Markolf H. Niemz

Bin ich, wenn ich nicht mehr bin? Ein Physiker entschlüsselt die Ewigkeit

Markolf H. Niemz, Bin ich, wenn ich nicht mehr bin? Ein Physiker entschlüsselt die Ewigkeit, Kreuz Verlag, Freiburg i. Br. 2011, 199 Seiten, 16,95 Euro.

Der durch seine drei „Lucy“-Bücher bekannt gewordene Heidelberger Physiker beantwortet die Titelfrage nun anders als in jener Trilogie mit einem deutlichen Nein: Es gebe kein Leben nach dem Tod für ein unsterbliches Ich. Gleichwohl gebe es Gott, Ewigkeit und Unsterblichkeit; doch diese drei Begriffe werden konsequent subjektlos interpretiert.

Niemz hat sich bei seinen spekulativen Überlegungen, die er in ausverkauften Sälen zu präsentieren pflegt, zur Klarheit einer monistischen Perspektive aufgeschwungen – ist freilich zugleich in deren Problematik hinabgestürzt. Fast nur monistisch orientierte oder gefärbte Namen führt er im Verlauf des Buches zur Stützung seiner Sichtweise an: von Shankara und Parmenides über Schopenhauer bis hin zu Willigis Jäger und Hans-Peter Dürr reicht die Palette. Merkwürdigerweise fehlt dabei Friedrich Nietzsche, dessen dunkler Gott „jenseits von Gut und Böse“ durchaus in sein pantheistisches Konzept passen würde.

Dies gilt umso mehr, als sich der Autor einleitend auf über 20 Seiten an die Theodizeefrage heranpirscht, um sie schließlich in monistischer Weise zu beantworten oder besser gesagt: aufzulösen. Diese Frage stelle sich nur, wenn man an einen personalen Gott glaube. Da Niemz jeden theistischen Glauben ablehnt, kann er seinen abstrakt gefassten Gott „mit der Existenz des Bösen vereinbaren“ (46). Eine Antwort auf die Frage nach der Vereinbarkeit des Gottesgedankens mit dem Leid in der Welt gelinge, „wenn wir unser Leben als ein Spiel begreifen, in dem sich Gott als Regel und Zufall offenbart“ (90). Dass die monistische Deutung des Lebens als „Spiel“ (so auch 53 und 128) angesichts des realen Leidens ungezählter Geschöpfe blanken Zynismus bedeutet, also schwerlich trostreich ist, hindert den Physiker nicht, eben damit zu antworten auf ein Problem, das angeblich „selbst erfahrene Theologen kaum entschärfen können“ (90).

Hier zeigt sich wie noch öfter in dem kleinen Buch, dessen Inhalt mit diversen Schwarzweißfotos, Skizzen und einer Beschreibung der „Stiftung Lucys Kinder“ verlängert worden ist, was beinahe zwangsläufig zu passieren pflegt, wenn sich ein Naturwissenschaftler als Geisteswissenschaftler betätigt: Er kennt sich nicht wirklich aus. Theologisch entfaltete Antworten auf die Theodizeefrage (mit Verlaub: auch das in dieser Hinsicht prononcierte Theodizeebuch des Rezensenten) sind ihm offenbar unbekannt. Er muss sie ja auch nicht unbedingt kennen, sollte sich dann aber hüten, scheinbar kenntnisreiche Aussagen wie die oben zitierte zu verbreiten.

Entsprechendes gilt hinsichtlich seines Umgangs mit traditionellen Begriffen der christlichen und ostasiatischen Eschatologie: Zwar definiert er sie so, dass er sie seiner monistischen Theorie zu eigen macht, aber er setzt sich nicht wirklich ernsthaft oder vertiefend mit den gängigen Definitionen, geschweige denn Metaphysiken und Religionen, auseinander. Dazu passt es, wenn er sich in einem monistischen Sinn als „Christ“ bezeichnet, das aber lediglich mit dem Festhalten am ewigkeitsträchtigen Prinzip Liebe begründet (85), während er weder Jesu Heilstod am Kreuz (82) noch die christliche Auferstehungshoffnung (123) noch den trinitarischen Gottesglauben im biblischen Sinn (122) bejaht. Die genannten Begriffsverwirrungen sind freilich typisch für Vertreter eines spirituellen Monismus (wie der Rezensent das schon in mehreren Studien dargelegt hat) – und gleichermaßen die Neigung zur Relativierung religiöser Wahrheitsansprüche (84). Missionarische Ambitionen kreidet Niemz Religionen dementsprechend als „größten Fehler“ an (16), will jedoch sich selbst „anderen verstärkt mitteilen“ (186)!

Was sich in den Büchern des Physikprofessors durchhält, ist die These, dass im Sterben die „Seele“ auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werde (von wem?), „also ins Licht eintaucht“ (13). Daraus folgert er nun: Weil jede zeitliche Distanz für das Licht den Wert null habe, vergingen für das Licht selbst sehr lange Zeiträume „in Nullkommanichts“, und „alles, was jemals im Universum geschieht, ‚passiert‘ für das Licht in einem einzigen Augenblick“ (97). Niemz überträgt hier physikalische Thesen ins Meta-Physische und folgert: „Alles, was jemals im Universum geschieht, ist im Licht präsent, also gespeichert. Demnach bedeutet Ewigkeit, dass alles gegenwärtig ist.“

Der Naturwissenschaftler übersieht bei dieser Wendung ins Religiöse – er nennt sie einen „Clou“ (96) – einfache physikalische Sachverhalte: Licht ist selbst bei Lichtgeschwindigkeit nicht nur keineswegs allgegenwärtig, sondern auch mitnichten immer verbunden im Universum vorhanden, und nach derzeitigem Erkenntnisstand der Astrophysik muss das All irgendwann vollends im Dunkel verlöschen. Dem „materiellen“ Licht eine metaphysisch-religiöse Qualität zuzusprechen, ist also gerade kein Clou, sondern eine obsolete Verwechslung von physikalischer und symbolischer Begrifflichkeit.

Dass die Fakultät für Physik und Astronomie der Universität Heidelberg Niemz um die Rückgabe seiner Lehrerlaubnis gebeten hat, verwundert kaum. Seine vier Bücher sind weltanschaulich am ehesten – auch wenn er selbst das anders sieht (14) – als eine durchaus eigensinnige Variante auf dem Gebiet moderner Esoterik einzuordnen, welches bekanntlich von spirituellem Monismus durchzogen ist. Als wissenschaftlich lässt sich das Buch mit dem reißerischen Untertitel „Ein Physiker entschlüsselt die Ewigkeit“ nicht bezeichnen. Allenfalls religionsphilosophisch mag man ihm etwas abgewinnen können; doch das meiste davon ist nicht neu – und der originelle Anteil in der Sache mehr als zweifelhaft.


Werner Thiede, Regensburg