Bioethik im interreligiösen Dialog
(Letzter Bericht: 10/2004, 390) Am 1. September 2004 veranstaltete die Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin eine Tagung zum Thema "Bioethik im christlich-islamischen Dialog", die christliche (überwiegend katholische) Theologen und islamische Gelehrte ins Gespräch miteinander brachte. Diese Tagung war insofern erfreulich, als sie von der Fixierung auf die immergleichen theologischen oder zivilgesellschaftlichen Themen des Dialogs wegführte und ein wichtiges Thema aus der öffentlichen Debatte aufgriff, das zugleich auch direkte politische Dimensionen aufweist. Zwei wichtige Einsichten durchzogen die Veranstaltung: die Argumentationszusammenhänge sind unterschiedlich und im Islam immer im Blick auf die Rechtstradition entwickelt, während die (katholische) Kirche sich auf Argumentationsmodelle aus der kirchlich-philosophischen Tradition bezieht. Unmittelbare "Schriftbeweise" sind in der Regel schwierig. Zweitens wurde deutlich, dass die Argumentationsfronten eigentlich nicht zwischen den Religionen verlaufen, sondern quer durch sie hindurch. Für den Islam konnte dies explizit aus den Beiträgen nachvollzogen werden (auch wenn etliche muslimische Referenten verhindert waren oder auf die Anfrage überhaupt nicht geantwortet hatten), für das Christentum konnte es nur unterschwellig vermutet werden, da aufgrund des katholischen Übergewichts (abgesehen von korrigierenden Hinweisen des einzigen evangelischen Referenten Klaus Hock) der Eindruck einer "christlichen" Position gegen fast alle biomedizinischen Möglichkeiten entstand (keine Empfängnisverhütung, keine In-vitro-Fertilisation, kein reproduktives oder therapeutisches Klonen etc.).
Die katholische Grundposition erläuterte Dr. Hans Langendörfer, Generalsekretär der Deutschen Bischofskonferenz. Langendörfer unterschied zwischen der Schöpfungssouveränität Gottes, die der Mensch sich nicht durch Eingriffe am menschlichen Leben anmaßen kann, und der "Kreativität" des Menschen in sonstigen wissenschaftlichen und künstlerischen Bereichen. Der türkisch-islamische Referent Prof. Hadi Adanali gab anschließend einen Einblick in die komplizierte Lage der islamischen Entscheidungsfindung, die mindestens im sunnitischen Bereich kein autoritatives Lehramt habe und deshalb unterschiedliche Positionen kenne, von der strikten Ablehnung des Klonens bis hin zu einer Befürwortung therapeutischen Klonens, das nicht auf (Re-)Produktion ziele. Es gebe im sunnitischen Islam die Position, den Beginn des Lebens ab dem zweiten Schwangerschaftsmonat und nicht bereits ab der Zeugung aufzufassen, aber auch die radikale Ablehnung jeglicher Forschung mit Embryonen. Ähnlich äußerte sich die tunesische Wissenschaftlerin Prof. Sihem Bebabbi Missaoui, während die katholischen Ethiker Prof. Dietmar Mieth und Prof. Eberhard Schockenhoff (Mitglied der Nationalen Ethik-Kommission) noch einmal einen Einblick in die (mutmaßliche) Rationalität der katholischen, bereits von Langendörfer referierten Positionen gaben.
Der interreligiöse Dialog erhielt mit dieser Tagung, die im Rahmen einer Reihe der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Bioethik stand, eine neue Dimension. Klaus Hock hat in seinem Beitrag die verschiedenen Möglichkeiten und Aspekte des Dialogs aufgeblättert: Neben den beliebten Themen der religionsinternen Verständigung, der Toleranz, der Religionsfreiheit etc. wird es zunehmend wichtig, Themen aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen aufzugreifen und unterschiedliche religiöse Argumentationen authentischer Vertreter religiöser Traditionen miteinander ins Gespräch zu bringen.
Zu ergänzen bleibt noch: Das Judentum vertritt in diesem Zusammenhang möglicherweise die liberalste Position, indem nach jüdischer Auffassung das Leben mit der Geburt beginnt und daher in der Forschung mit Embryonen der erhoffte medizinische Nutzen über potentielle Nachteile gestellt wird. Der Buddhismus betrachtet zwar Leben als Kontinuum und insofern bereits als Merkmal des Embryos, sieht aber die verbrauchende Forschung mit Embryonen als Verletzung des Gebots der Gewaltfreiheit. Im Hinduismus wird zumeist der Lebensbeginn auf die Empfängnis datiert, jedoch in Indien Forschung an Embryonen aus medizinpolitischen Gründen in den ersten 14 Tagen zugelassen. Diese Positionen und Argumentationen wurden in den Verhandlungen der Nationalen Ethikkommission zur Kenntnis genommen.
Ulrich Dehn