Ausgabe erscheint monatlich seit 1982)


Literatur

Doerne, Angelika, Ein Leitfaden zur Auseinandersetzung mit psycho-spirituellen Gruppen am Beispiel der Bhagwan-Bewegung, in: Transpersonale Psychologie und Psychotherapie 15/2 (2009), 19-34
Hummel, Reinhart, Gurus, Meister, Scharlatane. Zwischen Faszination und Gefahr, Freiburg i. Br. 1996, 82ff
Huth, Fritz-Reinhold, Das Selbstverständnis des Bhagwan Shree Rajneesh in seinen Reden über Jesus, Frankfurt a. M. 1993
Klosinski, Gunther, Warum Bhagwan? Auf der Suche nach Heimat, Geborgenheit und Liebe, München 1985
Süss, Joachim, Bhagwans Erbe. Die Osho-Bewegung heute, München 1996
Utsch, Michael, Jenseits des Verstandes – Bhagwan Rajneesh und die Folgen, in: Hempelmann, Reinhard u. a. (Hg.), Panorama der neuen Religiosität, Gütersloh 22005, 170-179