Britannien: Konflikt zwischen Religionsfreiheit und Diskriminierungsverbot
Eine religionspolitische Entscheidung der britischen Warenhauskette Marks & Spencer hat auf der Insel kurz vor Weihnachten eine öffentliche Debatte ausgelöst. Eine muslimische Kassiererin weigerte sich aus Glaubensgründen, einen Kunden zu bedienen, der Alkohol kaufte, und bat ihn zu warten, bis ein Kollege verfügbar sei. Die Geschäftsleitung verteidigte die Angestellte und erklärte dazu, als Arbeitgeber, der Inklusion fördere, erlaube Marks & Spencer seinen Angestellten schon seit langem, aus Glaubensgründen den Umgang mit Alkohol und Schweinefleisch zu verweigern. Zwei Tage später erklärte man aber, in der Regel solle versucht werden, betroffene Angestellte in anderen Arbeitsbereichen einzusetzen und nicht an der Kasse.
In der anschließenden Debatte zeigte sich, dass mehrere andere große Supermarktketten, darunter Marktführer Tesco, ähnlich verfahren. Nur Sainsbury‘s hat keine religiös begründeten Sonderregelungen. In den hauseigenen Guidelines mit dem Titel „The Little Book of Faith“ wird hier erklärt, es gebe keine Grundlage dafür, dass das muslimische Verzehrverbot für Alkohol und Schweinefleisch ein Berührungsverbot beinhalte.
Der Muslim Council of Britain begrüßte die Geschäftspolitik bei Marks & Spencer und erklärte: „Dies ist eine neuerliche Welle gegen Muslime gerichteter moralischer Panikmache durch die Medien. Sie spaltet die Gesellschaft und hilft nicht dabei, die Menschen einander näherzubringen.“
Die Debatte ist in Britannien Teil einer langen Tradition öffentlichen Streits darüber, inwieweit es zur Toleranz und Religionsfreiheit in einer säkularen Gesellschaft gehöre, Menschen aus Glaubensgründen Rechte einzuräumen, die Auswirkungen auf Angehörige anderer Religionen haben, und in welchem Umfang man dafür andere Rechte, bis hin zu Grund- und Freiheitsrechten, außer Kraft setzen könne.
Seit Anfang 2013 wird wieder intensiv über die Praxis gestritten, auf Verlangen muslimischer Gastredner an Universitäten nach Geschlechtern getrennte Sitzordnungen und Eingänge im Auditorium vorzuschreiben. Die Studentenorganisation Student Rights hatte eine Untersuchung veröffentlicht, der zufolge zwischen März 2012 und März 2013 radikale muslimische Prediger bei 180 Anlässen an britischen Universitäten gesprochen oder an Podiumsdebatten teilgenommen haben, darunter an der Universität Cardiff und dem University College London (UCL). In 46 Fällen sei dabei eine nach Geschlechtern getrennte Sitzordnung vorgeschrieben worden. Betroffen waren 21 Hochschulen.
Laut dem britischen Hochschulverband Universities UK handelt es sich um ein Problem, das in der Praxis ständig auftauche. Am 22. November 2013 veröffentlichte der Verband eine 40-seitige Richtlinie mit mehreren Fallbeispielen, in denen die Praxis grundsätzlich für zulässig erklärt wurde, vorausgesetzt, die Sitzordnung sei nebeneinander angeordnet, also nicht so, dass Frauen hinter den Männern sitzen (Dokument auf www.universitiesuk.ac.uk). Die Veröffentlichung löste Demonstrationen und Unterschriftenkampagnen aus. Premierminister Cameron äußerte sich kritisch und Bildungsminister Gove erklärte, er lehne Zugeständnisse an radikale muslimische Redner ab.
Konservative christliche Gruppen erkennen eine Ungleichbehandlung verschiedener Religionen. Sie erinnern in der jetzigen Debatte daran, dass die Betreiber einer Frühstückspension 2011 in Cornwall wegen Diskriminierung zu einer Wiedergutmachungszahlung von 3600 Pfund verurteilt wurden. Sie hatten 2008 unter Verweis auf ihren christlichen Glauben die Beherbergung eines schwulen Paares abgelehnt. Im Oktober 2013 verloren sie ihren Revisionsprozess vor dem höchsten britischen Gerichtshof.
Kai Funkschmidt