Bracos „gebender Blick“ lockt Tausende
Eines der rätselhaftesten Phänomene der modernen Esoterik-Szene, der kroatische Blickheiler Braco (ausgesprochen „Brahzo“) tourt regelmäßig durch Deutschland und seine Nachbarländer sowie die USA. Am Wochenende des 23./24. März 2013 verkaufte er annähernd 3000 Eintrittskarten à 5 Euro zu seinen Sessions in Berlin-Neukölln.
Die etwa 30-minütigen Sessions laufen immer gleich ab. Nachdem die geduldig wartende 100- bis 150-köpfige Menge zur angekündigten Zeit in den Saal eingelassen wurde und auf den Stühlen im Veranstaltungsraum des Mercure-Hotels Platz genommen hat, werden die Teilnehmer nach einem zehnminütigen Braco-Vorstellungsvideo von einem Mitarbeiter auf die kommende Einheit eingestimmt. Insbesondere wird erklärt, welche körperlichen und seelischen Phänomene sich voraussichtlich einstellen werden, zum Beispiel Schwanken, leichter Schwindel, Brennen in der Brustgegend, Weinen und Blicktrübung. Die einzige angebotene Deutung für diese suggerierten Auswirkungen von Bracos Blick ist, dass hier intensive und starke „Energien“ flössen, eine weitere theoretische Deutung oder Erklärung findet nicht statt.
Deshalb wird auch darauf hingewiesen, dass Minderjährige sowie im späteren Stadium Schwangere „zu ihrer eigenen Sicherheit“ ausgeschlossen seien. Des Weiteren werden die Besucher darauf eingeschworen, während der Begegnung mit Braco nicht im Raum umherzublicken, nichts zu denken, nichts zu glauben und keinesfalls den Blick von Bracos Augen abzuwenden. Wenn man dies beherzige, so könnten große Dinge geschehen. So wird über mehrere wunderbare, medizinisch nicht erklärbare, aber „medizinisch dokumentierte“ Heilungen nach Begegnungen mit Braco berichtet, darunter der Fall eines gehirngeschädigten Fötus, der gesund geboren wurde, und eines Kindes, dessen bedrohlich erhöhter Blutzuckerspiegel innerhalb eines Tages wieder im Normbereich lag.
Zwar beachtet Bracos Mitarbeiter bei diesen Berichten alle rechtlichen Vorsichtsmaßnahmen: Wie auch auf der Webseite (www.braco-info.de) wird darauf hingewiesen, dass es sich bei Bracos Blick nicht um eine Heilertätigkeit handle, die etwa Arztbesuche ersetze. Dafür aber erwähnt man umso häufiger, dass andere seinen Blick als heilsam und ihn als „Heiler“ bezeichnen. Auch auf der Internetseite und bei den Darstellungen Bracos auf den verkauften DVDs und Büchern spielen die Wunderheilungen eine zentrale Rolle. Die formale Zurückweisung des Begriffs „Heiler“ durch Braco dürfte vor allem rechtliche Gründe haben. Nachdem man solchermaßen auf das eingestimmt worden ist, was man erleben werde, betritt nach fast 20 Minuten Einleitung Braco selbst den Raum und entpuppt sich als recht kleiner, gut aussehender Endvierziger mit langen, glänzenden Haaren. Die Kleidung ist salopp, weißes, aus der Hose hängendes Hemd und abgetragene Jeans. Behende erklimmt er wort- und grußlos die Bühne und das darauf stehende Podest. Solchermaßen doppelt erhöht, verharrt er nun fast völlig reglos und lässt nur die Augen über die Menge der Versammelten gleiten, mehrfach den Kopf von einer Seite zur anderen wendend. In dem schmuck- und fensterlosen Raum ist es totenstill. Braco blickt die Menschen stumm an – dies ist der sogenannte „gebende Blick“ oder „giving gaze“, dem die Besucher eine energetisierende und heilende Wirkung zuschreiben.
