Buddhismus in 30 Jahren? Von der unverfälschten Lehre bis zur staatlichen Anerkennung
Eine Reihe von buddhistischen Zentren in Deutschland feiert 2017 runde Geburtstage. Aus diesem Anlass hat die Zeitschrift der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) „Buddhismus aktuell“ (3/2017) nach ihren Visionen gefragt. Was erhoffen, was erwarten buddhistische Gruppierungen in Deutschland?
Die älteste befragte, zen-buddhistische Richtung (Ableger der Association Zen Internationale, AZI; Zazen nach Taisen Deshimaru, 50 Jahre) setzt auf die Phase der „Veränderung“ im Transferprozess einer Religion in ein neues Umfeld. Lösung von der männlichen Dominanz, Leben im Alltag einer pluralistischen Gesellschaft mit neuen Formen, ohne die spirituelle Dimension zu verlieren. Das braucht Zeit, unter Umständen sehr lange Zeit, aber: „Wir legen heute die Ursachen für die Wirkungen von morgen“. Das jüngste befragte Zentrum, das Nonnenkloster Anenja Vihara im Oberallgäu (10 Jahre), preist die langsam wachsende Akzeptanz von Bhikkhunis (vollordinierten Nonnen) und betont – mit großem Respekt vor Lehrautoritäten – die Notwendigkeit der „Verbindung zum echten, unverfälschten Dhamma und Vinaya“, also zur Buddhalehre und zur Ordensdisziplin.
Daran ist wohl keine zunehmende „Rigorisierung“ des Buddhismus in Deutschland abzulesen, auch wenn sich die eher streng orientierte Waldklostertradition (Theravada) inspiriert von Ayya Khema in den letzten 20 Jahren stärker beheimatet hat, etwa durch das Waldkloster „Metta Vihara“ (20 Jahre), das die traditionellen Werte mit „genügend Spielraum für Neues“ zu verbinden sucht, aber doch vor allem „ein Vorbild für eine einfachere, natürlichere und sozialere Gesellschaft“ sein will – keine Weltflucht, aber doch Rückzug! Zwar von Ayya Khema und Metta Vihara herkommend, hat sich das Lotos Vihara in Berlin (20 Jahre, Wilfried Reuter) zu einem traditionsübergreifenden Zentrum entwickelt. Hier klingen Themen an, die auch andere Zentren beschäftigen und in die Mitte der Gesellschaft weisen: Neben Meditation und Retreats auf dem Lande sowie intensiver interdisziplinärer Bildung werden buddhistische Sozialarbeit in sozialen Brennpunkten, Politikberatung, Pflege- und Hospizarbeit, ein modernes Krankenhaus mit buddhistischen Idealen u. a. als Zukunftsperspektive entworfen. Gar von einer Annäherung an die „erleuchtete Gesellschaft“ spricht das Rigpanetzwerk (30 Jahre). Die wird aber im Wesentlichen auf der Basis von Individuen angestrebt, die die „grundlegende Gutheit in uns“ sichtbar werden lassen und in ihren gesellschaftlichen Aufgaben als „Botschafter von Frieden, Mitgefühl und Weisheit“ unterwegs sind.
Konkreter und realistischer nimmt wiederum eine der ältesten und bedeutendsten tibetischen Einrichtungen, das Tibetische Zentrum Hamburg (40 Jahre), die gesellschaftliche Entwicklung in den Blick. Völkerverständigung und Toleranz werden für ein harmonisches Zusammenleben in der Gesellschaft als Ideale genannt, besondere Aufmerksamkeit gilt jedoch der staatlichen Anerkennung des Buddhismus in Deutschland.
Darin liegt in der Tat eine wichtige Perspektive für Buddhistinnen und Buddhisten wie auch für die DBU insgesamt. In Hamburg wurde, unter Beteiligung des Tibetischen Zentrums, ein beachtlicher Schritt in diese Richtung unternommen. Aus der Einsicht heraus, dass die buddhistischen Gemeinschaften in Hamburg angesichts der „Staatsverträge“ mit Muslimen und Aleviten das Nachsehen hatten, schlossen sich im Mai 2017 neun dieser Gemeinschaften zu einer Interessenvertretung zusammen. Die neue „Buddhistische Religionsgemeinschaft Hamburg e. V.“ strebt die offizielle Anerkennung durch die Stadt Hamburg an, will u. a. gleichberechtigte Beteiligung am Religionsunterricht erreichen und auch in anderen Belangen Ansprechpartnerin für Politik, Behörden und Stadtgesellschaft sein. Die DBU unterstützt sie darin, auch wenn nicht alle beteiligten Vereine Mitglied in der DBU sind. Es soll in 30 Jahren eben auch mit der Gleichberechtigung der buddhistischen Gemeinschaften in ihrer Religionsausübung sowie ihrer Wahrnehmung und Förderung durch staatliche Institutionen anders aussehen als heute. Dafür tritt die DBU mit Nachdruck ein, in Baden-Württemberg und Bayern etwa durch ihren eigenen Antrag auf Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Friedmann Eißler