Eine Frau, offenbar von ihren Gefühlen überwältigt, muss unter dem Einfluss von Bracos „gebendem Blick“ behutsam hinausgeführt werden. Manche Teilnehmer halten Fotos von Freunden und Angehörigen auf Herzhöhe, sodass das Bild in Bracos Richtung zeigt, dem anscheinend auch fernheilende Wirkungen zugeschrieben werden. Viele heben als Zeichen der Bewunderung Blumen hoch. Nach etwa sieben Minuten verlässt Braco die Bühne und verschwindet ebenso schweigend durch eine Seitentür, wie er gekommen ist. Es folgen noch einige Minuten, in denen der Conférencier die Anwesenden nach Wirkungen fragt, die Bracos Blick auf sie hatte. Und es werden genau jene Phänomene genannt, die er vorher selbst aufgezählt hatte. Die Neulinge, die sich fragen könnten, ob dieser After-Talk nicht die Wirkung Bracos zerredet, werden beschieden, dass die Gründe jeglicher Erfolgs- und Wirkungslosigkeit von Bracos Blick nicht im Zerreden oder gar in der Sache liegen, sondern immer und ausschließlich in uns selbst zu suchen seien. Nur wir, die Teilnehmer, können diese wunderbare Wirkung zerstören. Wie mag das auf die Kranken wirken, die in der Hoffnung auf Heilung gekommen sind?
Das Publikum besteht zu über 80 Prozent aus Frauen zwischen 30 und 50 Jahren und stammt, nimmt man die sprachliche Zusammensetzung des Büchertischs und der Helfer als Anhaltspunkt, zu erheblichen Teilen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Busse haben Besucher aus anderen Teilen Deutschlands herangefahren, viele bleiben das ganze Wochenende und haben Tickets für mehrere Sessions gekauft.
Braco (nach eigenen Angaben geboren 1967 in Zagreb als Josip Grbavac) ist ein Schüler des kroatischen Propheten und Heilers Ivica Prokic (1950 – 1995) und begann nach dessen Tod mit seinen eigenen Heilungstätigkeiten. Vor einigen Jahren hat er aufgehört, im Zusammenhang seiner Auftritte zu sprechen, doch werden DVDs und CDs verkauft. Denn auch seiner Stimme wird, selbst wenn man kein Kroatisch verstehe, heilsame Wirkung zugeschrieben. Interessant ist die Zusammenarbeit Bracos mit dem „Bruno Gröning-Freundeskreis“ (BGF). BGF-Gruppen organisieren seine Veranstaltungen und pilgern als Teilnehmer zu seinen Auftritten. Es gehört nicht zur offiziellen Lehre des BGF, aber manche Anhänger sehen einen (reinkarnatorischen?) Zusammenhang zwischen Bruno Gröning (1957 verstorben) und Braco. Letzterer gründet selbst keine festen Gruppen, die etwa auch außerhalb seiner eigenen Besuche zusammenkämen.
Braco kann man im esoterischen Markt als die extremste Form der Inhaltsleere sehen. Bei esoterischen Anbietern ist es in der Regel ohnehin schwer, aus den Lehrdarstellungen, oft durchsetzt mit neu gefüllten, gerne naturwissenschaftlich klingenden Begriffen, einen rational nachvollziehbaren und darstellbaren Sachkern zu erschließen, was eine Art Immunisierung gegen kritische inhaltliche Fragen bewirkt. Indem Braco von vornherein auf Worte und Begriffe verzichtet, treibt er diesen Selbstschutz gegen inhaltliche Auseinandersetzung oder Kritik auf die Spitze. Die Botschaft ist im Grunde nichts außer Braco selbst, um den ein intensiver Personenkult betrieben wird. Die Irrationalität der Inhalte oder besser der angeblichen Wirkungen ist nach Ansicht Bracos und seiner Anhänger Ausweis ihrer Überlegenheit gegenüber wissenschaftlich begründeten Heilungsmethoden.
Auch wenn sich schwer konkretisieren lässt, was Braco eigentlich ist und wofür er steht, was er lehrt und wie man ihn nennen soll, sicher ist wohl, dass es sich lohnt. Das Ticket für jede Session kostet 5 Euro, die Bücher und DVDs für 15 bis 20 Euro verkaufen sich gut, und die Helfer sind Ehrenamtliche, sodass nach Abzug der Kosten für Werbung, Raummiete etc. ein Überschuss in erheblicher Höhe bleiben dürfte.
Kai Funkschmidt